Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 117. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Es ist zwar schon fast drei Wochen her, aber auch wir im Landtag wollen in unserer ersten Sitzung nach dem Zugunglück bei Burgrain in Garmisch-Partenkirchen der Opfer gedenken. Der 3. Juni 2022 war ein schöner, ein sonniger Tag. Pfingsten stand vor der Tür. Doch um 12:15 Uhr ist von jetzt auf gleich das Leben entgleist. Schnell wurden nach den ersten Eilmeldungen unsere schlimmsten Befürchtungen wahr: Mehrere Waggons eines voll besetzten Regionalzugs wurden aus der Spur gerissen und waren umgekippt. Ein Waggon hing am Hang. Ein anderer lag auf dem Dach. Es war eine echte Katastrophe. Es ist ein Einschnitt in das Leben der Opfer, der Retterinnen und Retter, der Menschen in der Region und auch für uns in Bayern insgesamt. Es ist ein Einschnitt, der sich in unsere Erinnerung brennt wie das schreckliche Zugunglück zwischen Bad Aibling und Kolbermoor vor sechs Jahren.
Die Unfallstelle zeugt noch immer von dem Grauen, das sich dort über Stunden und Tage ereignet hat. Noch immer leiden 68 Menschen, die zum Teil schwer verletzt wurden. Einige sind immer noch im Krankenhaus, darunter auch viele Kinder. Einige sind so schwer verletzt worden an Leib und Seele, dass für sie die Rückkehr in ihr altes Leben ein langer Weg sein wird. Vier Frauen und ein 13-jähriger Bub haben in den Zugtrümmern ihr Leben verloren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.
Wir fühlen mit den Angehörigen der Opfer. Ihnen gilt unser Mitgefühl. Mögen sie Trost finden, Halt und Kraft und irgendwann auch wieder neue Hoffnung. Unter den Toten sind auch zwei Mütter aus der Ukraine, die mit ihren Kindern vor dem Krieg geflüchtet waren. Sie haben bei uns Sicherheit gesucht und den Tod gefunden. Wir denken an ihre Kinder und ihre Familien. Wir denken an die vielen Verletzten und ihre Familien, die sich gemeinsam zurück ins Leben kämpfen. Wir beten für ihre Genesung und für Kraft in so schwieriger Zeit. –
Vielen Dank, dass Sie sich von Ihren Plätzen erhoben haben. – Angesichts der Katastrophe sehen wir viel Trauer, viel Schmerz, Wut und Verzweiflung. Die Katastrophe ist ein tiefer und dunkler Schatten. Doch gibt es auch einen kleinen hellen Funken, nämlich die Dankbarkeit beim Gedanken an den Mut und die Menschlichkeit der Helferinnen und Helfer. Hunderte von Hilfs- und Rettungskräften, viele von ihnen ehrenamtlich im Einsatz, waren an der Unfallstelle: Feuerwehr, THW, Polizei, Notärztinnen und Notärzte, Soldaten und das Kriseninterventionsteam. Aus Mittenwald waren alle vor Ort. Sie alle haben mit enormer Stärke und Größe zusammengearbeitet, weit über die Erschöpfungs- und Belastungsgrenze hinaus. Ihr unermüdlicher Einsatz an dieser gefährlichen Unfallstelle hat wirklich vielen Menschen das Leben gerettet. Das war großartig. Gemeinsam können wir uns vor ihnen verneigen und ihnen unseren allergrößten Dank aussprechen.
Nun muss ich einen harten Übergang machen: Neben all dem Schwierigen gibt es auch immer wieder schöne Geburtstage, die wir feiern können. Am 3. Juni konnte der Kollege Tobias Gotthardt einen halbrunden Geburtstag feiern. Das ist schon ein bisschen her. Die Frau Kollegin Ursula Sowa hat am 8. Juni auch einen halbrunden Geburtstag gefeiert. Beiden Geburtstagskindern wünsche ich nachträglich im Namen des Hohen Hauses alles Gute zum Geburtstag.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch Folgendes bekannt geben: Wie Sie bereits der Presse entnehmen konnten, hat der Abgeordnete Dr. Franz Rieger seinen Austritt aus der CSU-Fraktion erklärt. Von nun an wird er seine Aufgaben als fraktionsloser Abgeordneter wahrnehmen. Für Herrn Dr. Rieger gelten einstweilen die Ihnen bekannten Regelungen, die der Ältestenrat am 3. April 2019 für fraktionslose Abgeordnete beschlossen hat und die bereits bei den weiteren fraktionslosen Mitgliedern des Hohen Hauses zur Anwendung kommen.
