Protokoll der Sitzung vom 25.01.2006

Diese Dialoge halte ich nicht für besonders zielführend, was die Debatte angeht. – Herr Al-Wazir, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, vielen Dank.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Stillos! Niveaulos! – Zurufe von der CDU)

Ihre Aufregung ist wieder einmal ein Beweis dafür, dass solche Sachen zwar gesellschaftlich akzeptiert sind, aber darüber reden, das macht man nicht. Bitte sehr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Was meinen Sie denn? – Clemens Reif (CDU): Stillos! – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Herr Innenminister, Sie haben gesagt, manche leben in Parallelgesellschaften. Ich stelle Ihnen einmal die Frage – denn darum geht es eigentlich –:

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Sind das eher diejenigen, die den Einbürgerungsantrag stellen, oder sind das eher diejenigen, die den Einbürgerungsantrag nicht stellen?

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Ich glaube, das Problem von Parallelgesellschaften – oder was man dafür hält – werden Sie mit dem Staatsangehörigkeitsgesetz nicht los. Denn bevor die Leute einen Antrag auf Staatsbürgerschaft stellen, müssen sie die Niederlassungserlaubnis oder die unbefristete Aufenthaltserlaubnis haben, sodass sie im Lande sind, ob sie eingebürgert werden oder nicht.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Deswegen sage ich Ihnen: Da wird Ihnen eine Frage bei der Einbürgerung nicht weiterhelfen. Denn wenn Sie die Einbürgerung dann ablehnen, werden die Leute weiterhin da sein. Deswegen sage ich: guter Punkt, aber falsches Gesetz, um damit irgendetwas zu verbessern.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Stillosigkeit! – Clemens Reif (CDU): Dummes Zeug!)

Zweiter Punkt: das Thema Wissen und Werte. Heute haben Sie gesagt,die Leute sollen wissen,wie die Hauptstadt heißt. Ich finde es gut, wenn alle wissen, was die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland ist. Das finde ich sehr gut. Ich möchte nicht sagen, bei wie vielen Fragen diejenigen, die die Staatsbürgerschaft von Geburt und Herkunft schon immer hatten, durchfallen würden. „Die kann man sich nicht aussuchen“, würden Sie dann sagen.

(Zuruf des Ministers Volker Bouffier)

Wir hatten vor einem Jahr bei uns in der Fraktion Bewerberinnen und Bewerber für einen Ausbildungsplatz. Diesen haben wir auch einen Fragebogen vorgelegt.

(Zuruf des Abg. Michael Siebel (SPD))

Es waren insgesamt zehn Bewerberinnen und Bewerber. Passen Sie auf. Die Frage, wie der Hessische Ministerpräsident heißt, konnte von den zehn eine beantworten.

(Ministerpräsident Roland Koch: Haben Sie die wenigstens eingestellt? – Norbert Schmitt (SPD): Die habt ihr genommen? – Lebhafte Zurufe von der CDU)

Nein. Das hat mich am hessischen Schulsystem und der Kultusministerin zweifeln lassen, aber nicht am Staatsbürgerschaftsrecht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Minister Karl- heinz Weimar: Die wussten ganz genau, dass sie bei Kenntnis nicht eingestellt würden!)

Ich glaube, man sollte die Fragen an den Punkten beantworten, wo sie hingehören, und nicht versuchen, alles beim Staatsangehörigkeitsrecht zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISES 90/ DIE GRÜNEN – Minister Karlheinz Weimar: Die, die das wusste, hatte keine Chance! – Zuruf des Mi- nisterpräsidenten Roland Koch)

Wir haben am Ende, das wird Sie wiederum freuen, diejenige genommen, die die Mathematikaufgaben am besten gelöst hat.

Herr Innenminister, ein letzter Punkt. Ich bin am Ende dieser Debatte heute, ehrlich gesagt, ein wenig verwirrt.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Was heißt „heute“? – Weitere Zurufe von der CDU)

Sie haben hier gesagt – die CDU will das beschließen –, Hessen soll jetzt vorangehen und im eigenen Verantwor

tungsbereich einen Fragebogen haben. Sie beenden Ihre Rede mit den Worten: Wir wollen die Bundeseinheitlichkeit. – Sehr verehrter Herr Bouffier, das kriege ich nicht zusammen.

(Clemens Reif (CDU): Sie haben den eigenen Setzpunkt beseitigt! – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Sie kriegen vieles nicht zusammen! Das ist nichts Neues! – Zuruf des Ministers Volker Bouffier)

Vielleicht sollten Sie sich einmal überlegen, ob es nicht besser wäre, statt Alleingänge zu machen, mit Ihren Kolleginnen und Kollegen in der Innenministerkonferenz und mit Ihrem Koalitionspartner darüber zu reden, ob es Veränderungsbedarf gibt oder ob es diesen Veränderungsbedarf nicht gibt. Sehr verehrter Herr Innenminister, wenn Sie das nicht tun, dann glaube ich, dass der Verdacht nahe liegt, dass es Ihnen weniger um die Sache, sonder eher um Wahltermine geht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das hat diesem Thema noch nie gut getan. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU:Oh! – Jörg-Uwe Hahn (FDP):Der Setzpunkt ist versenkt!)

