Protokoll der Sitzung vom 25.04.2006

Ich fürchte allerdings, dass die eingangs von mir beschriebene Einigkeit nicht mehr vorhanden ist, wenn es um die Konsequenzen aus der geplanten Ausstrahlung eines Machwerks wie „Popetown“ geht. Dazu ist nämlich nach meiner Auffassung das Presserecht nicht geeignet, schon gar nicht das Strafrecht.

Herr Kollege Herrmann, Sie weisen darauf hin, dass Sie Anzeige erstattet haben. Dann sind Sie offensichtlich der Meinung, dass die geltenden Gesetze schon ausreichen, um hier tätig zu werden. Dann braucht es dafür allerdings keine Verschärfung der Gesetze.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abgeordneten Joachim Herrmann (CSU))

Ich bin davon überzeugt, dass die meisten Kritiker dieses Filmchen höchstens vom Hörensagen kennen, und Sie rufen gleich nach schärferen Gesetzen. Sie kennen vielleicht das Werbeplakat. Ich fi nde es richtig, dass das zurückgezogen wurde, weil es nicht angeht, Werbung für so einen Film zu machen. Wissen Sie, welches die größte Chance ist, dass diese Sendung nicht mehr ausgestrahlt wird? – Dass sich das bei der ersten Ausstrahlung vielleicht 0,0003 Promille anschauen. Sie werden sehen, wie schnell MTV dann diese Sendung wieder absetzt. Ich fürchte allerdings, dass die CSU mit ihrer hektischen Umtriebigkeit in dieser Sache in allen bundesdeutschen Medien für MTV eine völlig kostenlose Werbung betrieben und dadurch Neugierde geweckt hat,

(Zuruf des Abgeordneten Franz Maget (SPD))

sodass dadurch die Zahl der Zuschauer potenziert wird, und dafür dürften Ihnen die Macher von „Popetown“ ein Dankesschreiben schicken, Herr Kollege Herrmann.

(Beifall bei der SPD – Franz Maget (SPD): Der macht das aber kostenlos!)

Lassen Sie doch die Zuschauer selbst entscheiden, ob sie die Serie anschauen wollen oder nicht!

(Zuruf von der CSU)

Ich sehe darin sogar eine Chance, damit einen Anstoß zu geben, auch wieder über religiöse Werte zu sprechen.

Ich habe vor Ostern im Fernsehen eine Umfrage gesehen. Dabei sind junge Leute danach gefragt worden, was Ostern überhaupt bedeute. Ein junges Mädchen hat gesagt, da sei Christus geboren worden. Es besteht also ein Handlungsbedarf. Derart provozierende Sendungen wie „Popetown“ könnten, wenn man es richtig anstellt, dazu geeignet sein, eine solche Diskussion auszulösen.

Da Jesus Gegenstand dieser Sendung ist, appelliere ich an Sie: Nehmen Sie sich ein Beispiel an Jesus! Was hat dieser Mann für eine Souveränität gehabt. Er war sich seiner Sache absolut sicher. Er hat einmal gesagt: Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Natürlich wissen auch die Macher von „Popetown“ nicht, was sie tun; denn sie haben nur ein Interesse, nämlich „Kohle zu machen“, wie das die jungen Leute, die die Sendung ansehen, ausdrücken würden. Jesus hätte wesentlich souveräner reagiert, als Sie dazu in der Lage waren. Sie helfen doch den Machern von „Popetown“ beim Geldmachen. Wo waren denn die Proteste, als ein Film über Jesus ausgestrahlt wurden, der nichts anderes ist als eine ganz brutale Verherrlichung von Gewalt?

Aber natürlich kommt man mit den Mitteln der Rechtsaufsicht und des Strafgesetzes nicht gegen derartige Filme an. Genauso wenig werden Sie das im Fall von „Popetown“ schaffen. Sie helfen, den Weg dafür zu ebnen, dass ein solcher Film, den sich Jugendliche genüsslich reinziehen, auch noch zum Kult wird. 90 % der Jugendlichen hätten von „Popetown“ überhaupt nichts mitbekommen. Jetzt aber ist so viel Werbung dafür gemacht worden, dass sich das schon jeder aus Neugierde ansehen wird. Wenn das Ergebnis dann ist, dass es ausreicht, den Film einmal gesehen zu haben, soll mir das recht sein. Sie können aber nicht mit den Mitteln des Strafgesetzbuches dagegen vorgehen. Ich vermute hinter Ihren Aktivitäten aber noch etwas anderes. Sie fürchten, als kleinster Partner der großen Koalition etwas unterzugehen, und suchen sich jetzt Nischen, in denen Sie sich noch austoben können.

