Protokoll der Sitzung vom 27.01.2004

Die SPD-Fraktion begrüßt es deshalb,dass die GRÜNEN erneut einen Gesetzentwurf eingebracht haben. Die Welt dreht sich weiter.Die Probleme werden nicht kleiner,sondern oft größer. Sie werden auf jeden Fall immer deutlicher, und die Verabschiedung eines Gesetzes in Hessen ist, wie ich vorhin schon ausgeführt habe, mehr als überfällig. Auch wenn wir an einigen Punkten Fragezeichen setzen – da erhoffe ich mir Aufklärung in einer Anhörung –, begrüße ich ausdrücklich die Vorlage eines solchen Gesetzentwurfs, zumal die Landesregierung durch fortgesetztes Verschleppen die rote Laterne in dieser Frage nach Hessen geholt hat.

Lassen Sie mich zum Abschluss unsere ehemalige Kollegin Erika Fleuren zitieren, die, wie ich denke, wie nur wenige andere sehr glaubwürdig und authentisch über die Interessen von behinderten Menschen in Hessen reden konnte und diese vertreten hat und vertritt. Ich zitiere aus der zweiten Lesung unseres Gesetzentwurfs, in dem dieser damals leider abgelehnt wurde. Sie sagte damals:

Ich sagte bereits in der ersten Lesung unseres Gesetzentwurfs für ein Antidiskriminierungsgesetz, dass es darum geht, das Benachteiligungsverbot in praktische Politik umzusetzen.

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, dazu genügt es nicht, bestehende Gesetze auf Benachteiligungen für Behinderte zu überprüfen. Das ist nur ein Teil der Aufgabe. Wir müssen einen gesetzlichen Rahmen schaffen, der die Gleichstellung Behinderter fördert und Diskriminierungen abbaut und beseitigt. Das ist nämlich etwas ganz anderes.

Das sagte Erika Fleuren hier im Landtag. Recht hat sie.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, in der Vergangenheit ist es oft gelungen, in der Behindertenpolitik Übereinstimmung über die Fraktionsgrenzen hinweg herzustellen. Im Interesse der Menschen mit Behinderungen würde ich mir auch jetzt wünschen, dass die CDU-Fraktion und die Landesregierung tätig werden, um gemeinsam ein Gleichberechtigungsgesetz für Behinderte auf den Weg zu bringen, denn dies ist schon lange überfällig.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Fuhrmann. – Frau Dörr, ich darf Ihnen das Wort für die CDU-Fraktion erteilen.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Wenn ich die Stellungnahmen der Fraktionen hier im Landtag mitverfolge, so habe ich das Gefühl, in den vergangenen Jahren habe hier sehr wenig oder überhaupt keine Behindertenpolitik stattgefunden.

Dem muss ich doch ein Stück weit widersprechen. Herr Kollege Dr.Jürgens,ich sitze nicht im Schmollwinkel,sondern ich habe nur das dargestellt, was Tatsache ist.

Es war nämlich in der Vergangenheit so, dass wir uns im Vorfeld verschiedener Anträge und Vorlagen hier im Landtag sehr ausführlich parteiübergreifend über die Themen unterhalten haben, und bei vielen Anträgen haben wir so zur Gemeinsamkeit gefunden.

Ich habe jetzt nicht nur das Gefühl, sondern es ist auch eine Tatsache: Seit Beginn der jetzigen Legislaturperiode sind wir leider von diesem Weg abgegangen. Ich bedauere das ein bisschen.

(Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Nichtsdestotrotz wird die CDU-Fraktion auch weiterhin erfolgreiche und von den Behindertenverbänden anerkannte Politik machen und fortsetzen – und das,liebe Kolleginnen und Kollegen, Schritt für Schritt, und ohne Illusionen aufzubauen, die nicht umzusetzen sind. Herr Kollege Rentsch hat das auch schon dargestellt.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Der Unmut der betroffenen behinderten Menschen darf nicht heraufbeschworen werden.

Um nur einiges einmal darzustellen und zu zeigen, dass in der Vergangenheit Behindertenpolitik nicht Stiefkind in diesem Hause war: Denken Sie daran, dass von der Hessischen Landesregierung Sonderprogramme aufgelegt wurden – derzeit ein drittes hessisches Schwerbehindertenprogramm – und wir uns daneben dem Abbau der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter besonders gewidmet haben. Wir können heute feststellen: Hessen liegt bei der Schaffung von Arbeitsplätzen für schwerbehinderte Menschen an der Spitze, und das trotz der schmalen Kasse.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wir haben in diesem Jahr noch einmal 20 Millionen c bereitgestellt, aufgestockt um 2 Millionen c. Mit diesem

Sonderprogramm haben wir weitere Einsatzmöglichkeiten für behinderte Arbeitnehmer geschaffen. Immerhin wurden in dieser Zeit rund 4.000 Dauerarbeitsplätze eingerichtet. Mit diesen Mitteln können weitere 550 Arbeitsplätze geschaffen werden. Unternehmen, die überdurchschnittlich viele behinderte Menschen beschäftigen, werden dafür besonders ausgezeichnet. Auch das ist ein Signal, dass behinderte Menschen ihren Stellenwert in unserer Politik haben.

In Hessen werden behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder in integrativen Regelkindergärten so früh wie möglich optimal und individuell gefördert. Dort werden die Kinder mit speziellen Behinderungen gezielt gefördert.Wenn ich mir heute die Antworten auf den Antrag der FDP zu Gemüte führe, kann ich hier feststellen: Wir haben heute ausschließlich integrative Regelkindergärten.Auch mehrfach schwerstbehinderte Kinder werden in dafür personell und fachlich ausgestatteten Kindertagesstätten besonders betreut und gefördert.

Erstmals wurde in Hessen ein Landesbehindertenbeauftragter berufen, der für die Belange aller Menschen mit Behinderungen Ansprechpartner ist.Vorher war diese Institution nur für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung als Ansprechpartner da.

Herr Kollege Rentsch, Sie haben Recht: Friedel Rinn als Beauftragtem ist hier ein besonderes Dankeschön zu sagen. Denn mit seinem vorbildlichen Einsatz ist es gelungen, dass gerade bei dem drohenden Abbau von Arbeitsplätzen für schwerbehinderte Menschen ein so großer Erfolg zu verzeichnen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, bei der Verabschiedung des Bundesgleichstellungsgesetzes wurde den Länderparlamenten auf den Weg gegeben – hier darf ich einmal ein Wort des SPD-Kollegen Haack anführen –, man solle darauf achten, dass es bei der Neugestaltung der Lebenswelt von Menschen mit Behinderungen von entscheidender Bedeutung ist, dass die Bundesländer in Fragen der Begrifflichkeit der Verfahren das Konzept des Bundesgleichstellungsgesetzes übernehmen. Denn er hatte große Bedenken, deren Berechtigung sich in mancher Hinsicht bereits zeigt: Wenn wir uns nicht mit den anderen Bundesländern abstimmen,

(Petra Fuhrmann (SPD): Frau Kollegin, die haben alle eines! Da ist nichts mehr mit Abstimmen!)

wird das dazu führen, dass die Lebenswelt von Menschen mit Behinderungen am Ende von 16 Landesgleichstellungsgesetzen und dem Bundesgleichstellungsgesetz sowie von EU-Richtlinien bestimmt wird.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Meine Damen und Herren, die Hessische Landesregierung hat zusammen mit allen Mitgliedern der dafür eigens gebildeten interministeriellen Arbeitsgruppe – in welcher auch die Interessenvertretung der behinderten Menschen mitwirkte – die bestehenden Landesgesetze, Rechts- und Ausbildungsverordnungen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes überprüft. Diese Art der Zusammenarbeit mit den Ressorts wurde gerade von den Organisationen in besonderer Weise als beispielhaft und sehr positiv gewürdigt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Auf dieser Grundlage erarbeitet die Landesregierung auf einer ersten Stufe zurzeit ein hessisches Gleichstellungsgesetz. Schon im Entwurfsstadium werden die Verbände und Organisationen der Menschen mit Behinderungen in Hessen an der Erstellung dieses Gesetzes beteiligt werden.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Denn es ist für uns ein wichtiges Element der hessischen Behindertenpolitik, dass sämtliche Vorhaben größtmöglich transparent sind und dass in einem offenen, intensiven Diskussionsprozess aller Beteiligten gestaltet wird. Zielsetzung dieses Gleichstellungsgesetzes wird sein – wie auch diejenige des heute von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Gesetzentwurfs –, die Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen – ich glaube, noch wichtiger ist es, diese zu verhindern –, eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine selbst bestimmte Lebensführung zu ermöglichen.

Frau Dörr, Frau Fuhrmann möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Erlauben Sie das?

Ich möchte meine Ausführungen zunächst fortsetzen, danach können wir immer noch sehen.

Hiernach soll nicht nur die bloße Korrektur von Nachteilen, sondern die Schaffung von echter und gleichberechtigter Teilhabe im Vordergrund stehen. Das Ziel der Vermeidung von Benachteiligungen soll vorbildhaft dort umgesetzt werden, wo dies unmittelbar gewährleistet werden kann. Denn nur so können wir tatsächlich einen glaubhaften Anstoß für die Gesellschaft geben.

Ich kann hier einige Beispiele aufführen, die der Entwurf der Hessischen Landesregierung enthalten wird.

(Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Es werden die Anerkennung der Gebärdensprache sowie anderer Kommunikationshilfen sein, die Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr, in der Gestaltung der Informationstechnik, die Bestellung eines Beauftragten für die Belange der behinderten Menschen sowie Änderungen weiterer Gesetze wie der Wahlordnungen auf Landes- und der Kommunalebene.

(Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der heute hier von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachte Gesetzentwurf für ein Hessisches Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen und zur Änderung anderer Gesetze orientiert sich im Wesentlichen an dem Landesgesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen von Rheinland Pfalz – das habe ich beim Gegenlesen mit anderen Landesgesetzen festgestellt –,ohne jedoch eine konkrete Aussage über die Kosten zu machen.

Die Ausführungen zu den finanziellen Auswirkungen sind völlig unzureichend. Ich darf es hier sagen, und es wurde auch vom Kollegen Rentsch schon dargestellt.

(Beifall bei der FDP)

Mit Hinweisen wie: „... dürfte der entstehende Aufwand gering sein“, „... können... an anderer Stelle ausgeglichen werden“, „Mehraufwendungen in nicht bezifferbarer Höhe“, „Kosten in nicht bezifferbarem Umfang“, lassen sich die Finanzfolgen für die öffentliche Hand nur schwerlich beziffern. Beleuchtet man die verschiedenen Paragraphen der einzelnen Artikel, so stellen wir fest, dass von einer erheblichen Beeinträchtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes und der kommunalen Seite auszugehen ist.

Frau Dörr, Herr Dr. Jürgens möchte nunmehr eine Zwischenfrage stellen.

Ich bitte darum, dass ich meinen Vortrag zu Ende bringen darf.

Die Verpflichtung der Gemeinden zur Einrichtung eines Behindertenbeirates oder Behindertenbeauftragten kommt meines Erachtens einer Überregulierung – ich würde sogar sagen: einer Bevormundung der kommunalen Selbstverwaltung durch die Schaffung weiterer Gremien – gleich. Es sollte den Gebietskörperschaften selbst überlassen bleiben, ob sie kommunale Behindertenbeauftragte installieren.Wenn wir es einmal landauf, landab betrachten, stellen wir fest, dass die meisten hessischen Gemeinden eine solche Einrichtung bereits haben

(Petra Fuhrmann (SPD): Nein, nur ein Drittel!)

und diese kommunalen Beauftragten – zusammengeschlossen in einer Arbeitsgemeinschaft – in ihrem Zuständigkeitsbereich mit großem Erfolg an der Lösung behindertenbedingter Probleme beteiligt sind. Frau Fuhrmann, die Hessische Bauordnung wurde im Jahre 2002 neu gefasst. Hier wurde die Forderung des barrierefreien Baus der von der Bauministerkonferenz beschlossenen Musterbauordnung angeglichen.

(Beifall bei der FDP – Petra Fuhrmann (SPD): Ja!)