Protokoll der Sitzung vom 20.05.2021

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz erlaubt es den großen Plattformbetreibern, nach eigenem Geschmack –

Herr Kollege Markwort!

– Inhalte auszutilgen.

Können Sie mich hören?

Aus Angst vor Bußgeldern –

(Heiterkeit)

Hallo, Herr Kollege Markwort?

– löschen sie Inhalte, die ihnen heikel erscheinen.

Hallo, Herr Kollege Markwort, Ihre Sendezeit ist definitiv zu Ende,

Tausend Content-Moderatoren durchforsten die Texte.

Und die nachfolgenden Sendungen verschieben sich auf unabsehbare Zeit.

(Heiterkeit)

Lieber löschen sie zu viel. Dieses Gesetz muss geändert werden.

(Beifall bei der FDP)

In Ordnung.

Danke schön.

Vielen Dank, Herr Kollege Markwort. – Nächster Redner ist Herr Kollege Josef Schmid für die CSU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als ich vor zwei Tagen – vielleicht war es auch erst gestern – gefragt wurde, ob ich heute einen Redebeitrag zum Thema "Freiheit in Netz und Medien – für eine offene und freiheitliche Debattenkultur" übernehmen könnte, und dann erfahren habe, dass dieses Thema auf Vorschlag der AfD-Fraktion behandelt wird, habe ich wirklich gedacht, ich bin im falschen Film.

Sie haben in jede Ihrer Reden die ständige Provokation eingebaut. Sie würdigen in fast jeder Ihrer Reden Kolleginnen und Kollegen aus dem Parlament herab. Zudem leugnen Sie Fakten. Ich sage nur: starre Weltansichten, zwanghafte Vorstellungen von einer Wirklichkeit, die nur in Ihren Köpfen herrscht, und die permanente diffuse Angst vor und Hetze gegen Menschen mit Migrationshintergrund.

Meine Damen und Herren, dass Sie von der AfD dieses Thema der Aktuellen Stunde mit der Forderung nach einer freiheitlichen Debattenkultur verbinden, ist ein totaler Witz und wahrscheinlich noch viel mehr.

(Beifall bei der CSU und den FREIEN WÄHLERN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Meinungsfreiheit ist die Grundvoraussetzung für eine freie und demokratische Gesellschaft. Deswegen ist Artikel 5 Absatz 1 unseres Grundgesetzes so wichtig. Darin heißt es:

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Das ist vor dem Hintergrund unserer Geschichte wichtig.

Aber die Meinungsfreiheit hat auch Grenzen, nämlich in der Schmähkritik, in formalen Beleidigungen, in der Herabsetzung und in der Diffamierung des Gegenübers. So steht es in Artikel 5 Absatz 2 des Grundgesetzes. Da sind Sie von der AfD ganz vorne mit dabei.

Als beispielsweise Bundeskanzlerin Angela Merkel in Quarantäne war, gab es die folgende Reaktion Ihres Fraktionsmitglieds Winhart: "Gut, hinter Gitter wäre besser, aber is ja schon mal ein Anfang." Finden Sie, dass das noch irgendetwas mit einer offenen und freiheitlichen Debattenkultur zu tun hat? Finden Sie, dass die Fototäuschung des Kollegen Stadler, der dafür einen Strafbefehl bekommen hat, mit

unserer Präsidentin aus dem Bayerischen Landtag noch irgendetwas mit einer offenen und demokratischen Debattenkultur zu tun hat? Finden Sie, dass Ausdrücke wie "Kopftuchmädchen" und "alimentierte Messermänner" von Alice Weidel noch irgendetwas mit einer offenen und demokratischen Debattenkultur zu tun haben? – Nein, meine Damen und Herren, Ihre Beleidigungen und Ihre zum Teil auch hasserfüllten Reden – das haben Sie an dem Beispiel gerade gesehen – sind das schlechteste Beispiel. Deswegen ist es ein Witz, dass genau Sie dieses Thema hier aufziehen.

(Beifall bei der CSU und den FREIEN WÄHLERN)

In der Anonymität des Internets ist das Ganze noch viel schlimmer. Warum? – Weil man mehr Leute erreicht und weil sich diese Informationen, die keine Informationen sind, sondern Schmähkritik und Beleidigungen, schneller verbreiten. Es ist etwas anderes, ob man jemandem etwas ins Gesicht sagt oder ob man das einfach in das Netz stellt. Das ist oft der Nährboden für Gewalt, Ausschreitungen und alle diese Dinge, die uns heute zu schaffen machen.

Deswegen ist es völlig richtig, Herr Kollege Adjei, dass wir etwas machen müssen. Aber das hat die Staatsregierung bereits gemacht. Wir haben ein hervorragendes Konzept unseres Bayerischen Staatsministers der Justiz, der das nachher noch betonen und darstellen wird, gegen Hate Speech, mit einem Hate-Speech-Beauftragten – ein zentrales Element – und der Verbreitung über alle 22 bayerischen Staatsanwaltschaften hinweg. In der Juristenausbildung wird ein besonderer Wert auf die Tatbestände gelegt, die durch Verleumder, Beleidiger und Hetzer erfüllt werden.

Schließlich hat der Bundestag am Donnerstag, dem 6. Mai, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz beschlossen. Auch dazu wird der bayerische Staatsminister noch einiges sagen.

