Protocol of the Session on November 29, 2011

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Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, die Plätze einzunehmen, damit wir beginnen können.

Ich darf die 89. Vollsitzung des Bayerischen Landtags eröffnen. Presse, Rundfunk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Sie ist wie immer vorab erteilt worden.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bevor ich in die Tagesordnung einsteige, darf ich einen Ehrengast auf der Ehrentribüne begrüßen. Ich darf den Konsul der Tunesischen Republik, Herrn Nasr Ben Soltana, ganz, ganz herzlich begrüßen. Herr Soltana, Sie halten sich heute zu Gesprächen im Bayerischen Landtag auf. Herzlich willkommen! Gute Gespräche und guten Aufenthalt. Alle guten Wünsche des Hohen Hauses begleiten Sie.

(Allgemeiner Beifall)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich rufe

Tagesordnungspunkt 1 auf:

Regierungserklärung des Leiters der Staatskanzlei "Bundeswehrstrukturreform: Bayern lässt die Betroffenen nicht allein"

Ich darf dazu Herrn Staatsminister Kreuzer das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Staatsminister.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, meine Damen und Herren! Die Veränderungen in der Bundeswehr haben weitreichende Folgen für Bayern. Ich möchte das Hohe Haus und die Menschen in Bayern heute darüber informieren. Zwei wichtige Botschaften gleich zu Beginn: Erstens. Die Bayerische Staatsregierung unterstützt die Reformen für eine zukunftsfähige Bundeswehr. Zweitens. Wir werden keinen Standort mit den Folgen allein lassen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Die Bundeswehrstrukturreform trifft viele Menschen in Bayern. Die Soldatinnen und Soldaten und die Zivilbeschäftigten der Bundeswehr müssen sich umorientieren. Vom Bäcker bis zum mittelständischen Unternehmer und Handwerksmeister fehlen Kunden, brechen Aufträge weg. Bürgermeister und Landräte blicken mit Sorge auf die Standorte, die geschlossen oder erheblich verkleinert werden. Ich kenne diese Sorgen und Nöte aus vielen Gesprächen, die ich mit Landräten und Bürgermeistern vor Ort führe.

Ich sage im Namen der Staatsregierung aber auch: Wer zur Bundeswehrreform und zur Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht steht, muss auch die Folgen, auch die Umstrukturierung, akzeptieren und mittragen. Wir alle haben gewusst, dass die Reform für den Freistaat schmerzliche Einschnitte mit sich bringt. Daher dürfen wir heute über die konkrete Ausgestaltung nicht überrascht sein.

Bundesverteidigungsminister de Maizière hat Ende Oktober entschieden: Von 2013 bis 2017 wird die Stationierung der Bundeswehr grundlegend umgestaltet. Die Kreiswehrersatzämter werden möglicherweise bereits 2012 geschlossen. Bayern ist einer der größten Bundeswehrstandorte in ganz Deutschland und ist daher von der Reform stark betroffen.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Bundesweit werden 31 Standorte aufgelöst. Auch wir in Bayern müssen auf Standorte ganz verzichten: Kaufbeuren mit 880 Dienstposten, Fürstenfeldbruck mit 1.240 Dienstposten und Penzing mit 2.350 Dienstposten. Zu Penzing erspare ich mir nicht zu erwähnen: Die Auflösung des Lufttransportgeschwaders 61 in Penzing hat schon SPD-Verteidigungsminister Struck bei der letzten Bundeswehrreform beschlossen.

(Zuruf von der SPD: Das ist nichts, was ihr jetzt macht!)

Schwaben und Oberbayern sind durch Standortschließungen und Standortverkleinerungen besonders belastet. Gerade für die schwäbischen Standorte Donauwörth, Füssen, Kaufbeuren, Kempten und Sonthofen hätte ich mir eine andere Lösung gewünscht. Wir werden hier besonders auf Ausgleich drängen. Ich bin in persönlichen Gesprächen mit den Verantwortlichen aller betroffenen Standorte. Am ersten Tag in meinem neuen Amt habe ich Penzing und Kempten besucht, danach Kaufbeuren, Sonthofen und Fürstenfeldbruck.

Die Staatsregierung kämpft besonders um den Standort Kaufbeuren. Hier sind wir mit Berlin in Gesprächen. Das Bundesverteidigungsministerium will sich um eine zivil-militärische Nachnutzung des Geländes bemühen. Diese Ankündigung verfolgen wir sehr genau.

Bei allen Kürzungen haben wir auch positive Nachrichten. Folgende bayerische Forderungen wurden erfüllt: Die Bundeswehr wird auch in Zukunft in der Fläche Präsenz zeigen. Damit erhalten wir die Verbindung von Bundeswehr und Gesellschaft in Bayern auch nach Aussetzung der Wehrpflicht. Der Bundesverteidigungsminister hat unserem Wunsch in vie

len Fällen entsprochen, zum Beispiel in Niederbayern, in der Oberpfalz und in Unterfranken. Reduzierung vor Schließung - dieses Ziel haben wir voll erreicht.

Drei Standorte in Bayern wachsen: Pöcking von 320 auf 640 Dienstposten, Weiden von 470 auf 1.110 Dienstposten und Cham von 730 auf 800 Dienstposten. Zwei hochwertige Kommandobehörden konnten gehalten bzw. nach Bayern geholt werden: Die Sanitätsakademie bleibt in München und wird zum Zwei-Sterne-Kommando aufgewertet. Die 10. Panzerdivision kommt aus Sigmaringen nach Veitshöchheim. Lagerlechfeld bleibt. In Lagerlechfeld ist damit der Flugbetrieb gesichert, auch für die Teileproduktion des Airbus-Zulieferers Premium AEROTEC.

(Harald Güller (SPD): Aber durch den Abzug sind es über 1.000 Dienstposten weniger! Das können Sie doch wohl nicht als Erfolg bezeichnen! 1.000 Personen weniger!)

Das sind 3.000 Arbeitsplätze im Raum Augsburg. Herr Kollege Güller, regen Sie sich doch nicht auf. Das sind 3.000 Arbeitsplätze im Raum Augsburg.

(Harald Güller (SPD): Abzug von 1.000 Dienstposten!)

Dies war ein wichtiges Anliegen. So halten wir die Arbeitsplätze in der Region.

Roth bleibt. Zwar wird Roth in Zukunft kein Hubschrauberstandort mehr sein, aber die Offiziersschule der Luftwaffe wird von Fürstenfeldbruck nach Roth verlegt. Dieses Zukunftspotenzial in Mittelfranken liegt uns sehr am Herzen.

Besonders wichtig ist uns, dass strukturschwächere Gebiete in der Oberpfalz, Niederbayern und dem östlichen Oberbayern relativ gut weggekommen sind. Dies gilt insbesondere für die beiden Großverbände des Heeres, die in Bayern bestehen bleiben: die Panzerbrigade 12 in der Oberpfalz und Niederbayern und die Gebirgsjägerbrigade 23 im Oberland. Damit ist der Freistaat zukünftig das einzige Land mit zwei vollständigen Heeresbrigaden. Dillingen war zur Schließung vorgesehen und bleibt jetzt bestehen. Die Wehrverwaltung ist auch weiterhin in Bayern vertreten. In München wird ein regionales Kompetenzzentrum Infrastruktur eingerichtet.

Ich weiß: Diese positiven Nachrichten sind für die von Kürzungen und Schließungen Betroffenen kein Trost. Die Staatsregierung wird daher alles tun, um für die Standorte und Kommunen neue Perspektiven zu schaffen. Härter als die Großstädte trifft die Bundeswehrreform die Menschen im ländlichen Raum. Die

Bayerische Staatsregierung wird den Strukturwandel dort selbst aktiv und offensiv unterstützen. Meine Damen und Herren, zunächst muss aber festgestellt werden: Der Bund als Verursacher dieser Reform trägt zunächst die Verantwortung für die negativen Folgen von Standortschließungen und Standortverkleinerungen in den betroffenen Regionen. Sie können sich darauf verlassen: Wir werden in Berlin diese Verantwortung für unsere Gemeinden deutlich einfordern. Wer seiner Zukunftsverantwortung für die Bundeswehr gerecht werden will, muss diese Zukunftsverantwortung auch für die betroffenen Standorte leisten.

Am 12. Januar 2012 bin ich im Kanzleramt auch für die bayerischen Kommunen im Einsatz: Mit Kanzleramtsminister Roland Pofalla werde ich über Kompensationsleistungen für unsere betroffenen Kommunen reden.

(Prof. Dr. Peter Paul Gantzer (SPD): Da bin ich aber gespannt!)

In Berlin werde ich auch Gespräche führen mit Verkehrsminister Peter Ramsauer, mit Staatssekretär Hartmut Koschyk aus dem Bundesministerium der Finanzen und mit Staatssekretär Christian Schmidt aus dem Bundesministerium für Verteidigung.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Das wird alles nichts bringen!)

Unsere Kommunen brauchen für die Nachnutzung der Flächen Planungssicherheit und Informationen zur Liegenschaft. Und die Kommunen müssen die Möglichkeit haben, die Liegenschaften schnell und günstig zu erwerben - in Anlehnung an die Verbilligungsgrundsätze aus den Neunzigerjahren, die in Bayern ein großer Erfolg waren.

Der Bund muss für jeden Standort einen genauen Zeitplan aufstellen und den Kommunen so früh wie möglich Zugang zum Gelände ermöglichen. Hier darf keine unnötige Zeit verstreichen. Ich werbe beim Bund für den schnellen und direkten Dialog mit den Beteiligten.

Die Bayerische Staatsregierung fordert vom Bund ein mehrjähriges Konversionsprogramm, vorzugsweise im Rahmen bestehender Förderprogramme, wie zum Beispiel der Städtebauförderung. Hier ist der Bund als Verursacher der Bundeswehrreform in der Pflicht.

Die betroffenen Kommunen stehen vor großen Herausforderungen wie dem demografischen Wandel, und nun kommt die Militärkonversion noch hinzu. Deshalb ist die Aufstockung der Städtebauförderung mindestens auf das Niveau von bundesweit 535 Milli

onen Euro notwendig. Dies ist eine Forderung, die alle Bundesländer gemeinsam erhoben haben.

In Bayern gilt: Wir lassen unsere Kommunen mit diesen Problemen nicht allein. Mit der Kabinettsklausur in St. Quirin vor zwei Wochen und dem Kabinettsausschuss "Demografischer Wandel" haben wir konkrete Maßnahmen zur Stärkung der betroffenen Kommunen entwickelt. Wir denken in erster Linie an Förderprogramme wie Regionalförderung, Dorferneuerung und Städtebau, aber auch an die Möglichkeit von Behördenverlagerungen und an Qualifizierungsmaßnahmen für Beschäftigte von unmittelbar betroffenen Unternehmen und Dienstleistern. Im Einzelfall stehen auch die Ansiedlung von Technologietransferzentren und besondere Hochschulkooperationen zur Abfederung der Bundeswehrreform zur Debatte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Staatsregierung setzt auf den engen Dialog mit allen Beteiligten. Ich stehe persönlich für den Dialog vor Ort - als neuer Leiter der Bayerischen Staatskanzlei ganz besonders. Ich bin in ganz Bayern unterwegs und rede mit den Bürgermeistern aller betroffenen Gemeinden. Am 1. Dezember treffe ich die Bürgermeister von Hammelburg und Wildflecken. Am 9. Dezember bin ich in Füssen und Altenstadt, am 16. Dezember in Amberg. Schließlich werde ich am 21. Dezember den Oberbürgermeister von Donauwörth treffen und Eurocopter besuchen. Wir bleiben dran. Zu Beginn des Jahres werde ich zusammen mit Staatssekretär Schmidt die Standorte Roth und Lagerlechfeld aufsuchen. Die Bürgermeister vor Ort munitionieren mich bestens für meine Gespräche in Berlin.

Ich weiß: Planungssicherheit und passgenaue Lösungen für die Kommunen sind oberstes Gebot. Dazu sage ich: Als erfolgreich hat sich in der Vergangenheit vor allem die Entwicklung städtebaulicher und regionaler Gesamtkonzepte erwiesen.

Die Planungshoheit liegt bei den Kommunen. Ich habe allen betroffenen Kommunen empfohlen, Struktur- und Entwicklungskonzepte über die Verwendungsmöglichkeiten der Gelände und die Entwicklung der Kommunen insgesamt in Auftrag zu geben. Vorbehaltlich der Zustimmung dieses Hauses zum Nachtragshaushalt werden wir dafür sorgen, dass die Kosten für entsprechende Gutachten zu 60 bis 80 % von den Förderprogrammen übernommen werden. Dies habe ich den betroffenen Bürgermeistern und Oberbürgermeistern garantiert.

Es gibt Beispiele in Bayern für gut genutzte Konversionsflächen nach dem Abzug der US-Truppen. Die ehemalige US-Kaserne in Würzburg gehört jetzt zum Campus der dortigen Universität. Auf dem Gelände

der US-Kaserne in Schwabach ist ein neues Wohngebiet entstanden - mit Kinderkrippe, Kindergarten, Mehr-Generationen-Wohnen, Museum und Freizeiteinrichtungen. In Augsburg haben wir heute ein neues Wohngebiet mit Freizeitflächen auf dem ehemaligen Gelände der US-Streitkräfte.

Diese Beispiele zeigen, meine Damen und Herren: Wenn alle Beteiligten Hand in Hand arbeiten, dann können wir viel erreichen für die Menschen vor Ort. Was wir zusammen mit den Kommunen für Konversionsflächen der US-Armee erreicht haben, muss unser Ziel erst recht für die Flächen unserer eigenen Armee sein. Wir werden alles tun, damit die Folgen der Truppenreduzierung abgefedert werden. Wir werden alles tun, damit auch die neu entstehenden Konversionsflächen der Bundeswehr zu Zukunftsflächen in den Kommunen werden. Das ist Politik ganz im Sinne unserer Zukunftsstrategie "Aufbruch Bayern".

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir in Bayern sind stolz auf unsere wehrtechnische Industrie. Jedes dritte wehrtechnische Unternehmen aus Deutschland hat seinen Sitz in Bayern. Die Wehrtechnik ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, gerade im ländlichen Raum. Wir profitieren vom Know-how unserer heimischen Unternehmen, von unseren international führenden Weltfirmen und unseren innovativen Mittelständlern.

Die Bundeswehrreform hat auch Folgen für unsere wehrtechnischen Betriebe. Unsere wehrtechnische Industrie muss sich auf Einbußen einstellen. Einsparungen im Verteidigungshaushalt bedeuten weniger Aufträge bzw. gekürzte Aufträge durch die Bundeswehr.

Die Entscheidung zur Reform ist reine Bundessache. Aber wir machen gegenüber der Bundesregierung unsere Position deutlich. Unsere Unternehmen brauchen Planungssicherheit. Bestehende Verträge sind einzuhalten. Eventuelle Vertragsanpassungen müssen durch in die Zukunft gerichtete Kompensationsaufträge ersetzt werden, und zwar möglichst mit demselben Unternehmen. Die Bundesregierung muss unsere Wirtschaft auf den Exportmärkten nach Kräften unterstützen und sich für den Abbau internationaler Wettbewerbsverzerrungen einsetzen. Für die Staatsregierung ist entscheidend: Die Bundeswehrreform darf nicht zum Verlust technologischer Kernkompetenz in Bayern führen. Unser technologischer Vorsprung sichert Arbeitsplätze, ist ein Motor für weitere Innovationen und ein starkes Argument auch für Standortentscheidungen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)