Protokoll der Sitzung vom 15.10.2015

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Frau Steiner, ich kenne Christoph Weiss. Ich benötige keine Aufforderung, mit der Handelskammer zu schnacken. Mit denen sind wir längst im Gespräch. Wir haben eine zentrale Internetadresse unter Unterkunft@Soziales.Bremen.de. Dorthin kann man Flächen und Gebäude melden.

Wenn ich ein Haus betrete, mustern mich die Leute und sagen, das eignet sich nicht zur Flüchtlingsunterbringung. Das als Randbemerkung! Die Menschen wissen, dass die Sozialsenatorin in Bremen auf der Suche nach Wohnraum ist. Den bekommen wir auch angeboten. Wir wollen jetzt aber ein Instrument in die Hand nehmen, welches die Hamburger Kollegen in die Hand genommen haben und auch der Berliner Senat ergriffen hat. Es ist ein Mosaik- oder ein Baustein und kein Allheilmittel, da gebe ich Thomas Röwekamp recht. Es ist aber ein wichtiges Instrument, das wir in der Hand haben wollen. Es gibt da Fonds, die schön klingen und deren Namen man gar nicht mehr aussprechen kann. Wir können sie hier gar nicht mehr erreichen und ansprechen. Ich kenne nicht alle Immobilien und Flächen. Wenn wir zu jemandem keinen Kontakt bekommen und sagen, das wäre ein geeigneter Standort, wollen wir dieses Instrument als Ultima Ratio haben.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich halte es auch für legitim, dass der Bremer Senat dieses Instrument ergreift.

Zu Recht ist viel darüber geredet worden, dass Eigentum verpflichtet. Eigentum ist aus gutem Grund geschützt. Ich bin selbst auf der Jahreshauptversammlung von Haus & Grund gewesen und habe dort Rede und Antwort gestanden. Frau Steiner, ich gehe in die Beiräte. Ich hüpfe nicht in Birkenstockschuhen und Tee trinkend durch mein Büro. Wir laufen uns wirklich in den Beiräten die Hacken ab. Ich freue mich über die wahrgenommene Unterstützung, wenn sie auch von der FDP in den Debatten auf der Suche nach weiterem Wohnraum für Flüchtlinge kommt.

Seit der humanitären Entscheidung der Kanzlerin am 5. September ist für alle Bundesländer auch eine neue Herausforderung auf die Tagesordnung getreten. Wir bekommen die Menschen nicht mehr wie gewohnt über das zentrale Erfassungssystem genannt. Viele

Menschen in Deutschland sind nicht registriert. Das macht auch eine besondere Herausforderung für uns aus.

Manchmal erreichen uns zwei Stunden vorher Anrufe, es kommt ein Bus aus Uelzen, oder die ZASt ruft an und sagt, 80 Menschen stehen hier vor der Tür. Das ist die Herausforderung. Wir waren darauf eingestellt. Anfang des Jahres hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gesagt, Sozialminister der Länder, rechnet mit 230 000 Menschen, die Deutschland erreichen!

Wir befinden uns in einer neuen Ära. Wir reden jetzt über Flüchtlingszahlen, die zwischen 800 000 und 1,3 Millionen liegen. Im Laufe der Debatte habe ich einen Zwischenruf gehört, das sei alles vorhersehbar gewesen. Es gibt im Augenblick viele, die sehr schlau daherreden. Ich bitte alle, die meinen, die Flüchtlingszahl sei vorhersehbar gewesen, einen Zettel zu nehmen, den Namen und eine Zahl auf den Zettel zu schreiben, und nach sechs Monaten schauen wir nach, ob diese Personen recht gehabt haben.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich sage Ihnen, wir sind mit einigen Ausnahmen die Generation, die weder Krieg noch Verfolgung, noch Vergewaltigungen erlebt hat. Wir sind die Generation, die in diesem Land sehr behütet aufgewachsen ist, wir kennen Krieg und Not nur aus den Erzählungen der älteren Generation. Meine Mutter ist 1940 geboren, und ich weiß aus Erzählungen meines Onkels, wie er seine kleine Schwester in den Bombennächten in den Bunker getragen hat. Meine Oma hat mir von den kalten Wintern 1945, 1946 und 1947 erzählt, als in ihrer Wohnung vier Familien wohnten.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist nicht die Zwangsbelegung von Wohnungen verbunden, die wir aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg kennen, sondern wir beabsichtigen, auf Gewerbeimmobilien zugreifen zu können. Ich fordere allerdings von unserer Gesellschaft Einfühlungsvermögen und Hilfsbereitschaft.

Das Grundrecht auf Asyl ist eine humanitäre Verpflichtung, und wir sind verpflichtet, dieses Grundrecht mit Leben zu füllen.

