Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich die Klasse 9 a der Schule Bardowickstraße und Teilnehmerinnen des Girls’ Day und Teilnehmer des Boys’ Day.
Zur Abwicklung der Tagesordnung wurden interfraktionelle Absprachen getroffen, die Sie dem Umdruck der Tagesordnung mit dem Stand von heute 9.00 Uhr entnehmen können.
Ich möchte noch auf Folgendes hinweisen: Gestern hat es hier eine Debatte gegeben, in der Vizepräsidentin Schön präsidierte, Herr Erlanson das Wort hatte und ein Abgeordneter aus der CDU-Fraktion einen Zwischenruf machte. Der Redner antwortete mit einem unparlamentarischen und zu kritisierenden Ausdruck. Das rüge ich ausdrücklich! Ich möchte ihn hier nicht wiederholen, aber er steht im Protokoll. Ich rüge ihn, er ist nicht parlamentarisch. Ich bitte darum, sich bei emotionalen Debatten zu zügeln, damit wir respektvoll miteinander umgehen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben einen Dringlichkeitsantrag zu einem Thema eingebracht, dessen Brisanz weite Teile der Öffent
lichkeit, aber auch ein großer Teil der Medien nach meinem Empfinden bislang noch nicht wahrgenommen hat. Ich spreche von dem Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschaftsund Währungsunion, der kurz Fiskalpakt genannt wird.
Dieser Vertrag ist Anfang März 2012 von 25 Regierungs- und Staatschefs mit Ausnahme von Großbritannien und Tschechien unterschrieben worden. Er soll im Laufe dieses Jahres in den nationalen Mitgliedsstaaten ratifiziert und dort in den nationalen Verfassungen verankert werden. Dem Plan nach soll er zum 1. Januar 2013 in Kraft treten.
In Deutschland sieht der Zeitplan der Bundesregierung vor, dass dieser Vertrag noch vor der Sommerpause im Eiltempo den Bundestag und den Bundesrat durchläuft, und das, obwohl wesentliche Detailfragen dieses Vertrags überhaupt noch nicht geklärt sind, obwohl gerade in diesen Detailfragen die Brisanz des ganzen Vertrags steckt, die weitreichende Auswirkungen haben wird. Die Bundesregierung ist bei diesem Eiltempo bemüht, den Ball in der ganzen Sache in der Hoffnung flach zu halten, damit es kein Thema wird, über das man sich aufregt. Sie selbst verfolgt eine Linie, in der sie bemüht ist, das so darzustellen, als sei dieser europäische Fiskalpakt gewissermaßen die Fortsetzung der deutschen Schuldenbremse, angereichert um bestimmte Beschlüsse, die auf europäischer Ebene schon gefasst worden sind, also qualitativ nichts Neues.
Genau das stimmt jedoch nicht! Dieser Fiskalpakt hat mindestens drei qualitativ neue Aspekte. Erstens, der Fiskalpakt begrenzt den zulässigen strukturellen Neuverschuldungssaldo künftig auf 0,5 Prozent des Bruttoninlandsprodukts. Das klingt auf den ersten Blick mehr, als es in Deutschland mit den 0,35 Prozent ab dem Jahr 2020 sein wird, aber er hat eine andere Bemessungsgrundlage. Es geht nicht allein um den Saldo bezogen auf Bund und Länder, sondern diese neue Obergrenze bezieht sich auf Bund, Länder, Gemeinden und die Sozialversicherungssysteme, das heißt, auf den gesamtstaatlichen Haushalt, und das bedeutet eine Verschärfung.
Der zweite Punkt ist, dass diese neue Obergrenze nicht allein im Grundgesetz verankert werden soll, sondern zusätzlich als automatischer Korrekturmechanismus in die Verfassung geschrieben wird, der in Kraft tritt, wenn das Ziel der 0,5-Prozent-Grenze verletzt wird. Einen solchen automatischen Korrekturmechanismus kennen wir bislang nicht, und er steht auch nicht im Grundgesetz.
