Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete! Manchmal stellt man als Regierungskoalition eine Große Anfrage, um zu unterstreichen, wo der Senat schon sehr weit ist. Manchmal stellt man eine Große Anfrage, um ein bisschen Druck zu machen und noch weiter zu kommen, und manchmal stellt man eine Anfrage, weil man tatsächlich keine öffentlich zugänglichen Quellen findet und noch erheblichen Informationsbedarf hat.
Heute reden wir über eine Anfrage, die wohl am besten in Kategorie drei passt. Wir reden über Menschen ohne Krankenversicherung, einen Bereich, in dem wir viel mit Dunkelziffern arbeiten, in dem wir vieles nicht wissen und in dem wir noch viel zu tun haben. Ich möchte Ihnen, um ein besseres Bild von der Diskussion zu vermitteln, drei Menschen vorstellen, drei Menschen, die keine Krankenversicherung haben und dennoch in sehr unterschiedlichen Lebenslagen sind.
Dana ist Anfang 40 und betreibt ein Kosmetikstudio, doch das hatte wegen Corona in den vergangenen Monaten nur selten offen. Es war auch vor der Pandemie für sie immer wieder schwierig, das Geschäft lukrativ zu führen und hohe Krankenkassenbeiträge zu leisten, aber als sie wegen Corona zusätzlich schließen musste, ging gar nichts mehr. Zwar hat sie eine Förderung erhalten, aber daraus musste sie zunächst laufende Kosten decken, es wurde schwer, Krankenversicherungsbeiträge zu leisten, Schulden haben sich angehäuft, ein Ausschluss aus der Krankenversicherung konnte nicht mehr verhindert werden.
Abdul musste aus seiner Heimat fliehen, hat in Deutschland keinen gültigen Aufenthaltsstatus erhalten, zurück kann er nicht. Er hat eine chronische Krankheit und schlimme Schmerzen, bräuchte regelmäßige Behandlung, doch ohne Krankenversicherung wird das deutlich schwieriger, kann das teilweise nicht erfolgen.
Marianne ist alleinerziehende Mutter und SoloSelbständige. Vor 20 Jahren hat sie sich eine Selbständigkeit mit dem bekannten Auf und Ab aufgebaut, das viele Solo-Selbständige gut kennen. In guten Zeiten kann teilweise sogar etwas Geld zurückgelegt werden, in schlechten Zeiten werden diese Rücklagen aufgebraucht, und irgendwann kann die eigentlich zu hoch eingeschätzte Krankenversicherung für ihr tatsächliches Einkommen nicht mehr geleistet werden. Auch in einer solchen Situation können Krankenkassenschulden aufgehäuft werden. Die einzige Möglichkeit, wieder in
eine reguläre Krankenkasse, in die Versorgung einzusteigen, wäre die Aufgabe der Solo-Selbständigkeit, die aber lange aufgebaut ist. Auch das ist eine Person ohne Krankenversicherung, die in Deutschland mitten unter uns lebt und eigentlich gar nicht so viel falsch gemacht hat, sondern in einem Bereich gearbeitet hat, in dem es nicht funktioniert hat, nicht so geklappt hat, dass die zu hohen Krankenkassenbeiträge geleistet werden konnten.
Menschen ohne Krankenversicherung haben viele Gesichter, und sie stehen gleichzeitig in der Mitte der Gesellschaft. Diese Menschen brauchen unsere Aufmerksamkeit. 2019 errechnete der Mikrozensus deutschlandweit 61 000 Menschen, die nicht krankenversichert sind. Dazu kommt eine hohe Dunkelziffer.
Aus der Antwort des Senates lässt sich schließen, dass wir schlichtweg keine belastbaren Zahlen kennen, wie viele Menschen genau im Land Bremen ohne Krankenversicherung leben. Was wir wissen, ist: Wenn wir die Zahlen umrechnen, sind es mit Sicherheit zu viele.
Wir danken dem Senat daher für die Antworten, die Sie uns geben konnten und stellen aber auch fest: Wir brauchen noch viele Informationen, die wir auf anderem Wege erhalten müssen.