Wenn Sie von der AfD zu einer offenen und freiheitlichen Debattenkultur beitragen wollen, dann, so glaube ich, ist es einfach das Beste, wenn Sie gar nichts mehr sagen.

(Beifall bei der CSU und den FREIEN WÄHLERN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schmid. – Nächste Rednerin ist für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Kollegin Susanne Kurz.

Sehr verehrtes Präsidium, geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Die inhaltliche Auseinandersetzung ist Grundnahrungsmittel einer lebendigen Demokratie. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Meinungsfreiheit ist aber keine Rechtfertigung für Ausgrenzung und Beleidigung.

Wer die Würde anderer Menschen infrage stellt, äußert keine Meinung und will sich nicht inhaltlich auseinandersetzen, sondern betreibt geistige Brandstiftung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Widerspruch und klare Kante in der Debatte sind bei geistiger Brandstiftung wichtig und richtig; denn Demokratien sterben heute nicht mehr laut, sondern leise.

Ziemlich genau vor vier Jahren war es, im Angesicht der Bundestagswahl 2017, als sich die Redaktion von "ZEIT ONLINE" um die Diskurse in unserem Land so sehr sorgte, dass sie beschloss, etwas zu verändern. Dass wir alle Fakten gerne ausblenden, die nicht unserer Überzeugung entsprechen, haben zahlreiche Studi

en belegt. Dass es also nicht ausreicht, Fake News einfach nur richtigzustellen, ist die Folge daraus.

Die Redaktion überlegte sich: Wie können wir den Zentrifugalkräften unserer Gesellschaft entgegenwirken? – Eine Art "Tinder für die Politik" war die Lösung. "Deutschland spricht" war geboren. Unter der Prämisse: "Würden Sie gerne einen Nachbarn treffen, der komplett andere Ansichten hat als Sie?", trafen sich so seit Beginn des Projekts über 60.000 Menschen zum persönlichen Gespräch. In mehr als acht Ländern gibt es das Konzept inzwischen. Etliche Medienpartnerinnen und Medienpartner sind dabei. Die wissenschaftliche Begleitung des Projekts zeigt: Ja, rund zwei Drittel überdenken eine festgefahrene Meinung. Ja, es macht allen Spaß, die zum Treffen gekommen sind.

Doch die Redaktion der "ZEIT" musste erkennen, dass auch sie eine Art Filterblase ist und dass in den Anmeldungen zum "Polit-Tinder ‚Deutschland spricht‘" nur ganz bestimmte Menschen gematcht wurden, weil sich nämlich nur bestimmte Personen überhaupt angemeldet hatten. Woran lag das? – Das lag daran, dass die "ZEIT" nicht von allen Menschen in diesem Land gelesen wird.

Für eine gute Demokratie braucht es menschliche Interaktion, Konflikt, Argumente und Debatte. Aber es braucht auch eine breite Beteiligung unserer Gesellschaft, eine Sichtbarkeit und Hörbarkeit marginalisierter Gruppen, ein Raumgeben für Stimmen, deren Biografie eine andere ist als meine – die anders aussehen als ich, die anders leben, lieben oder glauben. All diese Menschen müssen gehört werden, und das an den unterschiedlichsten Orten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Ich sitze im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks. Unter uns Mitgliedern ist eine einzige Person nicht weiß. Behindertenverbände entsenden ebenfalls nur eine einzige Person, Queer-Verbände niemanden. Auch eine muslimische Vertretung gibt es bis heute dort nicht.

In Medienhäusern – seien es Zeitungen, Zeitschriften oder Fernsehsender, privatrechtlich und öffentlich-rechtlich – haben wir eine sehr ähnliche Situation. Das ist ein Problem. Das bildet nicht die Wirklichkeit ab, in der wir leben, nicht die Lebensumstände und nicht die Meinungen der Menschen, mit denen wir zusammenleben.

Es gibt erste zaghafte Versuche, jenen eine Stimme zu geben, die zu lange aus Bequemlichkeit, Gewohnheit oder Angst als irrelevante Minderheit abgetan wurden. Aber auch da ist es wieder die Filterblase, die diese Stimmen oft erstickt, weil sie eben nicht laut sind, nicht populistisch, sondern nur anmerken wollen, was sonst eigentlich noch bedacht werden sollte.

In meinem Stimmkreis leben Menschen aus über hundert Nationen friedlich zusammen. In der Moderation von Sendungen des BR oder als Figuren fiktionaler Angebote, bei denen die Herkunft keine Rolle spielt, kommen sie nicht vor. Auch gibt es fast keine Figuren, die eine Behinderung haben, ohne dass das explizit Teil der "Problematik" ist, wie der blinde Detektiv oder eine Lehrerin in einer Serie, die einfach so eine Transfrau ist. Warum sehe ich das nicht?

Offene Debattenkultur, liebe Kolleginnen und Kollegen, lebt davon, wie vielstimmig eine Gesellschaft ist. Vielfalt in Film und Fernsehen, in Radio und Zeitung hat sehr viel mit dieser Vielstimmigkeit zu tun. Wenn wir viele Stimmen zulassen, ihnen Raum, Sichtbarkeit und Gehör geben in unseren Medien, dann haben wir die Chance, statt der schrägen Kakofonie der wenigen sehr Lauten einen Vielklang aller zu hören, der unsere Demokratie stärkt und bereichert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Kurz. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion der FREIEN WÄHLER Frau Kollegin Gabi Schmidt.