Protokoll der Sitzung vom 22.11.2005

(Beifall bei der SPD)

Frau Habermann, danke. – Bevor ich Herrn Wagner das Wort erteile, darf ich zunächst noch einmal ganz herzlich Gäste auf der Tribüne begrüßen. Es handelt sich um eine Delegation aus Nangchang. Das ist seit vielen Jahren eine Partnerstadt von Wiesbaden. Nangchang liegt in der Region Jiangxi. An der Spitze steht Herr Yu, den ich besonders herzlich begrüßen darf. Seinen Sie uns willkommen. Zwischen Jiangxi und Hessen wurde eine Rahmenvereinbarung im Bildungsbereich abgeschlossen. Vielen Dank, dass Sie unsere Gäste sind.

(Allgemeiner Beifall)

Herr Wagner, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Beuth, gespielte oder tatsächliche Aufgeregtheit kann nicht darüber hinweghelfen, dass man sich mit der Sache

beschäftigen muss. Herr Beuth, leider haben Sie das in Ihrem Redebeitrag heute nicht getan.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Beuth, Sie sollten sich wirklich einmal überlegen, ob Ihre Wortwahl diesem Hause angemessen war.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Sie sagten, die SPD-Fraktion habe mit einem Gesetzentwurf dieses Haus belästigt. Das Wesen dieses Hauses besteht auch darin, dass wir Gesetzentwürfe beraten und diskutieren. Diese Gesetzentwürfe mögen Ihnen nicht gefallen. Herr Kollege Beuth, aber eine Belästigung stellt ein Gesetzentwurf mit Sicherheit nicht dar, und zwar unabhängig davon, von welcher Fraktion er eingebracht wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Worum geht es denn? Herr Kollege Beuth,dazu haben Sie leider sehr wenig gesagt. In der Sache geht es um Folgendes. Die PISA-Studie gibt uns, unabhängig von dem, was wir im Detail dazu alles diskutieren, doch zwei Dinge sehr eindeutig mit auf den Weg.

Das Erste, was uns die PISA-Studie mit auf den Weg gibt, ist Folgendes. Es ist die Aufgabe der Bildungspolitik, die Größe der so genannten Risikogruppe zu reduzieren. Bildungspolitik hat also dafür zu sorgen, dass mehr Schülerinnen und Schüler die elementaren Fähigkeiten vermittelt bekommen.Mehr Schülerinnen und Schüler sollen die Gelegenheit haben, an der Bildung teilzuhaben. Damit haben sie dann auch an unserer Gesellschaft Teilhabe.

Die PISA-Studie gibt uns dazu mit auf den Weg, dass wir in Deutschland, also nicht nur Hessen, sondern in ganz Deutschland, hierin schlecht sind.Wir haben also die Aufgabe, das Problem zu lösen. Das müssen wir bearbeiten. Das ist das Erste, was uns die PISA-Studie mit auf den Weg gibt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Zweite, was uns die PISA-Studie mit auf den Weg gibt, ist Folgendes. Wenn wir weiterhin zu einem der führenden Länder gehören wollen, werden wir in unserem Land mehr Menschen zum höchsten Bildungsabschluss führen müssen. Wir werden es uns nicht weiter leisten können, Bildungsreserven unentdeckt zu lassen und die entsprechenden Menschen nicht zu fördern. Vielmehr müssen auch wir es schaffen,mehr hessische Schülerinnen und Schüler zum Abitur zu führen. Das ist die zweite Aufgabe, die sich aus der PISA-Studie ergibt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein wesentliches Instrument, diese beiden Ziele zu erreichen, ist die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler. Ich glaube, das wird von uns keiner bestreiten.

Jetzt ist aber zu fragen: Wie bekommt man diese individuelle Förderung hin? Wird individuelle Förderung in unserem Land wirklich vorgenommen? – Ich glaube, dass das, was die SPD-Fraktion dazu mit ihrem Gesetzentwurf vorgelegt hat,vom Ziel her die richtige Perspektive bietet. Eine flexible Schuleingangsstufe kann ein sehr wesentliches Element der individuellen Förderung von Anfang an sein. Deswegen teilen wir die Zielsetzung des Gesetzentwurfs in der Art, wie ihn die SPD-Fraktion hier vorgelegt hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Bernhard Bender und Thorsten Schä- fer-Gümbel (SPD))

Herr Kollege Beuth, Sie haben Ihre Leistungsbilanz vorgetragen und gesagt, hier in Hessen sei alles prima. Dann müssen Sie mir aber eines erklären: Ihr Ziel und das Ziel aller, die sich hier im Landtag befinden, ist, dass Hessen Bildungsland Nummer eins wird. Ich stelle aber fest, dass eines der Ergebnisse der PISA-Studie ist, dass wir Bildungsland Nummer sieben bzw. Bildungsland Nummer zwölf sind.Das gilt für die Bereiche,die mit der PISA-Studie erhoben wurden. Ich verstehe nun wirklich nicht, dass Sie sich dann hierhin stellen konnten und meinten, Ihre Leistungsbilanz vorstellen zu können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das, was Sie hier in Hessen machen, ist doch das Gegenteil von individueller Förderung. Herr Kollege Beuth, was trägt denn eigentlich die Verlängerung der Arbeitszeit der Lehrerinnen und Lehrer zur individuellen Förderung bei? Sind Sie ernsthaft der Meinung, dass durch die von Ihnen vorgenommene Verlängerung der Arbeitszeit die Lehrerinnen und Lehrer mehr Zeit haben,die Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern?

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Was haben Sie denn während Ihrer Regierungszeit gemacht?)

Herr Kollege Irmer, glauben Sie wirklich, dass das immer weitere Ausnutzen der Klassenobergrenze und die Überschreitung der regulären Klassenobergrenze dazu beitragen, dass die Schülerinnen und Schüler in unserem Land besser individuell gefördert werden?

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das, was sie erzählen, ist schlichtweg falsch!)

Herr Kollege Irmer, glauben Sie, dass die Art und Weise, wie Sie die Schulzeit verkürzen – das Stichwort dazu lautet: G 8 – –

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie haben von Bildungspolitik keine Ahnung!)

Herr Irmer, mit Ihnen nehme ich es hinsichtlich der Kompetenz allemal noch auf. Das können Sie mir glauben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Irmer, Sie können mir glauben: Mit Ihnen nehme ich es allemal auf. Herr Kollege Irmer, Sie sollten einmal ein bisschen Luft holen. Dann geht es Ihnen wieder besser.

Herr Kollege Irmer, wenn Sie etwas entwickeltere Zwischenrufe machen würden, könnten Sie sagen: Die Schuleingangsstufe ist in dem von uns gemachten Hessischen Schulgesetz doch vorgesehen.– Das könnten Sie rufen, wenn Ihre Zwischenrufe qualitativ etwas hochwertiger wären. Herr Kollege Irmer, ich helfe Ihnen also sogar noch.

Da gibt es aber ein Problem. Die flexible Schuleingangsstufe ist zwar im Hessischen Schulgesetz vorgesehen. In der Ausführungsverordnung dazu steht aber – ich zitiere –:

Das Angebot eines flexiblen Schulanfangs darf nur eingerichtet werden, wenn die personellen, sächlichen und räumlichen Voraussetzungen gegeben sind.

Wenn man das pädagogisch für richtig hält, dann muss man die entsprechenden Voraussetzungen auch schaffen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren der CDU, es reicht nicht, einen Bildungs- und Erziehungsplan vorzulegen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Was haben Sie denn gemacht?)

In diesem Bildungs- und Erziehungsplan steht viel Richtiges. Auf Seite 37 wird auch wunderbar beschrieben, warum die Schuleingangsstufe sinnvoll ist. Dann wird aber nichts getan, damit die Schulen die personellen Voraussetzungen erhalten, um die Einführung der Schuleingangsstufe zu verwirklichen.

Es nutzt nichts, dass wir einen Abschlussbericht über die Neukonzeption der Schuleingangsstufe haben. Die Entwicklung der Neukonzeption der Schuleingangsstufe wurde von 1998 bis zum Jahre 2004 beobachtet. Im Jahre 2005 haben wir nach wie vor – –

(Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU))

Herr Kollege Beuth, Sie sagen, wir hätten ihn noch nicht diskutiert. Ich denke, auch in Ihrer Fraktion wird das Lesen eines Berichts zu Erkenntnissen führen. Die Debatte während einer Ausschusssitzung vertieft diese Erkenntnisse.Wir haben mit der flexiblen Schuleingangsstufe von 1998 bis 2004 Erfahrungen gesammelt. Wir haben gesagt, das ist gut. Dass wir das noch nicht diskutiert haben, kann doch kein Grund sein, dass wir uns nicht auf den Weg machen, das umzusetzen. Herr Kollege Beuth, der Grund dafür kann doch nicht sein, dass Sie das im Ausschuss noch nicht besprechen konnten. Das kann doch wirklich nicht sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen in Hessen bei der individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler vom Reden zum Handeln kommen. Das ist das Entscheidende.

Lassen Sie mich noch ein paar Sätze ganz konkret zum Gesetzentwurf der SPD-Fraktion sagen. Ich sagte, dass wir das Ziel teilen, das in dem Gesetzentwurf angesprochen wird. Wir wollen die Schuleingangsstufe in Hessen haben, weil sie ein wichtiges Instrument der individuellen Förderung ist.

Meine Damen und Herren der SPD, wir werden aber etwas in der weiteren Beratung des Gesetzentwurfs noch einmal diskutieren müssen. Denn die Voraussetzung für die Einführung der Schuleingangsstufe ist schon, dass die dafür notwenigen personellen und sächlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden.Wir GRÜNEN haben bei den Haushaltsberatungen 2005 einen sehr konkreten Vorschlag dazu gemacht, wie man einen Einstieg in dieses Konzept schaffen kann. So, wie es jetzt in Ihrem Gesetz steht, dass Sie etwas postulieren und die Schulen auffordern, etwas zu tun, ohne ihnen dafür die Ressourcen zu geben – damit hätten wir Schwierigkeiten. Wir hoffen, dass wir das in den weiteren Ausschussberatungen näher präzisieren können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von der SPD,wir müssten auch darüber diskutieren, was mit § 18 des geltenden Schulgesetzes passiert. Da geht es um die Vorklassen und Eingangsstufen. Frau Kollegin Habermann hat gesagt, dass

das Eingang in die neuen Schuleingangsstufen finden soll. Es steht aber leider nicht in Ihrem Gesetzentwurf. Wenn wir das also so beschließen wollten, dann müssten wir darüber reden und gucken, ob wir in den weiteren Beratungen noch etwas aufnehmen.

Ich möchte abschließend noch etwas zu der von der SPD eingebrachten Serie von Gesetzentwürfen sagen, die überschrieben ist „Wiederherstellung der Chancengleichheit“. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich glaube, dieser Titel Ihrer Serie ist fehlleitend. Wir hatten in Hessen wie in der ganzen Bundesrepublik bislang in unserem Bildungssystem keine Chancengleichheit. Also kann man sie auch nicht wieder herstellen.

(Zurufe der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) und Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))