Protokoll der Sitzung vom 07.05.2003

Stellen im Jump-Programm, schaffen wir einfach ab, damit werden die Unternehmen von den Lohnnebenkosten entlastet“,

(Michael Boddenberg (CDU): Was ist denn daraus geworden?)

dann ist das die falsche Lösung. – Sie können noch so sehr schreien, ich verstehe Sie im Moment nicht, weil ich hier selber reden muss. Ich kann mich ja nicht hierhin stellen und Ihnen zuhören. Das wäre ein bisschen viel verlangt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Rentsch, es war Ihre erste Rede. Insofern will ich es ganz freundlich ausdrücken. – Ach, er ist schon wieder raus. Wenn sich der Herr Rentsch, der gerade raus ist, hierhin stellt und sagt: „Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht, und dann basta“,

(Michael Denzin (FDP): „Basta“ sagt in Berlin so ein Mensch!)

dann bezweifle ich auch, ob das reicht und ob es irgendjemandem von den Jugendlichen nützt, die einen Ausbildungsplatz suchen. Ich sage Ihnen ganz klar: Wir von den GRÜNEN haben überhaupt keine Probleme damit, wenn der Ministerpräsident viele Gespräche mit der Industrieund Handelskammer, der Handwerkskammer und allen wichtigen Menschen führt, die Verantwortung in diesem Land tragen. Ich sage Ihnen an dieser Stelle aber auch: Wir wären überaus glücklich, wenn wir endlich einmal ein Ergebnis sehen würden anstatt immer wieder Gespräche und runde Tische.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist das, was uns hier umtreibt. Es ist richtig, dass wir uns alle um die Frage der fehlenden Ausbildungsplätze in diesem Land kümmern,denn Jugendliche,die von Anfang an keine Chance haben, überhaupt in eine Erwerbsbiografie einzusteigen, werden auf Dauer aus dem Erwerbsprozess ausgegliedert. Ich sage an dieser Stelle: Junge Erwachsene und Jugendliche gehören auch nicht in die Sozialhilfe. Sie gehören in Arbeitsmaßnahmen, in Ausbildungsmaßnahmen und entsprechende Bildungsmaßnahmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist die Verantwortung, die Politik hat, hier entsprechend den Rahmen zu setzen. Meine Damen und Herren, an dieser Stelle versagen Sie ganz klar.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben die Frage der demographischen Entwicklung in Deutschland hier schon mehrfach diskutiert. Alle wissen,dass uns die Überalterung der Gesellschaft droht.Wir alle wissen, wir brauchen viele junge, neue Beitragszahler, um das soziale System überhaupt stabil zu halten. Mindestens genauso wichtig wie die Rentenversicherung ist jedoch auch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Jung und Alt in Unternehmen und Verwaltungen.

Die Unternehmen und Verwaltungen brauchen die älteren und erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter genauso sehr wie die jungen und innovativen, die aus ihrer Umgebung neue Ideen mitbringen und in der Wirtschaft und in der Gesellschaft letztendlich auch für Veränderungen sorgen. Dass die Jugendlichen gut ausgebildet werden, das müsste uns doch eigentlich allen am Herzen liegen und auch ein Interesse der Unternehmen selber sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Meine Damen und Herren, Unternehmen, die über die gegenwärtige konjunkturelle Krise hinaus längerfristig planen, werden im wohlverstandenen Eigeninteresse ausbilden.Wir müssen jedoch gegenwärtig zur Kenntnis nehmen, dass dies nicht alle Unternehmen wollen oder auch können. Dem müssen wir uns doch stellen.

Insoweit ist doch hier die Politik gefordert. Es sollte unsere Aufgabe sein, auf den aktuellen Mangel an Lehrstellen schnell zu reagieren und zweierlei zu berücksichtigen: erstens die aktuelle Notlage der Jugendlichen, die dringlich Ausbildungsplätze suchen, und zweitens das langfristige Interesse der Unternehmen und der Volkswirtschaft insgesamt an gut ausgebildeten Arbeitskräften. Das ist doch der Sinn dessen, was wir hier machen.

Die Zahlen hat die Kollegin Fuhrmann genannt. Wenn man sich den Bericht des Landesarbeitsamtes noch einmal vergegenwärtigt, steht da:

Das Landesarbeitsamt meldet, dass sich die regionalen Ungleichgewichte, die in Hessen in den letzten Jahren noch zu beobachten gewesen seien, verwischt hätten.

Zu Deutsch: Im Rhein-Main-Gebiet hat sich die Situation deutlich verschärft und dem Rest des Landes angeglichen. Meine Damen und Herren, was das heißt, das wissen Sie. Dann hilft auch kein frommer Wunsch nach mehr Mobilität und Flexibilität, denn wo keine Stellen sind, nutzen auch kein Busunternehmen und keine Heimplätze,die Sie dann in irgendeiner Art und Weise bauen wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, in diesen Zahlen spiegelt sich doch eine weltweite konjunkturelle Stagnation wider, von der ich eingangs sprach.

(Armin Klein (Wiesbaden) (CDU): Immer die andern! – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Natürlich müssen wir auch mit der Hartz-Reform zu einer grundlegenden Umgestaltung der Bundesanstalt für Arbeit kommen. Das Ziel, das die Bundesregierung mit der Hartz-Reform verfolgt, ist ehrenwert, das wissen wir. Die neue Bundesanstalt für Arbeit soll vorrangig das Ziel verfolgen, für rasche und nachhaltige Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt zu sorgen. Vermittlung und Integration sollen in das Zentrum der Tätigkeit rücken.

Ich will aber an der Stelle auch klar sagen, wenn eine solche Bürokratie wie das Arbeitsamt in dieser Art umgebaut wird, geht dies nicht ohne Brüche und Verwerfungen ab.Wir GRÜNE haben auf Bundesebene festgestellt,dass gerade in dieser schwierigen ökonomischen Lage mit dem Abbau der alten und dem Aufbau der neuen Struktur Zwischenlösungen gefunden werden müssen.

Bleibt das Wachstum des realen Bruttoinlandsproduktes im Jahre 2003 unter den Erwartungen bei der Aufstellung des Bundeshaushaltes zurück, wird nach wie vor ein Bundeszuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit unvermeidlich sein. Meine Damen und Herren, das will ich an dieser Stelle einmal ganz klar sagen.

Frau Kollegin Schönhut-Keil, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Armin Klein?

Nein. Lassen Sie mich doch erst einmal im Zusammenhang vortragen. Dann machen wir das später, wenn wir noch Zeit haben.

Meine Dame und Herren, die CDU möchte suggerieren – Herr Kollege Brückmann, das haben Sie hier wieder gesagt –, dass sich der Bund aus der aktiven Arbeitsmarktpolitik zurückzieht. Die Statistik zeigt etwas anderes. Im Februar 2003 wurden in Hessen über 24.000 Jugendliche und junge Erwachsene vom Arbeitsamt gefördert. In diesen Maßnahmen sind die unterschiedlichsten Dinge enthalten, z. B. Deutschsprachlehrgänge, Überbrückungsgelder, Eingliederungszuschüsse, ausbildungsbegleitende Hilfen, Berufsausbildungen in außerbetrieblichen Einrichtungen und vieles mehr.

24.700 Jugendliche wurden gefördert. In der gleichen Altersgruppe waren gleichzeitig 30.000 Arbeitssuchende gemeldet. Das ist zwar noch nicht perfekt und stellt keine 100 % dar. Aber ich denke, das ist anerkennenswert und verdient vor allen Dingen überhaupt nicht die Häme, die Sie eben über diese Förderung ausgekippt haben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Inzwischen liegen uns neue Informationen vor, denenzufolge die Bundesanstalt für Arbeit den Landesarbeitsämtern zusätzliche Mittel zur Förderung der Erstausbildung angekündigt hat. Es geht dabei um die so genannten berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen. Damit soll gewährleistet werden, dass bei diesen Maßnahmen keine Einschränkung gegenüber dem Vorjahr notwendig wird. Sowohl die Zahl der Teilnehmer als auch die Anzahl der Maßnahmen sollen zumindest konstant bleiben.

(Petra Fuhrmann (SPD): So ist es!)

Sie können sicher sein, dass wir GRÜNEN uns hier und auch in Berlin weiterhin dafür einsetzen werden, dass die Bundesanstalt für Arbeit ihre aktive Arbeitsmarktpolitik fortführt. Das muss auch während der laufenden Umstrukturierung erfolgen. Ich würde sagen, das ist ziemlich wichtig.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Auch hier in Hessen ist die Landesregierung gefordert. Das Wachstum in Hessen und leider auch das im RheinMain-Gebiet stockt. Das Bruttoinlandsprodukt von Hessen ist im Jahr 2002 lediglich um 0,3 % gewachsen. Damit fiel Hessen vom zweiten auf den achten Rang unter den Bundesländern zurück.Das ist die Wahrheit,auch wenn es nicht mit Ihren Wahlkampfreden übereinstimmt, die Sie in der Vergangenheit gehalten haben. Wir unterstützen deshalb den Antrag der SPD,der die Landesregierung unter anderem auffordert, mit den Sozialpartnern einen vertraglich abgesicherten Ausbildungskonsens für das Ausbildungsjahr 2003/2004 herbeizuführen. Ferner wird darin gefordert, die Mittel für die Ausbildungsförderprogramme zu verdoppeln. Außerdem wird gefordert, ein Sonderprogramm über 50 Millionen c aufzulegen, mit

dem die beruflichen Schulen modernisiert werden sollen. Wir leben in ungewöhnlichen und schwierigen Zeiten. Da müssen wir auch entsprechende Maßnahmen ergreifen. Wir müssen hier klare Schwerpunkte setzen, wohin wir wollen.

(Uwe Brückmann (CDU): Und die Finanzierung?)

Wenn für Sie die Bildung ein Schwerpunkt ist, dann können Sie dies schwerlich verweigern.

Wir haben einen Änderungsantrag zu dem Antrag gestellt. In der Agenda 2010 des Bundeskanzlers ist die Absicht enthalten, eine Ausbildungsplatzumlage einzuführen, wenn die Wirtschaft ihre Ausbildungsplatzzusagen nicht einhält. Wir schlagen vor, darauf einen Hinweis im Antrag der SPD-Fraktion als Nr. 6 aufzunehmen. Nach unseren Vorstellungen kann eine Ausbildungsumlage ein sinnvolles arbeitsmarktpolitisches Instrument sein, wenn es bestimmte Bedingungen erfüllt. Diese sind:

Erstens. Die Umlage ist von Unternehmen zu erheben, die im Branchenvergleich unterdurchschnittlich ausbilden. Schon allein um unnötige Bürokratie zu vermeiden, sollten allerdings kleine und mittelständische Unternehmen ebenso wie Neugründungen von der Erhebung der Umlage befreit werden.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU):Was ist denn „klein“?)

Die Definition kennen auch Sie.

Zweitens. Im Gegenzug sollten die eingenommenen Mittel an alle Unternehmen ausgeschüttet werden, die überdurchschnittlich ausbilden. Es erscheint uns sinnvoll, damit gerade den ausbildenden Mittelstand zu fördern.

Drittens. Es ist durch Gesetz sicherzustellen, dass die vereinnahmten Mittel vollständig ausgeschüttet werden.

Mit dieser Ausbildungsumlage greifen wir auf der einen Seite des Marktes, nämlich bei den Unternehmen, regulierend ein. Wir sollten dabei aber auch die andere Seite des Marktes nicht außer Acht lassen, nämlich die Jugendlichen, um die es geht, die einen Ausbildungsplatz suchen. Das Landesarbeitsamt berichtete im März 2003,dass auch in der derzeitig angespannten Situation in den meisten gewerblichen Metallbau- und in den Ernährungsberufen sowie im Gaststättengewerbe mehr Stellen als Bewerber gemeldet wurden. Der Weg in ein interessantes Berufsleben führt keineswegs immer über die aktuellen Mode- oder gar Traumberufe.

(Beifall des Abg. Michael Denzin (FDP))

Die hessischen Unternehmen, die Arbeitsämter, die Industrie- und Handelskammern und andere Einrichtungen haben eine Vielzahl von Aktivitäten entfaltet, mit denen die Jugendlichen über die große Vielzahl der Ausbildungsberufe informiert werden. Das verdient unsere Unterstützung. In der Vergangenheit konnten wir in Deutschland durch das Zusammenwirken der unterschiedlichen Interessengruppen die Jugendarbeitslosigkeit geringer halten, als es in vielen unserer europäischen Nachbarländer der Fall war. Wenn wir die gegenwärtige schwierige konjunkturelle Situation nutzen, um alte Denkblockaden zu überwinden und ganz im Sinne von Hartz auch auf dem Ausbildungsmarkt endlich einmal unkonventionelle neue Wege gehen, wird uns das auch in Zukunft gelingen können. Deswegen hören Sie mit Ihrem Geschrei auf, die Bundesregierung sei an allem schuld. Das hilft keinem einzigen Auszubildenden,der einen Ausbildungsplatz sucht. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann und Hildegard Pfaff (SPD))

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre und die Freude, die Parlamentspräsidentin der Nationalversammlung der Republik Ungarn, Frau Dr. Katalin Szili recht herzlich in unserem Hause begrüßen zu dürfen. Sie befindet sich in Begleitung einer Delegation von Abgeordneten. Herzlich willkommen.

(Beifall)