Protokoll der Sitzung vom 06.07.2006

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage auch: Die Sicherstellung des ÖPNV in der Fläche wird zur Gretchenfrage für die Staatsregierung, wie sie es wirklich mit dem ländlichen Raum hält. Herr Minister Huber, da dürfen Sie dann nicht auf die Kürzung der Regionalisierungsmittel durch den Bund verweisen. Sie wissen vielmehr: Die eine Milliarde Euro, die Sie weiterhin bekommen werden, teilen Sie im Land nach eigenen Kriterien auf.

(Beifall der Abgeordneten Heidi Lück (SPD))

Das vierte Beispiel. Eine fl ächendeckende Versorgung mit leistungsfähigen Breitbandanschlüssen. Auch dies muss man im Zusammenhang mit dem Landesentwicklungsprogramm ansprechen, obwohl wir leider Bezüge genug haben, dies in der alltäglichen Politik aufzugreifen. Gemeinde, und Landkreistag mussten, unterstützt von Kammern und von uns als Opposition, mühsam Überzeugungsarbeit leisten, dass das Hightechland Bayern schlecht aussieht, wenn im ländlichen Raum, zumindest

in großen Teilgebieten, eine leistungsfähige zeitgemäße Breitbandversorgung fehlt.

Inzwischen realisiert die Staatsregierung, dass von ihr diesbezüglich zu Recht ein aktiver Beitrag erwartet wird; denn es geht um Infrastruktur für Unternehmer und Bewohner des ländlichen Raumes.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Minister Huber, mich freut, dass ich seit einigen Wochen von Ihnen nicht mehr den ordnungspolitischen Verweis gehört habe: Das regelt dann schon der Markt. Ich meine, Sie haben inzwischen auch akzeptiert, dass die Mithilfe des Staates eine zeitgemäße Infrastrukturaufgabe ist. Ich sage nicht, dass Sie der Telekom die Anschlüsse zahlen sollen, sondern ich sage: Sie müssen hier modernisierend und fördernd mithelfen und anschieben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Schon aus diesem Grund halten wir es für sehr notwendig, dass im Landesentwicklungsprogramm der Infrastrukturauftrag „Breitbandanschluss auch in der Fläche“ aufgenommen wird. Die CSU-Fraktion hat unseren Antrag abgelehnt. Sie hat dann gemeint, man könne das Thema sozusagen mit einem Halbsatz in der Erläuterung abdecken. Sie wissen ganz genau: Die Begründung wird nicht beschlossen. Das, was verpfl ichtend ist, muss vorne bei den Grundsätzen und Zielen stehen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Bocklet – er ist jetzt nicht anwesend; er wird es aber schon berichtet bekommen -, mich hat wirklich verwirrt, Sie im „Münchner Merkur“ zitiert zu lesen, man solle doch die Breitbandversorgung ins LEP aufnehmen. Das war nach der Diskussion im Ausschuss und nach der Beschlussfassung. Ich habe mich gefragt: Heißt das, dass es auch für diesen Punkt eine Teilfortschreibung geben soll, oder wird sich Herr Bocklet heute dafür entscheiden und doch noch für uns stimmen? Ich hoffe es. Das wäre, wie er vorhin gesagt hat, doch auch ein guter Ausdruck seiner Flexibilität.

Nun zum Einzelhandelsziel. Kürzlich – das will ich doch zitieren - sagte ein hochrangiger Vertreter des bayerischen Handwerks – ich füge an: es war nicht Herr Traublinger -, das Einzelhandelsziel sei wie ein besonders stark durchlöcherter Schweizer Käse; wer Ausnahmen wolle, fi nde schon das entsprechende Loch. Alle Beobachtung sagt uns: Der Mann hat Recht. Es gibt so viele Ausnahmen. Ich füge an: Das Einzelhandelsziel ist Bürokratie pur mit bizarren Auswüchsen.

Einige dieser Auswüchse will ich jetzt nennen. Da gibt es für eine großstadtnahe Gemeinde, die 6500 Einwohner hat, ein Genehmigungsverfahren für ein Möbelgroßkaufhaus, und die Gemeinde kann erwarten, dass sie eine Fläche für innenstadtrelevante Randsortimente von sage und schreibe 4600 Quadratmeter erhält. Man muss sich einmal vorstellen, welch riesiger Anteil das ist. Im Gegen

satz dazu bekämen ebenfalls der Großstadt – es handelt sich um München - nahe Städte wie Germering oder Unterschleißheim mit 26 000 bzw. 38 000 Einwohnern bei einem vergleichbaren Genehmigungsverfahren für das innenstadtrelevante Randsortiment nur 900 oder 1200 Quadratmeter zugebilligt. Allein dieses Beispiel zeigt, dass sich die Rückgriffsquote, die Teil des Einzelhandelszieles ist, so auswirkt, dass kleine Gemeinden riesige Flächen zugestanden bekommen, weil sie nur ein paar Kilometer näher an der Stadt liegen als zum Beispiel Germering oder Unterschleißheim. Das ist eine Absurdität. Im Vorfeld des CSU-Antrags wurde sehr darum geworben, diese Absurdität der Rückgriffsquote herauszunehmen. Das wollten Sie aber nicht ändern.

