Meine Damen und Herren, wir haben Sie vor zwei Tagen aufgefordert, angesichts der massiven Probleme dieses Bundeslandes ein Landesprogramm zur Armutsbekämpfung aufzulegen, das hätte viele der Maßnahmen, die ich eben genannt habe, enthalten können. Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen auf den Regierungsbänken, auch nur einen Teil dieser Maßnahmen, die ich hier eben vorgeschlagen habe, in Ihre Koalitionsvereinbarung aufgenommen hätten, wäre ich an dieser Stelle schon zufrieden und würde Sie an diesen Punkten in vollem Umfang unterstützen.
Aber ich weiß auch, dass von den Fraktionsvorsitzenden der Regierungsfraktionen gleich der Einwand kommen wird, dass das etwas kostet und dass DIE LINKE mit diesen Forderungen die Zinsbeihilfen riskieren wird.
Herr Tschöpe, das stimmt, solch ein Programm kostet etwas. Wir haben es ausgerechnet, allein in den Bereichen frühkindliche Bildung, Bildung und Ausbildung würde es 50 Millionen Euro im Jahr kosten. Das wäre ein ganz wichtiger Teil des Landesprogramms Armutsbekämpfung. Herr Tschöpe, Sie haben diese Summe in Ihrem Koalitionsvertrag eigentlich schon geparkt, sie nennt sich dort Ausgleichsbetrag für Risiken 2015. Sie müssten sich eigentlich nur einen Ruck geben, dann könnte man hier auch einmal über andere Dinge diskutieren.
Damit komme ich zum eigentlichen Kern der Debatte! Herr Sieling ist zu Recht in die Debatte über die Finanzen gegangen. Für Bremen und Bremerhaven gibt es in den kommenden Jahren zwei große Herausforderungen. Die eine ist die Haushaltsnotlage und die Herausforderung, Haushalte so zu planen, dass Bremen jährlich die 300 Millionen Euro Zinsbeihilfen bekommt und dass es darüber hinaus – das ist viel wichtiger – ab 2019 eine auskömmliche Finanzausstattung erhält. Die andere große Herausforderung ist die soziale Lage. Das ist die Herausforderung, Politik so zu gestalten, dass soziale Spaltung und Armut abnehmen anstatt zuzunehmen und Bremen die Schlusslichtposition bei Bildung, Arbeitslosigkeit und Armutsgefährdung endlich verlässt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre ziemlich blauäugig, nur eine dieser Herausforderungen anzunehmen. Man kann ein Bundesland nicht finanziell sanieren, wenn es sozial auseinanderfällt, und zwar aus mehreren Gründen. Viele davon sind hier schon
debattiert worden, aber einer ist übrigens, Herr Tschöpe und Frau Schaefer, dass Armut auch etwas kostet, und zwar eine ganze Menge, und das auch auf Dauer. 50 Millionen Euro für Armutsbekämpfung sind eine eher bescheidene Summe im Vergleich zu 850 Millionen Euro, die wir jedes Jahr für Sozialleistungen zahlen. Es gibt also nicht nur eine soziale Notwendigkeit, Armut zu verringern.
Auf der anderen Seite – auch das muss gesagt werden – kann man aber natürlich auch keine langfristige soziale Politik betreiben, wenn es nicht gelingt, die notwendigen Weichenstellungen bei den Finanzbeziehungen herzustellen. Im politischen Programm der Regierungskoalition und genauso in der Regierungserklärung, die wir vorhin gehört haben, kommen zwar beide Ziele vor, aber es besteht überhaupt kein Gleichgewicht zwischen beiden Zielen.
