Protokoll der Sitzung vom 20.05.2021

Herr Kollege Häusler, Sie haben beim Gespräch der Fraktionen mit dem DGB einen eigenen Gesetzentwurf angekündigt. Das finde ich spannend, nachdem Herr Kollege Huber klar und deutlich gesagt hat, dass es zu diesem Thema keinen Gesetzentwurf geben wird. Ich hoffe, das war mehr als eine der typischen Ankündigungen der FREIEN WÄHLER, denen dann nichts folgt.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage Ihnen: Am schnellsten ginge es, wenn Sie sich auf der Grundlage unseres Gesetzentwurfs mit uns im Ausschuss zusammensetzten, damit wir die Punkte, die Sie angesprochen haben, noch einmal durchdiskutieren können. Dann könnten wir gemeinsam ein gutes Gesetz auf den Weg bringen. Wir bräuchten dann nicht, wie das beim Transparenzgesetz der Fall war, alles fünfmal vorzulegen, bis auch Sie es kapiert haben. Machen wir doch gleich etwas Vernünftiges; die Arbeitnehmer werden es uns danken!

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Karl. – Die nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Julika Sandt von der FDP-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Im Jahre 1971, also vor 50 Jahren, noch vor der Annahme des ILO-Übereinkommens, hat die FDP ihre Freiburger Thesen verabschiedet. In diesem Grundsatzprogramm steht:

Um die Qualifikation der Arbeitnehmer für die wachsenden und sich stetig verändernden Leistungsanforderungen im Betrieb zu erhalten und zu fördern,

muß der Zugang aller zum Bildungsangebot durch Freistellung, Bildungsurlaub und geeignete Beratung verbessert werden.

Sehr geehrte Kollegen von der SPD, Sie haben jetzt einen Gesetzentwurf für ein Bildungsfreistellungsgesetz vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf ist die komplette Kopie des Landesgesetzes von Rheinland-Pfalz aus dem Jahr 1993. Dieser Gesetzentwurf stammt aus der Feder einer Koalition aus SPD und FDP und atmet sehr stark den Geist von Rainer Brüderle und Herrn Prof. Heinrich Reisinger. Wir haben damals einige Punkte in diesen Gesetzentwurf hineinverhandelt, zum Beispiel dass auch ein eintägiger Bildungsurlaub anrechenbar sein soll. Ein weiterer Punkt war der Ausgleich für kleine und mittlere Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern, die dann einen gewissen Ersatz bekommen.

Dieser Gesetzentwurf ist alt und nicht auf der Höhe der Zeit. Er stammt aus dem Jahre 1993. Deshalb fehlt ein wichtiges Thema, nämlich das Thema Beratung. Deshalb sage ich: Sie hätten sich lieber von dem schleswig-holsteinischen Weiterbildungsgesetz inspirieren lassen und dort abschreiben sollen. Dieses Gesetz stammt auch aus der Feder der FDP, nämlich aus der schwarz-gelben Koalition. Dieses Gesetz ist 20 Jahre jünger. Dort ist geregelt, dass das Land eine Weiterbildungsberatung finanziert. Es ist dringend nötig, dass die Möglichkeiten zur Beratung erweitert werden.

Ein weiterer Aspekt des Gesetzes aus Schleswig-Holstein, der mir in Ihrem Gesetzentwurf komplett fehlt, ist eine Weiterbildungsdatenbank, eine Bildungsarena, wo die Angebote betrachtet und verglichen werden können. Auf dem Weiterbildungsmarkt gibt es derzeit ein großes Chaos. Deshalb fordern wir seit langer Zeit, dass hier etwas getan wird. Es ist sehr schwer, einen Überblick über die Angebote einer Region zu erhalten. Dabei darf es nicht nur um das Feld der Arbeitsagentur, nämlich um die berufliche Bildung, gehen. Auch die Unternehmen profitieren sehr stark davon, wenn ein Mitarbeiter Verantwortung übernehmen und sich politisch bilden will. Für die Kreativität kann es einen Impuls bedeuten, wenn sich jemand qualitativ hochwertig kulturell weiterbildet.

Noch etwas ist bei Ihrem SPD-Gesetzentwurf zu bedenken: Menschen mit geringer Qualifikation oder geringem Einkommen könnten von Weiterbildung am meisten profitieren. Das wissen wir. Genau für diesen Personenkreis sieht Ihr Gesetzentwurf aber keine Regelungen vor. Wir fordern seit Jahren ein einkommensabhängiges Bildungsguthaben, das sogenannte Midlife-BAföG von bis zu 1.000 Euro pro Jahr, das es gerade Menschen mit geringem Einkommen ermöglichen soll, an Weiterbildungen teilzunehmen, und zwar nicht nur in Vollzeit, sondern auch in Teilzeit, sei es berufsbegleitend oder, ganz wichtig, in der Familienphase. Das Ganze wollen wir mit einem digitalen Freiraumkonto flankieren. Dazu wollen wir die bereits existierenden Langzeitkonten weiterentwickeln. Die Arbeitnehmer könnten auf diesem Freiraumkonto für eine längere Bildungsteilzeit oder sogar eine Bildungsauszeit sparen.

(Beifall bei der FDP)

Das Fazit lautet: Wir sind für Bildungsurlaub. Aber Ihr Gesetzentwurf ist aus der Zeit gefallen und berücksichtigt gerade die Bedürfnisse derer nicht, die Weiterbildung am ehesten nötig haben. Wir haben beim Thema "Lebenslanges Lernen" einen höheren Anspruch.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Sandt. – Weitere Redner stehen nicht auf meiner Liste. Damit ist die Aussprache geschlossen. Ich schlage vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss für Arbeit und

Soziales, Jugend und Familie als federführendem Ausschuss zu überweisen. Gibt es dagegen Einwendungen? – Ich sehe keine. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 8 auf:

Gesetzentwurf der Abgeordneten Katharina Schulze, Ludwig Hartmann, Johannes Becher u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Änderung der Gemeindeordnung und weiterer Rechtsvorschriften Stärkung des kommunalen Ehrenamts (Drs. 18/11152) - Zweite Lesung

Die Gesamtredezeit der Fraktionen beträgt 54 Minuten. Daran orientiert sich auch die Redezeit der Staatsregierung. – Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Kollegen Johannes Becher von der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Sehr geehrter Herr Vizepräsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Kommunen sind das Herzstück der Demokratie. Sie leben vom Einsatz der rund 40.000 Rätinnen und Räte; die meisten davon sind ehrenamtlich tätig. Sie erfüllen eine verantwortungsvolle Aufgabe. Nach meinem Dafürhalten wird diese Aufgabe besonders gut erfüllt, wenn in den kommunalen Gremien möglichst viele Bevölkerungsgruppen, Altersschichten und berufliche

Hintergründe vertreten sind. Dafür ist es aber notwendig, die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und kommunalem Ehrenamt besser zu ermöglichen. Meine Damen und Herren, das ist das Ziel unseres heutigen Gesetzentwurfs.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dieser Gesetzentwurf bezweckt die Stärkung des kommunalen Ehrenamts. Dafür wollen wir die Gemeindeordnung und die weiteren Rechtsvorschriften ein Stück weit an die verschiedenen Lebensrealitäten anpassen. Was sind die drei wesentlichen Ziele?

Erstens. Wir wollen, dass die Kosten für die Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen, die während der Teilnahme an einer kommunalen Sitzung anfallen, übernommen werden. Das wäre familienfreundlich; das wäre vernünftig.

Zweitens. Wir wollen, dass die, die in ein Amt gewählt sind, dieses Amt auch ausführen können und einen Anspruch auf Freistellung haben. Wer gewählt ist, der muss auch die Möglichkeit haben, dass er in die Sitzung geht. Das ist unsere Forderung.

Drittens. Das ist sicher der innovativste Part. Wir wollen eine Vertretungsregelung, die es ermöglicht, bei längerfristiger Abwesenheit nicht gleich sein Mandat zurückgeben zu müssen, sondern bei längerfristiger Abwesenheit vertreten werden zu können.

