Protokoll der Sitzung vom 24.02.2005

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Kollege Al-Wazir,darin besteht doch in Wahrheit Ihr politisches Problem. Das haben Sie nicht begriffen, als Sie die Regierungsverantwortung mit übernommen haben. Sie haben geglaubt, es gäbe da eine Alternative. Sie glaubten, die bösen Alten, die zuvor in der Regierung waren, hätten die Grenzen nicht weit genug aufgemacht. Sie haben das als Zeichen der Unmenschlichkeit und der Verbohrtheit der Christdemokraten angesehen und waren der Meinung, Christdemokraten wollten keine Ausländer sehen. Sie waren der Meinung, dass die FDP dabei auch noch geholfen habe.

Dann haben Sie sich gesagt: Jetzt sind wir an der Macht. Jetzt machen wir erst einmal die Tore auf, um einen Beweis der Liberalität Deutschlands zu erbringen. – Damit haben Sie einen intellektuell katastrophalen Fehler gemacht. Wenn man Deutschland zu einem internationalen Platz machen will, dann muss man dafür sorgen, dass das an jeder Stelle mit der notwendigen Kompetenz geschieht, dass die dafür notwendigen Kapazitäten vorhanden sind und dass im Zweifel für die Sicherheit entschieden wird. So muss diese Entwicklung in der internationalen Politik betrieben werden. Das ist die Aufgabe, die Sie haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vor diesem Hintergrund muss man sagen: Wir wissen heute sehr präzise, dass man derartige Fälle hätte sehen müssen, wie es sie etwa in der Ukraine gab. Man hätte es aufgrund der Entwicklung der Visaerteilung im Vergleich zur Bevölkerung sehen können. Dass man es nicht gesehen hat, führt dazu, dass wir hier heute mehr Kriminalität haben.

Man kann sich das auch im Lande Hessen anschauen. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses hat uns gebeten,Fälle zu nennen.Das ist angesichts der Regeln,die wir zum Datenschutz und zur Informationsweitergabe in diesem Land haben, nicht immer einfach.

Sie sollten sich einmal anschauen, was allein dazu in den letzten Tagen in den Zeitungen gestanden hat. Sie sollten sich auch einmal Folgendes anschauen. Ich will nur das einmal als Beispiel nehmen. Ein Wiesbadener Reisebüro wurde über lange Zeit beobachtet. Das wissen wir aufgrund des Wostok-Berichts, der heute Gegenstand in der Sitzung des Untersuchungsausschusses in Berlin ist. Wir können sehen, dass der Reisebürobetreiber einfach Briefe schreiben musste, die in Kopie sogar an das Bundeskriminalamt gegangen sind. Die kennen diese Briefe also. Er konnte monatelang solche Briefe schreiben. Nach der Beschlagnahme, die vorgenommen wurde, wurde ersichtlich – das hat man festgestellt –, dass Hunderte der Betroffenen automatisch bei den Schleusern landeten.

Es gibt da eine sichtbare Kette. Die reicht von Hotels, die nie angefahren wurden, bis in den Bereich der Prostitution hinein. Es gab eine signifikante Zahl junger Mädchen zwischen dem 18. und 22. Lebensjahr. Die wären als normale Geschäftsreisende zumindest ungewöhnlich gewesen. Das hätte auffallen müssen. Da wurde aber nicht eingegriffen. Man kann sehen, dass es in nahezu jedem Fall, in dem Ukrainer in Deutschland solche Anträge an die Behörde gerichtet haben, anschließend Hunderte solcher Fälle gibt. Das waren dann nicht ein oder zwei, sondern in aller Regel waren es Hunderte Fälle.

Im Wostok-Bericht konnte man dann zwei Jahre, nachdem dies geschehen ist, lesen, dass das Bundeskriminalamt längst Daten hinsichtlich der Frage hatte, welche Ge

fahren dort bestehen. Das Bundeskriminalamt hatte das dem Bundesinnenministerium längst vorgelegt. Denn für das Bundesinnenministerium wurde dieser Wostok-Bericht gefertigt. Das Bundesinnenministerium hatte aber nicht den Mut, das dem Außenministerium und dem Kabinett angemessen vorzutragen. Es hat auch nicht seine Pflicht erfüllt, das den Bundesländern vorzutragen, die dann die Bürgerinnen und Bürger hätten schützen können. Das ist ein Skandal. Das benennen wir auch so.