Die finanzielle Lage enthält konkrete Zielzahlen, konkrete Etappenziele und konkrete Maßnahmen. Da steht nicht vage, wir werden versuchen, so gut es geht, mit den vorhandenen Mitteln auszukommen, und auch nicht, wir geben uns einmal ein bisschen Mühe bei der Neuverschuldung oder wir brauchen Fortschritte bei der Haushaltskonsolidierung. In der Koalitionsvereinbarung gibt es ein eisernes Gerüst von Zahlen und ganz am Schluss eine Tabelle sowie die Streichliste auf den Seiten 119 bis 121, und da kann man durchaus von einem Landesprogramm Haushaltssanierung sprechen. Ob das funktioniert, steht auf einem anderen Blatt, aber es gibt einen Plan.
Einen derartigen Plan, ein derartiges Programm gibt es für die Bekämpfung sozialer Spaltung und Armut nicht, man findet in der gesamten Koalitionsvereinbarung keine Ziele, keine Etappen. Da steht zum Beispiel nicht wie im Bereich Finanzen, wir wollen bis 2020 die Armutsquote auf den Bundesdurchschnitt reduzieren – das wäre ein gutes Ziel –, oder für die Abiturquoten in den benachteiligten Ortsteilen gibt es folgende jährliche Ziele. Nichts! Im Bereich der sozialen Spaltung und der Armutsentwicklung steht in Ihrer Koalitionsvereinbarung immer nur: Wir geben uns Mühe, wir streben an, man könnte einmal ein Modellprojekt in Erwägung ziehen.
Insofern halten wir das gesamte Regierungsprogramm nicht nur für unzureichend, weil es eine der beiden großen Herausforderungen dieses Bundeslandes nicht annimmt, sondern wir halten es sogar für tendenziell gefährlich, ich habe es in der letzten Woche schon angedeutet. Man muss sich in der Tat fragen, auf welchen Staat diese Landesregierung künftig zusteuern will.
Ich möchte hier nur an eine Debatte erinnern, die in den letzten Monaten aufgekommen ist, nämlich im Zusammenhang mit der Neuregelung der Bund-Länder-Finanzen: Wenn es darauf hinausläuft, dass jetzt noch bundesgesetzlich geregelte Sozialleistungen
künftig in das Ermessen der Länder und Kommunen gestellt werden, dann haben wir hier ein Problem, und nachdem vorhin ich Ihre Regierungserklärung gehört habe und wenn ich mir Ihr Regierungsprogramm ansehe, dann hoffe ich nicht, dass dieser rotgrüne Senat auf diese Option zielt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich möchte noch kurz ein paar Vorhaben der Koalition aufgreifen! Bei der Polizei ist eine wesentliche Neuerung der geplante Abbau von Doppelstrukturen zwischen den beiden Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven. Die Einführung einer Landespolizei bedeutet im weitesten Sinne eine organisationspolitische Auflösung der Ortspolizei Bremerhaven und die Einordnung der Polizei Bremerhaven als Direktion der Landespolizei. Das ist ein weitreichendes und deutlich formuliertes Ziel, das in der Umsetzung sicher nicht reibungslos funktionieren wird. Wichtig ist es unserer Auffassung nach daher, einen Prozess zu organisieren, in dem sich alle Beteiligten gemeinsam über Maßnahmen, Schritte und Schwerpunkte verständigen.
Wir wollen auch keine Absenkung der Standards bei der Polizei in Bremen und Bremerhaven, die Personalzielzahl von 2 540 Polizistinnen und Polizisten liegt definitiv unterhalb des benötigten Niveaus. Sie wird im Übrigen auch nicht erreicht werden, Herr Sieling, da den altersbedingten Abgängen bisher zu wenig Anwärter und Anwärterinnen in der Ausbildung gegenüberstehen.
Ähnlich sieht es bei der Feuerwehr aus: Die Feuerwehr Bremen hat weiterhin bundesweit die schlechtesten Schutzziele bei der Brandbekämpfung, und was der Innensenator in diesem Bereich macht, kann man, ehrlich gesagt, überhaupt nicht mehr verantworten. Hier gibt es auch überhaupt keine Aussagen darüber, dass der Senat in Erwägung zieht, nennenswert etwas an der personellen Unterausstattung der Berufsfeuerwehr zu ändern, denn die Zahlen, die jetzt genannt werden, sind bei Weitem nicht ausreichend.
Die Überlastung im Stadtamt, bei der Ausländerbehörde oder in den BürgerServiceCentern wird im Koalitionsvertrag ebenfalls fortgeschrieben. Interessant ist im Bereich Inneres eigentlich eines: Der Bereich Verfassungsschutz profitiert wieder, hier sollen schon wieder zusätzliche Stellen geschaffen werden, und ich finde es sehr interessant, dass ausgerechnet die Grünen den Verfassungsschutz so lieben gelernt haben.
Der Wissenschaftsbereich wird in der Präambel in höchsten Tönen gelobt. Allerdings ändern Sie nichts
an der Grundfinanzierung, sondern Sie führen das Bekenntnis zum Wissenschaftsplan 2020 fort, das heißt, es werden Studiengänge gefährdet sein. Interessant ist auch, dass Sie abweichend vom Wissenschaftsplan 2020 nicht wie angekündigt 600 Wohnungen bauen wollen, sondern nur noch 400, aber eine Begründung dafür habe ich in der Koalitionsvereinbarung nicht gelesen.
Im Wirtschaftsbereich hält die Koalition an der bisherigen Clusterorientierung fest. Darin steht zwar, der Zugang für Frauen und Migrantinnen zu den Programmen der Wirtschaftsförderung solle verbessert werden, aber wie ich eben schon sagte, eine Öffnung der Wirtschaftsförderung für die entsprechenden Branchen, zum Beispiel durch die Umgestaltung der Förderbedingungen im Landesinvestitionsprogramm, findet man im Koalitionsvertrag nicht.
Es soll Räume und Zwischennutzungen für die Kreativwirtschaft geben, aber ein gezieltes Aufbauprogramm in diesem Bereich ist auch nicht vorgesehen, Sie halten am City-Center fest, aber warum, ist für uns auch nicht ersichtlich. Auch wollen Sie weiterhin touristische Großevents öffentlich bezuschussen, aber eine Förderung alternativer und innovativer Tourismusformen ist dort auch nicht zu finden. Gut finden wir allerdings, Herr Tschöpe, dass die Wertgrenzen für die lokale Vergabe weiter angehoben werden sollen.
Neu im Bereich Wirtschaft und nicht unproblematisch ist die Orientierung, Verkehrsflächen zu reduzieren – ich zitiere – „zugunsten von neuen Lagen und Adressen“. Erstens schluckt das viel öffentliches Geld, zweitens habe ich nicht den Eindruck, dass es in Bremen an Büro- und Geschäftsflächen mangelt, und drittens ist die Verschlechterung des Verkehrszugangs für den bestehenden Einzelhandel auch nicht ganz unproblematisch.
Es fehlen in der Koalitionsvereinbarung auch Überlegungen und Zielsetzungen, um die Abwanderung von Großbetrieben, insbesondere der Verwaltungsbereiche, zu stoppen oder auch nur zu verlangsamen, und auch der Non-Profit-Wirtschaftsbereich taucht dort nicht auf.
Die Weservertiefung klammern Sie im weitesten Sinne auch aus, die Passagen darüber sind ziemlich vage, und darin steht weiterhin etwas von erforderlichen Abwägungen. Der Ausbau der Mittelweser wird dagegen festgeschrieben, obwohl klar ist, dass er viele bremische Landesmittel kosten wird.
Für den Ausbau des Neustädter Hafens soll mit „Vorarbeiten für eine Planung“ begonnen werden. Das kann man in die Koalitionsvereinbarung hineinschreiben, es ist aber auch nicht gerade viel, und auch der Bau des OTB ist eigentlich nicht richtig festgezurrt. Stattdessen wird eine Reihe von Bedingungen für einen Planfeststellungsbeschluss genannt, die erst zu erfüllen sind.
Nein, das sind wir nicht, überhaupt nicht! Ich habe nur einmal versucht, Ihre Widersprüche dort aufzuzeigen!
