Protocol of the Session on May 12, 2011

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Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 75. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, eines früheren Kollegen zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 13. April verstarb der ehemalige Kollege Klaus Zachert im Alter von 68 Jahren. Klaus Zachert gehörte dem Bayerischen Landtag von November 2002 bis Oktober 2003 an und vertrat für die Fraktion der SPD den Wahlkreis Oberfranken. Während seiner Parlamentszughörigkeit war er Mitglied im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie im Ausschuss für Landesentwicklung und Umweltfragen.

Klaus Zachert war ein Kommunalpolitiker durch und durch, der eng mit seiner Heimatregion verbunden war. In seiner fast 27-jährigen Mitgliedschaft im Bamberger Stadtrat hat er sich intensiv für die Bürgerinnen und Bürger und deren Anliegen eingesetzt. Mit seinem großen ehrenamtlichen Engagement in den unterschiedlichen Vereinen hat er immer wieder die Werte gelebt und unterstützt, die für das Zusammenleben in einer Gesellschaft unverzichtbar sind. Der Bayerische Landtag wird dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren.

Sie haben sich zu Ehren des Toten von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Tagsordnung eintreten, möchte ich noch einige Geburtstagsglückwünsche aussprechen. Einen runden Geburtstag feierten am 9. April Frau Kollegin Theresa Schopper und am 17. April Herr Kollege Alexander König. Jeweils einen halbrunden Geburtstag feierten am 11. April Herr Kollege Dr. Andreas Fischer und am 28. April Herr Staatsminister Martin Zeil. Frau Kollegin Dr. Annette Bulfon gratuliere ich zu ihrem heutigen halbrunden Geburtstag.

(Allgemeiner Beifall)

Ich wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und viel Erfolg für Ihre parlamentarischen Aufgaben.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Ministerinbefragung gem. § 73 GeschO auf Vorschlag der SPD-Fraktion

"Aufnahme des Verfassungsziels Integration in die Bayerische Verfassung: Was tut die Bayerische Staatsregierung?"

Zuständig für die Beantwortung ist die Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen.

Erster Fragesteller ist Kollege Rinderspacher, Vorsitzender der SPD-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatsministerin, noch vor einigen Monaten haben die Puppen für uns in Veitshöchheim gesprochen; ich freue mich, dass wir heute selbst eine kraftvolle Stimme haben, um ein wichtiges Thema zu besprechen.

Mit einiger Überraschung hat die bayerische Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen, dass der bayerische Ministerpräsident ausgerechnet beim Politischen Aschermittwoch eine Änderung der Bayerischen Verfassung angekündigt hat, um darin Grundsätze zur Integration von Einwanderern aufzunehmen. Als Parlamentarier kann man es nur als beispiellose Stillosigkeit empfinden, wenn der Ministerpräsident als Regierungschef ausgerechnet beim Politischen Aschermittwoch zwischen der zweiten Maß Bier und der dritten Fischsemmel eine Verfassungsänderung ankündigt, jedoch hier im Hause, wo dieses vornehmste Thema einer Verfassungsänderung eigentlich hingehört, darüber kein einziges Wort verliert.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

So ist es aus unserer Sicht überaus irritierend, dass dieses laut Ministerpräsident ach so brennende und ach so zentrale Thema für die Zukunft Bayerns hier im Parlament bisher überhaupt keine Rolle gespielt hat und der Ministerpräsident das Hohe Haus über seine Ziele nicht informiert.

Erstaunlich ist auch, dass der Ministerpräsident in seiner Haushaltsrede vor wenigen Wochen fünf große Herausforderungen für Bayern darstellte, das Wort "Integration" in seiner Rede jedoch überhaupt nicht vorkam. Es drängt sich geradezu der Eindruck auf: Große Worte des Ministerpräsidenten, aber nichts dahinter. War Herrn Seehofer der politische Knalleffekt mal wieder wichtiger als die Sache selbst?

Laut "Münchner Merkur" vom 10. März hatte Frau Justizministerin Merk keinerlei Kenntnis von den Plänen ihres Chefs, die Verfassung zu ändern. Trifft es zu, dass im Vorfeld auch Sie als die für die Integration zuständige Ministerin von Herrn Seehofers Vorstoß einer geplanten Verfassungsänderung nichts wussten und dass dies mit Ihnen persönlich und mit Ihrem Hause nicht abgestimmt war? Handelt es sich also

gewissermaßen um einen der üblichen Schnellschüsse von Horst Seehofer, die nicht weiter verfolgt und nachgehalten werden? Treffen Zeitungsberichte zu, nach denen das gesamte Kabinett und auch der Koalitionsausschuss von diesem wichtigen Vorstoß nicht unterrichtet waren? Hat sich das bayerische Kabinett mittlerweile mit der Frage einer Verfassungsänderung befasst? Wenn ja, in welcher Sitzung und mit welchem Ergebnis, wenn nein, warum nicht?

Hat Sie der Ministerpräsident zumindest darüber unterrichtet, in welcher der nächsten Kabinettssitzungen er darüber zu beraten gedenkt? Immerhin - daran sei erinnert - hat der Regierungschef vor Tausenden Zuschauern, auch gegenüber dem Fernsehen, vollmundig Tatkraft demonstrieren wollen. Ich kann mir vorstellen, dass Teile der Bevölkerung jetzt auf Vollzug warten.

Wieso hat die Staatsregierung bis heute keinen Gesetzentwurf eingebracht? Wann kann damit gerechnet werden? Wie bewerten Sie als Mitglied des Kabinetts die Drohung des Ministerpräsidenten, notfalls im Alleingang eine Verfassungsänderung herbeizuführen, also auch gegen den erklärten Willen des Koalitionspartners? Teilen Sie meine Auffassung, dass dies unweigerlich das Ende der Koalition bedeuten müsste?

Beim Fischessen der Schwabinger CSU kündigte Herr Seehofer an: "Wir werden das der Bevölkerung zur Entscheidung vorlegen." Wann soll denn nach den Plänen der Staatsregierung das Volk darüber entscheiden? Oder ist Ihnen seitens der CSU-Fraktion signalisiert worden, dass sie einen eigenen Gesetzentwurf in das Parlament einbringen will, der später Gegenstand eines Volksentscheids werden soll?

Wie bewerten Sie den Vorwurf des "Populismus" durch Bayerns FDP-Chefin Sabine LeutheusserSchnarrenberger? Wurde im Kabinett die Einlassung des stellvertretenden Ministerpräsidenten Zeil erörtert, der laut "Welt am Sonntag" vom 13. März dem Ministerpräsidenten "die politische Reife" abspricht? Ich zitiere aus der "Welt": Verfassungsänderungen sollten "nicht aus der bierseligen Atmosphäre eines politischen Aschermittwochs erwachsen". Vielmehr handele es sich um "langwierige politische Prozesse, die man mit staatsmännischer Weitsicht und Verantwortung angehen muss".

Letzte Frage fürs Erste: In Ihrer Regierungserklärung zur Integration vom November 2010 haben Sie Bayern als Musterland der Integration beschrieben. Aber Sie als für die Integration zuständige Ministerin haben keinerlei Bedarf für eine Verfassungsänderung angemeldet. Lässt sich daraus schließen, dass Sie die Idee Ihres Chefs als eher untergeordnet wichtig, als

eher irrelevant oder vielleicht sogar als politisch falsch erachtet haben? Oder hatten Sie damals - das wäre nämlich der Umkehrschluss - als zuständige Ministerin einfach nicht den Weitblick zu erkennen, dass eine Verfassungsänderung möglicherweise nötig ist?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Frau Staatsministerin, bevor ich Ihnen das Wort erteile, muss ich Ihnen mitteilen, dass wir heute mit einem Ersatzgerät operieren, das nur eine eingeschränkte Funktion hat. Wenn also nicht alles so abläuft, wie es von Ihnen gewohnt ist, dann bitte ich um Nachsicht. Wir hoffen, dass heute alles ohne größere Pannen abläuft.

Jetzt haben Sie das Wort, Frau Ministerin.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Herr Rinderspacher, zu Ihrer Frage - Entschuldigung, zu Ihrem Fragenkonglomerat - drei Bemerkungen:

(Zurufe von der SPD: Antworten wären besser!)

Erstens. Die Aschermittwochsveranstaltung ist, wie Sie sehr genau wissen, eine Parteiveranstaltung. Horst Seehofer hat als unser Parteivorsitzender

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Schizophren!)

in dieser Aschermittwochsrede einen Vorschlag gemacht, der sich nicht nur auf die Integration, sondern auf alle Zukunftsfragen unserer Gesellschaft bezogen hat. Neben der Integration sind das ein Haushalt ohne Neuverschuldung, die Förderung des Ehrenamtes und der Grundsatz der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse als Elemente der Bayerischen Verfassung. Sie zeigen ein merkwürdiges Verhältnis zur Arbeit politischer Parteien

(Lachen bei der SPD)

- Sie wissen doch noch gar nicht, was ich sagen will -,

(Zurufe von der SPD)

wenn Sie - in Ihrer Fragestellung war das enthalten einem Parteivorsitzenden das Recht absprechen, von seiner Seite aus, ohne sich vorher mit Koalitionspartnern auf Landesebene oder anderweitig abzusprechen,

(Zuruf des Abgeordneten Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER))

- bei Ihnen schon, Herr Aiwanger, bei uns nicht

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Bei uns schon!)

im Rahmen einer Rede, in der er die Grundwerte, die aus unserer Sicht für die Gesellschaft wichtig sind, skizziert hat, einen Vorschlag zu machen. In diesem Rahmen halte ich es für sehr, sehr wichtig, dass er sich auch überlegt hat, wenn wir vor neuen Herausforderungen stehen, Grundwerte in die Bayerische Verfassung hineinzuschreiben.

Ich muss widersprechen: Das geschah nicht ganz so unvollkommen, wie Sie das Ihrerseits darstellen wollten. Das war doch auch etwas, was Sie zur Integration in der Bayerischen Verfassung festlegen wollten; aber damit sind Sie eben wieder zu kurz gesprungen. Sie haben nämlich nur den Anspruch der Menschen mit Migrationshintergrund auf Förderung gemeint, während uns wichtig ist, dass wir das Fordern und Fördern verbinden. Nur so bekommt man eine Gesellschaft, die von einem Zusammenhalt getragen wird.

Das ist nicht nur bei der Integration der Fall, sondern auch bei der Herausforderung einer künftig generationengerechten Politik, nämlich einem Haushalt ohne Neuverschuldung und bei den anderen beiden Themen, die ich genannt habe.

Ich halte es für absolut legitim und richtig, dass ein Parteivorsitzender und Ministerpräsident auch im Rahmen der Führungsaufgabe, die er hat, solche wichtigen Impulse in die Gesellschaft bringt

(Zurufe von der SPD)

und dieser auch dann dort einen Resonanzboden gibt, wo er in einer Demokratie hingehört.

(Beifall bei der CSU)

Das sind die parlamentarischen Ebenen, das ist die Bevölkerung, das ist aber genauso die Basis einer politischen Partei.