Protokoll der Sitzung vom 28.03.2007

Das zweite Beispiel stammt von der Kultusministerin höchstselbst. In ihrer Bilanzpressekonferenz vom gestrigen Tage sagte die Kultusministerin, der in der PISA-Studie 2000 festgestellte Prozentsatz, dass in Hessen 27 % der Schülerinnen und Schüler einfachste Texte nicht verstehen können, sei eine „vernichtende Quote“.

(Ministerin Karin Wolff: Das ist Ihre Bilanz!)

Jawohl, Frau Ministerin. Was Sie aber wieder nicht dazusagen:Wir haben mittlerweile eine zweite PISA-Studie, nämlich die aus dem Jahre 2003 – da waren Sie vier Jahre im Amt –, und die besagt, dass sich an dieser Quote in diesen vier Jahren nichts Signifikantes geändert hat. Das ist die Wahrheit, Frau Wolff, und deshalb brauchen wir eine andere Politik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das, was uns die PISA-Studie 2003 über das Ergebnis nach vier Jahren Ihrer Politik sagt, ist in der Tat – ich zitiere Sie, Frau Ministerin – „vernichtend“.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wenn in einer Umfrage des Hessischen Rundfunks 71 % der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sagen, die Bildungspolitik habe sich in den acht Jahren Ihrer Regierungszeit entweder verschlechtert oder zumindest nicht gebessert, dann sollte das auch der Mehrheitsfraktion in diesem Hause endlich zu denken geben und einen Kurswechsel in der Schulpolitik einleiten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

In dieser Umfrage sagen nur 17 % der Hessinnen und Hessen, in den acht Jahren der Amtszeit von Kultusministerin Wolff habe sich an den Schulen etwas gebessert. Noch nicht einmal Ihre eigenen Anhänger, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, glauben noch an die Erfolgsmeldungen, die Sie jeden Tag zu produzieren versuchen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus all diesen Gründen brauchen wir einen Aufbruch zu einer neuen Schule. Aus all diesen Gründen hat meine Fraktion einen Antrag vorgelegt und darin einen Weg beschrieben, wie wir zu diesen neuen Schulen kommen können, wie wir es in unserem Land endlich schaffen können, den Schulen die Freiheit, die Unterstützung und die personellen und sächlichen Mittel zu geben, dass sie sich endlich um alle Schülerinnen und Schüler individuell kümmern können, dass die Schulen endlich fördern können und nicht mehr gegängelt werden, dass wir bei den PISAStudien endlich mithalten können, dass es eben nicht mehr vom Elternhaus abhängt, welchen Bildungsab

schluss man macht, sondern dass wirklich alle gemäß ihren Begabungen gefördert werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der erste und wichtigste Schritt ist die Auflage eines Sofortprogramms Schule. Wir müssen die Gängelung, die Bevormundung, die Überforderung, die immer neuen Vorgaben, die es in den letzten acht Jahren für unsere Schulen gegeben hat, beenden. Wir müssen mit dem „Sofortprogramm Schule“ den Schulen endlich wieder Luft zum Atmen geben, denn unsere Schulen sind dafür da, die Schülerinnen und Schüler optimal zu fördern, und nicht dafür, Berichte an die Frau Kultusministerin zu schreiben. Das ist der erste und wichtigste Schritt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu diesem Sofortprogramm gehört für uns die Wiedereinstellung der 1.000 Lehrerstellen in den Haushalt, die diese Landesregierung gestrichen hat. Zu diesem Sofortprogramm gehört für uns, dass die völlig vermurkste und bürokratisierte Unterrichtsgarantie Plus endlich korrigiert wird. Zu diesem Sofortprogramm gehört für uns, dass die Schulen endlich ein eigenes Budget bekommen, und zwar ein Budget mit zusätzlichen Mitteln, sodass nicht immer nur eine Umverteilung in den bestehenden Budgets vorgenommen wird. Dann kämen unsere Schulen wieder ein gutes Stück voran.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Herr Kollege Milde, unser Ziel ist es, bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode der Hälfte aller weiterführenden Schulen zu ermöglichen, sich auf freiwilliger Basis zu neuen Schulen weiterzuentwickeln.Was meinen wir,wenn wir von neuen Schulen reden? Kennzeichen dieser neuen Schulen sind für uns, dass dort tatsächlich alle Abschlüsse der Sekundarstufe I und der Übergang in die Oberstufe möglich sind.Wir wollen, dass die Schülerinnen und Schüler, wenn die Schulgemeinden das freiwillig so einrichten, länger gemeinsam lernen können, länger im Klassenverband zusammenbleiben können. Wir wollen, dass keine Klasse an diesen Schulen mehr als 25 Schülerinnen und Schüler hat.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU) – Axel Wintermeyer (CDU): Sie wollen also auch die Einheitsschule!)

Ich komme gleich dazu, Herr Kollege Irmer. Gedulden Sie sich noch ein bisschen. – Wir wollen eine bessere Zusammenarbeit der Schulen mit ihrem Lernumfeld, und wir wollen, dass Risikoschüler nicht erst ab Klasse 8, wie im Schulkonzept der Landesregierung vorgesehen, sondern systematisch schon ab Klasse 5 gefördert werden.

Das sind die wesentlichen Elemente unserer neuen Schule. Herr Kollege Irmer, ich weiß wirklich nicht, was gegen unsere Vorschläge spricht. Wogegen sind Sie eigentlich?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Wie reagieren Sie darauf, Herr Kollege Irmer? Sie haben eben wieder ein typisches Beispiel für Ihre Reaktion gegeben. Sie setzen sich nicht mit den Inhalten auseinander. Sie sagen nicht, den einen Punkt finden Sie richtig, oder den anderen Punkt würden Sie anders machen, sondern Ihre einzige Reaktion auf neue bildungspolitische Vorschläge ist, dass Sie in die alte Schulkampfkiste greifen.

