Protokoll der Sitzung vom 28.09.2006

(Heiterkeit des Abgeordneten Joachim Unter- länder (CSU))

Jetzt ist es aber nun einmal so. In Punkt IV.7.2.1 des Koalitionsvertrages steht unter „Sicherung einer nachhaltigen und gerechten Finanzierung des Gesundheitssystems“:

Erforderlich ist ein Konzept, das dauerhaft die Grundlage für ein leistungsfähiges, solidarisches und demografiefestes Gesundheitswesen sichert.

Das war die Aufgabe für die Koalition. Dauerhaft und demografiefest heißt, wie auch Sie schon gesagt haben, dass man den veränderten Bedingungen der Arbeitswelt Rechnung trägt. Es gibt weniger sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und mehr Arbeitslosigkeit. Das alles ist bekannt. Solidarisch heißt, dass der Leistungskatalog erhalten bleibt und die Versicherten nicht zusätzlich belastet werden. Als Sozialdemokratin könnte ich den Begriff „solidarisch“ noch näher erläutern, doch das würde meine Redezeit sprengen. Deshalb verzichte ich darauf, dieser Versuchung nachzugeben.

(Joachim Unterländer (CSU): Das tut nichts zur Sache!)

(Zuruf des Abgeordneten Joachim Unterländer (CSU))

Ich habe Sie leider nicht verstanden, ich hätte gern Ihren Zwischenruf beantwortet.

Die Eckpunkte, die Anfang Juli als Ergebnis schwierigster Verhandlungen festgelegt wurden, enthalten einige strukturelle Verbesserungen. Ich nenne nur beispielsweise, dass künftig alle Menschen krankenversichert sind. Das ist tatsächlich ein Fortschritt und eine Forderung der SPD. Wir haben verhindert, dass der Leistungskatalog eingeschränkt wird, was Sie gefordert haben, beispielsweise, dass die privaten Unfälle herausgenommen werden.

Allein über den Unsinn dieser Geschichte könnte man Stunden diskutieren, auch unter dem Aspekt des Bewegungsmangels bei Kindern und Jugendlichen.

Wir haben die Palliativmedizin als zusätzliche neue Leistung im Leistungskatalog und wir haben – auch das finde ich sehr erfreulich – die Verpflichtung für alle Krankenkassen, zukünftig Hausarztmodelle anzubieten. Diese Verbesserungen waren 2004 noch nicht möglich, weil Sie – auch die anwesende Frau Ministerin – über den Bundesrat blockiert haben. Das war aber nicht die Kernaufgabe, die Kernaufgabe war die Finanzierung. An der Blockade von Ihnen und der CDU ist die solidarische und dauerhafte Lösung dieses Problems gescheitert.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Auch an der CSU!)

Ja, „Ihnen“ bezog sich auf die CSU.

Das wollten im Übrigen nicht nur die SPD sowie die Opposition im Bundestag, sondern das wollen auch 83 % der Menschen in Deutschland. Sie sollten sich diesen Aspekt einmal angesichts Ihres Mottos „Näher am Menschen“ überlegen. Der Koalitionsvertrag fordert einen fairen Wettbewerb zwischen gesetzlichen und privaten Krankenkassen. Das haben Sie und das hat Ihr Ministerpräsident verhindert. Daran ist diese Frage gescheitert.

(Beifall bei der SPD)

Dieses Eintreten für die Pfründesicherung der privaten Krankenversicherung gefährdet unter anderem eine weitere hochwertige Versorgung der Menschen in Bayern. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Der Gesundheitsfonds, der vereinbart worden ist, weil eine andere Lösung nicht machbar war, war und ist nach unserer Meinung nicht geeignet, die Probleme der Finanzierung des Gesundheitswesens zu lösen, zumindest solange nicht, bis die weitere Einbeziehung der privaten Krankenversicherung zustande kommt.

(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen – Sie haben es eben selber gesagt – waren Sie, die die Entbürokratisierung wie eine Monstranz durch ganz Bayern vor sich hertragen, doch für dieses bürokratische Monster. Es besteht Handlungsbedarf – darüber müssen wir uns klar sein –, wir haben keine Zeit, jetzt noch Monate oder Jahre zu diskutieren, denn es gibt diesen Fehlbetrag von mehreren Milliarden Euro, der aufgebracht werden muss. Deswegen gebietet es die politische Ernst

haftigkeit, endlich zu Potte zu kommen. Aus diesem Grund hat die SPD auf Bundesebene diesen Minimalkonsens nicht angerührt. Wir haben ihn verteidigt, obwohl er ursprünglich nicht auf unseren Ideen, sondern auf den Ihren beruht. Ihnen haben wir das zu verdanken, wobei das Wort „verdanken“ in diesem Zusammenhang einen seltsamen Beigeschmack hat.

(Beifall bei der SPD)

Was machen Sie? Ihre Ministerpräsidenten eröffnen die Diskussion um die Ein-Prozent-Regelung und fordern damit noch eine höhere Belastung der Versicherten. Sie kündigen einseitig diesen Kompromiss auf.

