Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Thema Bildungsurlaub beschäftigt uns schon seit einigen Jahren. Wir haben schon bei der Diskussion über das Erwachsenenbildungsgesetz darüber gesprochen. Schon damals gab es Gesetzentwürfe der GRÜNEN zu diesem Thema. Wir FREIE WÄHLER wissen, dass wir lebenslanges Lernen brauchen und dass der Satz "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" heute nicht mehr gilt. Wir wissen, dass Lernen ein lebenslanger Prozess ist. Die berufliche Weiterbildung gewinnt immer mehr an Bedeutung. In der Bayerischen Verfassung hat die Erwachsenenbildung in Artikel 139 ihren Niederschlag gefunden. In der nächsten Woche haben wir eine Anhörung zu diesem Thema, bei der vielleicht auch dieser Aspekt noch einmal angesprochen wird.
Zu fragen ist, ob wir die im Antrag der SPD geforderten Maßnahmen insgesamt in dieser Form benötigen. Interessant ist dabei auch, was die bayerische Wirt
schaft dazu sagt, wenn man sie befragt. Der Verband der Bayerischen Wirtschaft sagt eindeutig, ein Weiterbildungsgesetz sei abzulehnen; denn Bayern nehme bei der Weiterbildung – das hat Frau Brendel-Fischer schon gesagt – im Ländervergleich einen Spitzenplatz ein.
Deshalb muss man darüber reden, was das Recht auf Erwachsenenbildung und -weiterbildung bringt. Zunächst wird von den Arbeitnehmern geredet. Auf der anderen Seite muss man aber auch über die Probleme der Arbeitgeber reden. Es geht um zehn bezahlte Arbeitstage in zwei Kalenderjahren. Für diese Zeit sollen die Beschäftigten völlig frei wählen können, ob die Weiterbildung kulturelle, allgemeine oder politische Inhalte haben soll. Das ist ein Schwachpunkt, weshalb wir sagen, dass solche Maßnahmen evaluiert werden müssen, damit wir wissen, wofür sie sind. Die Arbeitgeber haben das Recht, zu wissen, wozu diese Maßnahmen dienen.
Wir FREIE WÄHLER haben auch damit Probleme, dass die Betriebe unterschiedlich groß sind. In großen Betrieben wird der Anspruch auf Freistellung für Weiterbildung leichter zu erfüllen sein als in kleinen oder mittleren Betrieben. In kleinen oder mittleren Betrieben wirken sich die zehn Tage viel stärker aus als in größeren Betrieben.
Selbstverständlich ist die Aussage der SPD, dass Bildung der beste Rohstoff ist, den unser Land zu bieten hat, richtig. Wir müssen aber auch nach der Finanzierung von Bildungsmaßnahmen fragen. Wir wollen nicht, dass die Betriebe Bildungsmaßnahmen eigenständig finanzieren müssen. Es gibt dafür zwar verschiedene Modelle, aber nur Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern haben eine staatliche Förderung. Dort und auch in anderen Ländern gibt es solche Bildungsfreistellungsgesetze. Allerdings wird dort Geld nur ausbezahlt, wenn im Haushalt die erforderlichen Mittel vorhanden sind. Manchmal sind überhaupt keine Mittel vorhanden. Das ist aber auch keine richtige Lösung. Wenn schon Bildung ermöglicht werden soll, dann muss es auch richtig gemacht werden.
Für uns wäre eine Evaluierung wichtig. Was hat der Bildungsurlaub gebracht, und was hat er nicht gebracht? Wichtig wären auch Erkenntnisse über den volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Nutzen des bezahlten Bildungsurlaubs. Diese Erkenntnisse – danach haben wir extra gefragt – liegen auf Bundesebene nicht vor. Diese Erkenntnisse bräuchten wir, um das Thema abschließend beurteilen zu können. Wir haben nachgeschaut, ob es Kostenschätzungen gibt. In Hessen gibt es eine Kostenschätzung, die leider schon etwas älter ist. Sie stammt aus dem Jahr 2008. Darin wurden die Kosten für die Arbeitge
ber auf 7,8 Millionen Euro und für den öffentlichen Dienst auf 4 Millionen Euro geschätzt. Die Bundesbank hat einmal die Auswirkungen eines freien Tages auf das Bruttoinlandsprodukt mit einer Milliarde Euro geschätzt. Das war im letzten Jahr in der "Süddeutschen Zeitung" vom 30.04./01.05.2012 zu lesen.
Wir sollten uns nicht falsch verstehen. Es gibt schon verschiedene Gruppen von Arbeitnehmern, bei denen eine Weiterbildung sinnvoll und richtig ist. Das sind vor allem ältere Arbeitnehmer, gering qualifizierte Arbeitnehmer und Personen mit Migrationshintergrund. Für diese wäre es wichtig, dass von der Politik und der bayerischen Wirtschaft – auch die bayerische Wirtschaft müssen wir mit ins Boot holen – Bildungsprogramme aufgelegt werden. Eine pauschale Förderung halten wir zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für zielführend.
Mein Fazit: Die Idee des Bildungsurlaubs, über die wir schon seit einigen Jahren diskutieren, ist nicht schlecht. Der Antrag der SPD ist aber zu pauschal. Er ist auch lückenhaft, weil verschiedene Fragen nicht beantwortet werden. Es wird nicht differenziert zwischen kleinen und großen Betrieben. In gewisser Weise ist dieser Antrag auch mittelstandsfeindlich. Deswegen wäre es wichtig, die Forderungen zu konkretisieren und den Nutzen eines solchen Urlaubs zu beschreiben. Das fehlt in diesem Antrag. Deswegen lehnen wir FREIE WÄHLER diesen Antrag ab.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal darf ich sagen, dass meine Fraktion für ihre Mitarbeiter die Freistellung für Bildungsmaßnahmen gesichert hat. Trotzdem ist unser Betrieb noch nicht untergegangen. Das sei als Erstes angemerkt.
Der zweite Punkt: Ich würde alle darum bitten, nicht von Bildungsurlaub zu sprechen, denn das klingt so, als läge man auf Mallorca und würde sich die rechte große Zehe bräunen lassen. "Bildungsfreistellung" heißt, dass ich vom Betrieb freigestellt werde, um mich weiterzuqualifizieren.
Frau Brendel-Fischer, Sie wollten ein paar praktische Beispiele hören. Erstens. Vor zwei Tagen habe ich mich mit einer Erzieherin unterhalten, 59 Jahre alt, die darum gebeten hatte, sich auf einem bestimmten Gebiet weiterqualifizieren zu können. Die Antwort lautete: Nein; dafür bist du viel zu alt. Zweites Beispiel:
Eine Krankenschwester, die sich ebenfalls fortbilden wollte. Die Stationsleitung sagt Nein, weil sie Angst hat, dass dann die Krankenschwester besser qualifiziert ist als sie. Solche Beispiele gibt es zuhauf. Man muss sich nur umhören. Ich denke, wir dürfen auch nicht negieren, dass es weiterbildungswillige Frauen und Männer gibt, denen man diese Möglichkeit verwehrt.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, für eine Volkswirtschaft, die vor allem vom Wissen lebt, ist gute Bildung fundamental. Eine Wissensgesellschaft hat in der modernen Zeit viele Säulen: die frühkindliche Bildung, die Schule, den Beruf und die berufliche und die allgemeine Weiterbildung. Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler hat einmal gesagt, Experten sagten, wo die vierte Säule, also die Weiterbildung sein müsste, gebe es bisher nicht mehr als dünne Stützbalken. Dabei hat Weiterbildung eine große Bedeutung in einer Gesellschaft, deren einziger Rohstoff das Wissen ist, die einem ständigen Innovationsdruck ausgesetzt ist und die aufgrund der demografischen Entwicklung dringend gut qualifizierte Fachkräfte braucht. Das heißt: Weiterbildung ist eine wichtige strategische Aufgabe, die wir nicht allein den Unternehmen überlassen dürfen.
Der Bildungsbericht der Bundesregierung ist sehr interessant und gibt sehr viele Informationen darüber, von wie vielen Dingen die Weiterbildung abhängt. Aus diesem Bildungsbericht geht hervor, dass Weiterbildung in den Unternehmen nicht so stark als Mittel der Personalentwicklung verankert ist, wie es die entsprechende Literatur vermuten lässt. Nach meinem Empfinden sieht überhaupt erst ein Drittel der weiterbildungsbereiten Unternehmen diese Weiterbildung als eine Maßnahme der Personalentwicklung an. Das bedeutet für mich: Wir können und müssen auch auf die Mitarbeiter vertrauen, die Experten in eigener Sache sind und recht gut wissen, welche Qualifizierung sie brauchen.
Nachdem in dreizehn anderen Bundesländern, in denen es diese Bildungsfreistellung gibt, die Welt nach deren Einführung nicht untergegangen ist und auch die Tarifautonomie noch besteht, steht es Bayern gut an, diesen Anspruch auch hier einzuführen. Vielleicht ist es aber wert, darüber nachzudenken, wie dies in anderen Bundesländern in Anspruch genommen wird. Was wir darüber hinaus brauchen, ist aus meiner Sicht eine Weiterbildungsstrategie des Freistaats. Bildungsfreistellung könnte ein Teil davon sein.
Wir haben im Jahr 2009 eine Strategie vorgelegt. Insoweit verweise ich auf die Drucksache 16/1237, nämlich unseren Entwurf eines Erwachsenenbil
dungsgesetzes. Diese Strategie haben wir in einem Gesetzentwurf, in einem umfassenden Gesamtkonzept verankert. Damit einige, die noch nach Franken fahren müssen, ihren Zug erreichen, verzichte ich auf die Darlegung der Details. Ich möchte aber noch sagen, dass darin auch eine Art Ausgleichsfonds für kleine und mittlere Unternehmen vorgesehen ist, ergänzt um die Möglichkeit, Chancengleichheit für bisher strukturell benachteiligte Personengruppen zu schaffen. In Bayern sind das immer noch Frauen, Migranten, ältere Menschen und jene, die eine niedrige Qualifikation haben.
Bildungsfreistellung ist also aus meiner Sicht und aus Sicht meiner Fraktion als ein Baustein notwendig. Wir stimmen zu, und ich bin zuversichtlich, dass dies ein Anfang ist, der bei einem Regierungswechsel im September von der von mir aus gesehen linken Seite um ein Konzept ergänzt werden wird.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich greife gleich die Wortmeldung von Frau Tolle wieder auf, die gesagt hat, man solle nicht unbedingt von "Bildungsurlaub" sprechen. Das ist aber der stehende Begriff, der Fachterminus, der seit 1974 benutzt wird.
- Nicht mehr, das ist aber der Begriff, den wir häufig gebrauchen. Wir können auch von "Weiterbildungsfreistellung" oder von Ähnlichem reden; aber salopp und im rhetorischen Umgang im Parlament kann man weiterhin auch von Bildungsurlaub sprechen.
Ich habe das Jahr 1974 genannt. Damals gab es das Übereinkommen 140 der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, bezüglich des bezahlten Bildungsurlaubs. Darin hat sich die BRD völkerrechtlich verpflichtet, einen bezahlten Bildungsurlaub einzuführen. – So weit, so gut. Das ist mittlerweile 49 Jahre her. Die Bundesregierung hat das aber bisher nicht umgesetzt. Deswegen haben das einige Bundesländer getan. Das wurde eben erwähnt. Es gibt unterschiedliche Ausgestaltungen von fünf Tagen pro Jahr oder zehn Tagen in zwei Jahren, sodass man kurzfristig kumulieren kann. Im Saarland gibt es sechs Tage Freistellung, davon werden aber nur drei Tage vom Arbeitgeber bezahlt. Der SPD-Antrag verrät uns nicht, was denn die SPD in Bayern beabsichtigt und wie sie das umgesetzt haben möchte. Herr Roos hat es verschwiegen, Herr Dr. Fahn hat es benannt und auf
Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern verwiesen, die mit einer pauschalierten bzw. umfassenden Erstattung ausgestattet sind, solange die Haushaltsmittel vorhanden sind. Also: Bildungsfinanzierung nach Kassenlage. Das kann nicht unbedingt das Ziel sein, das in Bayern verfolgt werden sollte.
In Bayern besteht die Möglichkeit. Hier gibt es Tarifverträge. Ich selber habe schon Bildungsurlaub genossen, weil ich in Nürnberg bei einem größeren Unternehmen angestellt bin, für das dies eben möglich war.
Es geht also um die Gruppe der Arbeitnehmer, für die das nicht tarifvertraglich geregelt ist, die es voraussichtlich eher in kleinen Unternehmen gibt. Das hat sich in der Debatte schon gezeigt. Hierbei muss man aber berücksichtigen, dass es gerade in kleinen Unternehmen mit einer überschaubaren Anzahl von Arbeitskräften sehr schwierig ist, so etwas zu realisieren. Daher muss man sich sehr genau überlegen, ob man das gesetzlich vorschreiben will.
Frau Brendel-Fischer hat es schon provokant formuliert. Ich hatte auch überlegt, die These aufzustellen: Weil Bayern es nicht hat, geht es Bayern so gut. Ich vertrete diese These nicht, aber es reizt natürlich gerade in einer politischen Debatte in einem Wahljahr, so zu formulieren. Wir haben schon gehört, dass nur ein bis zwei Prozent der Arbeitnehmer diese Möglichkeit in Anspruch nehmen, das heißt, es entsteht viel Bürokratie für etwas, was leider nicht ausgiebig genutzt wird. Und obwohl Bayern es nicht hat, sind wir im oberen Feld. Das hat Frau Brendel-Fischer schon gesagt.
Was will nun die SPD? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass sie ein Gesetz will, wissen aber nicht, wie viel Bildungsurlaub sie will, zehn Tage vielleicht. Okay. Wer soll es zahlen? Der Freistaat Bayern, die Arbeitnehmer, die Arbeitgeber?
Ich würde auch sagen: Wer zahlt, bestimmt. Wir können gerade von einem kleinen Metzgereibetrieb nicht verlangen – ich provoziere -, dass er beispielsweise einen Bäckerlehrgang für seinen Arbeitnehmer bezahlt. Das ist nicht sinnvoll. Das kann man einem Unternehmen nicht aufbürden. Auch für den Freistaat Bayern wäre dies wahrscheinlich wenig sinnvoll. Die FDP-Fraktion bevorzugt ganz klar die freiwilligen dezentralen Lösungen.
Es gibt aber nun einmal diese ILO-Konvention, mit der Deutschland gesagt hat: Wir machen da etwas. Ich kann mir grundsätzlich auch eine bundeseinheitliche Regelung unter der Ägide der Bundesagentur für Arbeit vorstellen. Wenn wir Bildung in Zeiten finanzieren, in denen man nicht arbeitet, könnte man auch darüber reden, ob man Bildung finanziert, während man arbeitet. Für mich steht fest: Die Unternehmen dürfen nicht belastet werden. Deswegen sind wir diesbezüglich auch sehr vorsichtig. Man muss darüber reden, wer die Kosten trägt. Bisher ist es meistens der Arbeitnehmer. Die Lohnfortzahlung ist wahrscheinlich das Wichtigste, um das wir ringen werden. Von der SPD gab es auch keinen Finanzierungsvorschlag. Ich könnte jetzt wohl kein Echo so verbreiten, wie dies Herr Hallitzky getan hat.
Wenn wir darüber reden, ob es eine solche Regelung auf Bundesebene geben sollte, was ja Deutschland auch einmal unterschrieben hat, dann frage ich: Warum hat es sie 49 Jahre lang nicht gegeben? Von diesen 49 Jahren hat die SPD 20 Jahre mitregiert,
mal mit den Liberalen, mal mit den GRÜNEN, mal mit der Union, und zu keiner Zeit gab es einen erfolgreichen Vorstoß für ein Bildungsurlaubsgesetz auf Bundesebene. Daraus lese ich, dass dies der SPD vielleicht doch nicht so wichtig ist.
Jedenfalls bitte ich heute um Ablehnung des Antrags. Wir brauchen keine bayerische Lösung. Wir haben etwas, was sich bewährt hat. Ansonsten diskutiert man solche Sachen aus meiner Sicht auf der Bundesebene. – Vielen herzlichen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 16/16319 seine Zustimmung geben will, bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und der GRÜNEN. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktionen der CSU, der FDP und der FREIEN WÄHLER. Gibt es Enthaltungen? – Ich sehe keine. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.