Protokoll der Sitzung vom 09.11.2017

Der Tagesordnungspunkt 5 ist damit erledigt. Wir haben eine Mittagspause bis 14.00 Uhr.

(Unterbrechung von 13.31 bis 14.00 Uhr)

Kolleginnen und Kollegen, wir nehmen die Sitzung wieder auf, auch wenn erst wenige da sind.

(Staatsministerin Ilse Aigner: Aber wir sind da!)

Frau Ministerin, ich finde auch: Die Wichtigen sind da.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:

Beratung der zum Plenum eingereichten Dringlichkeitsanträge

Zur gemeinsamen Beratung rufe ich auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Katharina Schulze, Ludwig Hartmann, Martin Stümpfig u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Pariser Klimaabkommen umsetzen: Kohleausstieg zügig einleiten (Drs. 17/18863)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Dr. Hans Jürgen Fahn u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Energiewende voranbringen - Kohleausstieg jetzt beschleunigen (Drs. 17/18872)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Stümpfig. Bitte schön, Herr Stümpfig.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Versagen der deutschen Klimapolitik liegt darin, dass hehre und wohlmeinende Ziele formuliert, aber dann nicht umgesetzt werden.

(Florian von Brunn (SPD): Abstimmen!)

Abstimmen zum jetzigen Zeitpunkt wäre sinnvoll, dann hätten wir die Mehrheit hier im Hause.

Wir haben das Ziel, bis 2020 die CO2-Emmissionen im Vergleich zu 1990 um 40 % zu reduzieren. Davon sind wir weit entfernt. Wir sind auch meilenweit davon entfernt, eine Million Elektroautos auf die Straße zu bekommen und einen Einstieg in die emissionsfreie Mobilität zu erreichen. Wir haben Emissionshandelszertifikate, die ihre eigentliche Wirkung erst ab 30 Euro pro Tonne zeigen. Momentan liegt der Preis bei unter 7 Euro. Wir haben CO2-Grenzwerte für Autos, für deren massive Aufweichung sich unsere Bundesregierung in Brüssel eingesetzt hat. Außerdem haben noch die Konzerne stark manipuliert. Unterm Strich wird hier nichts eingehalten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Ganze ist fatal für unser Klima. Im Jahr 2017 haben wir die Auswirkungen massiv gespürt. Laut dem Klimareport der Staatsregierung hatten wir bis zur Jahrtausendwende im Jahresdurchschnitt fünf sogenannte heiße Tage mit über 30 Grad. In der nahen Zukunft steuern wir auf 19 heiße Tage pro Jahr zu. Das ist eine Vervierfachung.

Nach der Münchner Rückversicherung hatten wir Jahr 1980 weltweit 200 sogenannte Großschadensereignisse. Letztes Jahr hatte man nahezu 800 solcher Ereignisse. Auch hier handelt es sich also um eine Vervierfachung. Es ist ganz klar, dass wirklich die Alarmglocken schrillen. Wir müssen schleunigst etwas tun.

Fatal ist das aber nicht nur fürs Klima, sondern fatal auch für die Politik. Es fördert die Politikverdrossenheit, wenn Politiker immer nur Vereinbarungen beschließen und unterschreiben, aber dann nicht umsetzen. Es bringt uns nicht weiter, wenn wir uns, wie etwa bei der aktuellen Sondierungsrunde in Berlin, beim Klimaschutz nur darauf einigen, die Pariser Klimaschutzziele einzuhalten. Dann wird sich gegenseitig immer dafür auf die Schulter geklopft, dass man sich an das, was man schon einmal beschlossen hatte, auch halte. Das ist nichts Neues. Es müssen jetzt endlich sowohl die bisherigen Ziele eingehalten als auch neue Maßnahmen ergriffen werden.

(Dr. Hans Jürgen Fahn (FREIE WÄHLER): Dafür sind die GRÜNEN da! – Natascha Kohnen (SPD): Das ist gerade der Punkt!)

Wir werden uns in Berlin massiv dafür einsetzen, dass hier wirklich Maßnahmen ergriffen werden. Das ist ganz klar.

(Sandro Kirchner (CSU): Was ist mit der Landespolitik, Herr Stümpfig?)

Letztlich kommt es nicht darauf an, Prozente einzusparen, sondern es geht um die absolute Menge an CO2 und Treibhausgasen, die in die Luft geblasen werden. Jahreszahlen sind hier wichtige Meilensteine. Fürs Klima und für die Umwelt zählt aber die absolute Menge dessen, was wirklich herauskommt, und wie viel CO2 in die Umwelt ausgestoßen wird. Hierzu hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen im Oktober dieses Jahres einen wichtigen Vorschlag gemacht. Das ist auch der Kernpunkt unseres Antrages heute. Es geht um ein Budget.

Wenn wir das 1,5-Grad-Ziel bzw. das 2-Grad-Ziel einhalten und uns zur Verpflichtung von Paris bekennen wollen, dann bleibt für Deutschland noch ein bestimmtes Maß an Treibhausgasemissionen übrig. Umgerechnet auf CO2-Äquivalente und verteilt auf die Sektoren bedeutet dies für die große Stellschraube Stromsektor, über die wir heute aufgrund mangelnder Zeit einzig reden, ein Budget von 500 bis 3.000 Millionen Tonnen CO2, die wir noch in die Luft blasen können. Die unterschiedlichen Zahlen erklären sich daraus, dass man einmal das 1,5- und einmal das 2Grad-Ziel zugrunde legt.

Warum steht jetzt die Braunkohle so im Fokus? – Die Braunkohle ist in unserer Stromwirtschaft für 50 % der Treibhausgase verantwortlich. Sie erzeugt aber nur ein Viertel unseres Stroms. Gleichzeitig verkaufen wir annähernd 10 % unserer Stromerzeugung ins Ausland. Wenn wir jetzt ein Drittel der Braunkohlekapazität stilllegen würden, hätten wir auf einen Schlag 15 % weniger CO2-Emissionen in der Stromwirtschaft. Das wäre wirklich ein großer Gewinn für das Klima. Unter dem Strich wären wir aber noch immer Stromexporteur. Das heißt ganz klar: Selbst wenn wir auf einen Schlag von heute auf morgen ein Drittel der Braunkohlekapazität stilllegen, wird das niemand spüren. Wir würden nämlich immer noch Strom exportieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der FREIEN WÄHLER)

Was außer den Interessen der großen Stromkonzerne hindert uns also daran, endlich aus der Braunkohle auszusteigen? Der billige Braunkohlestrom versaut

das Klima und die Klimabilanz. Er verstopft unsere Netze und lässt die Erneuerbaren Energien nicht ins Netz. Er überschwemmt den europäischen Strommarkt und verhindert dort die Energiewende.

(Sandro Kirchner (CSU): Was ist mit Fakten? Gibt es auch Fakten dazu?)

Vor wenigen Wochen haben wir GRÜNE im Wirtschaftsausschuss einen Antrag zur CO2-Bepreisung gestellt. Wir hatten noch vier andere Anträge. Sie können erahnen, wie die CSU abgestimmt hat: alles abgelehnt. Gestern haben aber die Wirtschaftsweisen einen Vorschlag zur CO2-Bepreisung in Form einer nationalen Regel gemacht. Das ist der Vorschlag, den auch wir eingebracht hatten und der die ganzen Sonderregelungen wie KWK- und Offshore-Umlage abschaffen will. Stattdessen bedarf es endlich einer CO2-Bepreisung, damit die dreckigen Technologien entsprechend teuer sind. Wir hatten dazu im Wirtschaftsausschuss nicht einmal eine Diskussion. Herr Kirchner, der jetzt gleich nach mir sprechen wird, hat es einfach pauschal abgelehnt.

(Sandro Kirchner (CSU): Dr. Fahn spricht!)

Wir bekommen jetzt aber von den Wirtschaftsweisen Unterstützung. Wir brauchen auch im Wirtschaftsausschuss wieder einmal fachliche Diskussionen. Liebe CSU, springen Sie deshalb beim Klimaschutz über Ihren Schatten! Ihre und unsere Kinder würden es Ihnen herzlich danken.

(Beifall bei den GRÜNEN – Erwin Huber (CSU): Wir springen nicht!)

Danke schön, Herr Kollege Stümpfig. – Vor dem Herrn Kirchner spricht jetzt noch der Kollege Dr. Fahn. Bitte schön, Herr Fahn.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Unser Antrag lautet: "Energiewende voranbringen – Kohleausstieg jetzt beschleunigen". In der Politik geht es auch um Glaubwürdigkeit. Darauf will ich zum Schluss zurückkommen.

Wir wissen alle: Die Anzahl der wetterbedingten Schäden durch Starkregen, Überflutungen und Stürme hat sich seit 1960 verdreifacht. Die durchschnittlichen Temperaturen steigen weltweit. 2016 war das bisher wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Deswegen liegen wir insgesamt auf einem Weg hin zu höheren Temperaturen und mehr CO2. Das Klima hat sich zwar immer wieder gewandelt; aber für den gegenwärtigen beschleunigten Klima

wandel ist der Mensch der Hauptverursacher. Das sagen im Moment alle Wissenschaftler. Das ist eigentlich klar.

Das Pariser Klimaabkommen vom Dezember 2015 wurde inzwischen von fast allen Ländern unterzeichnet. Es sieht vor, dass die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf unter 2 Grad, zum Beispiel 1,5 Grad, reduziert wird. Die EU hat versprochen, bis 2030 – davon reden wir immer, und davon steht immer in den Zeitungen – insgesamt 40 % weniger Treibhausgase als 1990 auszustoßen. Klimaschutz – das ist wichtig – ist eine weltweite Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Der Meeresspiegel steigt immer noch mehr. Die Inselstaaten werden untergehen. Uns droht dann eine gigantische Völkerwanderung. Da ist es ein wichtiges Signal, dass zum Beispiel die Fidschi-Inseln beim gegenwärtigen Klimagipfel den Vorsitz haben. Man könnte sogar ironisch sagen, sie zeigen sich nochmal der Weltöffentlichkeit, bevor sie untergehen. Aber das ist nur ironisch gemeint.

Wie ist der aktuelle Stand bei der Klimaschutzumsetzung? – Inzwischen sagen alle Experten, dass selbst Deutschland seine hochgesteckten Klimaziele meilenweit verfehlen wird, obwohl Bundeskanzlerin Angela Merkel deren Erreichen noch im Wahlkampf versprochen hat. Sie hat gesagt, natürlich werden wir das Klimaziel erreichen. Natürlich wusste die Bundeskanzlerin, dass aufgrund des starken Wirtschaftswachstums der CO2-Ausstoß steigt. Man kann sagen, das ist eine Art Wählertäuschung, die hier gemacht wurde. Man weiß, dass man das Ziel nicht erreicht, und trotzdem sagt man, dass man es erreicht. Wenn es gutgeht, wird Deutschland nicht auf 40 % kommen, sondern maximal auf 32 %. Aber – das ist wichtig – Deutschland ist immer das Vorbild, weltweit und europaweit. Wenn nicht einmal Deutschland trotz seiner hochgesteckten Ziele und hochgelobten Energiewende und trotz seines offen zur Schau getragenen Ehrgeizes, seine Ziele 2020 zu erreichen, dies schafft, dann ist das ein Rückschlag nicht nur für die Bundesrepublik, sondern auch für Europa. Beamte des Umweltministeriums warnen inzwischen vor einer Blamage Deutschlands.

Wir dürfen also nicht so argumentieren wie der BDI, der heute in der "WELT" schreibt: Wir setzen mit diesen Klimazielen den Wohlstand Deutschlands aufs Spiel. – Nein, und das wurde auch klar gesagt. Die Wirtschaftsprognosen in Deutschland, auch in Bayern, sind im Moment sehr gut. Die Arbeitslosigkeit ist auf einem historischen Tiefstand. Die Wirtschaftsweisen sprechen von einem richtigen Wirtschaftsboom in den kommenden Jahren. Das heißt also, wir dürfen

und müssen unsere Klimaziele nicht vergessen. Wir müssen hier offensiver vorgehen.

Was meinen die Bürger in Deutschland? – Laut EMNID-Umfrage von letzter Woche sagen 69 % der Bevölkerung, dass für die neue Bundesregierung Klimaschutz im Zweifel vor wirtschaftlichen Interessen liegen muss. 69 % aller Deutschen sagen das! Da muss man konkret ansetzen. Einer der Hauptgründe ist der starke CO2-Ausstoß aus den 150 Kohlekraftblöcken. Da freuen wir uns über das Ergebnis des Bürgerentscheids in München – das ist immerhin Deutschlands drittgrößte Stadt – mit 60 % Zustimmung. Die Münchner Bürger haben gezeigt, dass sie Klimaschutz ernst nehmen und dass hier ein Signal ausgeht an den Stadtrat, an die Stadtverwaltung und natürlich an die Politik, an den Landtag und auch nach Berlin. Die Bürger erwarten in Deutschland eine echte Energiewende. Das zeigen auch die vielen Demonstrationen, zum Beispiel am Samstag unter dem Leitsatz "Klima schützen – Kohle stoppen".

Tatsache ist, dass durch die Kohleverstromung in Deutschland jedes Jahr 250 Millionen Tonnen CO2 emittiert werden. Ausstieg aus der Kohleverstromung heißt zunächst auch – das haben wir schon immer gesagt –, die dreckigen Braunkohlekraftwerke abzuschalten, gerade vor dem Hintergrund, dass wir so viele Kraftwerksüberkapazitäten haben und diesen Braunkohlestrom ins Ausland exportieren. Wir FREIE WÄHLER haben uns schon immer dagegen gewehrt, dass dreckiger Braunkohlestrom auf riesigen Stromtrassen durch Deutschland transportiert wird. Wir wollen die regionale Energiewende ohne Kohlestrom voranbringen, und das ist möglich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Natürlich kann und soll das nur ein Anfang sein. Wir sagen klar und deutlich, dass die Energiewende in Deutschland praktisch zum Stehen gekommen ist. Wir haben deshalb weitere Anträge eingebracht. Auch andere Fraktionen haben das gemacht, weil wir sagen, dass der Ausbau der Windenergie zum Teil zum Erliegen gekommen ist. Deshalb sind die Anträge gestellt worden, die 10-H-Regelung insgesamt abzuschaffen. Die FREIEN WÄHLER wollen auch mit diesem Antrag, der in Kürze behandelt wird, die Energiewende voranbringen.

(Staatssekretär Franz Josef Pschierer: Morgen wollen Sie sie verhindern!)

Natürlich sind noch viele weitere Eckpunkte nötig, zum Beispiel die Förderung einer energetischen Gebäudesanierung. Das fördert auch das regionale

Handwerk. Das ist für uns immer ganz wichtig. Wir wissen natürlich, dass bei der CO2-Reduzierung auch der Verkehr auf dem Prüfstand steht. Wir brauchen hier umfangreiche Mobilitätskonzepte, die ideologiefrei Straßen, Schiene und ÖPNV optimal vernetzen. Man nennt das auch "Gesamtverkehrskonzepte".

Der Leitspruch der FREIEN WÄHLER für 2018 lautet "Die Zukunft unserer Kinder sichern". Der Klimaschutz steht hier ganz oben. Deshalb muss er – das ist ein weiterer Punkt, den wir hier in diesem Parlament behandeln – in der Bayerischen Verfassung stehen. Hier steht noch die zweite Lesung im Parlament an. Fangen wir also heute konkret an und erreichen einen beschleunigten Kohleausstieg. Da unterstützen wir auch den Antrag der GRÜNEN, weil wir noch nicht ganz sicher sind, ob die GRÜNEN in Berlin, denen es vor allem darum geht, wichtige Ministerämter zu bekleiden, diesen konsequenten Kohleausstieg durchsetzen können und werden. Gestern stand nämlich in der Abendzeitung: Der grüne Kompromiss: Schonfrist bei der Kohle. – Was soll ich jetzt da denken? Da sage ich: Hoppla, sind die GRÜNEN da jetzt umgefallen?

(Katharina Schulze (GRÜNE): Klimaschutzziele einhalten!)