Protokoll der Sitzung vom 09.07.2003

Kommen Sie bitte hierher, und beantworten Sie diese Frage.Was gibt Ihnen die Rechtfertigung,zu glauben,dass 16 Milliarden c das schaffen, was 40 Milliarden c nicht geschafft haben?

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Also lassen wir es sein? – Weitere Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Das ist doch die Frage, die man stellen muss. Kann man dafür die Aufnahme von Schulden verantworten? Deshalb sage ich Ihnen: Die fehlenden Strukturreformen sind der Grund, warum die Leute nicht investieren. Sie trauen den Strukturen, unter denen sie in Deutschland investieren sollen, nicht mehr. Sie glauben nicht mehr, dass sie unter ihnen langfristig arbeiten können.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sehe es durchaus so wie die Kollegen der FDP im Bundestag, die in ihrem Antrag eindeutig sagen, das darf man durch Schulden nicht finanzieren. Aber selbst dann, wenn ich ein kleines Stück weicher wäre, würde ich sagen: Man muss vorher Strukturreformen durchführen, die einem einen Grund geben, daran zu glauben, dass man Hoffnung haben kann. Das ist das Problem.

(Beifall bei der CDU – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie blockieren alles! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Agenda 2010 ist nicht im Entferntesten geeignet, als eine Reform bezeichnet zu werden, die diese Vorraussetzungen in Zukunft schafft.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Gegenteil: In allen wesentlichen Fragen ist der Bundeskanzler entweder ausgewichen, oder Sie haben ihn nachher ein Stück weit zurückgedrängt. Ich nenne Ihnen eine aus meiner Sicht zentrale Frage. Können auf betrieblicher Ebene Tarifvertragsbedingungen im Rahmen eines Flächentarifvertrags nachverhandelt werden? Ich sage jetzt gar nicht meine Meinung.Ich zitiere das,was der Bundeskanzler am 14. März gesagt hat. Der Bundeskanzler hat gesagt, er halte es für richtig, dass an dieser Stelle ein neues Denken,ein Umdenken stattfinde und dass man in Zukunft das Recht habe, auf betrieblicher Ebene nachzuverhandeln.

Wir in Hessen müssten mehr als andere sagen: Ja, wir wissen, dass das etwas bringt, denn wir haben mit Viessmann, Braun Melsungen und anderen die wahrscheinlich mutigsten Unternehmer in Deutschland, die das gemacht haben. Wir hätten damit die Chance, Ja zu sagen, und wir hätten eine Öffnungsklausel – und zwar nicht dann, wenn der Laden kurz vor dem Konkurs steht, sondern dann, wenn er kurz vor dem Abheben in neue Märkte und neue Entwicklungen steht. Bei Viessmann haben alle eine Stunde mehr gearbeitet – nicht deshalb, um bestehende Arbeitsplätze zu erhalten, sondern um 200 zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Genau das ist die richtige Logik. Wir können in diesem Land mit mehr Arbeit mehr vom Kuchen der Weltwirtschaft abschneiden und mehr Einkommen und mehr Zukunft erwirtschaften

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Herr Kollege Walter, wo ist da der Bundeskanzler? Wo gibt es irgendeine Initiative für betriebliche Bündnisse für Arbeit? Wo ist dieses Thema in seiner Rede auf dem Bundesparteitag auch nur vorgekommen? Das ist es. Sie haben am 14. März versucht, ein Minimum an Reformen zu beschließen, das die SPD gerade noch verkraftet. Nicht einmal das hat sie richtig verkraftet. Sie mussten auf dem SPD-Parteitag nachsteuern. Sie haben dort den Bundeskanzler bestätigt und gleichzeitig einen Auftrag an den Parteitag in Bochum beschlossen, in dem von der Vermögensteuer bis zur Erbschaftsteuer wieder all die Dinge stehen, die die Leute daran hindern, zu investieren.

(Lachen bei der SPD)

Die Leute lesen Ihre Programme, und sie wissen, dass das, was Sie gerade anbieten, im Vergleich zu dem, was Sie androhen, weniger wert ist. Daraus erwächst die Frage nach der Ökonomie.

