Protokoll der Sitzung vom 15.12.2004

Wenn es da ein Problem gibt, erwarte ich von einem Kultusminister, dass er versucht, das Problem zu lösen. Er hätte dann etwas für diese Schulart, die er als Problem ansieht, tun müssen. Das wäre konsequent gewesen.

Der Vorsitzende der bayerischen Landtagsfraktion der SPD, Herr Maget, hat in diesem Zusammenhang der Bundesbildungsministerin aus meiner Sicht etwas zu derb, aber nichts Falsches gesagt. Er sagte, die Hauptschule in Bayern gehe sie einen feuchten Kehricht an. Damit liegt er nicht ganz falsch. Der Berliner Senator für Bildung, Jugend und Sport, Herr Böger, der auch der SPD angehört, hat schlicht und ergreifend erklärt, den Problemgruppen werde nicht geholfen, indem man sie in ein Gesamtschulsystem stecke.Auch er hat Recht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Spätestens bei diesem Thema bemerkt man den signifikanten Unterschied zwischen der Bildungspolitik der CDU und der der Sozialdemokraten. Wir wollen die Hauptschule stärken, weil wir diese Kinder nicht allein lassen wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Deshalb haben wir die differenzierten Lehrpläne erarbeiten lassen. Deshalb haben wir differenzierte Stundentafeln vorgesehen. In der Hauptschule wird mittlerweile mehr Deutsch und Mathematik unterrichtet. Wir haben die Abschlussprüfungen eingeführt, um die Hauptschule aufzuwerten. Wir haben die Praxisklassen eingeführt. Hinzu kommen noch die Schubklassen. Das ist auch im Sinne der Erhöhung des Praxisanteils.

Es gibt jetzt noch eines, was aus meiner Sicht noch fehlt. Darüber muss man reden. Das ist das, was Frau Kollegin Henzler aus meiner Sicht zu Recht tendenziell angeführt hat. Das betrifft die Hauptschulpädagogik. Wir brauchen verstärkt eine gezielte Pädagogik für die Hauptschule. Im Grund genommen müssten die in Pädagogik am besten bewanderten Lehrkräfte in die Hauptschule. Denn die dortige Schülerklientel ist zweifelsohne schwieriger als das, das man beispielsweise im Gymnasium vorfindet.

Allein eine Schule, an der gemeinsam unterrichtet wird, führt sicherlich nicht zu besseren Schülern. Da, wo die Sozialdemokraten die Verantwortung tragen, unternehmen sie auch nichts, um das zu erreichen. Die SPD in Nordrhein-Westfalen könnte etwas in die Richtung machen, die man mit dem Stichwort umschreiben könnte: eine Schule für alle. Sie scheuen sich davor. Denn Sie haben keine Lust auf die bildungspolitische Debatte, die es dann geben würde. Frau Kollegin Hinz, ich will jetzt auch ein paar Verbände anführen. Der Verband Bildung und Erziehung, der Deutsche Lehrerverband, der Deutsche Industrie- und Handelstag,sie alle warnen davor,die Hauptschule abzuschaffen. Wir brauchen die Hauptschule. Wir müssen sie mehr, als es bisher der Fall war, stärken.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich will auf das Thema Hauptschule zurückkommen. Herr Prof. Dr. Prenzel von der Universität in Kiel hat in der

„Welt“ vom 8. Dezember 2004 erklärt, die jetzt vorgelegten Ergebnisse der PISA-Studie lieferten keine Argumente für die Einheitsschule.

Man sollte sich die Ergebnisse der PISA-Studie einmal anschauen und dabei die Gymnasien und Realschulen mit den integrierten Gesamtschulen vergleichen. Da ergibt sich nämlich Folgendes: Ich nehme jetzt die Summe aller vier Gruppen. Gymnasien und Realschulen erzielten dann zwischen 87 und 138 Punkte mehr, als die integrierten Gesamtschulen erzielten. Diese Feststellung ist zunächst erst einmal wenig aussagekräftig. Interessant wird es aber,wenn man weiß,dass 50 Punkte in etwa dem Lernfortschritt eines Schuljahres entsprechen. Das heißt, der Leistungsvorsprung beträgt demnach zwischen eineinhalb und mehr als zwei Jahren zwischen Gymnasium und Realschule auf der einen und den integrierten Gesamtschulsystemen, wie es sie in Nordrhein-Westfalen gibt, auf der anderen Seite.Das muss einem doch zu denken geben. Ich kann doch nicht einfach so tun, als ob es diese Ergebnisse nicht gäbe.