Sie können einfach nicht anders. Das bringt unsere Schulen aber nicht voran, Herr Kollege Irmer.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Hans-Jürgen Ir- mer (CDU):Was machen Sie denn?)

Sie versteigen sich in Ihrem Antrag zu schlicht und ergreifend falschen Aussagen, weil Sie angesichts Ihrer katastrophalen Bilanz nach acht Jahren Regierungszeit die inhaltliche Auseinandersetzung scheuen. In Punkt 2 Ihres Antrags heißt es: „Der Landtag spricht sich vor dem Hintergrund dieser Tatsache zum wiederholten Male gegen jeden Versuch durch SPD und GRÜNE aus, Hessens Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien abzuschaffen und durch Einheitsschulen für alle zu ersetzen.“

Herr Kollege Irmer,niemand in diesem Hause will das.Sie sollten das endlich einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir setzen auf die freiwillige Weiterentwicklung der Schulen.Wir wollen den Schulen dazu endlich die Möglichkeit geben – statt Gängelung, wie Sie es gemacht haben, Freiheit für die Schulen. Wir wissen ganz viele Lehrerinnen und Lehrer,Schülerinnen und Schüler sowie Eltern hinter uns,

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Und Rektoren!)

die sich auf den Weg machen würden, wenn diese Kultusbürokratie sie endlich lassen würde. Deshalb brauchen wir dieses Konzept der neuen Schule.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Irmer, dass es der CDU überhaupt nicht mehr um die Sache geht, zeigt Ihre Reaktion auf unseren Vorschlag in der Pressemitteilung vom 14.03. Dort sagen Sie – ich zitiere –: „Auch die GRÜNEN wollen die Einheitsschule. Das kann weder das Etikett ,Neue Schule‘ noch“ – jetzt kommt es – „die Freiwilligkeit verdecken.“

Lieber Kollege Irmer, welchen Teil des Wortes Freiwilligkeit verstehen Sie eigentlich nicht? Freiwilligkeit und Einheitsschule gehen gedanklich nicht zusammen, auch nicht in einer Pressemitteilung der CDU.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie das, was wir vorschlagen – dass sich die Hälfte der weiterführenden Schulen, wenn die Schulgemeinden es wollen, weiterentwickeln können –, für eine Zwangsmaßnahme halten und wenn Sie glauben, das als Zwangsmaßnahme denunzieren zu müssen, was sagen Sie dann eigentlich zu dem Vorschlag der CDU in Hamburg?

(Petra Fuhrmann (SPD): Sozialistische Zwangseinheitsschule!)

Ich zitiere aus dem Bildungskonzept der CDU in Hamburg:

Alle Haupt- und Realschulen, integrierten Hauptund Realschulen, integrierten Gesamtschulen und kooperativen Gesamtschulen werden bis Sommer 2010 zusammen mit Aufbaugymnasien und beruflichen Gymnasien zu Stadtteilschulen.

Die Schulen in Hamburg werden bis 2010 verpflichtend umgewandelt. Dann werfen Sie uns doch bitte nicht vor, wir würden irgendeinen Zwang ausüben. Sie müssen erst einmal mit ihren Kollegen in Hamburg reden. Dann kön

nen Sie hier wieder ankommen und können SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in dieser Frage denunzieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir setzen nicht auf ein Modell der Zwangsbeglückung, wie Sie es seit acht Jahren mit der Perfektionierung der Auslese im dreigliedrigen Schulsystem machen,

(Axel Wintermeyer (CDU): Ach du liebe Neune! Glauben Sie das alles, was Sie sagen?)

sondern wir setzen auf die Kreativität der Schulen. Im Übrigen, Herr Kollege Irmer, wenn das alles angeblich so des Teufels ist, was wir hier vorschlagen und was die Kollegen der SPD in vergleichbarer Form vorschlagen, dann empfehle ich Ihnen das vertrauensvolle Gespräch mit der CDU Hersfeld-Rotenburg. Was hat die CDU HersfeldRotenburg im Kreistag im September 2006 beantragt? Ich zitiere:

Dabei sollte den von Auflagen betroffenen Schulen die Möglichkeit des jahrgangsübergreifenden Unterrichts zur Sicherung der Standorte gegeben werden. Für die Sekundarstufe-I-Schulen, die von einer zu geringen Nachfrage betroffen sind, ist alternativ die Bildung von schulformübergreifenden Klassen vorzusehen.

Her Kollege Irmer, Sie sind doch mit Ihrer Truppe die letzten kalten Krieger des Schulkampfes.Außerhalb Ihrer Fraktion hat doch wirklich jeder verstanden, wo die Reise hingeht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ihre Reaktion auf unsere neuen Vorschläge erinnert mich auf fatale Weise an die Reden, die die CDU in diesem Hause vor fünf oder zehn Jahren zum Thema Ganztagsschule gehalten hat. Das waren die gleichen Debatten. SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mussten sich anhören, das sei eine Zwangsbeglückung, das wollten die Eltern und Schüler nicht, das ginge nicht, das sei das Vorfeld zum Sozialismus.All das mussten wir uns vor fünf bis zehn Jahren anhören. Heute feiern Sie sich dafür, dass Sie die Ganztagsschulen ausgeweitet haben. Meine Damen und Herren, wir können es uns nicht leisten, dass wir von einer Partei regiert werden, die in den bildungspolitischen Debatten immer fünf bis zehn Jahre hinten dran ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren von der Union, ich prophezeie Ihnen: In fünf bis zehn Jahren werden Sie mit der gleichen Verve, wie Sie heute die Ganztagsangebote verteidigen, das verteidigen, was BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heute hier als neue Schule vorlegt.