Protokoll der Sitzung vom 14.07.2005

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Und dann treten Sie in dieser Form hier auf. Wenn hier wiederholt betont wird, dass es mit diesen – –

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was hat der Sarkozy gesagt? Der gehört zu euch! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sarkozy hat ausdrücklich dazu aufgefordert, bei dem Referendum mit „Oui“ zu stimmen, nicht, wie Fabius, mit „Non“. Fabius glaubte, dass er damit seine Startchancen für die Kandidatur als sozialistischer Präsidentschaftskandidat verbessern würde. Das war die Motivation von Fabius.

Ich will aber keine Motivsuche betreiben, sondern auf eine außergewöhnliche Schwäche des sozialdemokratischen Antrags hinweisen.Sie schreiben:Wir wollen diesen Verfassungsvertrag. – Frau Hölldobler-Heumüller, auch Sie haben das gesagt. Ich bitte Sie, eine Minute lang in aller Ruhe demokratietheoretisch und demokratiepraktisch nachzudenken. Können Sie sich vorstellen, dass die französische Regierung das französische Staatsvolk und die niederländische Regierung das niederländische Staatsvolk zu einem Referendum über einen Verfassungsvertrag bitten wird, an dem nicht ein einziges Jota geändert worden ist? – Nein, meine Damen und Herren, das kann man sich nicht vorstellen. An dem Verfassungsvertrag muss gearbeitet werden. Er muss geändert werden, sonst wird ein zweites Referendum in Frankreich wieder eine Mehrheit gegen den Verfassungsvertrag ergeben. Das liegt auf der Hand.

(Beifall bei der CDU – Norbert Schmitt (SPD): Haben Sie schon einen Entwurf gemacht? – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich versuche ja, Zwischenrufe aufzunehmen. Können Sie sich vorstellen – –

(Lebhafte Zurufe von der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich darf um etwas mehr Ruhe bitten.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist nur die Reaktion auf den Mist, den der Staatsminister von sich gibt! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie nochmals ganz ernsthaft um mehr Ruhe bitten, damit die Ausführungen von Herrn Riebel zu vernehmen sind.

(Norbert Schmitt (SPD): Den vernehmen wir auch noch!)

Können Sie sich vorstellen, dass ohne eine Änderung des Verfassungstextes ein zweites Referendum in Frankreich und in den Niederlanden abgehalten wird? Das ist völlig ausgeschlossen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Zweitens. Die Landesregierung ist durchaus mit den Rednern von den Christdemokraten und den freien Demokraten einig, dass wir auf eine Neuformulierung der europäischen Politik hinwirken müssen. Das bedeutet, dass sich die europäische Politik auf die Kernfragen beschränkt.Das sind aus meiner Sicht die europäische Geldund Währungspolitik, die Harmonisierung des Wettbewerbs – und, damit einhergehend, des Wettbewerbsrechts, für das Europa originär zuständig ist –, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die gemeinsame Verteidigungspolitik. Dann wird Europa in der Welt ernst genommen und ist damit auch handlungsfähig.

Bei dem dritten Punkt unterstelle ich, dass ihn alle politischen Parteien und alle politischen Kräfte unterstützen. Das Stichwort heißt Subsidiarität. Hier müssen wir eine Grundstimmung in der Bevölkerung und – ich sage das in aller Freundlichkeit– auch in der politischen Klasse aufnehmen, die, wie ich glaube, nicht in Ordnung ist.

Wenn Bundestagsabgeordnete, Landtagsabgeordnete, Europaabgeordnete und Kreistagsabgeordnete vor Ort diskutieren, und es wird sich über irgendetwas beklagt, habe ich schon mehr als einmal – positiv ausgedrückt: hundertfach – gehört: Daran ist Brüssel schuld. – Das ist eine Grundstimmung in der Bevölkerung,die in der Sache nicht immer und ausnahmslos gerechtfertigt ist, weil jeweils auch Nationale beteiligt sind.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer verstärkt diese Grundstimmung?)

Ich werde gleich Beispiele dafür nennen. Erstens müssen wir das Thema Subsidiarität ernster nehmen. Zweitens müssen wir die Kompetenzabgrenzung scharf beobachten. Drittens müssen wir dafür sorgen, dass sich die europäischen Institutionen in der Tat auf die ihnen zugewiesenen Aufgaben beschränken.

Ich habe Ihnen Beispiele dafür mitgebracht. Halten Sie es denn für sinnvoll, dass es eine Richtlinie – sie stammt vom 24. Juni 1992 – über die auf zeitlich begrenzte oder ortsveränderliche Baustellen anzuwendenden Mindestvorschriften für die Sicherheiten im Gesundheitsschutz gibt? Ich sage völlig ohne Netz und doppelten Boden: Europa soll sich bei der Einrichtung von Baustellen zurückhalten. Europa soll sagen: Das regeln die Nationalstaaten. – In der Bundesrepublik Deutschland wäre es meiner Meinung nach ausreichend,wenn sich die Länder darum kümmerten.

(Beifall bei der CDU)

Oder glauben Sie, zweitens, es ist klug, dass es – das ist ein dickes Buch vom 29. Mai 1990 – eine Richtlinie über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheiten des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten gibt? Auch da sage ich, dass das mit dem europäischen Einigungsprozess und der gemeinsamen Rechtssetzung auf europäischer Ebene nichts, aber auch gar nichts zu tun

hat. Deshalb muss das in die Verantwortung der Nationalstaaten zurückgeführt werden.

(Beifall bei der CDU)

Oder halten Sie es für klug, dass es eine Verordnung des EG-Rates vom 28. Oktober 1996 über die gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse gibt? Die soll den Umgang mit Obst und Gemüse z. B. auf dem sizilianischen, dem Berliner und dem Wiesbadener Markt in gleicher Weise organisieren.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Es ist bereits angesprochen worden, dass derzeit eine Richtlinie in Arbeit ist, die sich mit dem Strahlenschutz beschäftigt. Bei dem Thema Strahlenschutz werden wir alle hellwach.Damit es keine Missverständnisse gibt:Dass wir vor künstlich erzeugten Strahlen, von Röntgenstrahlen bis zu Gammastrahlen, gesetzlich geschützt werden wollen und müssen, ist völlig unstreitig.

Aber dass ein EU-Bürokrat auf die Idee kommt, Bauarbeiter müssten auch vor Sonnenstrahlen geschützt werden, und dass in dem Entwurf für die Richtlinie steht, der Arbeitgeber habe eine Gesundheitsakte über seine Bauarbeiter zu führen und müsse den Lichtschutzfaktor des Mittels, das sie zum Schutz benötigten, in der Gesundheitsakte eintragen, ist Europas Tod. Die Menschen wollen dies nämlich nicht. Das sage ich an dieser Stelle ausdrücklich als jemand, der davon überzeugt ist, dass Europa unsere einzige Chance ist, die Zukunft vernünftig und angemessen zu bewältigen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren von der anderen Seite des Hauses, Sie haben ausdrücklich applaudiert, als Frau Kollegin Hölldobler-Heumüller auf die Anmerkungen zur Erweiterung und zur Verlangsamung dieses Prozesses hingewiesen hat. Frau Hölldobler-Heumüller hat rhetorisch gefragt,ob es denn vernünftig sei,dass wir uns in diesem Haus mit dem Beitritt der Türkei beschäftigen.

Nehmen Sie zur Kenntnis, dass in allen Versammlungen eine der ersten Fragen der Bürgerinnen und Bürger, mit denen ich über dieses Thema rede, lautet: „Wie hältst du es denn mit dem Beitritt der Türkei in 10 oder auch in 15 Jahren?“

(Beifall bei der CDU)

Wenn wir – wie wir das tun – die Bürgernähe ernsthaft und überzeugt suchen und die Sorgen der Bürger aufnehmen, müssen wir das Thema Türkei beobachten.

Die Antwort der Landesregierung ist relativ einfach. Wir wollen nicht, dass die Türkei in absehbarer Zeit, zu unseren Lebzeiten Mitglied der Europäischen Union wird.

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Margaretha Hölldobler-Heumüller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Da stellt sich die Frage, warum wir das nicht wollen. Frau Kollegin,wir wollen das nicht,weil die Türkei nicht zu Europa gehört. Die Türkei ist ein Teil von Kleinasien. Wir wollen natürlich, dass die vorhandenen Verträge ohne Wenn und Aber eingehalten werden: die Mitgliedschaft der Türkei in der Nato und all das, was in den vergangen Jahren und Jahrzehnten verabredet worden ist.

(Margaretha Hölldobler-Heumüller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das haben Hallstein und Kohl aber anders gesehen!)

Sie setzen Gerüchte in die Welt, die in dieser Form unwahr sind. Ich nehme das gleich einmal auf. Es hält sich das Gerücht, Helmut Kohl habe der Türkei den EU-Beitritt versprochen. Dies ist nicht wahr. Ich weiß aus seinem Mund, dass er der Türkei zu keinem Zeitpunkt eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union, wie sie sich heute darstellt, versprochen hat.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da hat er wahrscheinlich sein Ehrenwort gegeben!)

Herr Minister, ich darf Sie darauf hinweisen, dass die Redezeit der Fraktionen abgelaufen ist.

Sofort. – Ferner darf ich Sie auf einen letzten Punkt im Zusammenhang mit der Türkei hinweisen. Die letzte zitierfähige Äußerung ist die eines respektablen deutschen Staatsmanns, der am 11. Juli 2005 in der Fernsehsendung „Beckmann“ zu diesem Thema befragt worden ist. Dort hat Helmut Schmidt gesagt – ich zitiere wörtlich –: „Ich war nie der Meinung, dass die Türkei Vollmitglied der Europäischen Union werden sollte“.

Das ist auch unsere Auffassung.Wenn wir die Regeln, die niedergelegt sind, und die Vorschläge, die in dem Antrag der Christdemokraten und der freien Demokraten enthalten sind, bei der künftigen EU-Politik beachten, werden wir, da bin ich sicher, die gemeinsame EU in eine vernünftige, friedenssichere und soziale Zukunft führen. Meine Kollegen von der anderen Seite des Hauses, wenn wir Ihre Vorschläge aufnehmen, geht die gesamte EU kaputt und das wäre fürchterlich für uns alle.

(Beifall bei der CDU – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach du liebe Zeit!)

Vielen Dank, Herr Minister Riebel. – Herr Al-Wazir, Sie haben sich zu Wort gemeldet. Sie haben fünf Minuten Redezeit.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Riebel, ich glaube, dass die Rede, die Sie hier eben vorgetragen haben, eines Europaministers schlicht unwürdig war.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es gibt ein schönes Zitat von Heiner Geißler. Es lautet: Wenn die Fahne fliegt, ist der Verstand in der Trompete. – Denken Sie ein bisschen darüber nach.

Herr Riebel, wir haben uns oft darüber beschwert, dass Sie nicht anwesend waren. Aber wenn Sie einmal anwesend sind und dann solche Reden halten, kann man sagen: Eigentlich könnten Sie auch gleich fortbleiben. – Ich meine das sehr ernst, Herr Minister.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Hoff (CDU): Ein richtiger Rotzlöffel! Ein richtiger grüner Rotzlöffel! – Weitere Zurufe von der CDU)

Da gibt es noch einen schönen Spruch: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. – Wenn Sie sich über die Qualität dieser Debatte aufregen – –

(Unruhe)