Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 130. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle fest, dass der Ministerpräsident zu Beginn der Aktuellen Stunde nicht in diesem Hohen Hause ist. Er ist nebenan und gibt wie auch sonst immer zu Beginn einer Plenarsitzung eine Pressekonferenz oder ein Pressegespräch.
Erstens. Der Respekt vor dem Parlament würde es gebieten, dass der Ministerpräsident hier im Hohen Hause ist.
Zweitens. Es geht um seine besondere Verantwortung gegenüber diesem Parlament und der bayerischen Öffentlichkeit.
Wenn beide Argumente nicht ausreichen, damit sich der Ministerpräsident in der Lage sieht, hier im Saal zu sein, dann stelle ich im Namen der SPD-Fraktion den Antrag, den Ministerpräsidenten nach § 176 der Geschäftsordnung des Bayerischen Landtags herbeizurufen. Ich bitte, hierüber eine Abstimmung herbeizuführen. Es ist schade, dass wir zu einem Geschäftsordnungsmittel greifen müssen, um das gute Recht des Parlaments geltend zu machen. Es müsste eine Selbstverständlichkeit sein, dass der Ministerpräsident draußen keine Pressekonferenz abhält, sondern unserer Debatte hier im Saal beiwohnt. Ich bitte noch einmal, hierüber eine Abstimmung herbeizuführen.
Herr Kollege Halbleib, Sie haben sich auf § 176 der Geschäftsordnung berufen. Zur Information des Hohen Hauses trage ich den Text kurz vor:
Jedes Mitglied des Landtags kann das Erscheinen der Ministerpräsidentin oder des Ministerpräsidenten sowie jeder Staatsministerin oder jedes Staatsministers und jeder Staatssekretärin oder
jedes Staatssekretärs beantragen. Ein in der Vollversammlung gestellter Antrag muss von einer Fraktion oder 20 Mitgliedern des Landtags unterstützt sein. Der Antrag wird durch Mehrheit der Vollversammlung oder des Ausschusses verbeschieden. Die Vorschriften der §§ 106 und 157 finden auf ihn Anwendung.
Ich stelle fest: Ihrem Antrag ist durch Tätigwerden des Betroffenen sofort Rechnung getragen worden.
Ich habe aus § 176 der Geschäftsordnung zitiert. Ich füge hinzu, dass mich der Herr Ministerpräsident gerade davon unterrichtet hat, dass er soeben von der gemeinsamen Kabinettssitzung mit der sächsischen Staatsregierung, die in Schleißheim stattgefunden hat, zurückgekehrt ist. Er hat sich sofort hierher in den Saal begeben.
Im Übrigen erlauben Sie mir noch eine persönliche Bemerkung: Ich habe in meiner Zeit hier im Landtag noch keinen Ministerpräsidenten erlebt, der im Landtag so viel zugegen war wie er.
Aktuelle Stunde gem. § 65 GeschO auf Vorschlag der SPD-Fraktion "Die Schlussphase der Gescheiterten: Das bayerische Kabinett zwischen Patronage, Schmutzeleien und Überforderung!"
Zur Information des Plenums gebe ich weiter bekannt: In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält einer ihrer Redner bis zu zehn Minuten Redezeit. Dies wird auf die Anzahl der Redner der jeweiligen Fraktion angerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zahl der Redner dieser Fraktion zu sprechen. Erster Redner ist der Vertreter der antragstellenden Fraktion, der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Herr Kollege Rinderspacher.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine ganze Reihe aktueller Affären in der Bayerischen Staatsregierung geben Anlass zu dieser Aktuellen Stunde. Selten zuvor hat es eine Regierung gegeben, die ihrem Ende dermaßen angeschlagen, beschädigt und zerfleddert entgegentaumelt wie die Regierung Seehofer.
Wir erleben die Schlussphase der Gescheiterten. Das bayerische Kabinett bewegt sich zwischen Patronage, Schmutzeleien und Überforderung. Diese Regierungsbank ist zwei Monate vor dem Ende der Legislaturperiode eine ramponierte Resterampe.
Kaum ein Kabinettsmitglied, das nicht gebeutelt wäre – von öffentlichen Erörterungen über Fehltritte, Verfehlungen, Inkorrektheiten, Mängel und Missgriffe, Skandale, Affären und sonstige Unzulänglichkeiten. Peinlichkeiten und Verlegenheiten sind in dieser Regierung nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Der Ministerpräsident lässt die Affären laufen. Er bringt nicht die Kraft zur notwendigen Regierungsumbildung auf - ein Zeichen von Führungsschwäche.