(Anhaltender Beifall bei der CDU – Beifall bei der FDP)

Die Bundesregierung hatte vielfach Warnungen erhalten. Sie war zu einem frühen Zeitpunkt durch die Schreiben der Innenminister Beckstein und Schäuble gewarnt. Heute wissen wir doch, dass der Adressat der Briefe der Innenminister Beckstein und Schäuble auch deren Meinung war. Der Adressat war nämlich Herr Schily. Herr Schily hat überhaupt keine andere Auffassung vertreten.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): So ist es!)

Er ist zu diesem Zeitpunkt ebenfalls der Auffassung gewesen, dass das ein Sicherheitsrisiko ist. Er hat es auch eigentlich jedem gesagt.Die einzige Frage heute ist,die vielleicht ein Untersuchungsausschuss klärt,ob es unter „Verschiedenes“ im Bundeskabinett angesprochen worden ist. Das ist ein interessanter Streit.

Es ist mir aber ziemlich egal. Der Bundesinnenminister hat,wie jeder Ressortkollege,der an diesem Tisch sitzt,die Verantwortung, wenn er sich mit einem anderen Ressortminister in einer für Deutschland relevanten Frage nicht einig ist, das im Zweifel dem Regierungschef vorzutragen oder dem Gesamtkabinett. Eines darf er nicht machen: aus vermeintlicher Politikloyalität, weil es für die GRÜNEN ein Lebenstraum ist, die Grenzen weiter aufzumachen,auch wenn Sicherheit eine Rolle spielt,zu schweigen und die Sicherheit zu gefährden. Das darf er nicht tun.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP)

Jetzt streiten wir noch über die Frage, wann es im Bundesaußenministerium wer gewusst hat. Das ist offensichtlich die letzte Frage; denn dass das Bundesaußenministerium es bis zum Büroleiter irgendwie gewusst hat, weiß inzwischen jeder. Über diese Frage von politischer Verantwortung wollen wir ernsthaft reden. Es geht am Ende im Untersuchungsausschuss schon heute eher um die Frage, wer wann positiv etwas gewusst hat, und nicht, in welcher Behörde.

(Norbert Schmitt (SPD): Dazu fällt uns etwas ein!)

Infam an der Diskussion mit Herrn Fischer finde ich, dass er sagt: Was weiß ich, was meine Konsularbeamten in Kiew gemacht haben? – Die eine Wahrheit ist, dass Beamte, die ihn davor gewarnt haben, anschließend irgendwohin versetzt worden sind.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): So ist es!)

Die andere Wahrheit ist: Es war eine politische Entscheidung, in dieser Weise die Abwägung zwischen Grenzöffnung und Sicherheit zu verändern.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP)

Deshalb sage ich für die Hessische Landesregierung: Auch wir fühlen uns getäuscht.Wir können erwarten, dass eine Bundesregierung, mit der wir in einer Vielzahl von Fragen der inneren Sicherheit jeden Tag zusammenarbeiten – prinzipiell auch nicht schlecht zusammenarbeiten; es gibt vieles, was vernünftig funktioniert –, sich an die Re

geln hält. Aber in einem Punkt ist extrem gegen die normalen Regeln der Arbeit der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder verstoßen worden. Es ist ein Problem verschwiegen worden, und dies ist ein Problem, das der Innenminister offensichtlich noch nicht einmal dem Außenminister in angemessener Form vortragen wollte, weil es ein Problem der Regierungskoalition war. Es ist in Wahrheit eine Frage, bei der die GRÜNEN geglaubt haben, dass es zur Gesellschaftsveränderung in Deutschland gehört, wenn ein anderes Einwanderungsrecht gemacht wird. Die SPD hat gesagt, die Regierung ist es uns wert, dass wir sie dort gewähren lassen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ein Blödsinn!)

Meine Damen und Herren, das eine war so falsch wie das andere, und beides schadet uns in Deutschland und auch in unserem Bundesland Hessen. Es schadet der Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden. Das ist das Problem, über das wir heute miteinander sprechen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich hindere Sie nicht, über China zu sprechen. Aber Sie werden dem Problem nicht entfliehen. Die Hessische Landesregierung wird keine Forderung stellen, dass weniger Menschen in dieses Land kommen.Aber wir bestehen darauf, dass diejenigen, die dafür zuständig sind, Einreiseerlaubnisse zu erteilen, im Zweifel für die Sicherheit entscheiden.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Richtig!)

Auf keinen Fall dürfen mit dem dämlichen Spruch: „Im Zweifel für die Freiheit“, der für alles gemacht ist, nur nicht für das Konsularrecht, die Konsularbeamten daran gehindert werden, Sachverhalte so zu prüfen, wie es notwendig ist, um es gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik Deutschland verantworten zu können.

(Lebhafter Beifall bei der CDU – Beifall bei der FDP)

Herr Al-Wazir,deshalb werden Sie trotz der Trennung der Aktuellen Stunden, damit Sie mehrfach reden können, und auch trotz anderer Methoden – wie dem Versuch, Briefe aus dem Verkehr zu zitieren und sie dabei noch unvollständig zu zitieren – nicht umhinkommen, dass es dafür am Ende eine politische Verantwortung auch in einem politischen Programm gibt. Für das haften Sie mit Ihren Beschlüssen und Ihrem Wollen genauso. Es ist ein Stück der Programmatik, der Ideologie der GRÜNEN, oder wie immer man das nennt, mit der Sie angetreten sind.

Sie werden sich heute nicht herauswinden können. Der Bundesaußenminister muss irgendwann entscheiden, wann er etwas dazu sagen will. Ich habe gehört, heute Morgen ist im Bundestagsuntersuchungsausschuss erneut eine vorzeitige Vernehmung von Herrn Fischer abgelehnt worden. Das gehört auch zu Ihren Tricks,

(Zurufe von der CDU)

dass der Bundesvorsitzende der GRÜNEN verlangt, er soll schnell etwas sagen dürfen, und die GRÜNEN-Vertreter im Untersuchungsausschuss seine Vernehmung ablehnen. So viel Angst haben Sie inzwischen in der Frage. Aber Sie werden dem nicht entfliehen. Sie haben einen gewaltigen politischen Fehler gemacht, und dafür werden die GRÜNEN politisch geradestehen müssen. – Vielen herzlichen Dank.

(Lang anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Es gibt keine Wortmeldungen mehr zum Tagesordnungspunkt 68.

Ich rufe Punkt 69 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion der FDP betreffend eine Aktuelle Stunde (Fischer/Volmer-Erlass: Ideologie vor Sicherheit) – Drucks. 16/3666 –

Das Wort hat Frau Kollegin Wagner.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte gleich zu Beginn feststellen: Anders als nach Auffassung von Herrn Volmer, der es mittlerweile nicht mehr sagt, von Frau Roth und Herrn Fischer sind der Erlass und andere Vorschriften im Gegensatz zu Vorschriften zu Zeiten der Außenminister Genscher und Kinkel, nämlich mit einer klaren, rechtsstaatlichen Prüfung

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Bei Kinkel?)

jawohl, bei Kinkel –, nicht mehr liberal und rechtsstaatlich. Sie haben Missbrauch mit dem betrieben, was zu den Grundlagen unserer Demokratie gehört. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, hören Sie sich an, was Ihr Europaabgeordneter gesagt hat.Liebe Frau Schulz-Asche,es ist noch nicht einmal nötig, die Wahrheit, die ich eben verkündet habe, im Untersuchungsausschuss zu verifizieren, weil immer wieder Abgeordnete und zum Teil auch ehemalige Botschafter,die,wie Herr Koch schon zu Recht gesagt hat, schon längst bestraft worden sind,Aussagen treffen, von denen sie sagen, dass sie sie im Untersuchungsausschuss beschwören werden. Die Wahrheit ist schon zur Hälfte auf dem Tisch, bevor Herr Fischer dort überhaupt antritt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Die Außenpolitik,die vorgeblich fortgeführt wurde,ist ein klarer Bruch zu dem, was liberale und rechtsstaatliche Außenminister in den Neunzigerjahren getan haben. Das galt für das ganze Kabinett, und das galt für den damaligen Bundeskanzler.

(Zuruf der Abg.Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich möchte fragen, wie das eigentlich ist, wenn Beamte aller Ämter und Botschaften, die im Untersuchungsausschuss auszusagen haben, dem „Spiegel“, dem „Focus“ und anderen Tageszeitungen jetzt schon mitteilen, welche Warnungen sie ausgesprochen haben. Schily steht jetzt schon in der Öffentlichkeit, im Untersuchungsausschuss endlich zu beantworten, warum er nach den Warnungen der Häuser und der Innenminister Beckstein, Schäuble und wahrscheinlich noch anderer Landesinnenminister nichts getan hat.

Meine Damen und Herren, wir wollen auch wissen – in der Mediengesellschaft ist das so –: Was ist denn in den

Dreiergesprächen zwischen Bundeskanzler, Herrn Schily und Herrn Fischer gesagt worden?