Das sind die drei wesentlichen Kernpunkte, mit denen wir das kommunale Ehrenamt stärken wollen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Beim Thema der Übernahme der Betreuungskosten für Kinder und pflegebedürftige Angehörige während den Sitzungen ist darauf zu verweisen – das ist schon klar –, dass es Kommunen gibt, die das schon tun. Das ist gut. Wir denken aber, wir brauchen das bayernweit und mit flächendeckendem Anspruch. Hier habe ich im Ausschuss durchaus positive Rückmeldungen auch aus anderen Fraktionen wahr

genommen. Ich hoffe sehr, dass das Ganze im Rahmen der Evaluation tatsächlich bearbeitet wird und eine Lösung für dieses Problem gefunden wird. Das erwarten wir, weil es für ein familienfreundliches kommunales Ehrenamt flächendeckend diesen Anspruch auf Kostenübernahme braucht.

Beim Thema Freistellung gibt es einen eklatanten Unterschied, ob man im öffentlichen Dienst beschäftigt ist oder in der freien Wirtschaft. Eine Beamtin oder ein Angestellter im öffentlichen Dienst kann beispielsweise für die nachmittägliche Kreistagssitzung freigestellt werden. In der freien Wirtschaft hängt das vom Gusto des Arbeitgebers ab. Im Zweifel bleibt der Mitarbeiter halt im Büro und kann sein Amt, in das er demokratisch gewählt wurde, in der Sitzung nicht ausüben. Wir halten das für verkehrt. Wir sind der Meinung: Wer gewählt worden ist, der soll auch an Sitzungen teilnehmen können. Das bedeutet keinen Freistellungsanspruch für Freibiertermine oder Parteiveranstaltungen, aber sehr wohl für die zwingend notwendigen Termine – für Sitzungen, für Ausschusssitzungen, für Fraktionssitzungen. Das ist aus unserer Sicht sinnvoll und notwendig, und zwar nicht nur für Beamte oder für Angestellte im öffentlichen Dienst, sondern für alle, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jetzt zur Vertretungsregelung: Als wir das beantragt haben, da habe ich gewusst, wir haben etwas Neues beantragt. Das hat man im Landtag noch nicht diskutiert. Gerade beim vorherigen Punkt hat man sich beschwert, dass der Gesetzentwurf schon mal da war. Wir haben etwas Neues beantragt. Ich habe schon gewusst: Das wird nicht so einfach. Wenn man neue Ideen hat, braucht es oft Jahre, bis das dann greift und auf fruchtbaren Boden fällt. Ich stelle mich auch darauf ein, Ihnen das noch ein paarmal ans Herz legen zu dürfen. Das wird schon so sein. Aber ich mache das aus der Überzeugung heraus, dass eine solche Vertretungsregelung wirklich notwendig ist und viele positive Effekte hat, und zwar vor allem für Frauen, für junge Menschen und für Studierende und Auszubildende. Sie hätten von unserem Vorschlag den größten Mehrwert.

Man muss ganz ehrlich sagen: Man kann nicht immer nur jammern, dass auf der kommunalen Ebene so wenig Frauen und junge Leute in den Räten sind, sondern man muss auch mal bereit sein, etwas zu ändern und die Rahmenbedingungen anzupassen. Das tun wir mit diesem Gesetzentwurf, meine Damen und Herren. Es geht um folgende Situation: Die Kommunalwahl steht kurz bevor; man sucht Kandidierende. Dann spricht man unter anderem mit jungen Leuten und versucht, sie zu überzeugen zu kandidieren. Dann sagen die: Für sechs Jahre bin ich da gewählt. In diesen sechs Jahren kann viel passieren. – Dann gibt es entsprechende Ängste, und es gibt Zweifel: Kann ich die sechs Jahre durchhalten? Muss ich dann irgendwann zurücktreten? – Das ist soweit auch berechtigt.

Ich sage Ihnen noch ein paar Beispiele: Junge Menschen sagen mir: Ich studiere gerade, und da ist vorgeschrieben, ich muss einmal ein halbes Jahr ins Ausland. Also kandidiere ich gleich gar nicht für den Gemeinderat, weil ich in den sechs Jahren einmal ein halbes Jahr nicht da bin. – Oder sie sagen: Heute wird es in der Vita verlangt, dass man einen Auslandsaufenthalt hat und längere Zeit nicht da ist. – Es gibt ja keine Möglichkeit. Wenn man nicht da ist, dann kann man entweder zurücktreten, oder man fehlt monatelang, und der Stuhl verwaist.

(Zurufe)

Es ist ja nicht so, dass man, wenn man zurückgetreten wäre, dieses Amt wiederbekommt.

Ich möchte noch ein anderes Beispiel nehmen, Herr Prof. Hahn von der AfD. Ich sage es Ihnen schon.

(Zurufe)

Es wäre schön, wenn Sie zuhören würden! Meine Kollegin im Stadtrat – –

(Zurufe)

Hören Sie bitte schön halt einmal zu! – Meine Kollegin im Stadtrat ist eine junge Mutter. Schauen Sie her: Im Januar 2021 hat sie ein Kind bekommen, und sie hat jetzt ihr Baby immer bei uns in der Stadtratssitzung dabei. Das Baby ist zuckersüß, und sie hat Glück, weil das Kind wirklich tauglich für Stadtratssitzungen und vollkommen pflegeleicht ist.

(Heiterkeit)

Wer weiß, ob es länger so bleibt. Derzeit läuft es wunderbar. Für die Mutter ist es sehr anstrengend. Das kann ich Ihnen sagen. Das ist eine sehr anstrengende Situation. Sie hätte sich gerade für die ersten Monate eine Vertretungsregelung gewünscht. Aber sie macht es trotzdem. Das bereitet Stress, und sie zieht es durch. Das ist wirklich großartig. Aber andere kandidieren gar nicht erst – genau deswegen, weil sie den Aufwand scheuen und sich die öffentlichen Diskussionen nicht antun wollen.

(Zuruf)

Oder sie sind schon gewählt und hören dann zwischendrin auf, weil sie sagen: Ich mache Familienpause. – Das bedeutet, derzeit gibt es keine Vereinbarkeit von Familie und kommunalem Ehrenamt. Da muss man doch etwas tun, meine Damen und Herren!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich weiß schon: Jetzt reden wieder nur Männer zu diesem Tagesordnungspunkt. Vielleicht tut sich der eine oder andere auch schwer, sich in die Rolle einer jungen Mutter einzufühlen; aber ich glaube, dass unser Vorschlag mit der Vertretungsregelung gerade Frauen zugutekommt. Ich würde mich sehr freuen, wenn sich mehr Männer dafür einsetzen würden, dass mehr Frauen in den kommunalen Gremien eine Chance haben und dort dabei sind, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte Ihnen noch ein drittes Beispiel aufzeigen, nämlich eine Sache, die auch jedem von uns passieren kann, der auf der kommunalen Ebene tätig ist. Es kann mal sein, dass man längerfristig ausfällt, weil man erkrankt. Diese Möglichkeit besteht. Krankenhausaufenthalt, Reha, Therapie, all diese Dinge. Was macht man dann, wenn man monatelang nicht da ist, fünf, sechs oder sieben Monate ausfällt? – Es gibt zwei Möglichkeiten: Man kann zurücktreten. Man ist zwar für sechs Jahre gewählt und bekommt sein Mandat nicht zurück, wenn man wieder fit ist; aber man kann zurücktreten. Das ist aber, ehrlich gesagt, ziemlich schade und eine schlechte Lösung. Oder man ist monatelang nicht da. Das ist auch eine schlechte Lösung. Da wäre es eine vernünftigere Lösung, wenn man für diese Zeit der Abwesenheit, wenn man längerfristig nicht da ist – wir haben einen Zeitraum von mindestens drei Monaten bis maximal zwölf Monate beantragt –, die Möglichkeit hat, dass in dieser Zeit der erste Nachrücker oder die erste Nachrückerin hier die Vertretung übernimmt. Das ist ja auch anderswo möglich. Ich verweise auf Tirol; ich verweise auf Salzburg. Das wird dort praktiziert. Wir sollten diesen Gedanken in Bayern weiterverfolgen und eine solche Vertretungsregelung schaffen.