Der dritte Punkt betrifft eher die europäische Ebene. Dort wird das sogenannte Verfahren bei übermäßigen Defiziten in der Hinsicht verschärft, dass die nationalen Staaten und Parlamente der Länder, die künftig einem solchen Verfahren unterliegen – möglicherweise werden es eben nicht nur die Staaten der Peripherie sein, auch Deutschland liegt über den Schul
dengrenzen, um die es heute geht –, nicht mehr allein entscheiden dürfen, wie sie dieses strukturelle Defizit verringern wollen, sondern sie müssen sich das durch den Europäischen Rat und die Europäische Kommission genehmigen lassen.
Dieses Verfahren berührt die Haushaltsautonomie der Parlamente und geht im Grunde genommen an den Kern des Selbstverständnisses der Parlamente. Es handelt sich hier also mindestens um drei neue Aspekte. Herr Dr. Kuhn wird noch die europäische Dimension beleuchten, auch da gibt es Besonderheiten.
Diese neuen Aspekte werfen zugleich neue Fragen auf! Die wichtigste Frage ist: Wie wird eigentlich dieser strukturelle Saldo insbesondere auch in konjunktureller Hinsicht definiert? Wie soll dieser sogenannte mittelfristige Anpassungspfad an den neuen Saldo eigentlich umgesetzt werden? Ist er mit der deutschen Schuldengrenze synchronisiert, oder ist er nicht synchronisiert? Vierte Frage: Wie sieht eigentlich dieser automatische Korrekturmechanismus aus? Betrifft er nur den Bund, oder betrifft er auch die Länder?
Fünftens: Wenn wir einmal in solch ein Verfahren zum Abbau übermäßiger Defizite kommen sollten, wie sieht solch ein Verfahren eigentlich aus? Betrifft es nur den Bund, oder betrifft es auch die Länder und Kommunen in diesem Bereich? Das sind natürlich brennende Fragen, die auch und vor allem die Bundesländer betreffen und die insbesondere für Bremen wichtig sind. Eines ist doch klar, wenn bei der innerstaatlichen Umsetzung dieses Vertrags praktisch der Konsolidierungsweg verschärft wird, wird das unsere Möglichkeiten übersteigen. Für uns ist es deshalb von ungemein wichtigem Interesse, dass zunächst klargestellt wird, dass die Haushaltsautonomie der Länder nicht eingeschränkt wird.
Für uns ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir eine Garantie bekommen, dass der Konsolidierungsweg für Bremen nicht verschärft wird. Ich gehe davon aus, dass ohne Klärung dieser grundlegenden Fragen eine Zustimmung Bremens nicht möglich sein wird. Ich hoffe, dass das alle Parteien hier im Haus so sehen. – Danke!
bei allen Fraktionen, dass wir heute kurzfristig den Antrag zum Fiskalpakt diskutieren können! Das Land Bremen nimmt am Prozess der Ratifizierung teil, der am 11. Mai im Bundesrat beginnt. Wir sind der Überzeugung, dass die Bürgerschaft das von uns immer wieder reklamierte Recht der Einflussnahme und der Formulierung von politischen Positionen, mit denen der Senat dann in die Verhandlung geht, auch wahrnehmen sollte. Dieser Fiskalpakt berührt unmittelbar bremische Interessen.
Der Kern – Herr Gottschalk hat es dargelegt – ist die Verpflichtung der 25 Unterzeichnerstaaten, dass jeder für sich eine Selbstbindung zur Begrenzung der Schuldenaufnahme in etwa nach deutschem Muster einführt und auf mittlere Sicht die schon aufgelaufene Verschuldung vermindert. Zur Umsetzung sind Konsultationen, Kontrollen und Sanktionen vorgesehen.
Es gibt an diesem Pakt viel Kritik, vor allen Dingen an der Form, wie dieser zwischenstaatliche Vertrag ohne öffentliche und parlamentarische Debatte außerhalb der europäischen Institutionen, daher auch ohne parlamentarische Begleitung und Vollzug und in ganz unklarem Rechtsverhältnis zu den EU-Verträgen, zustande gekommen ist. Das Ganze ist verfassungsrechtlich und EU-rechtlich gesehen so eine Art Bastard und nach unserer Überzeugung ohne Not gemacht, denn wenn in der Europäischen Union zwei Staaten etwas nicht mitmachen wollen, dann erlauben die Verträge den anderen Weg der verstärkten Zusammenarbeit wie beim Euro, wie beim Schengener Abkommen und wie bei anderen Fragen. Frau Merkel und Herr Sarkozy aber wollten gerade dieses Zwittergebilde außerhalb der Verträge.