Da wir schon über Ergebnisse diskutieren, will ich das Nachfolgende nur stichwortartig erwähnen. Es gibt eine Studie des Max-Planck-Instituts aus dem Jahr 1994. In der wird genau dasselbe bestätigt. Ich könnte das vertiefen. Ich mache das jetzt aber nicht. Ich nenne die SCHOLASTIK-Studie von Weinert und Helmke aus dem Jahre 1997.Ich möchte in diesem Zusammenhang die Studie des Münchener Lernforschers und Psychologen Heller anführen. Ich will in diesem Zusammenhang das Feldgutachten anführen. Dieses Gutachten wurde damals in Wetzlar am Beispiel eines flächendeckenden Gesamtschulversuchs gemacht. Das Ergebnis war: Starke Schüler waren unterfordert, schwache Schüler waren ständig überfordert.

Da hieß es immer als Zauberwort:Aber die soziale Kompetenz ist dort viel besser.– Auch dies hat sich als Mär herausgestellt.

(Zuruf der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Auch dies ist ein Ergebnis, wonach die soziale Kompetenz in Schulen des gegliederten Systems deutlich besser ist. Deshalb sind die Gesamtschulleiter im Altkreis Wetzlar – Sie kennen sie alle, Frau Hinz – –

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lassen Sie eine Frage zu?)

Keine Fragen. Ich bitte um Nachsicht. Wenn nachher noch zwei Minuten Zeit bleiben, können Sie gerne noch etwas fragen.

Deshalb haben doch die Leiter der integrierten Gesamtschulen im Altkreis Wetzlar, auch die, die in der SPD waren, in der Lebenswirklichkeit ihre Schulen weiterentwickelt zu kooperativen Systemen, und zwar mit Erfolg.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Sie jetzt kaputtmachen!)

Ich sage Ihnen ein Letztes dazu aus meiner Sicht: Nichts ist ungerechter als die gleiche Behandlung Ungleicher. Deshalb legen wir Wert auf eine individuelle, möglichst optimale, kindgerechte Förderung des Einzelnen.

Meine Damen und Herren, Frau Kollegin Henzler muss ein bisschen in Richtung CDU schielen, dass wir nicht zu gut werden. Das verstehe ich auch. Sie haben gesagt, wir hätten alles schon vorweggegriffen, was wir Gutes gemacht haben.Wir haben auch eine ganze Menge gemacht.

(Dorothea Henzler (FDP): Das ist düster!)

Ich sage Ihnen aber auch in aller Deutlichkeit: Wir sind weiß Gott nicht so weit, dass wir sagen könnten, alles, was wir bisher gemacht haben, hätte schon zu dem gewünschten Ergebnis geführt. Kein Mensch behauptet das, niemand.Aber ich bin zutiefst davon überzeugt,dass das,was wir bisher gemacht haben, in die richtige Richtung weist, entscheidende Weichenstellungen waren, die man im Grunde genommen, natürlich an die Adresse von RotGrün gerichtet, vor Jahren längst hätte einleiten können. Da ist doch überhaupt nichts geschehen. All das, was in den letzten fünf Jahren geschehen ist,ist doch neu,obwohl die Erkenntnisse als solche teilweise gar nicht so neu sind, sondern lange in die Vergangenheit zurückreichen.

Lassen Sie es mich stichwortartig nennen: Ausbau von Ganztagsangeboten, schulformbezogene Stundentafeln, Lehrpläne, Vernetzung von Kindergarten und Grundschule,aktueller Bildungs- und Erziehungsplan.Das ist im Moment in der Diskussion. Das hätten Sie in Ihrer Regierungszeit alles auch machen können. Es geht weiter: flexible Einschulung versus Pflichtschule. Da unterscheiden wir uns. Das ist in Ordnung, aber wir wollen keine Vorschule, die verpflichtend ist, weil die Kinder in diesem Alter sehr unterschiedlich entwickelt sind. Sie können die Grundschule in drei bis fünf Jahren durchlaufen. Wir haben die flexible Einschulung. Wir haben ein Ziel für die Grundschule definiert, nämlich die Vorbereitung auf die weiterführenden Schulen. Nicht einmal das waren Sie bereit mitzutragen.

Die Sprachvorlaufkurse habe ich angesprochen. Zum Thema Querversetzung bestätigen uns sozialdemokratische Schulleiter aus meinem Umfeld ausdrücklich, dass es eine richtige Entscheidung war – für pädagogisch begründete Ausnahmefälle.

Wir haben die Orientierungsarbeiten gegen Ihren Widerstand eingeführt und können heute ein erstes Fazit ziehen. Danach kann man sagen: Das Lesen ist besser geworden, in Mathe sind sie gut, und bei der Rechtschreibung gibt es noch Reformbedarf. Da muss man noch etwas machen. – Diese Orientierungsarbeiten werden in der Klasse 3 geschrieben, und heute kann man sagen, das und das ist das Ergebnis. Ich muss aber erst einmal ein Ergebnis haben, um feststellen zu können, welche Schlüsse ich daraus für die Weiterentwicklung des Schulwesens ziehen muss. Auch das haben wir gegen Ihr Votum durchgesetzt.

(Beifall bei der CDU – Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wurde doch gar nicht abgestimmt! So ein Quatsch!)

Bei den Vergleichsarbeiten war es genau das Gleiche. Die SPD war dagegen. Wir werden das Landesabitur einführen. Nur am Rande sage ich dazu, dass der Seeheimer Kreis der Sozialdemokraten sich aktuell dafür ausgesprochen hat, dass es eine bundesweite Zentralprüfung geben soll, und zwar mit der Begründung, dass die Unterschiede zwischen den deutschen Bundesländern so groß seien.

Herr Kollege Irmer, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme sofort zum Schluss. – Da haben sie natürlich Recht.

Wir können als Ergebnis festhalten: Die Differenz von Bayern und Baden-Württemberg zu Bremen und Brandenburg ist weitaus größer als die zwischen Bayern und Finnland. Im Klartext heißt das, überall dort, wo Bildungspolitik durch die CDU verantwortet wird, sind die Ergebnisse in der Bildungspolitik besser als in den Ländern, wo die SPD die Regierung gestellt hat.

(Beifall bei der CDU – Frank Gotthardt (CDU): So viele sind es nicht mehr!)

Herr Präsident, deshalb sage ich abschließend: Wir sind auch in Zukunft in diesem Bundesland für Schulformenvielfalt und für Schulwahlfreiheit. Wir wollen uns an der Strukturdebatte gar nicht beteiligen. Wir stehen auf dem Standpunkt, dass die Eltern bitte auf der Basis der Eignung ihrer Kinder entscheiden sollen, ob sie sie in eine integrierte Gesamtschule schicken wollen oder auf eine Schule des dreigliedrigen Schulsystems. Das ist freier Elternwille.

Wir wollen Vielfalt statt Einfalt. Das, was wir hier beschlossen haben, geht insgesamt in eine wunderbare, richtige Richtung, um Hessen zum Bildungsland Nummer eins zu machen.

(Anhaltender Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Irmer. – Das Wort hat Frau Abg. Habermann, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Irmer, ich will gleich von Anfang an noch einmal klarstellen: Wenn wir über eine Schulreform und über ein anderes Schulsystem reden, dann reden wir nicht von der integrierten Gesamtschule, wie sie in Hessen und in anderen Bundesländern existiert.Wir reden von einer Schule – ein Blick nach Finnland würde genügen –, die gemeinschaftlich unter einem Dach unterrichtet, die aber in der Lage ist, innerhalb der Schule binnenzudifferenzieren, innerhalb der Schule so zu differenzieren, dass Schwache gefördert werden, Starke gefordert werden und alle gemeinsam voneinander profitieren können. Das ist die Schulform, von der wir reden, und nicht die integrierte Gesamtschule, wie sie hier in Hessen zurückgeblieben ist.

(Beifall bei der SPD – Frank Gotthardt (CDU): „Zurückgeblieben“ ist der richtige Begriff!)

Herr Irmer, ich habe am Anfang nach Ihren ersten Sätzen wirklich gedacht, Sie hätten ernsthaft versucht, in die PISA-Studie hineinzuschauen, um neue Lehren daraus zu ziehen. Aber ich musste bei Ihrer weiteren Rede feststellen: Es fällt Ihnen nichts Besseres ein, als die eigene Regierungspolitik schönzureden und dann so weiterzuwerkeln, wie das bisher üblich war.

