Protokoll der Sitzung vom 12.05.2011

(Christa Naaß (SPD): Und die Antwort auf die Frage? - Harald Güller (SPD): Wann tun Sie etwas?)

Herr Rinderspacher, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Habe ich Sie richtig verstanden, Frau Staatsministerin, dass die Staatsregierung keinerlei Ziele verfolgt, die der Ministerpräsident am Politischen Aschermittwoch verkündet hat, dass das alles nur Schall und Rauch war und am Ende wieder einmal nichts nachkommt?

(Beifall bei der SPD)

Ich kann gerne meine Antwort wiederholen: Wir machen gerade bei so wichtigen Fragen Politik mit den Bürgern und für die Bürger, und deswegen ist es - nochmals! - wichtig, Impulse in eine Demokratie zu geben, was natürlich beinhaltet, dass wir auch im Landtag darüber reden werden,

(Harald Güller (SPD): Wann?)

aber dass sie vor allem zunächst einmal - ganz wichtig! - in der Bevölkerung und an der Basis diskutiert werden, und das werden sie. Wir haben doch auch bei den anderen Themen den Kabinettsausschuss für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse eingesetzt.

(Christa Naaß (SPD): Wann machen Sie einen Vorschlag?)

- Ich finde, die Vorschläge sollten am Ende stehen.

(Harald Güller (SPD): Am Ende der Legislaturperiode?)

Ich kann mir ganz genau vorstellen, was hier abgehen würde, wenn wir einen Entwurf dazu ohne die entsprechende Debatte vorlegen würden, und ich glaube, wir brauchen bei diesen wichtigen Fragen eine ausführliche Debatte. Sonst würde es wieder heißen: Schau her, die Staatsregierung will uns irgendetwas aufdrücken! - Deswegen war es auch genau der richtige Weg, das nicht sozusagen als Staatsoberhaupt, sondern als Impuls in einer Partei, der der Zusammenhalt der Gesellschaft und vor allem eine wertehaltige Politik und die Verankerung der Zukunftsherausforderungen in unserer Bayerischen Verfassung am Herzen liegen, anzusprechen.

(Zuruf der Abgeordneten Christa Naaß (SPD))

Danke schön, Frau Staatsministerin. Als Nächste hat Frau Kollegin Ackermann das Wort.

Frau Ministerin, ich ging bisher immer davon aus, dass der Ministerpräsident mit einer Stimme spricht - als Parteivorsitzender und als Ministerpräsident. Seit heute weiß ich, dass er für den Resonanzboden Bierzelt etwas anderes sagt als im Parlament.

Ich dachte bisher, dass Integration so wichtig ist, dass Sie sie in die Verfassung aufnehmen wollen. Wenn das so ist, dann frage ich Sie: Warum hat der Integrationsbeauftragte der Staatsregierung noch immer kein

eigenes Budget und fungiert praktisch nur als Feigenblatt, um Integrationsbemühungen vorzutäuschen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Warum ist frühkindliche Integration noch immer völlig unterversorgt mit viel zu wenig Krippen und mit zwei ausländischen Eltern als Voraussetzung für Sprachberatung? Warum werden Projekte immer nur als Projekte gefördert und nicht in eine stetige Förderung überführt, wenn sie gut sind? Warum gibt es so wenig Übertritte von Migrantenkindern ans Gymnasium? Warum verlassen 16 % der Migrantenkinder die Hauptschule ohne Abschluss? Warum haben sie Schwierigkeiten bei der Berufsausbildung und werden in Warteschleifen geparkt? Hat die Staatsregierung bereits zur Kenntnis genommen, dass es auch bald ältere Migranten geben wird, die eine kultursensible Pflege brauchen werden? Wie sieht es mit der Anerkennung ausländischer Abschlüsse aus? Was tut die Bayerische Staatsregierung? Wissen Sie, dass das Armutsrisiko von Migranten überdurchschnittlich hoch ist? Und wie sieht es mit der Willkommenskultur aus, wenn gestern eine junge somalische Frau mit ihrem Baby in Abschiebehaft genommen wurde?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Staatsministerin, Sie haben das Wort.

Ich finde es sehr bedauerlich, dass Sie weiterhin die hohe Qualität der Arbeit unseres Integrationsbeauftragten nicht zur Kenntnis nehmen

(Beifall bei der CSU - Widerspruch bei den GRÜ- NEN)

und in Ihrem - das gilt leider inzwischen auch bei den GRÜNEN - sehr stark obrigkeitlich,

(Unruhe bei den GRÜNEN - Glocke des Präsi- denten)

haushaltstechnisch und vor allem staatsgläubig orientierten Verständnis von Politik davon ausgehen, dass allein eine bestimmte Mittelausstattung mit einer besonderen Qualität einhergeht. Der Integrationsbeauftragte ist kein zweiter Integrationsminister, sondern er bringt genau das in die Politik ein, was, glaube ich, gerade in diesen Bereichen so wichtig ist, nämlich den Kontakt mit sehr vielen Verbänden und Interessenvertretern, den Kontakt mit genau dem, was in der Bevölkerung an Integration stattfindet. Die muss nämlich von Mensch zu Mensch passieren

(Zuruf der Abgeordneten Renate Ackermann (GRÜNE))

und kann nicht staatlich und schon gar nicht mit Haushaltsmitteln diktiert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Zum zweiten Thema Ihrer Frage: Liebe Frau Ackermann, ich weiß, dass Sie das ganz fürchterlich finden, aber es ist so und es bleibt dabei, dass Menschen mit Migrationshintergrund in unserer Gesellschaft in Bayern die besten Chancen haben. Wer einen Migrationshintergrund hat und sich überlegt, wo es sich am besten leben lässt, wo er seine Chancen am besten wahrnehmen kann, der geht nach Bayern. Das beweisen auch die Zahlen über entsprechende Bevölkerungsbewegungen.

Zu Ihren Fragen im Einzelnen: Es ist für mich natürlich durchaus wunderbar, dass Sie mir durch Ihre Frage auch die Gelegenheit geben, auf die Kinderbetreuung hinzuweisen; denn es gibt kein anderes Land, das so viel Geld in die Betreuung von Kindern mit nichtdeutschen Eltern investiert. Es gibt kein anderes Land, das jedem Kind mit Migrationshintergrund einen um ein Drittel erhöhten Förderfaktor mitgibt. Dadurch haben die Kinder mit Migrationshintergrund vom Ausbau der Kinderbetreuung überproportional profitiert.

Zu den Chancen in der Schule: Auch das ist längst bekannt, aber ich wiederhole es immer wieder gerne, weil es gute Nachrichten sind. Zunächst zu den verpflichtenden Sprachkursen. Das Thema Sprache hat der Ministerpräsident zu Recht als einen der Hauptgründe für die Verankerung des Themas Integration in der Verfassung benannt. Wir in Bayern haben, glaube ich, als Allererste das Recht, den Anspruch zu erheben, dass wir wissen, wie es geht; denn wir waren die Ersten, die verpflichtende Sprachkurse nicht nur eingeführt haben, sondern auch mit einem System für die Kindergartenkinder und für die Vorschulkinder anbieten, das erfolgreich ist. Das ist in den anderen Bundesländern, die da inzwischen nachgehoppelt sind, durchaus nicht der Fall. Bei uns besuchen 90 % der Kinder, die vorher nicht hätten eingeschult werden können, nach dem verpflichtenden Sprachkurs die Regelschule. Das ist Chancengerechtigkeit. Bei allen anderen wird im ersten Schuljahr durch den Besuch von Förderklassen das nachgearbeitet, was noch notwendig ist.

Hinzu kommt, dass wir die Vorkurse für Sprachförderung auf 240 Stunden erhöht haben, dass wir allein für die Sprachberaterprogramme, die besonders Kindern mit Migrationshintergrund zugutekommen und die jetzt in großer Flächendeckung an fast allen Kinderbetreuungsstätten stattgefunden haben, 13,3 Milli

onen Euro ausgegeben haben. Die Gesamtausgaben für Sprachförderung im Jahre 2010 belaufen sich auf 18,4 Millionen Euro. Die Zahlen für den Förderfaktor sind darin noch gar nicht enthalten. Alle diese Zahlen können sich sehen lassen.

Als Letztes noch kurz etwas zur Arbeitswelt, die Sie angesprochen haben. Die Teilhabe an Arbeit ist für Menschen mit Migrationshintergrund bei uns in Bayern ungefähr so hoch wie die Teilhabe an Arbeit für Menschen in Berlin, wenn sie keinen Migrationshintergrund haben. Oder noch einmal ganz deutlich: Die Erwerbstätigenquote der Menschen mit Migrationshintergrund in Bayern liegt bei 66,7 % und die der Menschen ohne Migrationshintergrund in Berlin bei 67 %.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Daraus wird deutlich: Wir haben den höchsten Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund im Erwerbsleben. Das hängt damit zusammen, dass sie bei uns von klein auf ihre Chancen nutzen konnten und dass sie hervorragend inzwischen in allen Berufen in Bayern - ob das als Selbstständige, ob das als Unternehmer ist, ob das als Angestellter ist oder sogar auch im öffentlichen Dienst - in vieler, vieler Hinsicht und in immer größerer Anzahl unsere Gesellschaft bereichern.

Was Ihnen aber interessanterweise gar nicht wichtig war, sind die Angebote, die wir für diejenigen brauchen, die sich immer mehr der Integration verweigern. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir auch hier mit neuen Projekten niederschwellig eine aufsuchende Struktur ausbauen, damit diejenigen, bei denen bisher aus welchen Gründen auch immer Integration noch nicht so ganz erfolgreich war, nicht am Rande stehen bleiben. Das ist ein Ehrgeiz, den wir in Bayern haben und den ich in anderen Bundesländern noch sehr vermisse. Deshalb haben wir auch kein Problem mit Parallelgesellschaften. Das Ergebnis ist einfach: Bayern kann Integration besser.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön, Frau Staatsministerin. Als Nächster hat der Kollege Martin Neumeyer das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Frau Ministerin! Vielleicht ein Satz zuvor: Wir haben in Bayern am Montag und Dienstag dieser Woche die Bundeskonferenz aller Integrationsbeauftragten der Bundesrepublik Deutschland erfolgreich hinter uns gebracht mit einer großen Medienwirkung auch für Bayern als In

tegrationsland. Wir konnten auch das Thema "Elternschule" als kommendes wichtiges Thema in der Gesellschaft bzw. in den Medien platzieren.

Natürlich ist Geld nicht alles, aber manchmal ist es ganz nützlich; das muss man ehrlicherweise dazusagen. Die Verfassungsänderung, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird bereits vor Ort diskutiert und es ist wichtig, dass wir sie seit dem Aschermittwoch diskutieren. Wie das Ganze nach einer längeren Diskussion aussehen wird, werden wir sehen.

Vielleicht ist es notwendig, sehr geehrte Frau Ministerin, dass wir auch in die Zukunft schauen: Wie sieht die Bayerische Staatsregierung die Chancen der Integration im wirtschaftlichen und kulturellen Bereich in der Zukunft? Das als Erstes. Und Zweitens: Wie lassen sich die Kompetenzen der Migranten

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

im kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich nach Auffassung der Staatsregierung in der Zukunft noch mehr in die Gesellschaft, in die Arbeit mit einbauen?

Danke schön. Frau Staatsministerin, Sie haben das Wort.

Herzlichen Dank für die Fragen und noch einmal Dank auch für die Vertretung als bayerischer Integrationsbeauftragter im Rahmen dieser Konferenz, die Vertretung im Namen auch der vielen Menschen mit Migrationshintergrund. Das war eine ganz wichtige Konferenz.

Die Elternschule und auch die Chancen der Integration via Elternschule sind ein wichtiger Punkt. Das ist ein ganz wichtiger Ansatz. Ich würde mir aber wünschen, dass wir das für alle Eltern diskutieren. Ich weiß, dass Sie, Herr Integrationsbeauftragter, das auch tun. Denn es gibt Eltern mit Migrationshintergrund, die wunderbar zurechtkommen, und Eltern mit Migrationshintergrund, bei denen es Probleme gibt. Genauso ist es bei Eltern ohne Migrationshintergrund.

Ich möchte die Gelegenheit gerne nutzen, um deutlich zu machen, dass die Auffassung, dass Eltern mit Migrationshintergrund in irgendeiner Weise schlechtere Eltern seien, bei mir auf großes Unverständnis stößt. Ich halte das für absurd. Vielmehr müssen wir hier alle Eltern unterstützen.

Hierzu gibt es eine Vielzahl von Aktivitäten: Wir fördern 180 Erziehungsberatungsstellen, den Ausbau niederschwelliger Strukturen, Programme, die aus der "Aktion Jugendschutz" kommen, wie den Elterntalk.

Diesen Begriff habe nicht ich erfunden - neudeutsch, ich weiß -, aber er ist gut eingeführt; daran nehmen übrigens über 70 % Eltern mit Migrationshintergrund teil. Also manchmal kommt es ganz automatisch dazu, dass vor allem Eltern mit Migrationshintergrund diese Programme nutzen, die ganz niederschwellig in einem gemeinsamen Austausch über Erziehungsprobleme bestehen. Aus eigener Erfahrung sage ich: Da lernt man mehr, als wenn man sich Vorträge anhört. Schwerpunkt ist die Medienerziehung, aber wir alle wissen: In der Medienerziehung steckt ganz viel knochenharte Erziehungsarbeit, die sich dann auch auf andere Themen übertragen lässt.