(Beifall bei der SPD)

Im Fall „Popetown“ haben Sie sich dafür allerdings das völlig falsche Mittel ausgesucht. Ich bin mit Ihnen darin einig: Wenn ich Programmverantwortlicher wäre, würde ich so etwas nicht ausstrahlen. Aber ich habe viel von Jesus gelernt. Ich bin mir meiner religiösen Überzeugung absolut sicher. Ich weiß, dass natürlich auch deutsche

Bischöfe, die diese Sendung kritisieren, ihrer religiösen Überzeugungen absolut sicher sind. Sie haben aber offensichtlich Bedenken, ob alle Angehörigen der Kirchen ihrer religiösen Überzeugungen ebenso sicher sind. Deswegen glauben Sie, dass eine Sendung wie „Popetown“ Schaden verursachen könnte.

Ich glaube, der Hebel müsste anderswo angesetzt werden, nicht durch das Aussprechen von Verboten und nicht durch Mittel des Strafrechts. Das ist der völlig falsche Weg. Wir wissen das doch seit der Prohibition in Amerika. Nie ist so viel gesoffen worden wie in dem Zeitraum, als Alkohol in Amerika verboten war. Genau denselben psychologischen Effekt werden Sie jetzt wieder erzielen.

Deshalb lassen Sie uns ernsthaft darüber diskutieren, welche Rolle heutzutage religiöse Überzeugungen spielen. In diesem Zusammenhang komme ich auf die Einigkeit zu sprechen, die ich anfangs betont habe. Wir haben zum Beispiel morgen beim interfraktionellen Frühstück vielleicht die Gelegenheit, auch über dieses Thema zu reden. Das ist der richtige Ort, sich ernsthaft damit auseinander zu setzen. Zum Mittel der parteipolitischen Profi lierung sind religiöse Überzeugungen am wenigsten geeignet.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Gote.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Herrmann, zunächst habe ich mich bei diesem Thema gefragt: Wo ist der Bayernbezug? Ist es ein bayerisches Thema, weil der Papst aus Bayern ist oder weil wir mit Marktl unser eigenes kleines bayerisches Pope-Village haben? Liegt es daran, dass der Freistaat aus dem Steuergeld aller bayerischen Gläubigen und Ungläubigen mit einer Million Euro den Kauf des Geburtshauses des Papstes bezuschusst? In dem von MTV zur Ausstrahlung vorgesehenen Cartoon „Popetown“ und in der damit verbundenen Werbekampagne des Senders meinen Sie, einen geeigneten Aufhänger gefunden zu haben, um den Kulturkampf in diesem unseren Lande weiter anzuheizen. Sie versuchen ein weiteres Ablenkungsmanöver gegen den faden Regierungsalltag in Berlin. Man hat direkt den Eindruck, Sie langweilen sich dort. In Berlin haben sich die beiden großen Volksparteien eher zum Schwadronieren als zum Regieren zusammengefunden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Lassen wir die vorösterlichen und österlichen Botschaften, die aus der säkularisierten Preußenstadt zu uns ins fromme Bayernland drangen, Revue passieren; vielleicht haben Sie sie auch gehört, sie kamen von allen Seiten. Ursula von der Leyen und auch einige bayerische Politiker fühlten sich berufen, uns neue Osterbotschaften zu präsentieren. Eine große Koalition der Gegenaufklärung schwingt dort das Zepter. Sicher haben Sie sich alle, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, sehr intensiv mit „Popetown“ befasst und sich die wenigen bisher verfügbaren Trailer auf die Laptops heruntergeladen und ange

sehen; sonst würden Sie sicher heute nicht darüber zu urteilen wagen.

Auch ich habe das getan. Was ich gesehen habe, halte ich für eine nicht besonders gelungene Satire über die römisch-katholische Kirche. Übrigens steht dabei die Amtskirche als Institution im Fokus und nicht im eigentlichen Sinn die christlichen Glaubensüberzeugungen.

(Zurufe von der CSU)

Schauen Sie sich das einfach einmal an, Herr Weidenbusch.

Für alle, die dabei nicht nur gelangweilt wegschalten, sondern sich wirklich ärgern und sich verletzt fühlen, haben wir in unserer Mediendemokratie mit dem Werberat eine Institution, die sich mit derartigen Konfl ikten befasst. Das ist auch schon geschehen. Der Werberat hat sich mit der Angelegenheit befasst. Das Ergebnis ist Kritik und eine Rüge für MTV. Der Werbetrailer wurde zurückgenommen, und damit könnte es gut sein. Sie klagen aber jetzt noch; ich muss sagen: sehr früh, Herr Herrmann. Sie waren wahrscheinlich über Ostern in Urlaub.

Jetzt kommt die CSU und instrumentalisiert „Popetown“ für die eigenen politischen Zwecke, und das gerade vor Ostern. Warum allerdings das Ganze gerade vor Karfreitag besonders schlimm sein soll, erschließt sich wohl nur den Christenmenschen, für die die religiöse Tradition nur zu den christlichen Hochfesten Konjunktur hat. Der Evangelist Matthäus schreibt:

(Engelbert Kupka (CSU): Kapitel bitte!)

Wissen Sie das nicht? Das wundert mich, Herr Kupka. Wissen Sie nicht selber, was jetzt kommt? Sie müssten eigentlich wissen, was jetzt kommt.

Der Evangelist Matthäus schreibt:

Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Darum seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben. – Matthäus 10, 16.

Friedrich Kardinal Wetter, der nun die Gerichte gegen „Popetown“ angerufen hat – er war früher als Sie dran, Herr Herrmann – spricht in einer Predigt am 9. November 2002 im Liebfrauendom zu München mit Bezug auf Johannes Paul II. über Wege des Menschen zur Heiligkeit:

Der Heilige Vater vertieft das noch, wenn er ausführt, es gehe darum, die Welt zu Gott zu erheben und sie von innen her zu verwandeln. Dass wir dabei auch auf Verständnislosigkeit und Spott stoßen, muss nicht überraschen, denn unsere Art, als Jünger Christi zu leben, stammt nicht von dieser Welt. Wir leben in dieser Welt, sind aber zugleich auch Fremdlinge in der Welt.

Erster Petrusbrief, Kapitel 1, Vers 1, Herr Kupka.

„Das darf uns nicht mutlos machen; im Gegenteil, es sollte uns zeigen, wie wichtig das Zeugnis eines nach Heiligkeit strebenden Lebens für diese Welt ist.“ Dies sagt er übrigens in Würdigung von Josemariá Escrivá, dem Gründer der katholischen Geheimorganisation Opus Dei, an dem die Aufklärung ebenfalls spurlos vorbeigegangen ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Als bekennende katholische Christin und nicht in erster Linie als Politikerin möchte ich in diesem Zusammenhang einige Anmerkungen zu meiner Kirche, der römischkatholischen Amtskirche, machen. Wer sich wie Papst Johannes Paul II. selbst zum Medienereignis hochstilisiert und Jugendtreffen wie Rockkonzerte zelebriert hat, darf sich nicht wundern, wenn die Institution, welche zu vertreten er beansprucht, selbst zum Medienthema wird. Wer erlebt, wie die römisch-katholische Kirche die Gefühle, den Geist und die Seele von Frauen, Wiederverheirateten, von Schwulen und Lesben mit Füßen tritt,

(Anhaltender Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf von den GRÜNEN: Ganz genau!)

