Protokoll der Sitzung vom 15.07.2004

Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Kollegin Fuhrmann, SPD-Fraktion.

(Günter Rudolph (SPD): Jetzt etwas zur Sache!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Möller, im Gegensatz zu Ihnen hat der Gewerkschaftsvorsitzende Sommer die Urteilsbegründung gelesen. Ich möchte daraus zitieren. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich ausdrücklich den Arbeitnehmerschutz hervorgehoben. Es ist der Ansicht, dass dem Arbeitnehmerschutz,speziell der Beschäftigten im Einzelhandel,ein höherer Stellenwert zukommt als der Gewerbefreiheit der Unternehmen. Noch nie hat ein Gericht das in seiner Urteilsbegründung so klar hervorgehoben. In der Urteilsbegründung wurden vor allem die besondere Lebenssituation von Frauen und die Bedeutung des Nachtarbeitverbots nach 20 Uhr gewürdigt.

Außerdem hat das Gericht betont – Herr Kollege Möller, auch das hätten Sie der Urteilsbegründung entnehmen können –, dass die bestehenden Schutzregelungen außerhalb des Ladenschlussgesetzes nicht dieselbe Qualität haben und dass das Ladenschlussgesetz nicht überflüssig ist, da es weiter greift als das Arbeitszeitgesetz bzw. die Tarifverträge. – Das nur zur Aufklärung. Dadurch lassen sich im Übrigen auch die Äußerungen des Herrn Sommer erklären.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Frau Kollegin Wagner, ich hätte mir gewünscht, dass Mitglieder der FDP zu irgendeinem Thema, sei es aus der So

zialpolitik oder aus der Wirtschaftspolitik, einmal mit genauso viel Herzblut sprechen würden wie Sie heute zum Thema Ladenschluss.

(Beifall bei der SPD – Nicola Beer (FDP): Zur Ladenöffnung!)

Es ist ziemlich ermüdend. Gerade während des letzten Plenums hat Frau Wagner davon gesprochen – ich zitiere sie richtig –, dass die Kultur des Abendlandes aus sechs mal 24 Stunden Einkaufen bestehe. Das spricht für sich. Heute haben Sie es ergänzt und haben gesagt: sieben mal 24 Stunden. – Es ist neu gegenüber der letzten Plenarwoche, dass nun nach Meinung der FDP auch der Sonntag komplett freigegeben werden soll.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Das habe ich gar nicht gesagt! Das ist doch überhaupt nicht wahr!)

Ich sage Ihnen: Sie sind eine reine Ein-Themen-Partei.

Sie sprechen in der Begründung – auch die ist relativ entlarvend – für Ihren Antrag von der längst „ersehnten Möglichkeit..., die Ladenöffnungszeiten dem Charakter eines weltoffenen Landes... anzupassen.“

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Sehr richtig!)

Mein Gott, wovon träumen Sie eigentlich nachts, Frau Kollegin Wagner? Ist das ein Ersehnen wert? Die Worte „wir ersehnen etwas“ oder das Wort „Kultur“ im Zusammenhang mit dem Ladenschlussgesetz sprechen für sich.

(Dr.Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU):Unglaublich! – Nicola Beer (FDP): Darauf habe ich ein Copyright! – Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darm- stadt) (FDP))

Dazu kann ich nur sagen: Ich habe da andere Maßstäbe. Warum sollen eigentlich, weil Herr Hahn und Frau Wagner es nicht schaffen, ihre Einkäufe zu tätigen, andere Menschen beschwert werden?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Nicola Beer (FDP): Oh!)

Frau Kollegin Wagner,Sie haben hier die südländliche Lebensweise hervorgehoben. Dazu muss ich Ihnen sagen: Haben Sie schon einmal versucht, in Frankreich nach 21 Uhr in ein Restaurant zu kommen, um ein Menü zu essen? – Da bekommen Sie nämlich gar nichts mehr. Haben Sie schon einmal versucht,zwischen 1 und 3 Uhr irgendwo einzukaufen?