(Joachim Unterländer (CSU): Sie waren die ersten, die das kritisiert haben!)

Das ist doch gar nicht wahr, Herr Unterländer.

Sie sind diejenigen, die damit über den Einstieg in den Ausstieg aus der gesetzlichen Krankenversicherung in diesem Lande diskutieren.

Ausgerechnet in dem Moment, in dem der Fonds nach Pressemitteilungen von gestern in Zweifel steht oder vom Tisch ist, stellen Sie den Antrag, im Rahmen dieses Fonds Bayern mehr Gelder zukommen zu lassen. Ist das denn Ausfluss des Gesundheitsfrustes des CSU-Präsidiums, wie die „Abendzeitung“ geschrieben hat? Glauben Sie denn, die Menschen in Bayern merken es nicht, dass Sie von Ihnen für dumm verkauft werden? Es stimmt zwar, es fehlen diese 1,5 oder 1,7 Milliarden Euro. Das war im Juli so und daran hat sich bis jetzt nichts geändert. Warum ist das so? Das verdankt Bayern dem Verhandlungsgeschick des bayerischen Ministerpräsidenten und der zuständigen Ministerin, die diesen Kompromiss mit ausgehandelt hat. Herr Maget hat im Juli in einer Pressemitteilung darauf hingewiesen und Herr Wahnschaffe und ich haben im August im Rahmen einer Pressemitteilung – dies ist ausführlich nachzulesen – darauf hingewiesen. Was haben Sie uns vorgeworfen? – Faktenfernes Show-Klagen. Das war im Juli.

Im Übrigen stellt sich die Frage: Haben Ihre Verhandlungspartner nicht gemerkt, dass es dieses Problem gibt oder haben Sie sich nicht durchsetzen können, obwohl Sie das Problem kannten? Auch das ist eine interessante Frage. Heute sage ich: Guten Morgen, Herr Stoiber, guten Morgen, meine Damen und Herren der Mehrheitsfraktion, Sie sind in der Wirklichkeit angekommen.

Allerdings müssen diese Fehlbeträge in Bayern ausgeglichen werden; wir haben das im Juli gefordert und wir sind im September nicht anderer Meinung. Die Fehlbeträge dürfen jedoch nicht auf Kosten der anderen Länder ausgeglichen werden. Ich weise wieder auf die Einbeziehung der privaten Krankenversicherung hin; es müssen Lösungen gefunden werden ohne zu sagen: Alles Geld nach Bayern, und was in Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg oder sonst wo passiert, das geht uns nichts an, Hauptsache unseren Versicherten geht es gut. Was Sie tun, ist ein kläglicher Versuch, von den Verantwortlichkeiten abzulenken, abzulenken davon, dass Sie in

Berlin offensichtlich keinen Einfluss haben, abzulenken davon, dass Sie kein Konzept für die Probleme in Bayern haben.

Sie haben die Krankenhausfinanzierung schon angesprochen. Ich höre gerne, dass Sie nicht aussteigen wollen. Allerdings – wie sagt der Dichter so schön –: Die Worte hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Frau Ministerin, Ihr Zwischenruf mit dem Hinweis darauf, dass andere Länder aus der dualen Finanzierung ausgestiegen sind, überzeugt mich auch nicht. Wir alle haben Verantwortung für Bayern und was anderswo schlecht läuft, darf für uns nicht Vorbild sein. Wir müssen das tun, was für Bayern und die Menschen in Bayern gut ist. Mit Ihrer Politik, die Gelder für die Krankenhausfinanzierung weiter herunterzuschrauben, treiben Sie die kommunalen Häuser in die Privatisierung mit allen bekannten negativen Folgen für die Versorgung gerade in den ländlichen Gebieten. Dass der Ministerpräsident, wie der Zeitung zu entnehmen ist, nicht einmal die Bereitschaft zeigt, mit der Bayerischen Krankenhausgesellschaft über dieses Thema zu reden, halte ich für skandalös.

Wir werden den Bürgerinnen und Bürgern in Bayern weiterhin sagen, wer für welche Inhalte dieses Gesundheitskompromisses verantwortlich ist. Sie wären nach unserer Meinung gut beraten, zu Ihren ursprünglichen Konzepten zurückzukehren und diese in der Union mehrheitsfähig zu machen.

