Protokoll der Sitzung vom 15.10.2014

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Kollege Pfaffmann. Mir ist soeben eine Änderung

der Rednerliste signalisiert worden. Statt Frau Staatsministerin Müller redet der Herr Ministerpräsident. Bitte schön.

(Beifall bei der CSU)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich spreche deshalb, weil ich über den Verlauf der Diskussion in der letzten Stunde etwas betroffen bin.

(Beifall bei der CSU – Zurufe von der SPD: Oh! – Zuruf des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr (GRÜNE) – Gegenruf der Abgeordneten Kerstin SchreyerStäblein (CSU): Hör mal zu!)

Bei jedem Gespräch, zuletzt am Sonntagabend mit der Kanzlerin, morgen und übermorgen mit den Ministerpräsidenten, beschäftigen wir als Verantwortliche für die Bundesrepublik Deutschland uns mit dieser erstmaligen, vielleicht einmaligen Herausforderung, einer Herausforderung, vor der die Bundesrepublik Deutschland so noch nicht stand.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Ich kann nur darauf hinweisen, dass wir uns vor nicht allzu langer Zeit noch über den Arabischen Frühling gefreut haben. Der Arabische Frühling steht auf dem Kopf. Ich bewundere alle, die heute so tun, als hätten sie die Entwicklung auf der Krim, in Kiew, in der Ostukraine, im Nordirak und die Verfolgung der Christen und Jesiden schon seit Jahren vorhergesehen. Hier hat nur niemand gemerkt, dass Sie so genial sind, Herr Pfaffmann. Das Kennzeichen eines selbsternannten Genies ist, dass außer dem Genie niemand etwas von der Genialität merkt.

(Beifall bei der CSU – Zurufe von den GRÜNEN)

Erstens. Die Welt ist an vielen Stellen aus den Fugen. Wir haben nach meiner festen Überzeugung und nach der Überzeugung aller, die sich mit diesem Thema beschäftigen, den Scheitelpunkt dieser Entwicklung noch nicht erreicht. Diese Flüchtlingsbewegung wird uns noch viele Jahre beschäftigen. Das ist meine erste Feststellung. Meine Damen und Herren, wir sollten jetzt nicht so tun, als hätte sich all das seit Jahren abgezeichnet.

Zweitens. Deutschland und Bayern nehmen im europaweiten Vergleich, ja im weltweiten Vergleich mit Abstand die meisten Asylbewerber auf. Unsere Bevölkerung und die gesamte Politik sind solidarisch. Deshalb möchte ich mich bei der bayerischen Bevölkerung für diese Solidarität bedanken.

(Anhaltender Beifall bei der CSU)

Frau Kamm, darin besteht der Unterschied zur Situation im Jahr 1989 und in den Jahren bis 1995. Damals war die Reaktion der Bevölkerung eine gänzlich andere als heute. Unser Land ist sehr von Hilfsbereitschaft, von Unterstützung, von Verständnis geprägt. Darin besteht der wesentliche Unterschied zum Beginn der 1990er-Jahre. Deshalb rede ich davon, dass wir es mit einer neuen, einmaligen, einzigartigen Herausforderung zu tun haben, die es so in Deutschland noch nicht gegeben hat.

(Beifall bei der CSU)

Frau Kollegin von den FREIEN WÄHLERN, ich finde den Vergleich mit den deutschen Heimatvertriebenen in hohem Maße unangemessen.

(Anhaltender Beifall bei der CSU)

Ich kann Ihnen nur empfehlen, dass Sie diesen Vergleich vom Tisch nehmen. Sie werden in den nächsten Wochen damit keine Freude haben. Ich sage das als Kollege.

Drittens. Meine Damen und Herren, bei allem, was wir tun, sollten wir darauf achten, wie es auf die Menschen zurückwirkt, über die wir gerade reden.