Ist jetzt unsere Schlussfolgerung, diesem Vertrag schlank die Ratifizierung zu verweigern? Das ist nicht die Antwort der Grünen, meine Damen und Herren, denn wir sind wie bei der Schuldenbremse im Grundgesetz der Auffassung, dass wir die europäische Finanzwirtschaft und Verschuldungskrise nur durch beides, Solidarität und Solidität, bewältigen können, das gehört zusammen.
Wir haben in den vergangenen drei Jahren immer wieder kritisiert, dass die deutsche Regierung bei den Hilfsmaßnahmen für die europäischen Krisenländer zu lange gezögert und sie damit in der Regel noch teurer gemacht hat, und leider hat sie diese Hilfe oft auch mit demagogischer Begleitmusik vergiftet. Trotzdem, wenn wir uns die Ergebnisse ansehen, die Rettungspakete, den Schuldenschnitt für Griechenland, den Stabilitätsmechanismus und das Eingreifen der
EZB, dann müssen wir trotz aller Differenzen auch konstatieren, die Bereitschaft der europäischen Regierung, vor allem aber die Bereitschaft der europäischen Gesellschaften und auch der Menschen in Deutschland zu helfen, auch mit erheblichen Risiken zu helfen, war und ist insgesamt groß.
Ich finde, das sollten wir auch einmal positiv bei allen Debatten und Differenzen festhalten. Diese Solidarität ist natürlich im gemeinsamen Interesse – das ist auch für uns gut –, aber selbstverständlich ist eine solche Solidarität deswegen noch lange nicht!
Wir sind jedoch überzeugt, die Bereitschaft dazu – das gilt im innerdeutschen Verhältnis ja ganz genauso – kann man politisch nur durch das Gegengewicht einer gemeinsamen Selbstbindung aufrechterhalten und nicht als Freifahrtschein für weitere Verschuldungen nehmen. Deswegen sind wir Grünen grundsätzlich offen dafür, dem politischen Kern dieses Fiskalpakts zuzustimmen.
Nun beginnt das Feld der politischen Beratung! Erstens, es müssen viele Details vor einer möglichen Zustimmung geklärt sein. Herr Gottschalk hat in seinem ersten Beitrag vor allen Dingen auch die offenen Fragen dargelegt. Das ist die Frage des tatsächlichen Mechanismus der Korrektur, und das ist die Frage, wie das später zulässige Defizit auf Bund, Länder und Kommunen aufgeteilt wird. Das Land Bremen muss, und das ist ein Kernsatz für die Verhandlungen, für die Position Bremens, die Garantie haben, dass der vereinbarte Konsolidierungsweg hier im innerstaatlichen Verhältnis durch den Fiskalpakt nicht verändert wird. Das muss grundsätzlich geklärt sein!
Zusätzlich wollen wir, dass die Debatte zum Fiskalpakt mit anderen politischen Vorhaben verbunden wird, die nach unserer Überzeugung zur Lösung der Krise notwendig sind. Ich nenne zunächst einmal die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, um die Verursacher der Krise an den Kosten zu beteiligen und die Spekulationen einzudämmen. Ich werde im zweiten Beitrag auch noch etwas zu der Frage der Bund-Länder-Anleihen, den sogenannten Deutschland-Bonds, sagen.
Ganz wichtig ist aber, und das ist die zweite Säule, der Fiskalpakt, die Rückkehr zu geordneten Haushalten durch Einnahmeverbesserung und Sparanstrengungen ist nur die eine Seite. Wir müssen diesen Ländern, um die es heute geht, auch dabei helfen, die Spirale der Abwärtsbewegung zu stoppen, um neue Perspektiven für mehr Beschäftigung und bessere Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen.