Protokoll der Sitzung vom 05.07.2007

Zweitens. Es gelten die Lehrpläne in der Form, in der wir sie zurzeit haben. Sie bilden all das ab, was unserer Ansicht nach unterrichtet werden sollte – auch an der Stelle, wo von den Lehrerinnen und Lehrern Fächerverbindendes und Fächerübergreifendes gefordert wird. Das sind die beiden Grundsätze, die hinter der Auftragstellung für die Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrerinnen und Lehrer stehen. Ich will die entsprechende Passage noch einmal vorlesen. Sie steht aus meiner Sicht an der richtigen Stelle.

Liebe Frau Kollegin Henzler, die Jahrgangsstufe 12 ist dafür aus gutem Grund ein geeigneter Zeitpunkt. „Auseinandersetzung mit philosophischen und religiösen Aussagen müssen die naturwissenschaftliche Diskussion ergän

zen und erweitern.“ Das steht nicht im allgemeinen Verhaltenscodex für Schule, sondern im Lehrplan für Biologie. Deshalb ist klar, dass man das tun muss. Nicht mehr und nicht weniger hat auch Karin Wolff gesagt.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt einen streitigen Punkt, das hat Herr Dr. Wagner deutlich gemacht. Ruth Wagner hat dies in der Antwort auch geltend gemacht. Dieser Punkt ist möglicherweise wirklich streitig. Es ist aber legitim, dass er streitig ist. Herr Wagner sagt: „Auch am Ende der naturwissenschaftlichen Erkenntnis steht nach der Aufklärung nichts als die weitere Suche.“ Das ist eine mögliche Antwort.

Die Biologie muss diese eine mögliche Antwort deutlich machen.Wenn sie das naturwissenschaftliche Denken mit philosophischen und religiösen Aussagen erweitern soll, soll sie jungen Menschen in der 12.Klasse klarmachen:Ich muss wissen, dass ich nicht alles weiß. Naturwissenschaft muss davor geschützt werden, junge Menschen in die Gefahr zu bringen,zu glauben,sie könnten die ganze Welt erklären.

(Beifall bei der CDU)

Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Gleich, sehr gerne. – Anschließend muss sie den Schülern klarmachen, dass sie sehr unterschiedliche Alternativen haben, mit dieser Erkenntnis umzugehen. Die schlichte Erkenntnis kann sein, weiterzusuchen. Herr Wagner, es kann aber auch eine legitime Erkenntnis sein, zu glauben

(Zuruf der Abg. Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

auch, nur auch –, meine sehr verehrten Damen und Herren, es hat nie jemand etwas anderes gesagt als: auch.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Doch! – Un- ruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Genau darum geht es. Deshalb sage ich Ihnen: Dieses „auch“ werden wir verteidigen.

(Zurufe der Abg. Sarah Sorge und Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wenn im Biologieunterricht nicht auch gesagt wird, dass es die Alternativen des rein Aufklärerischen bis Agnostischen und auf der anderen Seite des Glaubenden gibt, würde man den Auftrag des Grundgesetzes,das mit gutem Grund in Verantwortung vor Gott geschrieben ist, ein Stück weit zur Seite legen. Deshalb muss dies und nichts anderes geleistet werden.Wer den Glauben absolut setzt, hat genauso Unrecht wie derjenige, der die Naturwissenschaften absolut setzt. So muss an deutschen Schulen unterrichtet werden.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Wagner, bitte sehr.

Werter Herr Ministerpräsident, wenn diese Aussage so stimmt – und ich teile sie –, dann gibt es, wie Sie es gerade gesagt haben, zwei Möglichkeiten, nämlich im Biologieunterricht auf naturwissenschaftlicher Basis und im Religionsunterricht auf theologischer Basis, nämlich der Wissenschaft von den Glaubenswahrheiten, zu möglicherweise zwei unterschiedlichen Folgerungen zu kommen.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Frau Wolff hat gesagt, sie finde eine klare Übereinstimmung. Darüber streiten wir heute Morgen.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte gerne wissen, was Sie dazu sagen.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Abg.Wagner, die Antwort auf diese Frage ist, denke ich, korrekterweise zweigeteilt. Der eine Teil bezieht sich auf die Frage: Ist die Frage, die Sie gerade stellen, nur Gegenstand des Religions- oder auch des Biologieunterrichts? Darauf ist die Antwort des Lehrplans und von Frau Kollegin Wolff: von beidem.

Dagegen habe ich den Eindruck,bei Herrn Kollegen Wagner hat die Antwort auf die Frage: „Könnte es auch eine Schöpfungsgeschichte sein und nicht nur die Unfähigkeit zur Erklärung aller naturwissenschaftlichen Phänomene?“, im Biologieunterricht nichts verloren. Wenn das die Alternative ist, bin ich klar Ihrer Meinung und nicht der von Herrn Wagner.

Natürlich gehört das beim Erwachsenwerden eines Menschen zu den Fragen, und zwar unter dem Gesichtspunkt der naturwissenschaftlichen Theorie in den Religionsunterricht. Die Kirchen wären verrückt, wenn sie diese Frage nicht zum Gegenstand des Religionsunterrichts machten. Wir im Staat wären verrückt, wenn wir die Debatte über Religion, die ein prägendes Element unserer staatlichen Ordnung ist, wie es in der Verfassung steht, nicht zum Gegenstand des Biologieunterrichts machten.

