Protokoll der Sitzung vom 21.06.2006

Wissen Sie, dass Sie auf diese Vorwürfe autistisch reagieren, stört mich nicht. Entscheidend ist, was die Menschen im Land darüber denken. Sie erteilen Ihrer Politik mit den Füßen eine deutliche Abstimmungsniederlage. Das ist gut so, und das werden wir konsequent weiter aufklärend betreiben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Horst Klee und Dr. Walter Lübcke (CDU))

Meine Damen und Herren, wie sehen es die Betroffenen in der Praxis? Herr Dr. Lübcke, für Sie und Ihre Kollegen gilt: Hochmut kommt nicht selten vor dem Fall. Sie werden tief fallen. Sie werden verstehen, unser Mitleid wird sich in Grenzen halten.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, was sagen die Betroffenen? – Die Polizeigewerkschaft stellt fest, die hessische Polizei ist am Ende der Fahnenstange angelangt. Die Fußball-WM und die durch politisches Fehlverhalten zusätzlich entstandene Demolage zeigen schonungslos die logistischen und personellen Mängel der hessischen Polizei.

Nicht die böse Opposition, sondern Fachleute aus der Polizei stellen das fest, und das ist ein Armutszeugnis für diese Landesregierung und diesen Innenminister.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Polizeibeamten haben in der letzten Zeit teilweise bereits 60-Stunden-Wochen hinter sich. Wieder die Polizeigewerkschaft, die in einem Flugblatt feststellt: „Teilweise können die Ermittlungsgruppen und Kommissariate ihrer eigentlichen Aufgabe nicht mehr ordnungsgemäß nachkommen, weil sie den Schichtdienst unterstützen müssen.“ Herr Innenminister, Sie müssen doch solche Fakten einmal zur Kenntnis nehmen. Sie können doch nicht ständig an den Fakten vorbeireden und -argumentieren. Das sind Praktiker, die Ihre verfehlte Politik vor Ort ausbaden müssen,und das ist das Schlimme,das ist das Verwerfliche.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Gewerkschaft der Polizei stellt fest: Die hessische Polizei ist chronisch unterbesetzt. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, all dies ist keine Ruhmestat dieser Landesregierung.

Dann kommt der Innenminister mit dem Ministerpräsidenten, weil er allein das nicht mehr hinkriegt, freitags um 13.15 Uhr in eine Pressekonferenz. Ich glaube, es war 13.15 Uhr. Es kann aber auch 13.20 Uhr gewesen sein; ich will mich nicht festlegen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Es war etwas später, weil er auf der Autobahn im Stau war!)

Gut, das kommt auch öfter vor.

Also, in der Pressekonferenz wird großzügig angekündigt: 8 Millionen c mehr Überstundenvergütung für die hessische Polizei. Das wurde dann auch medial relativ unkri

tisch so übernommen, was der Innenminister gesagt hat. Das hört sich zunächst auch gut an.

Wie sieht aber die Faktenlage aus? Wenn wir im Haushaltsplan des Innenministers, Einzelplan 03, nachschauen, stellen wir fest, darin stehen schon jetzt rund 6 Millionen c für die Abrechnung von Überstunden zur Verfügung. Sind es nun noch 1,9 Millionen zusätzlich, oder sind es tatsächlich 8 Millionen c mehr? Meine Damen und Herren, das ist für die hessische Polizei zunächst einmal nur ein Trostpflaster für eine schlechte Politik.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum macht der Innenminister das?

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sind es 8, oder sind es 1,9 Millionen Ä?)

Offensichtlich ist die Kritik der Öffentlichkeit so stark, und offensichtlich hat sein schlechtes Gewissen,sofern ein Gewissen noch vorhanden ist, erkannt: Ich muss irgendetwas machen. – Es ist nur ein Trostpflaster für die hessische Polizei, nicht mehr und nicht weniger.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Armin Klein (Wiesbaden) (CDU): Dummes Geschwätz!)

Meine Damen und Herren, wer hat denn diese Situation bei der Polizei zu verantworten? Das sind doch in erster Linie Sie. Die Polizei hat mittlerweile eine Arbeitsverdichtung erreicht, die sie mit dem vorhandenen Personalkörper gar nicht mehr leisten kann. Das Problem, das Sie haben,Herr Innenminister:Sie lassen sich von Ihrem Landespolizeipräsidenten oder -vizepräsidenten unterrichten. Reden Sie einmal mit ganz normalen Polizeibeamten, die noch Schichtdienst machen, die auf der Straße sind.

(Axel Wintermeyer (CDU): Das haben wir!)

Wenn Sie das machen würden, Herr Wintermeyer, dann käme nicht solche falsche Politik heraus, dann würden Sie mehr Personal zur Verfügung stellen. Das ist die richtige Antwort.

(Beifall bei der SPD)

Es ist nicht so, dass wir nicht mehr Personal hätten.Allein im Stabsbereich Landespolizeipräsidium, früher Abteilung III im Innenministerium, gab es früher rund 30 Personen. Die sind mittlerweile auf 90 aufgebläht. Da könnte man schon einige Leute für den normalen Streifendienst herausnehmen.

Die Dreistigkeit des Innenministers und seiner obersten Polizeihüter ist jetzt im Untersuchungsausschuss deutlich geworden. Übrigens dürfen wir nach dem Ablauf der ersten Viertelstunde des Untersuchungsausschusses feststellen: Es gab überhaupt keine Dienst- und Fachaufsicht in diesem früheren Polizeiverwaltungsamt. Da ging es drunter und drüber. Nach einer Viertelstunde können wir dieses verheerende Zwischenfazit so kurz en passant ziehen. Also, da wird ein Polizeioberkommissar abgeordnet, der mitschreiben muss – ein unglaublicher Vorgang. Das gab es noch in keinem anderen Untersuchungsausschuss.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So viel zu „raus aus der Wache“!)

Und rein ins Ministerium. Das habe ich damals schon gesagt. Nein, das schlechte Gewissen treibt sich auch da herum, damit man überall kontrollieren kann, genau

weiß, wer was sagt, damit Leute schon im Vorhinein ein bisschen eingeschüchtert werden.

Also,meine sehr verehrten Damen und Herren,wir haben noch Polizeiressourcen im Bereich des Innenministeriums und des Landespolizeipräsidiums. Diese Kolleginnen und Kollegen können wir zur Entlastung auch durchaus im normalen Vollzugsdienst einsetzen. Das wäre eine sehr sinnvolle und wirkungsvolle Maßnahme.

Meine Damen und Herren, die Belastungen der Polizei sind überwiegend hausgemacht. Wir sind an einer Stärke des Personalkörpers angelangt, wo man nicht mehr von den Polizeibeamtinnen und -beamten verlangen kann. Und nach der WM gehts weiter: Papst-Besuch, Bush-Besuch in Mecklenburg-Vorpommern. Da helfen die hessischen Beamten aus, wie umgekehrt die aus anderen Bundesländern hierher kommen.

Es nützt auch relativ wenig, wenn ich ein paar Überstunden bezahle. Gerade ältere Polizeibeamte brauchen den Freizeitausgleich zur Wiederherstellung ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit. Da nützt ihnen das Geld eher wenig, sondern die müssen sich regenerieren können, weil ein Schichtdienst anstrengend ist. Deswegen ist dieser Ansatz völlig falsch und zu kurz gegriffen, verehrter Herr Innenminister.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wir brauchen, ist mehr Personal. Hinsichtlich der 360 Stellen in der PVS erheben wir erneut die Forderung: Streichen Sie diese PVS-Vermerke, damit die Polizei endlich wieder sieht, dass ihre Interessen ernst genommen werden.

Herr Innenminister,weil Sie der Opposition grundsätzlich nichts glauben: Wir bekommen Mails, teilweise anonym, weil die Leute sich nicht trauen,aber auch mit Absendern, die sich zum Teil massiv über das Verhalten von Vorgesetzten beschweren: Es wird ein Stil eingeführt, dass höhere Polizeiführer zum Landespolizeipräsidenten bestellt und abgekanzelt werden. So macht man keine moderne Personal- und Polizeiführung. Das ist ein Stil aus dem vorigen Jahrhundert, weil Sie offensichtlich mit Ihrer Art von Polizei gescheitert sind, um das einmal sehr deutlich zu sagen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen ist unsere Forderung mehr als berechtigt: Mindestens 360 Stellen müssen wieder her. Die 8 Millionen c reichen auch nicht aus. Wenn Sie alle Überstunden ausgleichen wollen, brauchen Sie einen Betrag – wir haben das niedrig angesetzt – von 15 Millionen c.Aber auch das löst nicht die Probleme; denn die Beamten machen ihren Dienst, sie machen Sonderschichten. Dann wird man möglicherweise krank. Wir haben nicht mehr Polizeibeamte auf Hessens Straßen – und das ist der eigentliche Skandal.

Herr Innenminister, Sie lassen sich feiern, weil Sie ein bisschen Geld in die Hand nehmen. Erstens haben Sie bisher noch nicht gesagt, wie das finanziert wird, und zweitens löst das nicht das Grundproblem, dass die Strukturen unter Ihrer Verantwortung nicht stimmen.

Deswegen ist die mit einem Fragezeichen versehene Feststellung der GdP „Wird Hessens Polizei verheizt?“ doch mehr als berechtigt. Die Auseinandersetzung müssen Sie doch einmal ernsthaft betreiben. Nun können Sie mit Ih

rer absoluten Mehrheit sagen, wie Sie das ja immer tun: Mehrheit ist Wahrheit. – Aber die Stimmung draußen auf hessischen Straßen und bei Hessens Polizeibeamten ist eine andere.

Insofern ist diese Aktion, die Sie gemacht haben, nicht ein Zeichen besonderer Ein- oder Weitsicht, sondern ausschließlich der Not gehorchend, Ihrem schlechten Gewissen, sofern das überhaupt noch vorhanden ist. Es ist keine gute Politik, es ist Zeichen einer falschen Politik. Es ist Zeichen Ihres Offenbarungseides. Deswegen fordern wir: Kehren Sie um. Stellen Sie mehr Polizei für Hessens Bürgerinnen und Bürger bereit. Das wäre der beste, der wichtigste Beitrag zum Schutz hessischer Bürgerinnen und Bürger. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Rudolph. – Das Wort hat Frau Abg. Zeimetz-Lorz für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube nicht, dass ich übertreibe, wenn ich feststelle, dass die Stimmung in unserem Lande so gut wie selten zuvor ist.

(Beifall bei der CDU)

Wie hat es ein Kabarettist vor kurzem so schön treffend bemerkt? „Mit etwas Glück können wir bald sagen: Wir sind Papst, wir sind Weltmeister, und wir sind Deutschland.“

(Norbert Schmitt (SPD): Frau Merkel hat gesagt, wir seien ein Sanierungsfall!)

Nur ist das bei dieser Opposition,wie der vorliegende Antrag und vor allen Dingen auch der Redebeitrag des Kollegen Rudolph zeigen, natürlich eine abwegige Hoffnung.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sind ein Sanierungsfall,hat Frau Merkel gesagt! – Gegenruf von der CDU: Den haben Sie nach sieben Jahren Regierung hinterlassen!)

Meine Damen und Herren von der SPD, unsere Nationalelf mag den Weltpokal gewinnen oder auch nicht. Sie von der SPD gewinnen auf jeden Fall einen anderen Preis: den für den größten verbliebenen Miesepeter in diesem Lande.

(Beifall bei der CDU)