der kann sich nur über diesbezügliche Empfi ndlichkeiten wundern. Wer wie Papst Benedikt XVI. den Teufelsglauben in der katholischen Kirche wiederbelebt, indem er in allen Diözesen kirchenamtlich bestellte Exorzisten einführt, gibt sich selbst der Lächerlichkeit preis.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dies alles trifft mich als überzeugte Christin und Katholikin mehr, als jede Satire es jemals könnte. Sie reden heute so, als hätte es die Aufklärung nie gegeben, so, als zählten das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Presse- und Medienfreiheit nicht zu den Freiheiten, die diese Demokratie um ihrer selbst willen verteidigen müsste. Unser demokratischer Rechtsstaat hält doch alle notwendigen Mittel bereit, um sich gegen Individual- und Kollektivbeleidigung und auch gegen Volksverhetzung zu wehren. Hier bräuchte es noch nicht einmal den Paragraphen 166 ff des Strafgesetzbuches, der die Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen unter Strafe stellt. Weitergehende Forderungen sind einer lebendigen und demokratischen Gesellschaft nicht angemessen. Es sollte nicht im Interesse von Religionsgemeinschaften liegen, für geistige Auseinandersetzungen das Strafrecht zu bemühen.

(Anhaltender Beifall bei den GRÜNEN)

Gerade den großen Kirchen kann nicht an einem Strafrechtsschutz gelegen sein, der anderen Einrichtungen, Bekenntnissen und Gemeinschaften nicht zuteil wird und der ihnen in unnötiger Weise eine Schwäche unterstellt. Wir leben doch nicht in einem Gottesstaat, sondern in einer freiheitlichen Demokratie. Mischen Sie sich also nicht in Dinge, die Sie als Politiker in dieser Bundesrepublik Deutschland - und auch Bayern hat eine demokratische Verfassung - nichts angehen! Zeigen Sie mehr Respekt vor religiösen Überzeugungen! Sie stehen hier wie die Pharisäer, die das Gesetz und die Rechtgläubigkeit vor sich hertragen, aber gegen die Händler im Tempel

nichts unternommen haben. Wir reden ja heute auch noch über die Waschstraßen und das Autowaschen am heiligen Sonntag - auch ein schönes Thema in diesem Zusammenhang. Das würde Ihre Politik sozialer, gerechter, ökologischer und vielleicht sogar christlicher machen. Zeigen Sie mehr Respekt vor dem Islam, und lassen Sie dessen Gläubige in Frieden ihre Gotteshäuser in Sendling und anderswo bauen. Ziehen Sie Ihr Kopftuchverbot zurück.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ermöglichen Sie endlich in ganz Bayern, nicht nur in Erlangen, an allen Schulen einen islamischen Religionsunterricht. Tun Sie etwas für die soziale Gerechtigkeit in unserem Land. Setzen Sie sich ein für die Umverteilung des Reichtums in unserem Land, für Teilhabegerechtigkeit, Bildungsgerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit,

(Beifall bei den GRÜNEN)

für die Integration Behinderter. Haben Sie Respekt vor der Würde jedes Menschen, auch vor der Asylsuchender und derer, die in Ihren Augen „Illegale“ in unserem Land sind. Machen Sie die Mittelkürzungen in diesen Bereichen rückgängig, damit kirchliche Einrichtungen wieder gute Arbeit und damit ihren Dienst an der Gesellschaft sowie den Menschen leisten können. Tun Sie mehr für die Bewahrung der Schöpfung und für Ökologie und den Umweltschutz. Gehen Sie sorgsam mit natürlichen Ressourcen um. Erkennen Sie an, dass nur Gott keine Fehler macht, jedoch jegliches Tun der Menschen fehlerbehaftet ist. Richten Sie Ihre Politik an dem Risiko Mensch aus. Halten Sie nicht weiter die Nutzung der Atomenergie für vertretbar. Setzen Sie sich für einen beschleunigten Ausstieg aus der Atomenergie ein. Zeigen Sie Ehrfurcht vor Ihren Mit-Geschöpfen, den Tieren auf dieser Erde: Kämpfen Sie für artgerechte Tierhaltung, machen Sie sich für Tierschutz stark“ - Seien Sie friedfertig. Setzen Sie sich für den Frieden ein. Tragen Sie zur Beendigung des Nord-SüdKonfl iktes bei und verhindern damit einen Kampf der Kulturen. Machen Sie die globale Gerechtigkeit zum Maßstab Ihrer Politik.

Das wäre Respekt vor religiösen Überzeugungen. Hier träfen sich alle großen Religionen, und zwar mit der Ratio, mit der Vernunft. Deshalb sei Ihnen noch einmal mit Immanuel Kant gesagt: Habt Mut, euch eures eigenen Verstandes zu bedienen.