(Zurufe der Abg. Evelin Schönhut-Keil (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) und Ruth Wagner (Darm- stadt) (FDP))

Wir waren gerade vor drei Wochen in Dänemark und waren doch ein wenig erstaunt – Dänemark gehört ja auch zu Europa –, dass dort die Läden morgens um 11 Uhr öffnen und um Punkt 18.30 Uhr schließen.

(Zuruf des Abg. Rafael Reißer (CDU))

Frau Kollegin, ist das jetzt nicht mehr „Kultur“?

(Nicola Beer (FDP): Das ist eine Entscheidung der Dänen!)

Auffallend ist,dass in dem FDP-Antrag und im CDU-Antrag von den Beschäftigten im Einzelhandel mit keinem einzigen Wort die Rede ist. Dazu passt auch ein weiteres Zitat aus der Begründung des FDP-Antrages: „Alleinlebenden ermöglichen sie“ – die erweiterten Öffnungszei

ten – „eine leichtere Vereinbarkeit von Beruf und Konsumverhalten“. Meine Damen und Herren, das spricht für sich. Diese Kombination ist wirklich neu. Das muss man der FDP lassen. Bisher heißt die Kombination: die Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das ist auch gut so. Es heißt nicht: die Vereinbarkeit von Beruf und Konsumverhalten.

(Nicola Beer (FDP):Wann gehe ich als berufstätige Mutter mit meiner Familie einkaufen? Scherzkeks!)

Die Argumente sind auch in Ihrer heutigen Rede nicht entkräftet worden. Wir haben ganz eindeutig keine steigende Kaufkraft. Das ist z. B. an der Verlängerung der Öffnungszeiten an Samstagen deutlich geworden. Lediglich 9 % aller Geschäfte wollten die Ausdehnung der Öffnungszeit an Samstagen bis 20 Uhr. Diese Möglichkeit gibt es seit dem 1. Juni. Insofern war es ein bisschen unsachlich, Frau Kollegin Wagner, dass Sie davon gesprochen haben, dass wir an dem Ladenschlussgesetz seit 1954 festhalten. Das Ladenschlussgesetz ist erst zum 1. Juni geändert worden.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP):Ach ja!)

Im Übrigen haben die Läden erwartet, dass sie keine besseren Geschäfte machen, sondern dass sich die Umsätze lediglich auf den Samstag verlagern. Genau das hat sich auch bewahrheitet. Selbst bei den Umsatzgewinnern, den großen Warenhäusern und den SB-Warenhäusern, haben sich die Umsätze von der Woche auf den Samstag verlagert,während die Umsätze in der Woche geringer wurden. Wenn man die Öffnungszeiten betrachtet,stellt man einen rückläufigen Umsatz pro Stunde fest. Das ist eindeutig nachzuweisen.

Zweites Zitat: Im Drogeriefachhandel hat sich alles zugunsten der großen Drogeriemärkte in den großen Läden auf der grüne Wiese verschoben. In den Innenstädten gehen die Umsätze zurück, weil die Menschen lieber auf der grünen Wiese einkaufen.

(Nicola Beer (FDP): Nein, da können sie parken! Das ist etwas ganz anderes, das hat etwas mit Verkehrspolitik zu tun!)

Nächstes Argument: Beschäftigungsabbau. Ich habe schon in der letzten Plenarwoche gesagt, dass der Beschäftigungsabbau vorangeschritten ist. Auch durch die verlängerten Öffnungszeiten ist kein einziger neuer Arbeitsplatz entstanden, sondern es wird weiter abgebaut.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Die Läden auf der grünen Wiese mit 500 m2 pro Verkäufer sind als Gewinner herausgegangen. Bei etwas Organisation bekommt es jede durchschnittliche Familie hin – das sollte auch für Sie gelten –, irgendwann zwischen Montag und Samstag zwischen 8 und 20 Uhr einzukaufen. Sonst braucht man einen Zeitmanager.

