Ich eröffne die 86. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich einen Glückwunsch aussprechen. Am 22. Oktober feierte Frau Kollegin Karin Pranghofer einen runden Geburtstag. Ich wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und viel Erfolg für Ihre parlamentarischen Aufgaben.
Aktuelle Stunde gem. § 65 GeschO auf Vorschlag der CSU-Fraktion "Zukunft der EU-Agrarpolitik - Weichen für die bayerische Landwirtschaft richtig stellen!"
In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält einer ihrer Redner bis zu zehn Minuten Redezeit; dies wird auf die Anzahl der Redner der jeweiligen Fraktion angerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zahl der Redner dieser Fraktion zu sprechen. - Soweit die üblichen Erläuterungen zu diesem Tagesordnungspunkt.
Erster Redner ist Herr Kollege Füracker. Ich darf Herrn Kollegen Albert Füracker ans Redepult bitten. Bitte schön, Herr Kollege.
Hohes Präsidium, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute geht es in der Aktuellen Stunde um sehr wichtige Dinge. Es geht um Essen, es geht um Landschaft, es geht um Arbeitsplätze im ländlichen Raum, es geht um unsere Heimat, es geht um Landwirtschaft. In leider oft sehr trockener Debatte geht es auch um nackte Zahlen, aber es geht vor allem um die Menschen, die sich hinter diesen nackten Zahlen verbergen, nämlich bäuerliche Familienbetriebe, die ländliche Bevölkerung. Dass die Bevölkerung die Leistungen der bayerischen Bauern in
besonderer Weise schätzt und honorieren möchte, ist Gott sei Dank nach wie vor der Fall. Und dass uns die EU-Agrarpolitik dazu den notwendigen Rahmen gibt, ist ebenfalls eine Weisheit, die längst bekannt ist. Deswegen ist es so wichtig, was in den Vorschlägen zur gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013 steht. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns positionieren in der Frage, was wir an diesen Vorstellungen und Vorschlägen konkret verändern können.
Die Fehlentwicklungen, die durch die Fortführung der gemeinsamen Agrarpolitik abgestellt werden sollten, wurden aufgearbeitet. Die formulierten neuen Vorschläge stellen uns in unseren Erwartungen aber bei Weitem nicht zufrieden. Wenn die EU-Kommission nach jahrelanger Debatte nicht mehr vorlegt als das, was wir jetzt kennen, dann muss ich Ihnen ehrlich sagen, war die Arbeit mit eher wenig Kreativität gesegnet. Die bayerischen Bauern sind zu Recht besorgt darüber, wie viel Geld unter welchen Bedingungen nach 2013 noch zur Verfügung steht.
Global betrachtet ist es wahr: Agrarpolitik bemisst sich nicht nur danach, wie viel Geld es gibt. Aber ohne die notwendigen Zahlungen für die Gemeinwohlleistungen der bayerischen Bauern aus Brüssel wird bei uns in Bayern eine ordentliche Landwirtschaft, so wie wir sie uns vorstellen, nicht stattfinden können. Deswegen werden uns unsere Bauern sehr wohl daran messen, wie viel von dem zur Verfügung stehenden Geld unter welchen Bedingungen nach 2013 in Bayern ankommen wird.
Wir sind auch deswegen etwas traurig, weil die Vorleistungen, die wir in Deutschland erbracht haben, bei dem Vorschlag bei Weitem nicht honoriert wurden. Zum Beispiel wird die Tatsache, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland die Produktion von den Zahlungen schon längst entkoppelt haben, in dem Vorschlag der EU-Kommission in keiner Weise honoriert. Das heißt: Wir subventionieren in Deutschland nicht Produkte, sondern wir honorieren die Bewirtschaftung der Flächen.
Wie können wir nun auf diese aus unserer Sicht unzureichenden Vorschläge reagieren? - Zunächst müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass nicht alles schlecht ist, was hier vorgeschlagen wurde. Wir sind froh, dass das Zwei-Säulen-Modell erhalten bleiben soll, dass es keine europaweite sogenannte Flatrate gibt, also die gleiche Zahlung für alle Bauern und für jeden Hektar in ganz Europa. Wir nehmen auch zur Kenntnis, dass zumindest überlegt wird, den Status quo bei den Mitteln zu erhalten, wenngleich dies in diesen Tagen, wenn man über die Europäische Union redet und die Frage, was nach 2013 passiert, ein spannendes Thema für sich wäre.
Es ist eher schwierig, über ungeklärte Fragen zum Beispiel bei der Zuckerrübenquote zu sprechen, wobei es weniger um Geld geht als vielmehr um die Frage, ob wir diese Instrumente verlängern. Es geht auch um die Stärkung der Erzeugerorganisationen bei der Milch. - Das sind alles Dinge, auf die man sich relativ rasch einigen kann. Die Frage nach dem Geld wird aber eine sehr spannende.
Wir sind zum Beispiel in dem Themenfeld der Ausgleichszulage besonders betroffen, und zwar deswegen, weil nach Vorschlägen der EU-Kommission droht, dass 460.000 Hektar in Bayern - das sind rund 25 % der betroffenen Fläche - durch eine Neuabgrenzung des Gebietes aus der Förderung fallen und nur 260.000 Hektar hinzukommen. Wir wollen uns neue Ungerechtigkeiten in diesem Bereich nicht leisten und verstehen nicht, warum so ein bewährtes Förderinstrument wie die Ausgleichszulage, das mittlerweile völlig unumstritten und unbürokratisch ist, zwingend verändert werden muss. Wir setzen uns hier alle miteinander - ich glaube auch, fraktionsübergreifend dafür ein, die bewährten Instrumente beizubehalten. Wir waren mit dem Landwirtschaftsausschuss in Brüssel und hatten dort den Eindruck, man habe die Sache dort verstanden. Im Nachhinein muss ich sagen: Offensichtlich wollen sie es dort nicht verstehen und wir müssen in diesem Punkt weiterkämpfen.
Es gibt auch Schwierigkeiten, weil die erhoffte Entbürokratisierung den Vorschlägen in keiner Weise zu entnehmen ist. Nur für ganz kleine Betriebe mit einer Fläche unter drei Hektar soll eine Entbürokratisierung spürbar werden. Alle anderen werden mit deutlichen Mehrauflagen zu kämpfen haben. Auch hier finde ich es schade, dass die Vorleistungen, die gerade wir seitens der bayerischen Agrarpolitik mit unseren freiwilligen Agrarumweltmaßnahmen erbracht haben, in keiner Weise honoriert wurden. Wir wollen beim sogenannten Greening auch darauf setzen, dass unsere freiwilligen Vereinbarungen mit den Landwirten als Greening-Maßnahmen gelten, wie zum Beispiel die Teilnahme am Kulturlandschaftsprogramm oder andere freiwillige Umweltleistungen.
Dass wir mit der vorgeschlagenen, faktisch stattfindenden Stilllegung von 7 % der Ackerfläche große Schwierigkeiten haben, ist bekannt. Wir gehen nicht davon aus, dass eine Herausnahme von 7 % der Ackerfläche für angebliche ökologische Vorrangflächen automatisch zu einer ökologischeren Landwirtschaft führt. Wir setzen nämlich auf eine gewünschte Ökologisierung der Restfläche von 93 % in freiwilliger Vereinbarungsweise. Wir haben große Sorgen, dass 93 % der Fläche eher intensiver bewirtschaftet werden könnten, wenn 7 % der Fläche aus der Produktion genommen werden müssten. Wir fordern in Zeiten
Wir halten es auch für schwierig, dass in Zukunft der sogenannte aktive beihilfeberechtigte Landwirt danach definiert werden soll, wie viel Prozent seines Einkommens er durch Direktzahlungen erhält. Die EU möchte erreichen, dass Großgrundbesitzer, die nicht direkt Landwirte sind, aus Brüssel keine Zahlungen mehr erhalten. Wir befürchten, dass durch die jährliche Vorlage von Einkommensteuerbescheiden vor allem die Landwirte in Bayern, auch die Nebenerwerbslandwirte, heute noch nicht kalkulierbare Schäden erleiden könnten. Denn Landwirte, die sich etwa mit "Urlaub auf dem Bauernhof" oder mit einer Photovoltaikanlage auf dem Dach Einkommensalternativen geschaffen haben, können heute noch nicht absehen, ob sie dann unter folgende Regelung fallen: Höchstens 5 % des Einkommens dürfen EU-Prämien sein. Dieses Kriterium wollen wir nicht akzeptieren.
Wie sollen wir vorgehen? Nicht Bayern sitzt in Brüssel am Tisch, sondern die Bundesrepublik Deutschland. Bisher gibt es eine nicht abgestimmte Meinung quer durch den Gemüsegarten, quer durch alle Länder und alle Parteien.
Ab morgen findet die Agrarministerkonferenz statt, auf der unser Landwirtschaftsminister die bayerische Position deutlich vertreten wird. Für uns ist Folgendes entscheidend: ausreichendes Budget, Erhalt der Gebietskulisse auf der Basis der landwirtschaftlichen Vergleichszahl - LVZ - und Anerkennung der Agrarund Umweltmaßnahmen als Greening-Maßnahmen. Die Vorleistungen, die wir erbringen, müssen endlich honoriert werden. Eine Pflichtstilllegung wollen wir nicht akzeptieren.
Wir müssen für einen sehr langen Katalog streiten. Die Frage ist, ob darüber hinaus greifbare und positive Ergebnisse erzielt werden können. Es wird kein Wunschkonzert werden. Auch wenn sich die bayerische Agrarpolitik zum Beispiel mit den Normarbeitskräften intensiv beschäftigt hat, wird dieses Thema auf EU-Ebene wohl sehr schwierig durchzusetzen sein. Denn derzeit erscheint es im EU-Vorschlag überhaupt nicht und auf deutscher Ebene ist es sehr schwer durchzusetzen. Daher ist es ratsam, dass wir das Thema nochmals gut durchleuchten und wirklich überlegen, ob die Aussicht besteht, diesen Themenkomplex auch in der bundesrepublikanischen agrarpolitischen Landschaft zu positionieren, um dann in Europa zu bestehen. Oder konzentrieren wir uns lieber auf die Erfolg versprechenden Maßnahmen? Ein Beispiel hierfür ist die Ausgleichszulage: Wenn uns
hier nur 100 Euro pro Hektar fehlen, fließen zig Millionen Euro nicht mehr nach Bayern. Das würde uns hinterher mehr Sorgen bereiten als möglicherweise die Debatte über die Gewichtung der Arbeitskräfte in den landwirtschaftlichen Betrieben. Auf diesem Gebiet wird es also noch sehr viel zu debattieren geben.
Es geht um eine gesellschaftlich akzeptierte und sinnvolle Agrarpolitik. Wir müssen in Deutschland, wenn wir in der Europäischen Union die Verhandlungen zu führen haben, mit einer Stimme sprechen. Deswegen finde ich es richtig, dass wir uns heute im bayerischen Parlament mit dieser Frage beschäftigen. Wir haben diese Frage bereits am letzten Mittwoch im Ausschuss thematisiert. Dieses Thema ist für uns alle so wichtig, dass es entscheidend und richtig ist, es in der heutigen Plenarsitzung nochmals zu diskutieren.
Ich habe im Ausschuss bei den Fraktionen weitgehend Übereinstimmung, beim einen oder anderen Punkt aber etwas abweichende Einschätzungen festgestellt. Deswegen ist heute eine gute Gelegenheit, dieses Thema zu diskutieren. Ich freue mich auf eine interessante Debatte und hoffe, dass aufgrund der Problemlage, die zurzeit in der Europäischen Union besteht, zum Schluss nicht die Agrarpolitik unter irgendwelchen Fehlentwicklungen leidet, für die wir nicht geradestehen können, weil wir sie nicht verantworten müssen. Ich gehe davon aus, dass Europa auch nach 2013 zu seiner Verantwortung für die Bauern und die Landwirtschaft steht.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema lautet: "Zukunft der EU-Agrarpolitik - Weichen für die bayerische Landwirtschaft richtig stellen!" Die Agrarpolitik 2013 umfasst viele Bereiche. Es ist interessant, heute zu hören, dass Herr Füracker dazugelernt hat; denn er hat noch letztes Jahr in den Ausschussberatungen immer wieder betont, dass wir daran gemessen werden, wie viel Geld wir nach Bayern holen. Wir sind nicht der Meinung, dass wir ausschließlich daran gemessen werden, wie viel Geld wir nach Bayern holen. 2013 werden Weichen auf vielen, vielen Gebieten gestellt, nämlich in der Agrarpolitik, und davon ausgehend auch in der Gesundheitspolitik, der Ernährungspolitik, der Umweltpolitik, der Entwicklungspolitik und nicht zuletzt natürlich an der Politik für den ländlichen Raum.