Einen großen Dank möchte ich an dieser Stelle den Vertreterinnen und Vertretern, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheitsamtes, insbesondere der Humanitären Sprechstunde und dem Verein zur medizinischen Versorgung Obdachloser im Land Bremen e.V. aussprechen, die einen ganz außergewöhnlich wichtigen Beitrag zur Versorgung von Menschen ohne Krankenversicherungsstatus leisten.
Die medizinische Grund- und Basisversorgung für Menschen ohne regulären Zugang zum Gesundheitssystem ist unabdingbar, und hier leisten wirklich viele Menschen einen großen Beitrag. Die Inanspruchnahme dieser Angebote zeigt genau den Bedarf im Land Bremen, und wir als Fraktion DIE LINKE sehen hier eine eindeutige Zuständigkeit der öffentlichen Daseinsvorsorge, diese Lücke zu füllen.
Wir begrüßen auch, dass der Senat Handlungsbedarf hinsichtlich der bremischen Hilfsangebote sieht. Insbesondere in Bezug auf die große Nachfrage nach gynäkologischen Behandlungen muss
ein besonderer Blick auf Frauen ohne Krankenversicherung geworfen werden. Hier sei nur die Situation in der Landesaufnahmestelle in Bremen-Nord genannt.
Was wir auch anerkennen möchten, ist die Bewertung des Senates, dass dringender Handlungsbedarf besteht, um Menschen das Grundrecht auf medizinische Versorgung ohne Krankenversicherung – jetzt habe ich mich verhaspelt –, um Menschen, die keinen Zugang zur regulären Krankenversicherung haben, dennoch das Grundrecht auf eine medizinische Versorgung zuzugestehen. Diese Einschätzung teilen wir. Wir möchten den dringenden Handlungsbedarf unterstreichen und sagen fest zu, im Schulterschluss mit dem Ressort weiter an Lösungen zu arbeiten.
Wir begrüßen zudem die Initiative zur bundesgesetzlichen Novellierung, um zu verhindern, dass Menschen ohne Krankenversicherung in diesem Zustand verbleiben. Diese will der Senat nun prüfen, und auch das möchten wir ausdrücklich bestärken.
Sehr geehrte Abgeordnete, wir haben in dem Bereich noch viel zu tun, um den Menschen medizinische Versorgung über die Grundversorgung hinaus zuzugestehen. Es ist gut, dass der Senat einen entsprechenden Handlungsbedarf sieht. Wir werden diese Debatte und diese Anfrage nur als Anfang einer Diskussion verstehen und glauben, dass wir hier noch viel zu tun haben. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich dem Dank von Herrn Janßen anschließen. Danke für die Antworten! Es ist nötig, immer wieder nachzuhaken, weil, wie schon erwähnt, die Zahlen, die wir brauchen, und die Zahlen zu den nicht versicherten Menschen in unserem Land nicht transparent und nicht endgültig bekannt sind. Dank gilt
vor allen Dingen auch den Akteuren, die den Menschen helfen, immer wieder ehrenamtlich, unentgeltlich, die keine Krankenversicherung haben.
Da arbeiten im Ehrenamt zum Beispiel der Verein Medinetz, der „Medizinische Versorgung Obdachloser“-Dienst mit drei angehörigen Praxen (Verein zur Medizinischen Versorgung Obdachloser e. V.), die Clearingstelle der Inneren Mission und, eben auch schon erwähnt, die Humanitäre Sprechstunde. All denen gehört unser oberster Dank, dass sie sich um die Menschen kümmern, die nicht in unser Gesundheitssystem hineinpassen.
Auch ich möchte ein paar Punkte hervorheben. Die Zahlen sind nach dem, was wir in den Berichten bisher geliefert bekommen haben, nicht weiter gestiegen. Trotzdem sind sie noch immens hoch. Die nicht krankenversicherten – auch das hat Herr Janßen schon ausgeführt – sind eben nicht die papierlosen, sind nicht nur die obdachlosen, sondern sind eben auch Menschen in einer Solo-Selbständigkeit, Studierende oder Künstler:innen, die ihre Beiträge nicht leisten können, weil sie in ihren Einkommensverhältnissen Geringverdiener:innen sind. Meine Damen und Herren, so etwas darf in unserem hoch entwickelten Land eigentlich nicht passieren.
Ich bin sehr dankbar, dass sich der Senat, das ist auch schon erwähnt worden, mit einem Konzept zur Verbesserung der ärztlichen Versorgung papierloser Menschen und eben auch anderer Menschen darum kümmert. Ich kann hier einfach nur noch einmal meinen Appell und den Appell meiner Fraktion loswerden, dass wir schnelle Lösungen brauchen und dass wir darauf warten, dass wir vielleicht, wie angekündigt, im zweiten Quartal dieses Jahres ein Konzept vorliegen haben und Lösungen für diese Menschen finden beziehungsweise ein System entwickeln, wie die bisher so großartige ehrenamtliche Arbeit weitergehend unterstützt werden kann.
Wir wären sehr dafür gewesen, eine Gesundheitskarte zu implementieren. Das wurde vonseiten der AOK geprüft. Da gibt es leider keine Möglichkeit auf den gesetzlichen Grundlagen im SGB V, die sind einfach nicht ausreichend, um so eine Karte zu etablieren. Somit wird es erst einmal weiter Berechtigungsscheine geben, was eben auch eine Lösung sein kann.
sicherung haben, aus welchen Gründen auch immer, nicht nur Zugang zur Basisversorgung brauchen, sondern auch zu fachärztlicher Versorgung. Ich glaube, das gehört zu jedem Grundrecht. Wäre ich – da bin ich jetzt mal aus einer persönlichen Perspektive betroffen –, wäre ich nur in einer Basisversorgung gelandet in meiner persönlichen Krankheitsgeschichte, würde ich in dieser Form hier heute nicht stehen. Damit meine ich nicht eine grundsätzlich todbringende Krankheit, sondern Chronifizierungen oder akute Geschehnisse, die es nötig machen, fachärztlich versorgt zu werden.
Ich finde – noch einmal, ich sagte es bereits –, in unserem hoch entwickelten Land mit unserem hoch entwickelten Gesundheitssystem, in dem wir sehr viele spezifische medizinische Strukturen aufweisen können, muss es möglich sein – die geschätzten Zahlen sind gerade genannt worden –, muss es möglich sein, allen Menschen einen Zugang zu hoch spezifischer medizinischer Versorgung zu ermöglichen.
Wir haben ja schon mehrere Debatten über die Stärkung des öffentlichen Gesundheitssystems geführt, was ich sehr befürworte und wozu noch viel Arbeit nötig ist, um dies auch zu tun. Ich möchte jetzt nicht sämtliche Pandemie-Geschehnisse aufrufen, aber sie haben uns deutlich gemacht, wo unsere Defizite sind.
Ich freue mich, dass der öffentliche Gesundheitsdienst gestärkt wird und begrüße das sehr. Leider ist es so, dass die Statistik der Fallzahlen derjenigen, die beim Gesundheitsamt in der Basisversorgung behandelt wurden, nicht aussagekräftig sein können, weil diese Versorgung zu bestimmten Zeiten nicht besetzt werden konnte, aufgrund von nicht vorhandenem Personal. Das sind natürlich alles begründete Fälle, es gibt natürlich Krankheitsausfall, oder weil man einfach keine Menschen findet, die diese Stellen besetzen, kann man das akzeptieren, im Sinne von „ich habe Verständnis“, aber das darf nicht die Perspektive sein. Das heißt, auch diese Stellen im öffentlichen Gesundheitssystem müssen so ausfinanziert
werden, dass sich alle in der Lage fühlen, da eine Versorgung zu tätigen, und diese Stellen beim Gesundheitsamt stetig besetzt sind. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kollegen, Kolleginnen, sehr geehrte Damen und Herren! Ich spreche hier zum Thema Menschen ohne Krankenversicherung im Lande Bremen.
Als Christdemokratin sind mir das soziale Miteinander und die soziale Gerechtigkeit eine Herzensangelegenheit und Verpflichtung. Jeder, aber auch jeder Mensch in Not soll in Deutschland Hilfe erhalten,
Warum aber gibt es dann Menschen ohne Krankenversicherung im Land Bremen? Diese Frage sollten wir uns alle gemeinsam stellen. Die Menschen sollen in unser System kommen können. Wenn sie da nicht hineinkommen, müssen wir uns das genau ansehen: Warum ist das so? So etwas sollte gar nicht erst stattfinden. Das möchte keiner von uns. Deutschland, so auch Bremen, hat großes Interesse an einem geordneten Staat, an einem geordneten Land Bremen. Die Pflegeversicherung, um nur ein Beispiel zu nennen, ist eine der wichtigsten Versicherungen überhaupt. Sie wurde von der CDU auf den Weg gebracht. Diese Versicherung ist das Symbol sozialer Gerechtigkeit.
Wir müssen uns die Frage nach sozialer Gerechtigkeit schon genau ansehen. Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer und damit einhergehend auch die Trennung unserer Gesellschaft. Fakt ist, dass es seit dem 1. August 2013 in Bremen theoretisch keinen Menschen ohne Krankenversicherung geben kann und grundsätzlich jeder Mensch, auch in Deutschland, krankenversichert ist. Das eingeführte Meldeverfahren sichert dies ab. Denn wenn ein Mensch zum Beispiel die Arbeit verliert und Sozialleistungen bezieht, kommt das Sozialamt für seine Beiträge auf.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wiederhole es nochmals und halte damit fest, dass das Sozialamt für diese Kosten aufkommt.
Meldet er/sie sich nicht beim Sozialamt oder seiner Krankenkasse, ist davon auszugehen, dass es sich nur um Gruppen wie Drogensüchtige und/oder wohnungslose sowie papierlose Menschen handeln kann, aber auch das ist geregelt, wie das meiste in Deutschland, vor allem im Zusammenhang mit der Gesundheitsversorgung. Papierlose können daher nur Menschen aus dem Ausland ohne vorherige Krankenversicherung sein.
Wir sollten uns fragen: Warum ist jemand überhaupt papierlos? Wie ist man beziehungsweise wird man papierloser Mitbürger, papierlose Mitbürgerin? –Wenn man nicht legal in Deutschland ist, wenn man über die Grüne Grenze nach Deutschland kommt, wenn man sich nicht registrieren lässt, wenn man sich schleusen lässt, wenn man aus dem Ausland zurückkehrt und vorher in der privaten Krankenversicherung war oder seine Krankenkasse über Bord geworfen hat oder hat ruhen lassen. Hier tritt entweder das Sozialamt oder ein Verein, Träger ein, und es greift das geregelte System der Vorkasse und Weiterversicherung. Das heißt, man kehrt zurück in die GKV, also gesetzliche Krankenversicherung, private Krankenversicherung oder gilt als Betreuter. Auch für selbständige Geringverdiener aber, sogenannte Solo-Selbständige, ist der KV-Beitrag ein hoher Kostenfaktor, und das trotz Versichertenentlastungsgesetz. Daher hat man die Beitragsbemessungsgrundlage für den verminderten Beitragssatz eingeführt.
Überhaupt nicht nachvollziehbar und hinnehmbar ist, dass unsere Rentner und Rentnerinnen schlechter in der GKV gestellt sind als Selbständige – Senior:innen, die ihr ganzes Leben für das deutsche Bruttosozialprodukt gearbeitet haben und lebenslang in die deutsche Rentenkasse eingezahlt haben. Das ist nicht akzeptabel, diese Ungerechtigkeit müssen wir alle zwingend verändern, meine verehrten Damen und Herren, wenn wir hier überhaupt von sozialer Gerechtigkeit sprechen wollen.