Ihre zwei vorgesehenen Änderungen hingegen werden das gesamte Einzelhandelsziel noch widersprüchlicher machen. Auch das wurde in der Anhörung sehr deutlich. Da hilft es nichts, wenn Sie sagen: Wir schreiben das jetzt fest, dann kommt ab August oder September eine Evaluierung, und dann kommt die nächste Fortschreibung. Ich sage Ihnen: Gerade beim Einzelhandelsziel haben Sie einen Offenbarungseid geleistet, dass Sie keine Lösung hinsichtlich der Genehmigung von Großprojekten auf der Grünen Wiese haben.

Ich komme zu Ihren zwei Ausnahmen. Die erste Ausnahme ist das Zielabweichungsverfahren, mit dem Einzelhandelsprojekte in der Nähe zu Tschechien und Österreich künftig genehmigungsfähig werden sollen. Dies wird keine Lösung sein können. Ich begründe dies nur stichpunktartig.

Erstens. Sie verschieben faktisch die Grenze ins Landesinnere, beispielsweise von Piding nach Rosenheim, also in den nächsten Landkreis.

Zweitens. Es ist ungerecht, weil Sie die gleiche Problematik der Flächenaufrüstung jenseits der Landesgrenze in Thüringen, in Hessen oder in Baden-Württemberg haben bzw. haben können. Hierfür ist das Zielabweichungsverfahren nicht vorgesehen.

Drittens. Es ist mittelfristig wegen der Aufrüstung mit Verkaufsfl ächen ruinös. Das sagen Ihnen die Einzelhandelsverbände und die Handwerksorganisationen sehr deutlich; sie plädieren deshalb für eine grenzüberschreitende Abstimmung.

Viertens – auch das wissen Sie -: Es ist juristisch unsauber, weil Sie mit dem als Verordnung erlassenen LEP einen Gesetzesartikel ändern, nämlich Artikel 29 des Landesplanungsgesetzes, dem Sie weitere Tatbestandsmerkmale hinzufügen. Sie beziehen die Praxis und die Rechtslage des Nachbarstaates ein. Auch das ist juristisch nicht sauber.

Zur zweiten Ausnahme, nämlich in ländlichen Gemeinden ohne hinreichende Nahversorgung Einzelhandelsgroßprojekte zuzulassen. Die Größe des jeweiligen Projektes – so steht es im Entwurf - wollen Sie dann auch noch dem Investor überlassen. Das ist für mich Flucht aus der staatlichen Gestaltungsaufgabe. Ich will ansprechen, was Ihnen Kollege Traublinger in den Fraktionssitzungen

sicherlich sehr ausführlich dargelegt hat; es ist aber notwendig, dies hier im Plenum zu wiederholen; denn Herr Traublinger und die Handwerksorganisationen haben Recht. Sie schaffen mit dieser Ausnahme eine Praxis, bei der das Windhundverfahren gilt: Die Gemeinde, die den ersten Großmarkt bauen kann, schöpft Kaufkraft aus den Nachbargemeinden ab, die ebenfalls eine schlechte Nahversorgung haben. Weil die wirtschaftlichen Daten nicht mehr stimmen, werden es diese Gemeinden aber wahrscheinlich nicht mehr schaffen, sie bleiben mit ihrer schlechten Nahversorgung weiterhin im Regen stehen. Die kleinen Einzelhändler, die Bäcker, die Metzger, das so genannte Lebensmittelhandwerk in den Orten geht kaputt. Das ist keine Lösung.

Interessant ist auch – das ist aus wirtschaftlicher Sicht und insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Ausbildungsplatzlage anzusprechen -: Wenn der örtliche Metzger, der Bäcker keine Perspektive mehr hat, wird er auch nicht mehr ausbilden; also gehen gleichzeitig wichtige Ausbildungsplätze verloren. Das ist dann eine Entwicklung, die indirekt durch die Landesplanung bedingt ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Für mich ist unverständlich, warum regional abgestimmte Einzelhandelskonzepte im Genehmigungsverfahren nicht einfl ussreich herangezogen werden sollen. Das verstehe ich nicht. Im Entwurf steht zwar, dass man sie mit berücksichtigen kann. Das ist mir zu schwach. Wenn sich ein regionaler Planungsverband dazu verständigt, einen kommunalen Konsens entwickelt, dann soll dies tragend wirken können.

Als Fraktion haben wir auch dem Lösungsansatz des Einzelhandelsziels sehr viel Sympathie entgegengebracht, der sich anknüpfend an die Anhörung und anknüpfend an den Vorschlag des Gemeindetags im Dialog der Verbände herauszubilden begann.

Herr Kollege Bocklet, bis in die letzten Tage vor unserer Ausschusssitzung ist um diesen Lösungsansatz gerungen worden. Die Verbände wollten einen Konsens erreichen, der tragfähiger und weniger bürokratisch ist als das, was jetzt als Ziel vorhanden ist und noch einmal verkompliziert wird. Sie wollten jedoch diesen Dialog nicht weiterführen. Sie wollten die Abstimmungsprozesse in den Verbänden nicht abwarten. Sie schreiben vielmehr das verbürokratisierte Ziel mit weiteren Ausgaben fort und vertrösten den Einzelhandel, das Handwerk, die Kammern und die Kommunalpolitiker auf eine baldige neue Befassung mit dem Thema des Einzelhandelsziels.

Kolleginnen und Kollegen, allein diese Thematik macht deutlich, wie zweckdienlich und sachgerecht es gewesen wäre, das Landesentwicklungsprogramm aus dem Jahre 2003 noch fortgelten zu lassen und systematisch jenen Handlungsbedarf aufzugreifen, den selbst die CSU in ihrer Resolution als gegeben anerkennt. So ist jedoch heute ein Landesentwicklungsprogramm zu beschließen, das wahrlich kein Beweis für eine verantwortliche Regierungsführung in Bayern ist. Es ist erst recht kein Beweis für eine professionelle Parlamentspraxis der Regierungs

fraktion. Kolleginnen und Kollegen, deshalb ergibt es sich von selbst, dass wir bei unserem Votum bleiben und nicht zustimmen werden.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Dr. Magerl.

Herr Präsident, Hohes Haus! Ich möchte zunächst noch einmal auf die Genese des Landesentwicklungsprogramms eingehen. Diese kann man durchaus unter die Überschrift „Trauerspiel und Bankrotterklärung der Staatsregierung und der CSU“ stellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Im Jahre 2002/2003, zum Ende der 14. Legislaturperiode, hat dieses Haus über ein neues Landesentwicklungsprogramm beraten und dieses im Frühjahr 2003 beschlossen.

Herr Staatsminister Dr. Schnappauf wird im Protokoll der Sitzung des zuständigen Ausschusses wie folgt wiedergegeben:

Der Umfang des Landesentwicklungsprogramms sei um etwa ein Drittel geringer. Es lege die räumliche Entwicklung Bayerns für alle Politikbereiche für einen Zeitraum von 5 bis 10 Jahren fest.

Der Staatsminister bezeichnete den Entwurf des Landesentwicklungsprogramms als gute Wegweisung für den Freistaat Bayern in das 21. Jahrhundert. Hunderte von Beamten waren damals an der Erarbeitung dieses Landesentwicklungsprogramms beschäftigt. In allen Ministerien, dem Landtag, den Verbänden, den Kommunen und den Landkreisen wurde ein gigantischer Aufwand betrieben. Ich möchte noch ein weiteres Zitat aus dem Protokoll der Expertenanhörung bringen. Herr Busse vom Gemeindetag hat über die Geltungsdauer des Landesentwicklungsprogramms gesagt:

Insofern kommt für uns der Fortentwicklung des Landesentwicklungsprogramm eine immense Bedeutung zu. Aus unserem Verständnis heraus soll das Landesentwicklungsprogramm die Raumentwicklung des nächsten Jahrzehnts festschreiben.

Das alte Landesentwicklungsprogramm hat gerade ein halbes Jahr gehalten, bis seine Fortschreibung angekündigt wurde.

Herr Ministerialdirigent Prof. Dr. Goppel hat in der gleichen Anhörung erklärt:

Wir haben das Landesentwicklungsprogramm 2003 zum letzten Mal fortgeschrieben und haben diese Fortschreibung unter das Paradigma der Nachhaltigkeit gestellt. In diesem Lichte ist eine

Fortschreibung zum jetzigen Zeitpunkt im Vergleich zu Fortschreibungen in der Vergangenheit relativ früh.

Ich würde sagen: Relativ früh ist stark untertrieben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Hauptgrund für das Kabinett, das Landesentwicklungsprogramm einer erneuten Überarbeitung zu unterziehen, war, das Landesentwicklungsprogramm lesbarer und griffi ger zu machen sowie das Programm von all dem zu befreien, was nicht unbedingt in ein solches Programm gehört. Ich frage mich, ob Herr Dr. Schnappauf und sein Ministerium damals ein fürchterlich schlechtes Landesentwicklungsprogramm abgeliefert haben, das nicht lesbar und nicht griffi g war. Das waren die gleichen Leute, die dieses Landesentwicklungsprogramm geschrieben haben. Wie erklärt sich das? – Oder ist das eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für nicht ausgelastete Ministerialbeamte?“

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich glaube nicht, dass die Ministerialbeamten nicht ausgelastet sind. Sie hätten genug Sinnvolles zu tun.

(Reinhold Bocklet (CSU): „Sie haben eine blühende Phantasie!“)

Herr Kollege Bocklet, das sind keine blühenden Phantasien, sondern Zitate. Warten Sie ab. Zu Ihnen komme ich auch noch.

(Beifall bei den GRÜNEN)