Für uns als SPD-Fraktion ist das erschreckendste Ergebnis dieses Schulleistungsvergleichs – wir haben es ein zweites Mal auf dem Tisch –,dass in keinem anderen Land die Abhängigkeit des Schulerfolgs vom sozialen Status der Eltern so ausgeprägt ist wie hier in Deutschland. Immer noch zählen 21 % der deutschen Schülerinnen und Schüler zur so genannten Risikogruppe, deren Lesekompetenz und sonstige Kompetenzen sich lediglich auf einem elementaren Level bewegen.

Meine Damen und Herren, 21 % unserer jungen Generation haben dadurch allenfalls eingeschränkte Möglichkeiten, eine Berufsqualifikation und eine befriedigende berufliche Perspektive zu erhalten. Die leichten Verbesserungen in der internationalen Rangliste sind kein Signal für eine Trendwende. Leistungszuwächse haben vorrangig im gymnasialen Bereich stattgefunden. Es gab keine Kompetenzsteigerung bei der Gruppe leistungsschwächerer Schülerinnen und Schüler. Die Leistungsschere in unseren Schulen geht also weiter auseinander, und zu viele junge Menschen werden in einem hoch selektiven Schulsystem zu früh zurückgelassen.Auf der Strecke bleibt dabei nicht nur die Chancengleichheit im Bildungssystem, sondern letztlich auch die Zukunftsfähigkeit dieses Landes.

(Beifall bei der SPD)

Offensichtlich gelingt es unserem Schulsystem nicht, die Kompetenzen und Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen ausreichend zu entwickeln. Wenn man das Abschneiden deutscher 15-Jähriger in der Kategorie Problemlösung anschaut – Herr Irmer hat darauf hingewiesen –, dann stellt man fest, dass Deutschland signifikant über dem OECD-Mittelwert liegt. Damit wird auch der Mangel dieses Schulsystems deutlich; denn es sind nicht die kognitiven Fähigkeiten, an denen es den Kindern mangelt. Vielmehr ist das Schulsystem nicht in der Lage, ungünstige familiäre und soziale Voraussetzungen auszugleichen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insbesondere in drei Handlungsfeldern sieht die SPDFraktion dringenden Handlungsbedarf.

Erstens. Wir brauchen neue Strukturen der Bildung und Erziehung in den ersten Lebensjahren. Kindertagesstätten haben einen unmittelbaren Einfluss auf den zukünftigen Schulerfolg der Kinder und können Benachteiligungen frühzeitig ausgleichen und Talente und Wissbegier fördern. Dazu gehört die Orientierung an einem Bildungs- und Erziehungsplan, um gleiche Standards in allen Einrichtungen zu fördern. Die Kindertagesstätte der Zukunft muss primär eine Bildungsstätte sein, die zusätzlich zum Bildungsauftrag durch das Angebot flexibler Öffnungszeiten auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleistet. Damit gehört sie in die Zuständigkeit des Kultusministeriums. Momentan dagegen behindern sich Sozialministerium und Kultusministerium, und Fortschritte sind nicht erkennbar.

(Beifall bei der SPD)

Auch die Qualifikation des Personals – darüber haben wir heute Morgen schon diskutiert – ist ein entscheidender Schritt, um bessere Startbedingungen für die Kinder zu gewährleisten. Sicherlich braucht nicht das gesamte Personal einer Kita ein abgeschlossenes Studium, ebenso wenig wie das einer Schule. Ich glaube, bei den Schulassistenzen – wie immer man sie auch gestaltet – sind wir uns einig.Aber die Gleichwertigkeit von schulischen und vorschulischen Einrichtungen muss in der Ausbildung des Personals zwingend zum Ausdruck kommen.

Um die unterschiedlichen Startvoraussetzungen der Kinder möglichst früh auszugleichen und alle Kinder zu erreichen, muss in einem ersten Schritt das letzte Kindergartenjahr vor der Schule beitragsfrei und verbindlich werden. Viele Familien, insbesondere wenn die Mütter nicht arbeiten, verzichten darauf, ihre Kinder in den Kin

dergarten zu schicken, weil sie Beiträge sparen wollen. Sie sind sich nicht bewusst, dass der Besuch einer Vorschuleinrichtung die Chancen ihrer Kinder erheblich erhöht, die Schule erfolgreich zu absolvieren.