(Beifall SPD und Bündnis 90/Die Grünen)

Ich bin gebürtige Bremerhavenerin, und manchmal bricht das auch dialektisch aus mir hervor, aber ich sage, der Bremer Weg heißt verhandeln. Mit diesem Gesetz laufen wir nicht wild los – und da spreche ich auch Herrn Röwekamp an – und sagen, der Wohnraum sei geeignet und der auch, stellt ihn uns zur Verfügung! Nein, wir werden immer versuchen zu verhandeln. Wir sehen die Eigentümer immer als potenzielle Vermieter an. Das Gesetz eröffnet uns jedoch auch die Möglichkeit – und das ist keine Beschlag

nahme und keine Enteignung – der befristeten Sicherstellung, und das ist ein großer Unterschied, denn wir nehmen Geld in die Hand, um die Nutzung zu finanzieren.

Ein Baumarkt ist von seiner Konzeption her nicht nutzbar, eine Turnhalle hat hingegen sanitäre Einrichtungen und Duschen. Wir sind allerdings der Meinung, dass große leer stehende Flächen genutzt werden sollten und ein Umbau als machbar angesehen wird. Es sind auch Beispiele vorhanden. Der Abgeordnete Bolayela hat noch Erinnerungen an Max – –. Ich will es doch lieber jetzt nicht sagen!

(Heiterkeit SPD)

Wir trauen uns zu, und es ist entsprechende Kompetenz vorhanden, solche großen Flächen bewohnbar zu machen. Wir streben keine dauerhafte Wohnnutzung an, sondern sehen darin lediglich eine Notlösung. Das stellt den Senat nicht frei davon, weitere Anstrengungen unternehmen zu müssen. Der Senat setzt weiter darauf, die Flüchtlinge über alle Stadtteile verteilt in Wohnungen unterbringen zu können. Die Wohnraumberatung ist ausgebaut worden. Im letzten Jahr konnten 1 000 Menschen in Wohnraum vermittelt werden. Das ist ein Spitzenwert. Diese Zahl ist in diesem Jahr bereits in den ersten sechs Monaten erreicht worden. Wir wollen die Vermittlung in Wohnraum weiter ausbauen, und das halte ich für einen ganz wichtigen Weg.

Es geht aber auch kein Weg daran vorbei: Bremen ist eine wachsende Stadt, wir werden bauen müssen!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Diese Diskussion führen wir im Augenblick miteinander, und die Diskussion zeigt keine großen Unterschiede. Es ist auch nicht notwendig, jede Ökowiese zu nennen oder im Gegenzug eine Vierfachverglasung zu fordern, um den anderen zu ärgern. Ich glaube, diese Koalition hat viele gute Lösung erarbeitet, und das werden wir auch im Baubereich tun.

(Beifall SPD – Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Wir lassen uns überraschen!)

Senator Dr. Lohse ist zu Recht stolz darauf, dass das Senatsbauprogramm ein riesiger Erfolg geworden ist, die Zahl der erteilten Baugenehmigungen hat sich nämlich noch weiter erhöht.

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Wie viele Bebauungspläne sind denn in der Stadtbürgerschaft beschlossen wor- den?)

Das kann ich Ihnen gar nicht sagen!

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Drei!)

Wir bauen, und es wird weiter gebaut werden, weil wir eine wachsende Stadt sind. Die Wahrheit ist – ich möchte jetzt noch einmal die Aufmerksamkeit auf mich lenken, und dann gibt es auch schon bald Essen –,

(Heiterkeit)

dass die meisten Flüchtlinge, die Bremen im Augenblick erreichen, in Bremen bleiben werden. Die überwiegende Zahl der Flüchtlinge stammt aus dem völlig zerstörten Syrien. Es kommen Flüchtlinge aus Afghanistan. Diese Flüchtlinge reisen nicht wieder in ihre Heimatländer zurück. Sie haben erlebt, wie ihre Verwandten umgebracht worden sind. Ihre Häuser sind zerstört. Mir werden tagtäglich Fotos gezeigt. Diese Flüchtlinge haben nur im Sinn, in Bremen anzukommen. Mein Sehnen und Trachten mit meinen Mitarbeitern ist, dass die Flüchtlinge die Zelte und die Sporthallen verlassen können und wir so schnell wie möglich einen normalen Zustand erreichen.