(Beifall bei der CSU)

Herr Pfaffmann, ich sage Ihnen mit vollem Ernst -

(Zuruf des Abgeordneten Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD))

- Schön langsam. Ich habe jeden Tag ohne Veröffentlichung, ohne Pressemitteilung mit dem Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München gesprochen. Eines möchte ich hier veröffentlichen: Wir waren beide immer von der Sorge getrieben, dass das, was in der Praxis beziehungsweise in der Öffentlichkeit stattfindet, durch große demokratische Volksparteien so gehandhabt werden muss, dass nicht die Geschäftemacher vom rechten Rand daraus ihren Honig saugen. Darauf müssen wir achten.

(Beifall bei der CSU)

Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich will den Sachverhalt jetzt im Zusammenhang darstellen. – Ich spare nun nicht mit der Bewertung eines Mediums, der "Süddeutschen Zeitung", deren Chefredakteur mir in einer Beurteilung meiner Person, die seit über 30 Jahren gegen den politischen Radikalismus und für soziale Gerechtigkeit in unserem Lande kämpft, ein taktisches Spielchen mit den Flüchtlingen unter

stellt. Auch das vergiftet die Atmosphäre in der Öffentlichkeit.

(Beifall bei der CSU)

Viertens. Unsere Flüchtlings- und Asylpolitik ist von drei zentralen Grundsätzen geprägt, über die wir uns beim Asylgipfel mit allen Verbänden und Betroffenen ausgetauscht haben. Dabei waren sie mit dem Ergebnis offensichtlich einverstanden, wie die Reaktionen am gleichen Tag oder danach gezeigt haben. An erster Stelle muss immer ohne Ansehen der Person die Humanität in der Unterbringung und in der Betreuung von Menschen stehen, die zu uns kommen, weil man zu Beginn eines Verfahrens ja nicht weiß, um welche Flüchtlingsgemeinschaft es geht. Das haben wir immer im Blick. Darauf achte ich als Ministerpräsident dieses Landes ganz besonders.

Fünftens. Wenn wir die Akzeptanz, die in der Bevölkerung erfreulicherweise in hohem Maße vorhanden ist, für die Solidarität erhalten wollen, müssen wir offen aussprechen, dass wir ungerechtfertigte Zuwanderung mit der Berufung auf Asyl oder andere Bleibensgründe unterbinden. Das gehört dazu, wenn wir die Akzeptanz in der Bevölkerung erhalten wollen. Das haben wir im Bundesrat getan. Mein Kollege Kretschmann hat mich dankenswerterweise dabei unterstützt.

(Beifall bei der CSU)

Etwa 20 % des Personenkreises, der sich bei uns in Bayern befindet, kommt aus den Balkanstaaten, wo man nicht ernsthaft von politischer Verfolgung sprechen kann. Es gibt in diesen Fällen keinen Grund, sich in Deutschland auf das Asylrecht zu berufen. Hinzu kommt, dass die Abkommen von Dublin und Schengen in großer Zahl einfach nicht beachtet werden. Meine Damen und Herren, was nutzen Verträge auf europäischer Ebene, die im Zuge des Zusammenwachsens Europas zwar an den Binnengrenzen keine Kontrollen mehr vorsehen, aber an den Außengrenzen die Grenzkontrollen für ganz Europa regeln, wenn diese Kontrollen auf den beiden Routen, die für uns in Bayern maßgeblich sind – Balkan und Südeuropa – faktisch nicht stattfinden? – Man wird dann schon noch sagen dürfen: Liebe Europäische Union, kümmert euch um dieses Thema und stellt das ab. Das ist nicht nur ein Problem im Zusammenhang mit der Flüchtlingsbewegung. Es ist auch ein Problem für unsere innere Sicherheit, wenn in wesentlichen Teilen der Außengrenzen Europas keine Kontrollen stattfinden. Das ist auch ein Problem.

(Beifall bei der CSU)

Zu unseren italienischen Kollegen sage ich nicht: Ihr müsst das Problem alleine schultern. Wir drängen

auch aus Bayern sehr darauf, den Italienern sowohl finanziell als auch bei der Verteilung der Flüchtlinge in Europa zu helfen. Beides gehört zu diesem Konzept. Leider gibt es in der Europäischen Union in hohem Maße bisher keinen Erfolg.

Das Sechste sage ich gleich dazu: Im Moment haben wir auf der Welt etwa 60 Millionen Flüchtlinge. Wir haben den Scheitelpunkt noch nicht erreicht. Wenn Sie das analysieren, stellen Sie fest, das liegt daran, dass wir im Bereich der Armutsflüchtlinge noch eine Zunahme erwarten müssen. Zusätzlich gibt es noch die sogenannten Klimaflüchtlinge, die nicht wegen des Klimas flüchten, sondern weil die Erderwärmung ihnen die Lebensgrundlage gerade in der Landwirtschaft entzieht. Das, was von einem Redner heute angesprochen worden ist, kann ich nur unterstreichen. Für diesen dritten Punkt brauchen wir auf europäischer, auf deutscher, aber auch auf bayerischer Ebene eine Neujustierung der Entwicklungshilfepolitik. Die Menschen müssen wir in den Regionen unterstützen, damit sie mit unserer Hilfe in ihrer Heimat bleiben können. Das gehört dazu.

(Beifall bei der CSU und den FREIEN WÄH- LERN)

Herr Pfaffmann, ich sage das, weil Sie hier so aufgetreten sind und sagten, wir hätten kein Konzept und wüssten nicht, was wir wollen. Wir haben eine klare Linie, die wir auch im Asylkompromiss oder beim Asylgipfel -

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Leute müssen auf der Straße schlafen!)

Herr Pfaffmann, ich rede mit dem Oberbürgermeister anders, als Sie hier reden. Deshalb ist das für uns maßgeblich.

Weil das zum ehrlichen Umgang miteinander gehört, darf ich noch etwas sagen. Das muss auch ausgesprochen werden. In den letzten drei oder vier Tagen ist das, was ich in der Asylpolitik umsetzen wollte, was wir wollten, nicht fehlerfrei umgesetzt worden; keine Frage. Das bedauere ich auch. Das sollten wir einräumen. Das sollten wir sagen. Wir sollten dafür sorgen, dass das abgestellt wird. Das rechtfertigt nicht, dass wir uns parteipolitisch derart bekämpfen, dass nur eine Gattung im Lande Profit daraus zieht – das sind die braunen Dumpfbacken.

(Lang anhaltender Beifall bei der CSU)

Danke schön, Herr Ministerpräsident. - Wir haben noch zwei weitere

Wortmeldungen. Zunächst hat Frau Kollegin Bause das Wort. Bitte schön.

Herr Ministerpräsident, gerade haben Sie zugegeben, dass Sie mit Ihrer Flüchtlingspolitik falsch gehandelt haben.

(Widerspruch bei der CSU)

- Okay, dann haben Sie diese Größe nicht gehabt.

(Lachen bei der CSU)

Immerhin haben Sie Versäumnisse eingeräumt. Das ist schon mal der erste Schritt. Das ist schon mal ein Fortschritt gegenüber vielem, was wir uns in den letzten Wochen und Monaten anhören mussten. Gleichwohl haben Sie sich zu Beginn Ihrer Rede betroffen über den Verlauf der Debatte gezeigt. Ich fände es besser, wenn Sie sich zum Beispiel von der Situation in der Bayernkaserne und in Zirndorf betroffen zeigen würden.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und den FREIEN WÄHLERN)

Ich habe Sie schon vor drei Wochen aufgefordert, sich in die Bayernkaserne zu begeben und sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen. Ich glaube, das wäre heute noch wichtiger als vor drei Wochen. Herr Reiter, Oberbürgermeister von München, war da. Dort müssen nicht jede Woche neue Politiker auftauchen. Aber ich glaube, wenn der Ministerpräsident dieses Landes, der für diese Situation verantwortlich ist, sich vor Ort zeigt, wäre das ein wichtiges politisches Zeichen. Ich fordere Sie noch einmal auf: Gehen Sie in die Bayernkaserne. Gehen Sie nach Zirndorf. Schauen Sie sich die Situation an. Ziehen Sie dann bitte die richtigen Schlüsse daraus.