Weitere Erweiterungen der Öffnungszeiten sind mittelstandsfeindlich. Sie sollten auch einmal auf Edeka, C&A und andere hören, die schon heute nicht mehr mit den großen Discountern konkurrieren können und die bestehenden Relegungen als ausreichend ansehen.Von den Arbeitszeiten haben Sie auch kein Wort gesagt. Die Arbeitszeiten der Beschäftigten im Einzelhandel, Frau Kollegin Wagner, sind schon heute außerordentlich ungünstig.Was sind denn noch Familienzeiten, wenn Sie noch nicht einmal mehr den Sonntag freihalten wollen?

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Das ist eine Lüge! Sagen Sie nicht solche falschen Sachen! – Zuruf der Abg. Nicola Beer (FDP))

Was sind die Auswirkungen auf das Ehrenamt, die Familie und Freundschaften? Meine Damen und Herren, 2,8 Millionen Beschäftigte sind Frauen. Jede weitere Verlängerung erschwert ihnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – nicht die Vereinbarkeit von Familie und Konsumverhalten.

Frau Kollegin Fuhrmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Wagner?

Im Augenblick nicht. Hinterher gerne, Frau Wagner.

Sie haben nicht einmal ein flexibles, bedarfsgerechtes Kinderbetreuungsangebot von 7 bis 17 Uhr, wie viel weniger von 0 bis 24 Uhr oder samstags. Meine Damen und Herren, deswegen sagen wir: Das Ladenschlussgesetz in der Form, wie es momentan ist, reicht vollkommen aus. Wir haben genügend Ausnahmemöglichkeiten, um saisonalen oder örtlichen Gegebenheiten nachzugehen. Der Mittelstand wird vor weiteren Wettbewerbsverzerrungen geschützt.

(Boris Rhein (CDU):Ah!)

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird dadurch ermöglicht. Insofern sage ich Ihnen: Sie sind auf dem Holzweg. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank.– Das Wort hat Frau Kollegin Schönhut-Keil von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Petra Fuhrmann (SPD): Sie haben gesagt, die Möbelhäuser würden sonntags öffnen! – Gegenruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Nein!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht können die Damen wechselseitig klären,was sie gemeint haben.

Nachdem wir die Debatte in der letzten Plenarsitzung geführt haben, habe ich mir schon gedacht, dass wir heute das Thema Ladenschluss ein weiteres Mal auf den Tisch kriegen. Ich denke, wir alle erinnern uns noch gut an die Debatte zum Bürokratieabbau, die wir in diesem Zusammenhang geführt haben. Als Paradebeispiel muss sicherlich die Regelung zum Ladenschluss herhalten, die Handel und Wirtschaft unnötig bremst.

Meine Damen und Herren, der einzige Grund, diese Debatte hier überhaupt noch anzubringen, ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Juni. Das Bundesverfassungsgericht regt darin bekanntlich an, die Regelung des Ladenschlusses den Ländern zu überlassen, was, wie gesagt, der einzige Grund für die erneute Debatte heute hier ist. Damit wir der FDP das Arbeiten an neuen politischen Konzepten ein bisschen erleichtern, haben wir uns überlegt,dass wir heute Ihrem Antrag zustimmen werden,

damit dann endgültig eines Ihrer letzten Themen, die Sie gebetsmühlenhaft seit vielen Jahrzehnten immer wieder in die Schaufenster hängen, endlich abgeräumt ist, Frau Wagner. Sie dürfen dann endlich neue kreative Kraft entfalten und der FDP einen neuen inhaltlichen Touch verleihen, wenn die alten Dinger endlich da sind, wo sie hingehören, nämlich abgeschafft.

(Zurufe der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) und Nicola Beer (FDP))

Meine Damen und Herren, deswegen möchte ich in diesem Zusammenhang auch noch einmal daran erinnern, dass das bundeseinheitliche Ladenschlussgesetz inzwischen 48 Jahre alt ist und aus der Blüte der Adenauer-Ära stammt. Frau Fuhrmann, es war von Anfang an umstritten.