Protokoll der Sitzung vom 05.09.2007

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Schauen wir uns das Versprechen der Qualitätsgarantie an. Davon kann nun wirklich überhaupt keine Rede sein. Denn alle – ich betone: alle – nationalen Vergleichsstudien bescheinigen dem hessischen Bildungssystem, dass es allenfalls im Mittelfeld, meist sogar nur im unteren Drittel liegt.

Das liegt nicht daran, dass sich nicht Lehrerinnen und Lehrer jeden Tag abarbeiten und versuchen würden, für ihre Schülerinnen und Schüler das Beste zu machen. Das liegt nicht daran, dass sich Eltern nicht engagieren, sondern es liegt an den politischen Rahmenbedingungen. Für diese politischen Rahmenbedingungen sind Sie, Frau Ministerin, verantwortlich. Es ist doch eine niederschmetternde Bilanz, wenn man Hessen zum Bildungsland Nummer eins machen wollte und dann in allen Studien nur im Mittelfeld oder im unteren Drittel landet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Ministerin Karin Wolff:Wenn es die Wahrheit wäre!)

Jetzt sagt die Frau Ministerin, sie hätte Zweifel an diesen Studien.

Wenn alle Studien sagen, man ist schlecht – so ist es ja, bezogen auf Frau Wolff –, dann kommt man nicht auf die Idee, diese Studien ernst zu nehmen und sie auszuwerten, sondern man stellt die Studien infrage.

Aber auch dieser Umgang mit Studien ist bei dieser Kultusministerin relativ beliebig. Denn Ihnen geht es nicht um die Sache, Frau Wolff, sondern Ihnen geht es um mittelmäßige Parteipolitik.

(Zuruf des Abg. Mark Weinmeister (CDU))

Ich kann Ihnen das, weil Sie Wert darauf gelegt haben, auch nachweisen.Wir schauen uns einmal an, wie sich die CDU und Frau Ministerin Wolff zum Bildungsmonitor 2006 geäußert haben, eine vergleichende Untersuchung der Bildungslandschaft in der Bundesrepublik Deutsch

land. Sie kam zu dem Ergebnis, dass das hessische Bildungssystem im Jahr 2006 auf Platz 12 von 16 landet. Da sagt die CDU in der Plenardebatte am 13.09.2006,Kollege Irmer:

Diese ganze Studie ist das Geld nicht wert, das wer auch immer dafür in letzter Konsequenz bezahlt hat.

In einer Pressemitteilung vom 25. September 2006 sagt der Kollege Irmer:Diese Pseudostudie ist unwissenschaftlich, weil völlig veraltet, in ihren Indikatoren nicht aussagekräftig und willkürlich zusammengestückelt.

(Norbert Schmitt (SPD): Ei, ei, ei!)

Frau Ministerin Wolff sagt im Gespräch mit dem Hessischen Rundfunk am 24.08.2006, anzuhören auf hr-online.de, dass sie diesen Bildungsmonitor von der Diagnosefähigkeit her nicht für brauchbar hält und wissenschaftlich hochgradig angreifbar findet.

Jetzt hören wir uns an, was diese Kultusministerin im Jahr 2007 – ein Jahr später – zu derselben Studie sagt. Dazu, dass Hessen in dieser Studie im Jahr 2007 auf Platz 10 landet, heißt es in der Pressemitteilung von Frau Wolff vom 21.08. dieses Jahres: „Eine bessere Nachricht zum Schulanfang kann man sich nicht wünschen.“

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf der Ministerin Karin Wolff)

Frau Ministerin, unglaubwürdiger und unseriöser kann man wirklich nicht sein. Sie zeigen, dass Sie an der Wirklichkeit an unseren Schulen überhaupt nicht interessiert sind.Vielmehr geht es um billige Parteipolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Da eine billige Parteipolitikerin das Amt des Kultusministers bekleidet, ist die Fachlichkeit von Herrn Domisch so erfrischend. Frau Kultusministerin, deshalb können Sie Herrn Domisch auch nicht im Entferntesten das Wasser reichen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Da wir schon bei dem Umgang mit Zahlen und Ihrem mühseligen Versuch sind, sich selbst Erfolg zuzuschreiben, obwohl in allen neutralen Studien steht, dass dieser Erfolg nicht messbar sei, schauen wir einmal in Ihre Regierungserklärung.

Sie sagen, die Erfolgsquote der Schüler in den SchuBKlassen liege bei 90 %. So, wie es angestoßen wurde, finden wir das SchuB-Klassen-Projekt gut. Daran gibt es gar keinen Zweifel. Aber, Frau Ministerin, warum haben Sie es nötig, die Schülerinnen und Schüler, die die SchuBKlassen vorzeitig abgebrochen haben, aus Ihrer Erfolgsbilanz herauszurechnen? Dann wäre dieses Projekt immer noch erfolgreich. Wir hätten eine Erfolgsquote von 75 %.

Warum rechnet eine amtierende Kultusministerin Schülerinnen und Schüler heraus, die gescheitert sind? Das zeigt doch, es geht Ihnen überhaupt nicht um diese Schülerinnen und Schüler, sondern darum, irgendwelche schönen Statistiken zu präsentieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Dann lobt sich diese Ministerin in ihrer Regierungserklärung dafür, dass die Quote der Sitzenbleiber von 3,1 %

auf 2,7 % gesunken ist. Dieser Wert ist richtig; diese Entwicklung ist gut. Aber noch immer bleiben jährlich fast 20.000 Schülerinnen und Schüler sitzen.

Frau Wolff, Sie müssten auch sagen, dass es nach wie vor kaum ein anderes Bundesland gibt, in dem pro Jahr mehr Schülerinnen und Schüler sitzen bleiben. Unter 16 Bundesländern nehmen wir Platz 12 ein. Es kann keine befriedigende Bilanz sein, wenn wir feststellen, dass sich an dieser Platzierung seit Jahren nichts ändert und dass andere offenkundig besser und schneller sind. Frau Wolff, Sie können das wirklich nicht als einen Beleg für eine erfolgreiche Politik ausgeben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der nächste Punkt, an dem sich das Scheitern dieser Kultusministerin zeigt, ist das, was Sie „Ganztagsschulangebot“ nennen. Sie fördern – politisch und ideologisch gewollt – in unserem Land ausschließlich die pädagogische Mittagsbetreuung.

(Ministerin Karin Wolff: Bewusst!)

Sie sagen „bewusst“. Darauf können wir uns verständigen, Frau Ministerin. Sie bekennen sich auch noch dazu.

(Zuruf der Ministerin Karin Wolff)

Jetzt sagen wir, eine pädagogische Mittagsbetreuung ist besser als nichts. Das ist keine Frage. Aber das hat mit dem pädagogischen Konzept einer Ganztagsschule nichts zu tun. Mit dem pädagogischen Konzept für eine Ganztagsschule – Herr Irmer, nicht mit Zwang, sondern freiwillig – müssten wir ein gutes Stück vorankommen. Hier hat sich in Ihrer Amtszeit überhaupt nichts getan.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt sagt die Frau Ministerin, sie beschränke sich „bewusst“ – wie sie es eben formuliert hat – auf die pädagogische Mittagsbetreuung.

(Ministerin Karin Wolff: In dieser Legislaturpe- riode, das ist richtig!)

Dann könnte man sagen, dass dies, wenn es um eine bewusste Entscheidung geht, auch ein Schwerpunkt ist. Jetzt schauen wir uns einmal an, wie viele Schulen in diesem Schuljahr hinzukommen: Aufgrund dieser „bewussten“ Entscheidung dürfen ganze 64 Schulen zusätzlich ein Angebot an pädagogischer Mittagsbetreuung machen.

(Norbert Schmitt (SPD): Das ist sensationell!)

Frau Ministerin, wenn wir in diesem Tempo weitermachen, brauchen wir 20 Jahre, bis wir in allen hessischen Schulen nur ein Angebot für eine pädagogische Mittagsbetreuung haben, von einem bedarfsgerechten Ganztagsangebot ganz zu schweigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist hochgradig unglaubwürdig, wenn die Ministerin in Regierungsverantwortung, die pro Schuljahr gerade einmal 64 Angebote für eine pädagogische Mittagsbetreuung genehmigt, im Wahlprogramm der CDU schreibt, sie wolle bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode überall Ganztagsschulen schaffen. Realität und Wahlversprechen klaffen so weit auseinander, dass es schlicht und ergreifend unglaubwürdig ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Meine Damen und Herren von der Union, Sie können nicht verhehlen, dass Sie vor fünf, sechs, sieben Jahren mit

der Idee eines bedarfsgerechten Ganztagsangebots an unseren Schulen überhaupt noch nichts anfangen konnten

(Zuruf von der CDU: Das erzählen die Richtigen!)

und dass der langsamere Fortschritt beim Ausbau eines bedarfsgerechten Ganztagsangebots daran liegt, dass Sie in Ihrer Regierungszeit Jahre gebraucht haben, um Ihre ideologischen Scheuklappen in dieser Frage abzulegen. Das ist der Grund, warum wir nur im Schneckentempo vorankommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Birgit Zeimetz-Lorz (CDU): Das sagt der Richtige! So große Scheuklappen gibt es gar nicht, wie Sie sie brauchen!)

Ich sage Ihnen eines: In demselben Maß, wie Sie vor sechs oder sieben Jahren bedarfsgerechte Ganztagsangebote bekämpft – übrigens mit nahezu denselben Formulierungen, mit denen Sie heute die Idee einer neuen Schule bekämpfen – und gesagt haben, es handele sich um eine „Zwangsbeglückung“, niemand wolle das, werden Sie am Ende der nächsten Legislaturperiode geläutert und bekehrt sein, wenn SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Schulwahlfreiheit wiederhergestellt und die neue Schule als ein Angebot neben dem gegliederten Schulsystem eingeführt haben werden.

(Axel Wintermeyer (CDU): Ihr habt die Linke vergessen! – Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Dann wird auch die Union sagen: Das war gar nicht so schlecht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)