Ich möchte mich dem Thema von zwei verschiedenen Seiten nähern: Einerseits geht es um das Grundsätzliche in der Agrarpolitik, das der Herr Füracker jetzt nicht besprochen hat, andererseits um den Blick auf Bayern. Grundsätzlich ist anzumerken: Eine Zukunft der europäischen Agrarpolitik kann es nur gemeinsam mit den anderen Ländern auf der Erde geben, in Asien, Afrika und Lateinamerika.
Die europäische Agrarpolitik trägt eine internationale Verantwortung. Es geht nicht nur darum, möglichst viel Geld nach Bayern zu holen.
Die europäischen Gewinne gehen auf Kosten vieler Schwellen- und Entwicklungsländer. Wir produzieren mit unseren Ernten teilweise Elend, Hunger, Landnutzungsänderungen und langfristig Flüchtlinge.
Wer von deutscher Seite aus den Export beobachtet, stellt fest: Auf unserer Seite muss endlich Schluss damit sein, Agrarsubventionen in den Export zu stecken und damit woanders die Zerstörung von Ländern zu unterstützen.
Wir müssen uns mehr auf die Binnenmarktstruktur beschränken und vor allem den Binnenmarkt stabilisieren, ohne immer nur zu versuchen, irgendwo neue Märkte zu erschließen. Damit, dass wir unsere Fleischreste auf dem Exportmarkt entsorgen - anders kann man es nicht nennen -, muss Schluss sein.
Es ist ethisch nicht mehr länger vertretbar, dass wir Soja aus Ländern importieren, in denen Hunger herrscht. Das ist nach wie vor so.
Wir fordern, Soja-Importe aus Ländern zu verbieten, in denen Hunger herrscht. Dieses Verbot muss schnell umgesetzt werden. Langfristig sollte es zu einem Verbot aller Futtermittelimporte kommen. Es sollte auf unseren Äckern gewirtschaftet werden.
Was die Regulierung der Agrarmärkte betrifft, muss mit Spekulationen auf Lebensmittel endlich Schluss sein, und zwar weltweit.
Zum Thema Umwelt möchte ich grundsätzlich anmerken: Die jetzige Landwirtschaft belastet die Umwelt in
hohem Maße. Hier müssen die folgenden zentralen Themen genannt werden: Klimaschutz, Wassermanagement, Stickstoffbilanz, zunehmendes Artensterben. Das Artensterben ist kein Thema allein der Entwicklungsländer; auch bei uns sterben immer mehr Arten aus. Beim Thema Fleischerzeugung zum Beispiel muss man schon einmal deutlich aufzeigen: Nur wenn wir es langfristig zu einem regionalen Futteranbau, zu einer regionalen Zucht, zu einer regionalen Mast und zu einer regionalen Schlachtung und Vermarktung bringen, können wir diesen Teufelskreis durchbrechen, der heißt: Wir kaufen Futtermittel von extern ein, mästen hier unsere Tiere und subventionieren den Verkauf der Tiere nach draußen. Im Land bleiben Gülle, Überdüngung, Nachbarschaftskonflikte, die jeder von euch in den Gemeinden kennt, wo Geflügelfarmen entstehen sollen, und auch die Belastung für das Klima. Diese Bilanz ist so nicht richtig.
Das alles wäre noch vertretbar, wenn unser deutscher Landwirt von dem System gut leben könnte. Aber genauso, wie die Tiere und die Umwelt die Zeche zahlen, so zahlen auch unsere bayerischen Landwirte derzeit die Zeche eines völlig falschen Systems. Dieses System muss sich ändern. Unsere Landwirte und auch die Landwirte in den anderen Ländern zahlen drauf