Die Regierung Seehofer hatte sich die vergangenen fünf Jahre keine besondere Mühe gegeben, ihre Schwierigkeiten und Probleme mit sich selbst zu verbergen. Doch das, was wir in den letzten Wochen und Monaten erleben mussten, wirft die Frage auf: Repräsentiert diese Regierung noch den Stolz und die Würde des Freistaats Bayern?
Es begab sich zum Jahreswechsel, dass der Ministerpräsident in einer bemerkenswerten Pressekonferenz seinen wichtigsten Minister als charakterlos bezeichnete. Er sagte, Finanzminister Söder neige zu Schmutzeleien. Man muss sich das einmal vorstellen. Der Regierungschef informiert die Öffentlichkeit: Mein Kabinett ist durchsetzt mit nicht vertrauenswürdigen Personen; mein Finanzminister ist ein charakterschwacher Mann, auf den kein Verlass ist; der Hüter über die Steuergelder ist unzuverlässig, nachlässig, pflichtvergessen, nicht gewissenhaft und nicht gründlich. Das hat es noch nicht gegeben: Ein Ministerpräsident spricht seinem wichtigsten Kabinettsmitglied die Eignung für höhere Ämter ab. Statt ihn aber zu entlassen, belässt er ihn im Amt.
Vor wenigen Wochen wurde nun bekannt, dass einzelne Minister ihre Familienkasse zulasten der Staatskasse aufgebessert haben oder zumindest mit fragwürdigen Methoden vorgegangen sind. Ausgerechnet die Arbeitsministerin, Frau Haderthauer, hat einen dreifachen Mörder hinter Schloss und Riegel arbeiten lassen. Der Erlös floss nicht etwa einer Stiftung für Verbrechensopfer zu, wie man dies hätte erwarten dürfen oder müssen, sondern im Ergebnis dem Familieneinkommen der früheren CSU-Generalsekretärin. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" schreibt von einem taktischen Verhältnis Haderthauers zur Wahrheit an der Grenze zur Lüge. Ich zitiere:
Christine Haderthauer täuscht, führt die Öffentlichkeit in die Irre und sagt, so wie ihre Aussagen allgemein verstanden werden, die Unwahrheit. Alles, um ihr Amt zu retten. Eigentlich genug, um es zu verlieren.
Wir werden übermorgen im Ausschuss auf der Grundlage eines Dringlichkeitsantrags der SPD die Affäre Haderthauer eingehend aufarbeiten.
Ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit und gleichermaßen zum Geld – das muss man auch jenen Kabinettsmitgliedern attestieren, die in die Verwandtschaftsaffäre verstrickt sind: Staatsminister Spaenle, Staatsminister Brunner, Staatssekretär Pschierer, Staatssekretär Eck und Staatssekretär Sibler. Der Ministerpräsident hatte Transparenz und Aufklärung im Kabinett versprochen. Die Staatsregierung verweigert jedoch dem Parlament und damit der bayerischen Öffentlichkeit Auskunft über die Prüfung im Kabinett, die der Ministerpräsident selbst angeordnet hat. Die SPD hat deshalb am Freitag Verfassungsklage eingereicht, um das Fragerecht der Abgeordneten durchzusetzen – ebenso, wie uns das bereits im Jahr 2011 in Bezug auf die Resonanzstudien gelungen war.
Herr Seehofer markiert den entschlossenen Saubermann und Aufräumer. Dabei geht es ihm darum, den Affärenstaub lediglich in die Kabinettsecken zu wischen. Das gelingt ihm immer weniger. Am allerwenigsten gelingt ihm das bei der Justizministerin. Immer wieder sieht sich der Ministerpräsident im Kontext des Falles Mollath gezwungen, seine Minister zu warnen, ihnen ins Gewissen zu reden, sie zurechtzuweisen und zum Handeln zu drängen. Tatsächlich taumelt die Ministerin von Ausschusssitzung zu Ausschusssitzung, in Fernsehinterviews oder bei der Offenbarung von Forderungen. Anfangs hatte die Ministerin noch keinerlei Fehler erkennen wollen. Mittlerweile musste sie reihenweise Ungereimtheiten und Schlampigkeiten einräumen. Gestern nun sagte
sie: Die Unterbringung von Gustl Mollath sei mit zunehmender Dauer unverhältnismäßig, die bayerische Justiz habe einen Vertrauensverlust hinzunehmen, das müsse Konsequenzen haben. Richtig ist: Die Justizministerin hat den Vertrauensverlust mit ihrem unwürdigen Hin und Her beschleunigt statt begrenzt. Deshalb sollte sie diejenige sein, die politische Konsequenzen zieht, um weiteren Schaden von der bayerischen Justiz abzuwenden.
Von einem dramatisch galoppierenden Vertrauensverlust ist auch die FDP im Kabinett betroffen. Mit der Affäre des stellvertretenden Ministerpräsidenten und Wirtschaftsministers Martin Zeil wird sich der Wirtschaftsausschuss am morgigen Mittwoch befassen. Von hier aus nur so viel: Sollte Herr Zeil als früherer Bankengeschäftsführer mit seiner Unterschrift hoch riskante Spekulationsgeschäfte zulasten des Steuerzahlers verantwortet und dabei einzelne Kommunen in Bayern fast in den Ruin getrieben haben, wirft das ein denkbar schlechtes Licht auf ihn. Damit stünde die Unterschrift von Herrn Zeil für Verantwortungslosigkeit und für einen kommunalen Millionenschaden. Damit wäre ein weiteres Mal untermauert: Diese Regierung hat nicht nur die höchste Staatsverschuldung des Freistaats Bayern zu verantworten, sondern auch der stellvertretende Ministerpräsident selbst kann nicht mit öffentlichen Geldern umgehen. Auch das wäre dann untermauert.
Ich weiß, Sie hören das nicht gerne, und ich verstehe Ihre Aufregung. Ich wäre genauso aufgeregt wie Sie. Sie haben allen Grund dazu. Die gegenwärtigen Affären laufen immer nach dem gleichen Muster: Zuerst wollen die Damen und Herren Kabinettsmitglieder nicht dabei gewesen sein und erklären, man habe damit nichts zu tun. In der zweiten Stufe räumen die betroffenen Kabinettsmitglieder die Beteiligung ein und dokumentieren demonstratives Selbstbewusstsein. Man habe schließlich nichts Verwerfliches getan. In der dritten Stufe wird eingestanden, man habe die öffentliche Wirkung unterschätzt. In der vierten Stufe tauchen die affärengeschüttelten Kabinettsmitglieder ab, halten dicht und beantworten Anfragen ausweichend, unzureichend oder gar nicht. Es ist immer das gleiche Muster, welches die Mehrheit dieser Kabinettsmitglieder betrifft. So weit die aktuellsten Fälle.
Wer auf der Regierungsbank jetzt hofft, er sei durch eine Nichterwähnung gut weggekommen, sollte sich nicht zu früh freuen. Herr Dr. Heubisch bleibt im Amt, auch wenn ihm die bayerische Bevölkerung das er
klärte Herzstück seiner Amtszeit, die Studiengebühren, gegen seinen Willen weggenommen hat. Innenminister Herrmann will mit dem Verfassungsschutz fast nichts mehr zu tun haben. Der Umweltminister nimmt es mit Langmut hin, wenn ihm sein Chef im Handstreichverfahren die Energiewende zertrümmert. Frau Europaministerin Müller wird sogar in den eigenen Reihen für so verzichtbar gehalten, dass sie von ihren Parteifreunden in der Oberpfalz nicht mehr als Stimmkreiskandidatin für den Bayerischen Landtag nominiert wurde. Es sind nicht herzlose Journalisten, und es ist nicht eine auf Krawall gebürstete Opposition, die den Ruf dieser Regierung massiv beschädigt haben.
Es waren die Regierungsmitglieder selbst, die sich reihenweise selbst in Verruf gebracht haben – jeder und jede auf seine bzw. ihre Weise. Das ist keine übliche Verschleißerscheinung am Ende einer Legislaturperiode, sondern es wird sichtbar, dass diese schwarz-gelbe Regierung nicht zur Selbsterneuerung in der Lage ist. Diese Regierung ist allenfalls eine kurzatmige Zweckgemeinschaft politischer Beliebigkeit. Diese Regierung befindet sich in Auflösung, und mit dieser Regierung ist kein Staat mehr zu machen.