Protokoll der Sitzung vom 05.12.2019

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße alle sehr herzlich und eröffne die 34. Vollsitzung des Bayerischen Landtags.

Am heutigen 5. Dezember ist der Internationale Tag des Ehrenamtes. Ich habe aus diesem Anlass heute einige Ehrenamtliche stellvertretend eingeladen. Auf der Tribüne begrüße ich Mitglieder des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend, Diözesanverband München und Freising, der Bayerischen Schützenjugend des Bayerischen Sportschützenbundes, des Bundes der Pfadfinderinnen und Pfadfinder des Landesverbandes Bayern und der Bahnhofsmission München.

Wir freuen uns sehr, dass Sie heute hier sind. Ich darf Sie im Namen des Präsidiums und des ganzen Hohen Hauses herzlich bei uns willkommen heißen.

(Allgemeiner Beifall)

Sie stehen stellvertretend für Hunderttausende von Ehrenamtlichen in Bayern, die sich in ganz besonderer Weise für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft einsetzen. Ohne die Ehrenamtlichen in den Vereinen und Verbänden, in der Pflege, bei den Hilfs- und Rettungskräften, bei den Freiwilligen Feuerwehren, bei der Integration, im Sport, in der Heimat- und Traditionspflege, in den Kirchen und Religionsgemeinschaften und an vielen anderen Stellen in unserer Gesellschaft und ganz besonders auch ohne die Tausenden ehrenamtlichen Gemeinde-, Kreis- und Stadträte wäre unser Land ärmer. Ohne sie wäre unser Land nicht dasselbe.

Es ist ein Geschenk, dass bei uns in Bayern so viele Menschen Verantwortung übernehmen, Menschen, die sich in ihrer Freizeit mit zum Teil beträchtlichem Aufwand für die Kommunen, für ihre Vereine, für ihr unmittelbares Umfeld, einfach für unsere Mitmenschen einsetzen. Tag für Tag tun sie mehr als ihre Pflicht. Das ist praktizierte Nächstenliebe. Von ihrem Engagement lebt unser Miteinander.

Umso unerträglicher ist es, wenn Ehrenamtliche immer wieder angegriffen, angepöbelt und beleidigt werden. Deswegen ist es wichtig, dass die großen Leistungen und Verdienste, die im Ehrenamt erbracht werden, nicht nur am heutigen Tag Aufmerksamkeit, Wertschätzung, Dankbarkeit und Respekt erhalten, sondern jeden Tag. Ich wünsche Ihnen alles Gute und sage ein herzliches Vergelts Gott!

(Allgemeiner Beifall)

Bevor wir in die Beratungen eintreten, gebe ich Ihnen folgende Änderungen der Tagesordnung bekannt: Beim Tagesordnungspunkt 5, der Zweiten Lesung zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze, wurde einvernehmlich auf eine Aussprache verzichtet. Tagesordnungspunkt 10, die Zweite Lesung zum Gesetzentwurf der Staatsregierung zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften, wird auf das nächste Plenum verschoben. Die AfD-Fraktion hat drei Anträge aus der Liste zur Einzelberatung hochgezogen. Der Aufruf dieser Anträge erfolgt, soweit zeitlich noch möglich, nach der Beratung der Dringlichkeitsanträge und der Zweiten Lesung zum Hochschulzulassungsgesetz.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Verfassung achten und schützen: Integrationspolitik nach Recht und Gesetz"

Für die heutige Sitzung ist die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorschlagsberechtigt. Sie kennen das Prozedere. Jeder hat grundsätzlich fünf Minuten Redezeit zur Verfügung, eine Rednerin bzw. ein Redner darf auch zehn Minuten sprechen, was entsprechend angerechnet wird.

Ich eröffne die Debatte. Erste Rednerin ist Frau Kollegin Gülseren Demirel. Sie hat zehn Minuten Redezeit zur Verfügung.

Sehr verehrtes Präsidium, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die unantastbare Würde aller Menschen, die persönliche Freiheit, die Gleichberechtigung der Geschlechter, Rechtsstaatlichkeit, gegenseitiger Respekt, das Ermöglichen von Vielfalt, für die Mitmenschen sorgen und füreinander eintreten – das gehört zum Wertekern unserer demokratischen und modernen Gesellschaft.

Dieser Wertekern wird von den Erfinderinnen und Erfindern der sogenannten Leitkultur und all denen bedroht, die glauben, dass eine Kultur einer anderen überlegen ist. Sie wollen unter dem Deckmantel der Leitkultur unsere Freiheitsrechte beschneiden und uns in den Bevormundungsstaat des letzten Jahrhunderts schicken,

(Beifall bei den GRÜNEN)

indem sie uns vorschreiben, wie wir leben sollen. Sie wollen uns vorschreiben, wie wir denken und entscheiden sollen.

(Staatsminister Dr. Florian Herrmann: Das ist eine Unverschämtheit! – Zurufe von der CSU)

Aufgrund der Aufregung denke ich, dass ich einen wunden Punkt getroffen habe. – Sie wollen einen Teil der Bevölkerung aus der Solidargemeinschaft ausschließen und Menschen erster und zweiter Klasse schaffen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Staatsminister Dr. Florian Herrmann: Unver- schämtheit!)

Wir GRÜNEN lassen es nicht zu, dass unser Wertekern von denen zerstört wird, die sich nur auf Kosten der Schwachen groß fühlen.

Menschen sind unterschiedlich. Kein Mensch ist mehr wert als der andere. Jeder hat dasselbe Recht auf Freiheit und Würde.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Machen wir diesen Wertekern zum Maßstab der Integration, gewinnen wir alle, die Menschen, die schon lange in Bayern leben, und die Menschen, die neu dazukommen.

Wir haben das Bayerische Integrationsgesetz für verfassungswidrig gehalten. Nun hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof der von uns eingebrachten Klage in weiten Teilen recht gegeben.

(Prof. Dr. Winfried Bausback (CSU): Sie verdrehen die Wahrheit! – Weitere Zurufe von der CSU)

Sie können es ja schönreden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Versuch eines bayerischen Nebenstrafgesetzbuches ist aufgehoben. Ich erzähle Ihnen auch, warum. Artikel 14 Absatz 2 ist ein – hier zitiere ich den Bayerischen Verfassungsgerichtshof wörtlich – offenkundiger und schwerwiegender Verstoß gegen die bundesstaatliche Kompetenzordnung. Artikel 11 verstößt gegen die Programmfreiheit. Weder der Bayerische Rundfunk noch private Medien können gesetzlich verpflichtet werden, Sprachrohr einer bestimmten Auffassung zu sein, auch nicht, wenn die Landtagsmehrheit dieser Auffassung ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Artikel 13 ist unverhältnismäßig und nichtig. Es gibt nun also keine Zwangskurse, die oktroyiert werden.

Damit kommen wir zu dem Kern dessen, was uns dieses Gerichtsurteil lehrt. Nicht das Verhalten der Migranten und Flüchtlinge per se fordert unsere Werte heraus, sondern in dieser Woche musste das Verfassungsgericht unsere Werte der Meinungsfreiheit und der Rundfunkfreiheit vor dem Zugriff des CSU-Leitkulturgesetzes schützen, liebe Freundinnen und Freunde.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Unsere freiheitliche Grundordnung steht für autoritäre Experimente der CSU nicht zur Verfügung.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Ich lade Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ein, ganz im Sinne des Urteils des Verfassungsgerichts die demokratischen Werte wie die Meinungsfreiheit zu stärken. Sie müssen nicht autoritär auf den Tisch hauen und versuchen, bestimmte Meinungen zu verbieten. Vielfalt ist keine Bedrohung per se. Bayern war schon immer ein Ort des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Biografie und kultureller Prägung. Wer aber glaubt, eine bestimmte Tradition oder Religion sei einer anderen überlegen, wer glaubt, den Menschen vorschreiben zu können, wie sie ihr Leben zu führen haben, der höhlt unseren Wertekern aus.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht demokratisch, das ist autoritär. Das führt zu einem totalitären System und gefährdet unsere Demokratie. Entsprechend ist auch das Verfassungsgericht – von hier aus vielen Dank – eingeschritten. Unsere freiheitliche Grundordnung ist nicht verhandelbar. Sie ist verbindlich für Flüchtlinge, sie ist verbindlich für Familien mit Migrationshintergrund, und sie ist auch verbindlich für CSU-Abgeordnete.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gelungene Integration bedeutet, den Wertekern unserer Gesellschaft zu kennen, zu lieben und zu vermitteln. Integration gelingt dann, wenn diese Werte vorgelebt werden und von den neuen Mitgliedern der Gesellschaft verstanden und anerkannt werden. Spreche ich aber mit Menschen mit Migrationshintergrund, höre ich immer wieder, dass ihre Leistungen nicht gewürdigt werden.

Das im Integrationsgesetz skizzierte Bild von Migrantinnen und Migranten ist von negativen Vorurteilen geprägt. Das gesamte Gesetz hat einen imperativen und repressiven Ton, der die Integration verhindert und nicht fördert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Erfolgreiche Integrationsprozesse und die vielfältigen Erfahrungen bleiben leider unerwähnt. Die seit Langem gelebte und gelungene Integration wird nicht berücksichtigt.

Zudem ist es die CSU, die sich von unserem Wertekern entfernt. Die CSU verletzt die Menschenwürde,

(Prof. Dr. Winfried Bausback (CSU): Das ist ja unglaublich! Wissen Sie, was Sie da sagen? – Das ist ja Unsinn, was Sie da vortragen!)

indem sie Flüchtlinge in Anker-Einrichtungen unterbringt und ihre Rechte verletzt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die CSU trennt Familien bei Abschiebungen. Die CSU hat seit Jahrzehnten eine Assimilationspolitik betrieben und das als Integrationspolitik verkauft.

(Prof. Dr. Winfried Bausback (CSU): Bayern ist das Land der gelingenden Integration! Sehen Sie sich doch mal in Berlin um!)

Und trotzdem gelingt in Bayern Integration. Ja, das stimmt.

(Staatsminister Dr. Florian Herrmann: Nicht trotzdem, sondern deswegen!)