Nein, ich habe überhaupt nicht gesagt – –. Ich habe gesagt, Sie klammern es aus, Sie haben es nicht gelöst! Das ist etwas anderes, Frau Schaefer!
Ich habe hier einmal versucht, Ihre Widersprüche in der Koalitionsvereinbarung im Bereich Häfen aufzuzeigen! Das ist kein Plädoyer für die Weservertiefung gewesen, auf gar keinen Fall!
(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Es klang gerade so! – Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Warum eigentlich?)
Es ist einfach nur der Hinweis darauf, dass Sie das ausklammern, dass Ihre Passagen sehr vage sind und Sie Ihre Probleme, die Sie koalitionsintern haben, einfach nicht gelöst haben, auch nicht in der Vereinbarung!
Es gibt auch an anderen Stellen keinen Hinweis darauf, dass der Senat plant umzusteuern, zum Beispiel in der Wohnungspolitik, das habe ich hier schon in der letzten Woche ausführlich dargelegt. Sie haben kein Sofortprogramm „Wohnen“ aufgelegt, wo die 19 000 Wohnungen entstehen sollen, die Sie hier eben genannt haben,
(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Sie stimmen ja auch immer in der Deputation dagegen!)
ist uns relativ schleierhaft, Sie planen keine Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus. Es gibt das Wohnraumförderprogramm, Frau Schaefer, das weiterhin auf Neubau setzt und privaten Verwertungsinteressen dient, hier aber keine Fragen des kommunalen oder sozialen Wohnungsbaus löst.
Ich vermisse in Ihrem Koalitionsvertrag auch die konzeptgebundenen städtebaulichen Verträge, die im Wohnraumförderprogramm angekündigt wurden und dafür sorgen sollten, dass die Stadt mitbestimmt,
was aus verkauften Grundstücken wird. Auch davon steht nichts mehr in Ihrer Koaltionsvereinbarung. Ich frage mich an dieser Stelle überhaupt: Warum werden denn städtische Grundstücke immer verscherbelt, anstatt sie zum Beispiel über ein Erbbaurecht zu vergeben? Warum gibt der Senat ständig bereitwillig alle Möglichkeiten aus der Hand, irgendeinen Einfluss auf die Wohnraumentwicklung in dieser Stadt nehmen zu können? Ihre Koalitionsvereinbarung zeigt dazu überhaupt keine Antworten auf, sondern es geht einfach weiter wie bisher.
Frau Schaefer, es fällt Ihnen auch nichts ein zu ausbeuterischen Mietverhältnissen und Schrottimmobilien, auch das nicht! Gerade in Blumenthal – das haben Sie erwähnt, Herr Sieling – ist das ein sehr großes Problem, weil es dort nämlich genügend private Wohnungsgesellschaften gibt, die überhaupt nicht investieren und ihre Immobilien verfallen lassen.
Schlussendlich wird die Grundsteuer – auch das hat Herr Röwekamp schon erwähnt – von den Vermietern an die Mieter weitergegeben werden. Auch das wird nicht dazu führen, dass wir in Zukunft verträgliche Mieten haben und die Menschen bezahlbaren Wohnraum finden werden. Die Heuschreckensteuer ist eine schöne Idee, aber ob sie auf Landesebene durchzusetzen ist, ist auch noch fraglich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt noch vieles mehr mehr, was ich sagen könnte, auch zu Bremerhaven, da gibt es ganz klare Sparansagen. Wir fragen uns natürlich schon, was das bedeutet. Man sieht für Bremerhaven allerdings nicht, was sich im Bereich Arbeitsmarktpolitik verändern soll, denn wir wissen, dass Bremerhaven nun einmal ein Niedriglohnsektor ist. Vor allem Frauen sind davon betroffen, gute Arbeit gibt es nur in den Häfen. Die Frage der Leiharbeit ist auch noch nicht wirklich gelöst. Sie ist nach wie vor so schwammig gelöst, dass sich dabei auch in Zukunft nicht viel ändern wird.