Protokoll der Sitzung vom 27.01.2004

Verehrte Frau Hinz, von daher ist die Zeit nicht Maßstab der Qualität, sondern der Inhalt ist entscheidend. Wenn Sie sich schon hier vorne hinstellen und in lyrischer Form mit sonorer Stimme Ihre Schulgeschichte erzählen, dann frage ich mich, warum Sie bei der letzten Landtagswahl in Hessen dafür keine Mehrheit bekommen haben. Das muss doch Gründe haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Rudi Hasel- bach (CDU): Abgelehnt! – Priska Hinz (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Das frage ich mich auch!)

Das fragen Sie sich auch und können es nicht beantworten.

Meine Damen und Herren, ich möchte zu dem kommen, was Frau Kollegin Habermann gesagt hat. Ich zitiere einen Satz: „Der Zustand der Partei ist schlecht. Uns sind die Visionen verloren gegangen“,

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist denn das jetzt schon wieder?)

so sprach der Landtagsabgeordnete Dr. Spies auf einem Parteitag der Sozialdemokraten.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der meint andere Visionen als Sie!)

Meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Er hat nicht nur die Visionen verloren, sondern auch den Bezug zur Realität und den Bezug zur Wahrheit. Frau Kollegin Habermann,denn das,was hier veranstaltet worden ist – Kassandra II. lässt grüßen –, hat mit Wahrheit herzlich wenig zu tun.

(Zuruf der Abg. Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie haben erklärt, die Lehrerzuweisungen wären gekürzt worden.– Sie wissen,dass dies falsch ist.Sie haben erklärt, die Klassen wären vergrößert worden. – Sie wissen, dass dies falsch ist. Sie haben gesagt, die Klassen hätten 33 Schüler. – Ich füge am Rande hinzu: In der letzten Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses haben die Sozialdemokraten einen Antrag zum Thema Bildungspolitik gestellt. Dort haben Sie explizit ausgeführt, dass die Zahl der Schüler einer Klasse kein Maßstab für die Qualität des Unterrichtserfolges ist. Das ist ein Widerspruch zu dem, was Sie auf der einen Seite sagen. – Im Übrigen sind die Klassengrößen in dieser Größenordnung nicht ausgeschöpft. Die durchschnittlichen Zahlen sind völlig anders. Der entsprechende Erlass stammt aus Ihrer rot-grünen Zeit. Er ist von uns nicht verändert worden.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Sie haben uns weiter vorgeworfen, mehrere Tausend Lehrerstellen würden abgebaut, Frau Kollegin Habermann. – Ist sie da? Das macht nichts, sie bekommt ja das Protokoll und kann es dann nachlesen, sie hat ja entsprechende Bildung genossen.

(Gerhard Bökel (SPD): Die Kollegin ist da! – Weitere lebhafte Zurufe von der SPD)

Herr Irmer, Frau Habermann ist im Saal. Sie sitzt in der letzten Bank.

Das ist schön. Ich freue mich darüber. Herzlich willkommen im Klub. – Sie hat in einer Presseerklärung vom September letzten Jahres erklärt, mehrere Tausend Stellen von Lehrern würden abgebaut. Meine Damen und Herren, Sie wissen, auch dies ist in der Sache schlicht falsch.

Dann schaut man sich die Presseerklärung vom 27. Januar zum Thema „Habermann: Gratulation an Hessens Grundschulen“ an. In einem Punkt stimme ich Ihnen zu, Frau Habermann,und zwar an dem Punkt,an dem Sie den Lehrern gratuliert haben. Das ist richtig. Wenn heute in Hessen gute Ergebnisse erzielt werden, dann liegt das un

ter anderem – gar keine Frage – auch an den Lehrern. Da kann man auch ein Wort des Dankes sagen. Das ist unbestreitbar.

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, Sie machen sich das Ganze aber ein bisschen leicht. Das hat auch etwas mit Rahmenbedingungen zu tun. Das, was Sie hier geschrieben haben, erinnert mich doch sehr an das, was Herr Kollege Holzapfel in seiner Amtszeit als Kultusminister immer angedroht hat.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Holzapfel ist schuld! Plottnitz ist auch schuld!)

Sie haben in Ihrer Presseerklärung geschrieben: „Den Erfolg mit einer formalen Erweiterung der Stundentafel zu begründen... ist geradezu lächerlich.“

(Zuruf der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, Sie sprachen von einer formalen Erweiterung. Mit vergleichbarer Argumentation haben Sie in der Vergangenheit immer die von Ihnen vorgenommene Verkürzung des Unterrichts legitimiert. Sie sprachen auch von „formal“. Was heißt denn „formal“? Dabei ging es um Kürzungen von zwei, drei Stunden usw. – Frau Habermann, ich lasse keine Zwischenfragen zu. – Sie haben es durch diese formale Reduzierung geschafft, dass Hessen hinsichtlich der Zahl der verpflichtenden Unterrichtsstunden pro Schuljahr, auf vier Jahre berechnet, mit 87 Jahreswochenstunden bundesweit Schlusslicht war. Diese 87 Jahreswochenstunden standen aber nur auf dem Papier. Denn davon muss noch der Unterrichtsausfall in Höhe von 10 % abgezogen werden.Auch das haben Sie den hessischen Schülern vorenthalten.Es waren 10 %. Im Klartext heißt das:Ein hessischer Schüler hat nach Abschluss der Klasse 4, also nur in der Grundschule, ein halbes Jahr weniger Unterricht erhalten, als es ihm nach der Stundentafel zugestanden hätte.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ein Quatsch! Sie haben immer in Mathematik gefehlt!)

Er hat im Vergleich zu einem bayerischen Grundschüler über ein Jahr weniger Unterricht erhalten. Meine Damen und Herren, jetzt wird ein Schuh daraus. Diesen Unterrichtsausfall haben nur Sie und Frau Hinz zu verantworten.

(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Diesen Unterrichtsausfall haben wir komplett abgebaut. Das ist die Realität.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben noch etwas Weiteres gemacht.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt hören sie doch einmal auf,die Geschichten aus dem Ersten Weltkrieg zu erzählen!)

Wir haben die Stundentafel von 87 auf 92 Jahreswochenstunden erhöht. Das heißt, dass ein hessischer Schüler bis zum Ende der Klasse 4 einen kompletten Unterrichtstag mehr erhält, als es während Ihrer Regierungszeit der Fall war.Es handelt sich damit um eine Ausweitung des Unterrichts in der Größenordnung von 15 %.

(Beifall des Abg. Rudi Haselbach (CDU))

Das sind die Rahmenbedingungen, die dazu geführt haben, dass wir in Hessen insgesamt besser abgeschnitten haben, als es in der Vergangenheit der Fall war. Wir werden auch in Zukunft mit Sicherheit besser abschneiden. Denn unsere Kinder haben jetzt in der Grundschule einfach mehr Zeit zum Lernen. Sie haben mehr Zeit zum Üben und zum Wiederholen. Das ist letzten Endes das Geheimnis des Erfolgs.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Dann steht da noch ein Satz, der Ideologie pur ist. Er besagt, dass das gemeinsame Lernen aller Kinder in der Grundschule der Schlüssel zum Erfolg sei.Liebe Frau Habermann, Sie wissen, dass wir hinsichtlich dieses Punktes völlig auseinander liegen. Sie wollen das nicht nur auf die Grundschule bezogen haben. Bei der Grundschule kann man es so akzeptieren,wie es ist.Das ist in Ordnung.Aber Sie wollen das gemeinsame Lernen in undifferenzierter Form auf die Sekundarstufe I übertragen. Im Klartext heißt das Folgendes. Ich spreche das jetzt einmal auf Deutsch aus. Sie wollen die berühmt-berüchtigte sozialistische Einheitsschule mit Einheitslehrplänen und Einheitsstundentafel. Das ist es, was Sie wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Sie verkennen dabei sämtliche wissenschaftlichen Erkenntnisse.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Gegenteil ist der Fall! – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Sie zeigen gerade, dass Sie die Ergebnisse nicht kennen!)

Es gibt ein pädagogisches Standardwerk zur Entwicklungspsychologie von Oerter. In diesem Buch gibt es einen Beitrag der Professoren Köller und Baumert zum Thema „Entwicklung schulischer Leistungen“. Diese Professoren kennen Sie. Ich will Ihnen nur das Ergebnis vortragen. Herr Köller und Herr Baumert haben eine Untersuchung über die Schulleistung von Gymnasiasten im 7. Schuljahr durchgeführt. Bei diesen Gymnasiasten des 7. Schuljahrs haben sie diejenigen, die eine vierjährige Grundschule hinter sich hatten, mit denen verglichen, die eine sechsjährige Grundschule absolvierten. Letzteres ist also eine undifferenzierte Einrichtung. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist, dass die entsprechenden Schüler in Mathematik und Englisch um eine Standardabweichung besser waren. Das heißt, sie hatten einen Wissensvorsprung von einem Jahr. Das ist das Ergebnis dieser Untersuchung. Deshalb kommen die Professoren Baumert und Köller zu dem Ergebnis, dass frühe Differenzierung leistungsstarke Schüler fördert. Genau das machen wir, das haben wir gemacht, und das werden wir auch in Zukunft machen.

Ich will einen weiteren Punkt ansprechen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kommt jetzt etwas zum zweiten Halbjahr? Erzählen Sie keine Geschichten aus dem Dreißigjährigen Krieg!)

Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Wir haben in der Vergangenheit sehr bewusst eine ganze Menge gemacht, was aus unserer Sicht etwas mit Qualitätssteigerung zu tun hat. Das, was die Quantität betrifft, kennen Sie. Sie wissen, dass wir den Unterrichtsausfall von 100.000 Stunden abgebaut haben. Das war ein quantitativer Quantensprung. Gleichzeitig war es aber auch ein qualitativer. Denn das bedeutet, dass der Unterricht, der

gehalten wird, von Lehrern gehalten wird. Diese sind natürlich durch ihre Examen qualifiziert. Ich glaube nicht, dass Sie das bestreiten werden. Das ist also auch ein qualitativer Quantensprung gewesen.Wir haben die Stundentafel insgesamt ausgebaut.

Ich will Ihnen aber noch ein paar andere Projekte kurz in Erinnerung rufen. Das zeigt auf, was gemacht worden ist und was gemacht wird. Aktuell wurde jetzt das Projekt „Frühstart“ ins Leben gerufen. Damit wird die frühkindliche Förderung von Zuwandererkindern ab dem dritten Lebensjahr verbessert werden.

Es gibt neue Lehrpläne für die Fachschule für Sozialpädagogik. Das heißt, der Praxisanteil in der Ausbildung ist gestiegen.

Es gibt eine verstärkte Verzahnung des Kindergartens mit der Grundschule. Es gibt die flexible, kindgerechte Einschulung.

Die Sprachvorlaufkurse hat die Ministerin bereits angesprochen. Das brauche ich nicht zu wiederholen. Wir haben beispielsweise in Hessen 900 Lehrer, die allein für die Sprachförderung zuständig und verantwortlich sind.

Wir haben in der Grundschule die Fremdsprache ab der Klasse 3 mit zwei Wochenstunden in der Stundentafel verpflichtend eingeführt.

Wir haben eine bessere Förderung der Schüler mit Leseund Rechtschreibschwächen erreicht.

Diagnosefähigkeit und Methodenkompetenz haben Eingang in die Lehrerausbildung gefunden.

Die Ausbildung der Lehrer für die Grundschule wird insgesamt deutlich verändert werden.Wir werden versuchen, aus diesen Lehrern verstärkt Allrounder zu machen. Wir haben schon an anderer Stelle darüber gesprochen. Deshalb möchte ich dies hier nur als Erinnerungsposten anführen.