Außerdem gebe ich bekannt, dass der Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie regionale Beziehungen in seiner gestrigen Sitzung auf Vorschlag der CSU-Fraktion anstelle von Herrn Dr. Martin Huber Herrn Dr. Gerhard Hopp zum neuen stellvertretenden Vorsitzenden gewählt hat.
Gesetzentwurf der Abgeordneten Ulrich Singer, Prof. Dr. Ingo Hahn, Dr. Anne Cyron u. a. und Fraktion (AfD) Bayerisches Sprachschutzgesetz (BaySSG) (Drs. 18/22860) - Erste Lesung
Begründung und Aussprache werden nicht miteinander verbunden. Zur Begründung erteile ich dem Kollegen Prof. Dr. Ingo Hahn das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Präsidentin! Ich grüße Sie alle zusammen, auch Sie, liebe Bayern, im ganzen Land und im Hohen Haus. Ich muss hierherkommen und ein Bayerisches Sprachschutzgesetz für unsere AfD-Fraktion fordern.
Dialekte bieten Verbindung zu Heimat und Kultur des Volkes. Wie ich an dem Raunen der GRÜNEN höre, sind Sie ganz neidisch, dass Sie nicht zuerst auf den Gedanken gekommen sind.
Aber das ist leider keine Ausnahme. Zur Sache: Es gibt viele hochsprachliche Begriffe. Man kann die Feinheiten von Begrifflichkeiten, Personen und Situationen in Nuancen aber viel besser in Regionalsprache beschreiben, vielleicht auch mit Wörtern, die kein anderer versteht. Das Bairische und andere Dialekte sind aber leider in Bayern hochgradig gefährdet. Zudem werden Dialektsprecher in allen möglichen Institutionen häufig diffamiert und diskriminiert.
Dagegen gibt es in vielen europäischen Ländern – das Internationale ist ja manchmal Ihr Vorbild – verschiedenste Sprachschutzgesetze, die sich Deutschland und Bayern zum Vorbild nehmen könnten und sollten. Beispielsweise nennen Linguisten das norwegische Sprachgesetz Språklova als Vorbild. Warum nicht auch ein Sprachgesetz im schönen Deutschland und Bayern?
In Norwegen wird nämlich die offizielle Hochsprache in sechs regionalen Standardvarietäten gesprochen und sogar geschrieben. So weit gehen wir noch gar nicht. Das Sprechen lokaler Dialekte ist darüber hinaus in allen gesellschaftlichen
Schichten und zu allen Anlässen üblich. Die Bayern, die immer so viel auf ihre Eigenheit Wert legen, sollten sich wirklich endlich ein Beispiel nehmen.
Es ist nämlich an der Zeit, meine Damen und Herren, dass sich die Staatsregierung, die heute durch eine Person vertreten ist, ansonsten durch Abwesenheit glänzt, um die Pflege und den Schutz der bayerischen Dialekte im Rahmen eines Sprachschutzgesetzes kümmert. Was könnte so manchen MdL besser bezeichnen als das fränkische Wort Haubndaucha? Wer würde leugnen, dass die eine oder andere Dame, möglicherweise auch hier im Hohen Haus, eine echte Zwiderwurzn ist? Aber auch im Bairischen finden sich ähnlich wie im Fränkischen wunderschöne Begriffe, die man auch für Politiker verwenden könnte, zum Beispiel das Quatschpatscherl oder a kloans Gifthaferl. Nicht dass sich einer hier angesprochen fühlt, Herr Schuberl! So klein sind Sie doch gar nicht.
Ich nehme mich selbst natürlich nicht aus und sage, den Hahn könnte man doch auch als ein großkopfertes Gscheidhaferl bezeichnen.