(Beifall bei der CDU)

Die gleiche Fragestellung gilt für die Privatleute. Es ist doch im Augenblick nicht so, dass wir, wenn wir zu den Verwaltungsräten der Sparkassen gehen – was wir gelegentlich tun –, gesagt bekommen, dass die Höhe der Spareinlagen sinke. Es ist auch nicht so, dass nur die Spareinlagen der höheren Einkommensgruppen steigen würden. Nein, auch die Sparbücher und andere klassische Sparformen zeigen steigende Einlagen. Warum geben die Menschen das Geld nicht aus? Es ist doch nicht so, dass sie kein Geld hätten, sondern es ist die Entscheidung, dass sie ihr Geld aus Vorsicht nicht ausgeben, weil sie der zukünftigen Entwicklung nicht trauen.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was tun Sie eigentlich, dass die Menschen der künftigen Entwicklung wieder trauen?

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn ich Merkel und Koch sehe, dann habe auch ich kein Vertrauen!)

Ich nehme ein Beispiel aus der Praxis. Wenn Sie einem Menschen, der in Limburg lebt und bereit ist, statt in die Arbeitslosigkeit zu gehen, nach Frankfurt auf die Arbeit zu fahren, bei seinem Einkommen von vielleicht 40.000 c die Pendlerpauschale wegnehmen, dann sagt der: Moment, ich bekomme ja 100 c im Jahr weniger, die ich über die Pendlerpauschale verliere, als ich durch die Steuersenkung gespart habe. – Das ist übrigens ein besonders aberwitziger Punkt, weil Sie nur die Pauschale herausnehmen. Wenn der Mann spitz abrechnet, bekommen wir möglicherweise ein ziemliches Problem, brauchen ein paar Hundert Finanzbeamte mehr, und er bekommt sogar mehr Geld.Aber das ist eine andere Frage.

Wenn eine junge Familie sich ausrechnet, ob sie sich ein Eigenheim nach dem Wegfall der Eigenheimzulage noch leisten kann oder nicht, geben Sie dann das Signal: „Seid beruhigt, die Steuersenkungen schaffen in Zukunft mehr Investitionen“? Nein, Sie geben ein gegenteiliges Signal.

Wenn Sie den Rentnern ankündigen, Sie können im nächsten Jahr die Rente nicht erhöhen, weil Sie bei gleichem Rentenbeitragssatz 2 Milliarden c an Streichungen eingebaut haben, dann können Sie doch nicht erwarten, dass die sagen:Was für ein Glück,jetzt fangen wir an,Geld auszugeben. – Nein, die Rentner werden im nächsten Jahr genau das Gegenteil davon machen.

(Lebhafte Zurufe von der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihre Steuerreform wird so, wie Sie sie angelegt haben, am Ende nur ein Strohfeuer sein, aber nicht zur wirtschaftlichen Gesundung unseres Landes beitragen – und zwar nicht deshalb, weil Steuerreformen an sich schlecht wären, sondern weil Sie sie auf Verschuldung aufbauen und sich vor Strukturreformen drücken. In Ihrem Mangel an Mut, Strukturreformen in Deutschland durchzuführen, liegt das Problem, und da liegt die Schwierigkeit, mit der Sie bisher nicht fertig geworden sind und nicht fertig werden.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei gibt es eine Menge Vorschläge für Strukturreformen. Ich erinnere an die Initiative, die die CDU/CSUBundestagsfraktion zur Reform der Arbeitsmarktstrukturen eingebracht hat. Das alles ist im Gesetzgebungsverfahren und bedarf nur noch des Handhebens. Sie können dem Gesetzentwurf, den wir vorgestern zur Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe und des Niedriglohnsektors vorgelegt haben – inhaltlich ist das schon länger bekannt – gerne zustimmen.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Bundesminister Clement kündigt seit sechs Monaten – von Monat zu Monat immer wieder verschoben – einen Gesetzentwurf an. Er kann ihn sich sparen. Sie können einfach unseren Entwurf beschließen.

Bei der Gesundheitsreform könnten Sie sich mit uns auf das verständigen, was die GRÜNEN bis zu ihrem Parteitag durchaus gewollt haben: jedem Einzelnen ein Stück marktwirtschaftliche Eigenverantwortung zu übertragen und das kollektive Beglückungssystem abzuschaffen, das inzwischen nicht mehr finanzierbar ist. Es ist nicht so, dass es keine Vorschläge für konkrete Strukturreformen in der Bundesrepublik Deutschland gäbe. Es ist so, dass Sie sie nicht wollen und verhindern und damit die Konsequenzen auslösen, die wir zurzeit in unserem Land haben.

(Beifall bei der CDU)

Sie sind nach der Bundestagswahl schon wieder einige Monate im Amt.Was haben Sie eigentlich an dieser Stelle getan? Vor dem Hintergrund stellt sich doch die Frage: Wie wollen Sie die Systeme weiterentwickeln? Das endet wiederum in sehr prinzipiellen Fragen, z. B. zur Technologiepolitik, um ein hessisches Thema zu erwähnen. Das hat etwas mit der Fragestellung zu tun: Womit wollen wir in Deutschland in Zukunft eigentlich unser Geld verdienen? Mich würde sehr interessieren, was Sozialdemokraten und GRÜNE darauf antworten, außer dass sie den Bau von Windrädern empfehlen. Ich sage das nicht, weil ich Windräder nicht mag, sondern ich sage:Wir werden es uns nicht leisten können, Projekte wie den Bau von Windrädern – –

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde sie auch nicht schön, aber das ist eine andere Frage.

(Heiterkeit bei der CDU und der FDP)

Ich will jetzt nicht sagen, dass ich gegen die Nutzung von Windenergie bin, aber ich behaupte, dass Windräder nicht gerade zur Landschaftsgestaltung beitragen.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kenne aber niemanden, der das behauptet, auch bei den GRÜNEN nicht.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Gut, wenn wir alle der Meinung sind, dass das hässlich ist, dann sind wir schon einmal einen Schritt weiter.

Heute sind wir im Zusammenhang mit den – nach Ansicht der GRÜNEN wenigen – Windrädern schon bei der Gesamtsubventionshöhe der Steinkohle. Deshalb ist die Frage:Womit wollen wir Geld verdienen?

(Zuruf von der CDU: Unglaublich!)

Das ist der falsche Begriff von Verdienen, denn wir zahlen mehr, als diese Produktionsanlagen bringen.

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

Wo gibt es etwas, mit dem Sie Geld verdienen wollen? – Die GRÜNEN haben die Sozialdemokraten dahin getrieben, zu sagen: Bei Energietechniken wie Kerntechnik sagen wir klar Nein, damit wollen wir kein Geld verdienen.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Abgehakt, und in Deutschland erledigt. – Sie haben über Jahre am besten Beispiel Hessen gezeigt und Anfang der Neunzigerjahre gesagt: In der Biotechnologie wollen wir kein Geld verdienen. – Das versuchen wir mühsam zurückzuholen. Das bringt weniger, als es gebracht hätte, wenn wir die Ersten in der Welt gewesen wären, die es richtig gemacht hätten.

(Beifall bei der CDU)

Die GRÜNEN sind dabei, die Transrapidtechnologie in einem zermürbenden Kampf, Stück für Stück, Bund und Land, jeweils an einer anderen Stelle so kaputtzumachen, dass am Ende bestenfalls nur noch die Chinesen bereit sind, zu einem geringen Preis die Technologie zu übernehmen, wenn wir nicht aufpassen.Aber in Deutschland fährt sie nirgendwo.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Auch die Chinesen nicht mehr!)

Ich frage Sie ganz einfach:Womit wollen Sie Geld verdienen? Was sind Ihre Vorschläge? – Eine Steuerreform macht doch nur einen Sinn, wenn am Ende irgendjemand weiß, mit was er eigentlich neue Gewinne machen kann, auf die er Steuer zahlen soll.

Die Frage der Konsumanreizmöglichkeit, die wir bei den Privaten haben, hängt doch damit zusammen, dass sie Angst um ihren Job haben. Die haben sie doch nicht, sobald sie ein paar Mark mehr in der Tasche haben, solange sie nicht sehen, dass in der Industrie irgendetwas passiert.