Der vorliegende Dringlichkeitsantrag ist in unseren Augen ein reiner Show-Antrag mit vordergründiger Effekthascherei. Auch wir wollen die Versorgung in Bayern weiter auf hohem Niveau gesichert haben. Ich habe es schon mehrfach gesagt und wir haben diese Forderung bereits im Juli und August erhoben. Solange Sie nicht bereit sind, in den Antrag hineinzuschreiben, dass dies nicht ohne Beteilung der Privaten Krankenversicherung - PKV - geht, werden wir uns bei der Abstimmung über den vorliegenden Antrag enthalten. Wir fordern Sie weiter auf, in und für Bayern das zu tun, was die medizinische Versorgung auf hohem Niveau sicherstellt und was wir in eigener Zuständigkeit in diesem Hause tun können.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Ackermann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als ich gestern diesen Dringlichkeitsantrag der CSU gelesen habe, war ich erst einmal sprachlos. Ich habe ihn dann noch einmal gelesen und habe mir gedacht: Doch, der kommt wirklich von der CSU. Er kommt von der Partei, die in der Großen Koalition mitregiert und deren Parteivorsitzender bei der Verkündung der Eckpunkte stolz und siegessicher in die Runde geblickt hat und deren Sozialministerin an der missglückten Reform mitgestrickt hat. Jetzt will gerade diese Partei den Landtag dazu instrumentalisieren, sich von Ihrer eigenen Schwesterpartei zu verabschieden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wo bleibt denn Ihre Solidarität gegenüber den Schwestern und Brüdern in Berlin? Dass die Gesundheitsreform verpfuscht ist, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Es kann nicht gelingen, aus zwei Versatzstücken – Bürgerversicherung und Kopfpauschale – ein schlüssiges Konzept zu stricken, ein Konzept, bei dem man sich von der Einbindung der privaten Krankenkassen verabschiedet, vor ihnen in die Knie gegangen ist und wieder einmal den gesetzlichen Krankenkassen die gesamte Last aufbürdet, ein Konzept, das den von Ihnen sonst so hoch gelobten Wettbewerb völlig unmöglich macht. Der Aufschrei, der quer durch alle Expertengremien ging, spricht für sich.

Herr Stoiber und Frau Stewens haben diesen Pfusch mitentwickelt. Erst, als sie bemerkten, dass sie sich selbst ins Knie geschossen hatten und die sogenannte Reform ein tot geborenes Kind ist, distanzierten sie sich mit der von Ihnen bereits allseits bekannten Wendehalsmethode von ihrem eigenen Werk.

Die von Ihnen geforderte Realisierung der Gesundheitsreform ist der Versuch, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Dies ist keine Lösung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich schlage Ihnen vor: Werfen Sie Ihre fehlgeschlagene Reform in den Papierkorb, führen Sie die von uns längst geforderte Bürgerversicherung ein. Wir werden Ihnen dabei nicht helfen, einer verunglückten Reform einen weiteren Pfusch hinzuzufügen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Frau Ministerin Stewens.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Sonnenholzner, die Gesundheitsreform ist in der Tat ein schwieriges Reformwerk, da gebe ich Ihnen völlig Recht. Da sind unterschiedliche Seiten: Die einen kamen von der Bürgerversicherung, die anderen von der Prämie. Ich möchte die Geschichte gar nicht wiederholen, wobei Ihre Darstellung ein Stück weit falsch war. Aber im Endeffekt haben bei der Gesundheitsreform beide großen Parteien den kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht und auch gefunden. Vor diesem Hintergrund hat man dann natürlich bei der Gesundheitsreform als erstes gesagt, wir gehen mal ran, nehmen die Strukturen sozusagen unter die Lupe und schauen, was wir im Bereich Strukturen – das zweite waren die Honorare – verbessern können, wo wir Schnittstellen bereinigen können, wie wir bei den Honoraren von den floatenden Punktwerten wegkommen können.

Was Sie der SPD sozusagen als Erfolg auf die Fahnen geschrieben haben, stimmt effektiv nicht: weder die Palliativversorgung noch die geriatrische Reha und die MutterKind-Kuren als Pflichtleistung, die Sie gar nicht erwähnt haben, aber das nehme ich Ihnen gar nicht übel.

(Zuruf von der SPD)

Alles das sind gemeinsame Dinge, die wir beschlossen haben. Ich weiß das sehr genau, weil ich an der gemeinsamen Erstellung der Eckpunkte beteiligt war.

(Zuruf von der SPD: Zuhören hilft!)

Nein, hören Sie ruhig zu. Dann können Sie das nächste Mal die Dinge richtig angeben.

Zur PKV, der privaten Krankenversicherung, möchte ich Ihnen nur eines sagen: Die PKV wird natürlich gemäß der Eckpunkte durchaus bestimmte Dinge in den Bereich Sozialpflichtigkeit einbringen müssen, das ist überhaupt keine Frage. Aber die private Krankenversicherung soll und muss als Vollversicherung erhalten bleiben, auch das steht in den Eckpunkten. Dazu ist nun zweimal ein Gesetzentwurf vorgelegt worden, der die PKV als Vollversicherung kaputtmachen will. Für mich ist es nicht das Allerwichtigste, die Privatversicherung zu erhalten. Aber Sie sollten doch einmal ein Stück weit in die Struktur der Privatversicherung schauen. Da haben wir 8 Millionen privat Versicherte, 10 Millionen freiwillig gesetzlich Krankenversicherte, und diese 10 Millionen haben im Schnitt ein höheres Einkommen als die 8 Millionen PKV-Versicherten. Da sagen Sie mir – sozialpolitisch begründet –, dass diese 8 Millionen PKV-Versicherten ein Zusatzopfer leisten sollten. Die Beiträge steigen, wenn Sie die PKV verpflichten wollen, in den Fonds zu zahlen.

(Zuruf von der SPD)

Sozialpolitisch ist das schlicht und einfach nicht vertretbar.