Meine konkreten Forderungen: die Gleichberechtigung der Hochsprache des Deutschen und der Dialekte und keine Diskriminierung von Personen wegen der Nutzung ihrer Dialekte in Deutschland! Dagegen werden Kinder in Schulen und Kindergärten immer noch angewiesen, Hochdeutsch zu reden und ihren Dialekt nur zu Hause zu sprechen. Das Sprachschutzgesetz, so unsere Vorstellung, verbietet es zudem Lehrern, Schulkinder zu maßregeln, wenn sie mündlich ihren angestammten Dialekt verwenden. Wir wollen eben keinen Zwang zum Code-switching. Das verstehen Sie natürlich, weil Sie die englische Sprache überall reinbringen wollen. Umso verwunderlicher ist es, dass die Kosmopoliten und Globalisten, die angeblich für alles Mögliche offen sind, hier aber immer vehement gegen das Eigene argumentieren. Meine Damen und Herren, das geht so nicht.
Wir haben eine Liste mit drei Kategorien zusammengestellt: Das Bairische, das übrigens schon seit 2009 eine gefährdete Sprache ist, das Fränkische und das Schwäbisch-Alemannische, die noch weiter untergliedert sind. Auch die Untereinheiten sind schützenswert.
Öffentliche Einrichtungen sind zum Schutz und zur Stärkung von Sprache und Kultur in Verantwortung zu nehmen. An den Behörden soll von Behördenseite Hochdeutsch gesprochen und geschrieben werden, damit jeder weiß, woran er ist. Deutsch soll als Verkehrs- und Landessprache und natürlich auch als Behördensprache festgelegt werden.
Meine Damen und Herren, als Gegenbeispiel nenne ich zu guter Letzt das Gendern. Sie sind dafür, dass das als eine Elitesprache von oben herab dem ganzen Volk gegen die Mehrheit aufgesetzt wird. Die natürliche Sprache, die die Leute wollen, wollen Sie unterbinden. Wir sind dagegen. Wir wollen ein Bayerisches Sprachschutzgesetz vorlegen. Bitte stimmen Sie zu.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst amal a herzlichs Grüß Gott! Im Bayerischen Landtag gibt es Eigenheiten, die ich trotz jahrelanger Zugehörigkeit bisher noch nicht kannte. Heute habe ich erfahren, dass wir Kabarett zum neuen Motiv erheben.
Lieber Kollege Hahn, Kabarett ist zwar eine spaßige Veranstaltung, aber eigentlich ist es traurig, festzustellen zu müssen, dass sich in den letzten vier Jahren im Grunde nichts geändert hat. Die Kolleginnen und Kollegen aus der AfD-Fraktion stellen nach wie vor Anträge nicht, um tatsächlich etwas zu ändern oder zu bewegen, sondern um Stimmung zu machen. Die Grundannahmen, lieber Kollege Hahn, die Sie heute geäußert haben, treffen schlicht und einfach gar nicht zu. So geht es schon einmal los.
Schauen wir Ihren Gesetzentwurf einmal genauer an. Sie sprechen einen wichtigen Punkt an. Unsere Dialekte und Mundarten haben unsere größte Wertschätzung verdient, machen diese doch unsere Geschichte, unsere Sprachkultur und unsere Regionen aus. Ist aber ein Bayerisches Sprachschutzgesetz ein Mittel zur Förderung unserer Dialekte? – Ich sage ganz klar Nein, und nach Ihren Ausführungen mit Verlaub gleich doppelt nicht.
In Ihrem Entwurf finde ich leider keinen einzigen Ansatz, wie unsere unterschiedlichen Dialekte wirklich ernsthaft gefördert werden sollen. Auch Äpfel und Birnen lassen sich mit Blick auf das von Ihnen angesprochene norwegische Sprachgesetz bekanntlich nicht miteinander vergleichen. Mir fehlt mit Verlaub auch jegliches Verständnis für Ihre Behauptung, dass in Medien und Politik der Dialekt unterschwellig als die Sprache zurückgebliebener Dörfler dargestellt und persifliert wird. Meine Empfehlung wäre: Gehen Sie doch einmal hinaus in die Realität. Trauen Sie sich, nicht nur in Ihrer Blase zu leben und Telegram-Post zu lesen, zu schreiben oder zu verbreiten, sondern mit den Leuten zu reden. Dann käme ein solcher Gesetzentwurf nicht zustande.
Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, aber nicht nur dort, gibt es viele Angebote mit Dialektsprache. Diese sind wertschätzend und keinesfalls diskreditierend gegenüber unseren Mundarten. Abwertend ist aber, Kollege Hahn, Ihre Problembeschreibung im Gesetzentwurf. Ich zitiere aus Ihrem Entwurf:
Eine Öffentlichkeit, die so viel auf ihren Kosmopolitismus und ihre Toleranz hält, gerät völlig außer sich, wenn sie mit phonetischer und semantischer Abweichung von der Standardvarietät konfrontiert wird. Dies ist aber ein Zeichen für eine provinzielle Denkweise und stellt eine Verächtlichmachung der eigenen Kultur dar.
"Die Öffentlichkeit" gibt es nicht bei den Menschen in Bayern; denn sie haben so viele unterschiedliche Charaktere wie Mundarten und ebenso viele Ansichten. Man kann die Menschen nicht einfach in einen Topf werfen. "[…] gerät völlig außer sich […]". Ist das wirklich Ihr Ernst? Diese Aussage würde ich eher für Konzertbesucher als zutreffend empfinden, die endlich einmal ihrem Idol näherkommen wollen, oder für Stadionbesucher, wenn der FC Bayern die Champions League gewonnen hat. Wenn Sie schon einen Gesetzentwurf zum Schutz der bairischen Sprache einbringen, dann verwenden Sie doch einfache und zutreffende Formulierungen.
Ich zitiere noch einmal: "[…] wenn sie mit phonetischer und semantischer Abweichung von der Standardvarietät konfrontiert wird […]". Diesen Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Wir reden hier über Sprache. Selbst wenn dieser Satz stimmen würde, was ich nicht erkennen kann, dann ist es schon sehr respektlos, der bayerischen Bevölkerung gegenüber, dies als "provinzielle Denkweise" zu bezeichnen. Einerseits kritisieren Sie die angebliche Sichtweise, dass Leute, die Dialekt sprechen, als zurückgebliebene Dörfler dargestellt werden. Kurz darauf bezeichnen Sie diese mit anderen Worten selbst als provinziell.
Ich bin mit dem Selbstverständnis von "leben und leben lassen" aufgewachsen. Das ist eine Eigenschaft, die manchen Kollegen hier im Alltag ganz guttun würde. Sie reden von Toleranz und Respekt. Toleranz und Respekt beruhen immer auf Gegenseitigkeit. Es gibt viele Ursachen dafür, dass heute der Anteil derer, die Dialekt sprechen, zurückgegangen ist. Eine Ursache ist, dass wir ein höchst attraktives Land sind und dadurch viel Zuzug haben. Diejenigen, die nach Bayern ziehen – mein Vorredner ist nach seiner Sprache offensichtlich selbst ein solcher –, sind nicht mit dem bairischen Dialekt aufgewachsen. Deshalb ist es auch für deren Kinder schwieriger, Mundart zu lernen, wenn sie daheim nicht gesprochen wird. Umgekehrt gibt es viele Ausländer, die nicht einfach Deutsch lernen, sondern durch ihren Alltag in Bayern einen bayerischen Einschlag bekommen haben. Das kann äußerst charmant sein.
Das Problem, dass Dialekt als heruntergekommene, verderbte Form der Sprache galt, gab es tatsächlich viele Jahrzehnte lang. Damit haben Sie recht. In meiner Kindheit, in den 1970er-Jahren, gab es diese Tendenz. Das spielt aber heutzutage überhaupt keine Rolle mehr. Unsere Dialekte werden mittlerweile als Reichtum geschätzt.
Bereits 2001 hat die damalige Kultusministerin Monika Hohlmeier gesagt, dass Schülerinnen und Schüler die Mundart als eigenständige Sprachform mit ihren Besonderheiten, Parallelen und Differenzen zur Hochsprache erfahren sollen. Ich darf kurz zitieren: