Protokoll der Sitzung vom 21.06.2006

Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 70. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Sie wurde erteilt.

Vorweg ein Hinweis. Wir müssen heute Erfahrungen mit der Klimaanlage machen. Ich hoffe, dass dies hier der angenehmste Raum im Hause sein wird. Wenn es aber zu warm oder zu kühl würde, bitten wir um einen entsprechenden Hinweis gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, damit da etwas geregelt wird.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Für die heutige Sitzung ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN vorschlagsberechtigt. Als Thema wurde benannt: „Schwarz-rote Mehrwertsteuererhöhung – Wer zahlt in Bayern die Zeche?“

Die Regeln sind bekannt. Ich darf aber bereits jetzt darauf hinweisen – ich hoffe, dass über Lautsprecher möglichst viele Kolleginnen und Kollegen zuhören –, dass diese Aktuelle Stunde voraussichtlich ungewöhnlich kurz sein wird, da die Fraktionen jeweils nur einen Redner benannt haben. Demnach wäre sie nach dreimal zehn Minuten möglicherweise schon zu Ende. Dies bitte ich insbesondere im Hinblick auf die Berichterstattungen zu den folgenden Tagesordnungspunkten zu bedenken. Die Fraktionsgeschäftsführungen mögen ihre Leute mobilisieren. Das gilt ebenso für die Staatsregierung. An diese Eventualität müssen wir denken.

Damit kommen wir zur Aussprache. Den ersten Beitrag liefert Herr Kollege Mütze.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie schon anwesend sind! Es freut mich, Sie hier heute früh begrüßen zu dürfen. Auch Kollege Dupper ist schon da.

Dass zu diesem Thema der Aktuellen Stunde nur drei Abgeordnete reden wollen, zeigt mir, dass die lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD- und der CSU-Fraktion diesem Thema nicht den gehörigen Respekt entgegenbringen.

Jetzt stehe ich innerhalb eines Jahres schon zum dritten Mal zu diesem Thema hier vorn. Zuerst haben wir gewarnt. Beim zweiten Mal haben wir Sie schon fast angefl eht. Heute muss ich feststellen: Die schwarz-rote Bundesregierung, Ihre Kolleginnen und Kollegen in Berlin, und der Bundesrat haben die massivste Steuererhöhung und damit gleichzeitig die größte Mehrwertsteuererhöhung der Geschichte beschlossen. Man stelle sich nur vor, die Vorgängerregierung hätte das gewagt. Dann hätten uns diejenigen in der CSU, die heute nicht da sind, in der Luft zerrissen, weil wir eine solche Steuerpolitik machten.

Wer zahlt die Zeche dafür hier in Bayern? Ich will darstellen, was der Ministerpräsident und die Staatsregierung mit ihrer Zustimmung im Bundesrat angerichtet haben, damit niemand sagen kann, er oder sie habe es nicht gewusst. Ich will jetzt nicht damit anfangen, lieber Kollege Dupper, irgendwelche rote Plakate zu zitieren und zu sagen, wer vor der Wahl was versprochen hat, wer gegen etwas und für etwas war. Aber eines muss ich feststellen: Die Union, also auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, wollte vor der Wahl gleichzeitig mit der Mehrwertsteuererhöhung die Lohnnebenkosten spürbar entlasten. Dieses Ziel hat sich unter dem Druck der Länderfi nanzminister in Luft aufgelöst. Gern nehmen diese die zusätzlichen Mittel für ihre maroden Haushalte entgegen. Auch unser Minister ist froh, die zusätzlichen Mittel einzunehmen. Er will schließlich im kommenden Jahr eine angebliche schwarze Null schreiben. Die Ministerkollegen – das konnte man lesen – sind schon mit offenen Händen bei ihm vorstellig geworden.

Aber was ist von einer Mehrwertsteuererhöhung zu halten, die selbst der Bundesfi nanzminister als konjunkturschädlich bezeichnet hat? Wie kann ich denn wider besseres Wissen den Motor, wenn er gerade zu laufen anfängt, wieder abwürgen? Sie tun es, ohne mit der Wimper zu zucken, und wollen dafür auch noch als Sanierer gefeiert werden.

Die Auswirkungen der Erhöhung werfen schon heute ihre Schatten voraus. Heute wird gekauft. Dieses Jahr werden alle Verträge geschlossen, weil nächstes Jahr alles teurer wird. Wie viel Prozentpunkte an Wirtschaftswachstum kostet uns das? Ein halbes oder ein Prozent? Die Bundesregierung selbst hat in einer Antwort, die Staatssekretärin Dr. Hendricks gegeben hat, gesagt, sie gehe von 0,6 % aus.

Der Konsum ist doch immer noch der wichtigste Antriebsfaktor der Wirtschaft in Deutschland. Sie legen ihn lahm. Der Einzelhandel kann die Erhöhung nicht in dieser Höhe an die Endkunden weitergeben. Was wird er tun, um Kosten einzusparen? Dort wird es zu einem weiteren Personalabbau kommen. Die Handwerksleistungen werden teurer.

Damit kommen wir zum nächsten Punkt. Vor den Pfi ngstferien haben wir im Landtag über eine Änderung bei der Umsatzsteuer debattiert – Herr Kollege Schieder und der Vorsitzende Kollege Ach werden sich erinnern –, um den Umsatzsteuerbetrug einzudämmen. Mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer werden all unsere Bemühungen der letzten Jahre ad absurdum geführt. Die Schwarzarbeit wird wieder erblühen und damit weitere Milliardenlöcher in die Steuereinnahmen reißen. Das wird das Handwerk und den Mittelstand schädigen. Wollen Sie das?

Selbst der Bundespräsident hat darauf hingewiesen, dass höhere Steuern nur dann Sinn machen, wenn sie der Schaffung von Arbeitsplätzen dienen. Sie aber bedrohen mit der Erhöhung die Arbeitsplätze, werte Kolleginnen und Kollegen.

Wie sind die Auswirkungen auf Städte und Kommunen? Einige haben das schon durchgerechnet, zum Beispiel

München – das konnte man gestern nachlesen – und Augsburg. Allein München rechnet mit 35 Millionen Euro Mehrausgaben. Das bedeutet Schulden, für die es kaum Kompensation gibt. Augsburg rechnet mit 1 Million Euro pro Jahr. Es handelt sich also um Mittel, die den Städten und Kommunen fehlen. Diese können ihre Investitionen nicht vorziehen. Sie müssten dafür Kredite aufnehmen, deren Kosten höher wären als die Ersparnis.

Weitere Investitionsentscheidungen werden nach hinten geschoben. Der Sanierungsstau bekommt noch einmal Zuwachs. Es stünde Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, gut zu Gesicht, wenn Sie mit den Mehreinnahmen die Kommunen entlasteten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kommen wir nun zu den Bürgerinnen und Bürgern in Bayern. Was passiert mit ihnen? Versprochen wird eine Entlastung bei den Lohnnebenkosten. Das ist schön für diejenigen, die Arbeit haben. Was ist aber mit allen anderen, die keine Arbeit haben, bei denen es keine Lohnnebenkosten gibt? Diese Personen werden deutlich belastet. Und was geschieht dann?

Schauen wir uns einmal die angebliche Senkung der Lohnnebenkosten etwas genauer an. Ich sage Ihnen: Die kompletten 3 % Erhöhung gehen in die Haushaltslöcher. Von wegen Entlastung bei den Lohnnebenkosten! Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung kann um einen Prozentpunkt gesenkt werden aufgrund von Maßnahmen, die schon die alte Bundesregierung getroffen hat. Diese Maßnahmen sollen es der Arbeitsagentur ermöglichen, den Beitrag um einen Prozentpunkt zu senken. Der zweite Prozentpunkt wird mit einer Steuerfi nanzierung ausgeglichen. Dagegen ist nichts zu sagen. Wir müssen ohnehin in die Steuerfi nanzierung von Lohnnebenkosten einsteigen. Das ist aber nur dann sinnvoll, wenn man diese Wirkung nicht an einer anderen Stelle aufhebt und damit konterkariert.

Betrachten wir doch einmal alle Lohnnebenkosten: Arbeitslosen-, Renten-, Pfl ege-, Krankenversicherung. Schwarz-Rot senkt die Arbeitslosenversicherungsbeiträge um einen Prozentpunkt, weiß aber heute schon, dass die Beiträge zur Rentenversicherung um 0,4 bis 0,7 Prozentpunkte steigen werden. Schwarz-Rot streicht den Steuerzuschuss an die Krankenversicherung. Dazu kommt die Mehrwertsteuererhöhung. Das macht 5 Milliarden Euro Belastung aus. Auch das bringt ein weiteres Beitragssatzrisiko von 0,5 Prozentpunkten.

Das bedeutet nichts anderes, als dass Ihre schöne Absenkung schon im Nichts verschwunden ist, bevor sie überhaupt da ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das bedeutet aber auch nichts anderes für die arbeitende Bevölkerung, als dass sie nicht mehr, sondern wiederum weniger im Geldbeutel hat.

Verkaufen Sie bitte die Öffentlichkeit nicht für dumm. Die Menschen in Bayern sollen die höchste Mehrwertsteuer

erhöhung, die es je gegeben hat, ab dem 1. Januar 2007 akzeptieren. Doch dann haben sie auch ein Anrecht auf eine Perspektive, auf eine Lösung. Die wird ihnen jedoch von Ihnen nicht gegeben. Die Menschen werde die Mehrbelastung direkt spüren, erhalten aber keine Entlastung. Der positive Effekt, den sich Schwarz-Rot wohl verspricht, wird verpuffen. Sie werden als die massivsten Steuererhöher im Gedächtnis bleiben. Dazu kann ich nur sagen: Vielen Dank Staatsregierung, vielen Dank CSU und Dank auch an die SPD, die die schlechte Politik mitträgt!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächster Redner: Herr Kollege Ach.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als mir gestern die Pressemitteilung „Mehrwertsteuererhöhung – Wer zahlt die Zeche?“ vorlag, dachte ich, das ist mutig, weil die ehemaligen Mitbrandstifter jetzt versuchen, den Feuerwehrmann zu spielen. Nun soll sich die CSU rechtfertigen. Die CSU muss sich aber nicht rechtfertigen. Die CSU hat klare Positionen und Gründe, warum sie das tun muss.

(Zuruf des Abgeordneten Thomas Mütze (GRÜNE))

Damit Sie es endlich einmal kapieren, Herr Kollege Mütze. Allerdings unterstelle ich Ihnen, dass Sie das im Ausschuss gut kapieren. Bei Ihrer heutigen Argumentation vergaßen Sie jedoch zu sagen, worauf das alles zurückzuführen ist. Daran darf ich Sie erinnern.

(Zuruf der Abgeordneten Ulrike Gote (GRÜNE))

Frau Gote, das zeigt, dass Sie wenig Ahnung vom Haushalt haben. Die dramatische Situation ist erst in den letzten zehn Jahren eingetreten.

(Thomas Mütze (GRÜNE): Zehn Jahre!)

Begonnen hat das zwar unter der Regierung Kohl, aber den größten Teil dieser zehn Jahre haben Sie mit verantwortet.

Nun zur Sache selbst: Sie dürfen uns abnehmen, dass niemand die Steuer gerne erhöht. Bei dem Zustand, in dem der Staatshaushalt – insbesondere der Bundeshaushalt – war, blieb aber letztlich keine Alternative. Deshalb wurde im Koalitionsvertrag, der zwischen CDU/CSU und SPD geschlossen wurde, mit Recht die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes von 16 % um 3 % auf 19 % mit Wirkung zum 1. Januar 2007 festgelegt. Sie dürfen uns abnehmen – ich rede für die CSU –, dass den Koalitionspartnern diese Entscheidung nicht leicht gefallen ist. Ich betone aber ausdrücklich: Zu diesem Schritt gibt es für jemand, der seriöse Haushalts- und Finanzpolitik betreiben will, mittelfristig und zukünftig keine Alternative.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das ist doch Quatsch! Es gibt immer eine Alternative!)

Das ist Ihre Bewertung.

Die Lage der öffentlichen Haushalte ist nach wie vor dramatisch. Das müssten Sie so gut wie wir wissen, wenn Sie gründlich Zeitung lesen würden und nicht nur die Artikel, die Ihnen gut gefallen. Bund und Länder sitzen im gleichen Boot. Sie wissen, wie die Steuern verteilt werden. Ich darf darauf hinweisen, dass im Jahre 2005 das gesamtstaatliche Defi zit 4 % des Bruttoinlandsprodukts betrug und die strukturelle Lücke zwischen den laufenden Einnahmen und den laufenden Ausgaben im Bundeshaushalt notwendige Konsolidierungsmaßnahmen im Hinblick auf Europa in erheblichem Umfang erforderlich macht. Das ist eine Erblast, die nicht die CSU alleine zu verantworten hat, sondern auch Sie, die Sie sieben Jahre in verschiedenen Landesregierungen und der Bundesregierung mitgestaltet haben. Das müssen Sie endlich zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der CSU – Franz Maget (SPD): Das ist aber jetzt vorbei!)

Offensichtlich. Deshalb wird jetzt leicht anders gedacht.

Was ist das Ziel der Mehrwertsteuererhöhung? – Wir müssen irgendwann einmal die Verschuldungsspirale durchbrechen. Zur Begründung darf ich ein paar Zahlen nennen. Im Mai 2006 hatte der Schuldenstand aller öffentlichen Haushalte die Marke von 1,5 Billionen Euro überschritten. Das macht rund 18 200 Euro pro Kopf aus. Der Bundeshaushalt 2006 weist eine Nettokreditermächtigung von über 38 Milliarden Euro aus. Die Lücke zwischen den laufenden Ausgaben und den laufenden Einnahmen beläuft sich im Bundeshaushalt auf über 50 Milliarden Euro oder 20 % des Haushaltsvolumens. Auf der Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler erhöht sich die Neuverschuldung pro Sekunde um 1213 Euro. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, muss die Verschuldungsspirale durchbrochen werden, obwohl die Maßnahmen sicherlich schmerzhaft sind.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Wir haben die größte Verschuldung aller Zeiten. Sie steigern die Verschuldung noch!)

Ich glaube, ich muss Sie nicht einmal ignorieren, Herr Kollege.

Der Konsolidierungskurs, wie ihn die CSU Bayern seit Jahren fährt, ist bundesweites Vorbild. Er wird von der Bundesregierung und vom Bundesfi nanzminister durchaus akzeptiert und für verschiedene Bereiche übernommen. Das Ziel der Mehrwertsteuererhöhung ist nicht nur, dass es mehr Einnahmen gibt, sondern wir haben eine Verschuldungsgrenze und die 3%-ige Defi zitgrenze des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts. Das vergessen Sie alles bei Ihrer doch sehr populistischen Argumentation, die wir soeben vernehmen konnten.

Weiterhin muss man sehen, dass die wichtigste Aufgabe der Großen Koalition – eine Kernaufgabe – die Erhöhung von Wachstum und Beschäftigung ist. Wir wissen das und reden darüber, tun aber nichts. Wir brauchen mehr Wachstum und neue Arbeitsplätze. Das setzt die Senkung der Lohnzusatzkosten voraus. Deshalb ist es sinnvoll und richtig, dass zum 1. Januar 2007 der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 % um mindestens 2 %, viel

leicht noch etwas mehr, auf 4,5 % gesenkt wird. Wenn dann die Effi zienzgewinne für die Bundesagentur für Arbeit noch höher ausfallen, wird gemäß der Ankündigung der Bundeskanzlerin eine weitere Senkung möglich sein. Dies kommt letztlich sowohl den Arbeitnehmern als auch den Arbeitgebern zugute. Zur Gegenfi nanzierung – das ist das Kernthema – brauchen wir einen Teil der Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung. So einfach ist die Rechnung.

Wir nehmen im Übrigen die Mehrwertsteuererhöhung mit Augenmaß vor. Die Erhöhung wirkt sich erst zum 1. Januar 2007 aus, um den Aufschwung 2006, vor dem wir Gott sei Dank stehen, sich bei den Kommunen, dem Bund und der Wirtschaft entfalten zu lassen. Die Konjunkturdaten geben uns in dieser Auffassung Recht.

Ich will auch etwas zur sozialen Balance sagen, Herr Kollege Mütze. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz bleibt unverändert bei 7 %. Er wird erhoben auf Nahrungsmittel wie Brot, Butter, Fleisch, Früchte, Gemüse, Gewürze sowie für Bus, Bahn und Taxi im Nahverkehr, für Bücher und Zeitungen, Eintrittkarten für Theater, Orchester und Konzerte, Schwimmbäder usw., sowie für weitere Produkte und Leistungen des täglichen Bedarfs. Die Erhöhung des ermäßigten Mehrsteuersatzes träfe die Rentner, die Arbeitslosen, Studenten und Familien ganz besonders. Deshalb war es uns gemeinsam besonders wichtig, dass es hier keine Erhöhung gibt. Sie sehen, dass wir uns über die Entwicklung Gedanken gemacht haben.