Wir befinden uns jedoch in einer historischen Situation, die es in der Bundesrepublik Deutschland seit ihrem Bestehen noch nicht gegeben hat. Es war bisher nicht nötig gewesen, innerhalb kürzester Zeit, nämlich seit dem 5. September 2015, und zwar zurückgehend auf eine richtige Entscheidung der Bundeskanzlerin, die Grenze zu öffnen, eine derartige Aufgabe zu bewältigen. Ich halte diese Entscheidung für richtig.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Ich finde, die CDU-Fraktion darf auch applaudieren, denn früher hätte ich der Kanzlerin nie recht gegeben! Die Bundeskanzlerin hat eine richtige Entscheidung getroffen, die uns vor große Herausforderungen stellt. Wie gesagt, diese Herausforderung muss keine einzelne Person bewältigen, sondern wir begegnen der Herausforderung im Team.

Ich habe auch die Worte gehört, es müsse ein starker Mann kommen, um die Frau Senatorin zu unterstützen, oder es müsse zur Chefsache erklärt werden und der Bürgermeister müsse die Angelegenheit übernehmen. Man sehnt sich ja immer starke Leute herbei, wenn es gilt, eine schwierige Situation zu lösen.

(Abg. Senkal (SPD): Deshalb heißen die auch ALFA!)

Zur Gruppe ALFA werde ich gleich kurz etwas sagen!

Wir lösen die gestellte Herausforderung strukturell. Dass ich irgendwann einmal mit der Bundeswehr zusammenarbeiten werde, hätte ich mir nicht träumen lassen. Wir tun uns mit den Leuten zusammen, die etwas können. Die Bundeswehr ist der Experte für den Logistikbereich, und wir sind die Experten im Sozialbereich. Ich heiße die Bundeswehr herzlich willkommen,

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

und wir richten in unserem Hause eine zentrale Organisationsstelle ein. Ich glaube, das ist gegenüber den armen Flüchtlingsbeauftragten in den Ländern, die auch verdroschen werden, eine weitaus überlegene Struktur. Der „Weser-Kurier“ hat am Wochenende in einem Artikel geschrieben, in Berlin laufe alles besser. Ich höre vom Berliner Sozialsenator und von den anderen Kollegen genau das Gegenteil. Sie werden alle genauso wie ich verdroschen. Vielleicht sollten wir eine Selbsthilfegruppe der Sozialminister gründen.

(Heiterkeit SPD – Zurufe CDU: Oh!)

Irgendwo und irgendwann muss ich mir einmal Luft machen, und das geschieht jetzt! Liebe ALFA-Gruppe, es geht nicht, dass Sie auf der einen Seite ein Gesetz ablehnen und auf der anderen Seite betonen, dass Zelte unmenschlich seien, selbst aber keine Vorschläge unterbreiten.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Doch! Abschie- bung wollen die!)

Das ist doch kein ernst gemeinter Vorschlag. Das ist eine Veralberung des Parlaments und eine Veralberung der zuständigen Senatorin.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Leidreiter [ALFA]: Nein!)

Wie gesagt, dieser Gesetzentwurf ist nicht mehr und nicht weniger als ein Instrument, das wir für die Notunterbringung der Flüchtlinge nutzen wollen. Ich laufe jetzt auch nicht gleich aus dem Parlament und rufe, hurra, das Parlament hat den Gesetzentwurf beschlossen, und das ist die Immobilie. Wir sind weiter auf der Suche nach geeigneten Unterkünften, und wir waren kreativ.

Frau Steiner hatte ausgeführt, sie kenne keine Liste, die sie jedoch habe. Das habe ich nicht so ganz verstanden.

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Die ist unvollständig! Es gibt keine Konzernübersicht!)

Wir sind in den letzten zwei Jahren kreativ gewesen. Wir arbeiten mit dem Kreiswehrersatzamt zusammen, wir nutzen Hostels und Hotels. Wir haben jugendliche Flüchtlinge schon in Eislaufhallen untergebracht. Das ist eigentlich eine abwegige Unterbringungsform. Wir nutzen ein Genossenschaftsgebäude und das Gebäude der BREKOM an der Stolzenauer Straße. Wir haben den Aushang zum BREKOM-Gebäude bei der Bremer Landesbank gesehen und sind tätig geworden. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind wach, sie gehen mit wachen Augen durch die Stadt.

In jedem Beirat fragen wir nach leer stehendem Wohnraum, wir nennen unsere Internetadresse und versuchen überall, Wohnraum zu akquirieren.

Es passiert aber auch, dass mich Leute anrufen und mich fragen, warum sich noch niemand um das angebotene Haus gekümmert habe, 300 Quadratmeter in guter Lage. Ich schicke Mitarbeiter in ihrer Freizeit zu dieser Hauseigentümerin, der Mitarbeiter besichtigt das Haus und berichtet mir, dass es vom Grundsatz her angemietet werden könnte, allerdings betrage der Mietpreis monatlich 8 000 Euro.