Dabei geht es nicht um Missionieren. Der Unterschied ist: Wir als Staat werden im Biologieunterricht nicht missionieren. – Das bedeutet aber nicht, dass wir verschweigen. Bei dieser Frage muss man den Mut haben, das eine und das andere einigermaßen vernünftig zu betrachten.

(Beifall bei der CDU)

Ich sage Ihnen ganz offen: Wie die Kultusministerin, ich oder andere die Frage bewerten, welchen Charakter des Allegorischen, des Interpretierenden die Evolutionstheorie hat und wie die Naturwissenschaften beschaffen sind, spielt dabei keine Rolle. Die „Frankfurter Neue Presse“ hat in diesen Tagen mit einem, wie ich finde, beachtenswerten Interview gezeigt: Naturwissenschaftler christlichen Glaubens sagen, sie sähen dort große Übereinstimmung. Das ist Gegenstand des Religionsunterrichts.

Daran darf eine Kultusministerin, ein Ministerpräsident oder dürfen Sie glauben oder nicht. Das werden wir nicht zum verbindlichen Gegenstand des Unterrichts machen. Aber dass junge Menschen diese Frage kennen und im Unterricht diskutieren, ist der beste Schutz vor jeder Art von Fundamentalismus und nicht die Einführung von Fundamentalismus in die Schule.

(Beifall bei der CDU) – Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP) : Das hat sie nicht gesagt!)

Meine Damen und Herren, deshalb darf ich abschließend sagen: Ich empfehle die Rückkehr zu etwas mehr Gelassenheit.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Wenn Frau Wolff das gesagt hätte, was Sie gesagt haben, wäre es gut!)

Religion ist ein Thema unserer Welt. Es ist nicht eine Insel, mit der normale Menschen nichts zu tun haben, sondern wir haben in diesem Land eine in Verantwortung vor Gott geschriebene Fassung. Wir wollen, dass sich die nächste Generation mit der Fähigkeit zum Wissen und dem Stolz auf Wissen und den religiösen Hintergründen von möglichen Begründungen in einer von christlich-jüdischen Traditionen geprägten abendländischen Gesellschaft offen auseinandersetzt. Nichts anderes ist das Prinzip in hessischen Schulen. Nichts anderes hat Karin Wolff vertreten. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU – Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Frau Wolff hat das Gegenteil gesagt! Das ist ein Unterschied!)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Kollege Grumbach, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich glaube, dass die Debatte an dieser Stelle noch nicht ausdiskutiert ist. Der Ministerpräsident hat hier relativ ruhig eine Position eingenommen, die man vor 500 Jahren hätte einnehmen können.

(Lachen bei der CDU – Zuruf der Abg. Ruth Wag- ner (Darmstadt) (FDP))

In der Frage des Religionsfriedens nach der Auseinandersetzung zwischen katholischer Kirche und Reformation war der zentrale Satz: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.“ Damit war verbunden, dass der Landesherr in der Lage war, zu bestimmen, was an Religiösem in einer Schule thematisiert werden sollte.

Herr Ministerpräsident, ich respektiere jeden, der für sich entschieden hat, was seine Sicht auf Religion ist.

Frau Wolff aber hat eine einzige Sichtweise zur Religion definiert. Das entspricht, mit Verlaub, dem Religionsfrieden von vor ein paar Hundert Jahren.Aber das entspricht nicht dem 21. Jahrhundert. Denn die Schule ist zur Neutralität verpflichtet. Niemand hat da einen Alleinvertretungsanspruch.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jenseits der Frage, ob Sie jemanden zu etwas zwingen können, haben Sie einen zweiten Punkt aufgemacht, den ich auch nicht für ganz ungefährlich halte. Wer sagt, dass es eine hohe Übereinstimmung zwischen Glaubenssätzen und Aussagen der Naturwissenschaft gibt, der ist sozusagen auf dem Pfad, auf dem man die Aufklärung verlässt. Damit wird der Demokratie ihre Grundlage entzogen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das ist falsch! – Weitere Zurufe von der CDU – Glockenzeichen des Präsidenten)

Wenn Sie dazu etwas nachlesen möchten,empfehle ich Ihnen einen bekannten Autor. Er hat unter seinem Namen Ratzinger sehr ausführlich über das Verhältnis von Wissenschaft und Glauben geschrieben.

(Beifall der Abg. Norbert Schmitt und Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Ich finde, das sollten Sie tun.

(Minister Dr.Alois Rhiel: Und Habermas dazu!)

Ich kann verstehen, dass Sie da empfindlich sind. Ich will Sie gar nicht ärgern. Mir geht es nicht darum, die Menschen zu beleidigen,die sagen:Dieser Glaube ist mir wichtig. – Nein, diese Haltung finde ich richtig und auch gut. Unsere Gesellschaft wäre besser dran, wenn sich die Leute gut überlegen würden, welche Überzeugungen sie haben wollen.

Ich möchte auf den letzten Punkt zu sprechen kommen. Da haben Sie ein Handlungsproblem. Alle Ihre Worte sind deswegen so schwierig, weil Sie das in der Realität nicht überprüfen.Wir haben in Hessen ein paar 1.000 kreationistischer Schulbücher im Umlauf.Wir wissen, wo sich 24 befinden.

(Ministerin Karin Wolff: Es gibt keine kreationisti- schen Schulbücher!)