Danke, Herr Al-Wazir. – Frau Wagner, Sie haben sich zu Wort gemeldet. Frau Wagner, Sie haben sechs Minuten Redezeit.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sind in Hessen, wie in der gesamten Bundesrepublik, in einer Situation, dass wir in den nächsten Jahrzehnten eine schrumpfende Bevölkerung haben, sodass wir aufgrund der Arbeitsplatznotwendigkeiten Migration brauchen. Wir brauchen gezielte Einwanderung, und wir brauchen die Unterstützung der jungen deutschen Staatsbürgerfamilien, indem sie sich entscheiden, deutsche Kinder zu haben.Wir brauchen beides.

Herr Al-Wazir, wenn wir die Migration ins Blickfeld nehmen,dann sind es immer die beiden Seiten:diejenigen,die schon bisher aus unterschiedlichen Rechtsverhältnissen hier sind, und diejenigen – das sind dann ganz unterschiedliche Gruppierungen; das überschneidet sich –, die sich am Ende vielleicht nach langem Aufenthalt in Deutschland dafür entscheiden, eine deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen.

Wir haben mit unserem Freund Mertin, Justizminister aus Rheinland-Pfalz, sehr früh auf dieses Problem hingewiesen. Die beiden Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, die Herr Hahn zitiert hat, haben immer gesagt – das ist ein Verschulden aller Landesregierungen seit Mitte der Neunzigerjahre –, dass Voraussetzung für Einbürgerung und langjährigen Aufenthalt Deutschkenntnisse, der Erwerb der Wertesituation des Landes, in dem man bleiben will – und nicht mehr auf Koffern sitzt und hofft, man komme irgendwann wieder nach Hause; das ist eine neue Generation gewesen –, und eine Art staatsbürgerliche Erziehung sind. Das war vonseiten der Bundesregierung in der Praxis auch nicht so umgesetzt worden,weil in der Regierung von CDU und FDP damals gesagt wurde, das hätten die elf und dann die sechzehn Bundesländer zu bewerkstelligen.

Als die vormalige Landesregierung, die von Herrn Koch und mir geführt worden ist, dafür gesorgt hat, dass über 600 Stellen, die für fast 15 muttersprachliche Unterrichtssituationen vergeben wurden, in Stellen für Deutschunterricht umgewandelt werden,ist in diesem Hause nicht nur ein Sturmgeheul begonnen worden,

(Beifall bei der FDP)

sondern sogar eine Kampagne gegen uns, als seien wir gegen Ausländer, weil wir verlangt haben, dass die Kenntnis der deutschen Sprache in der Praxis die Voraussetzung für eine Integration ist.

Herr Al-Wazir, im Jahr 2000 bin ich – Herr Koch und ich hatten verabredet, dass alle Kabinettsmitglieder am Beginn eines Schuljahres eine Schule besuchen – im Landkreis Offenbach gewesen und habe mit einem Schulleiter gesprochen, der außerordentlich gut mit den sozialen Ämtern der Stadt zusammenarbeitet, mit dem es keine Probleme gibt. Ich sage ganz bewusst: Wie in Frankreich gibt es dort einen ganz, ganz hohen Ausländeranteil mit einer Konzentration in bestimmten Hochhäusern. Sie wissen, wovon ich rede.

Der Schulleiter hat mir folgende Situation erzählt. Nach mehrwöchigem Fehlen eines Schülers im Unterricht ist der Imam vom Schulleiter aufgefordert worden,einmal zu kommen und dem Vater klarzumachen, dass Schulpflicht etwas ist, was zu unserer Werteordnung gehört. Die Situation war die, dass der Sohn dem Imam – der kein Wort Deutsch konnte und sich auch geweigert hat, die deutsche Sprache zu lernen – übersetzen musste, dass sein Vater ihm sagen solle, dass er in die Schule gehen und Deutsch lernen solle.

Meine Damen und Herren, das sind auch Situationen. Die haben zwar nichts mit diesem Fragebogen zu tun;aber das Zusammenwirken von Situationen, in denen Menschen genau wissen, dass sie hier bleiben, dass sie ihr Leben hier verbringen – manchmal in der zweiten Generation –, und sich weigern, die Angebote des Staates über Schule, Kindergarten und Sonstiges anzunehmen, gehört auch in diesen Zusammenhang.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Deshalb sage ich: Wir wollen, wie wir es in der Tradition unserer FDP seit über 20 Jahren vertreten, eine Diskussion über die Werte, über die Annahme der Sprache und über die Annahme politischer Werte in einem Land, in dem man nicht mehr im Gaststatus bleibt, sondern Staatsbürger werden will.

Meine Damen und Herren, die Frage ist: Wie macht man das dann? Herr Walter, da möchte ich Ihre Fraktion an etwas erinnern, was ich in meiner ersten Legislaturperiode erlebt habe: SPD/FDP-Regierung, Innenminister Gries, vorher Bielefeld, Ministerpräsident Börner, vorher Osswald, Kultusminister Krollmann.

Herr Krollmann hatte 29 Fälle von Referendaren, die beantragt hatten, in den Referendardienst überhaupt erst eintreten zu dürfen. Nach dem Berufsverbote-Erlass der Bundesregierung und aller Länder hat sich Herr Krollmann geweigert, diese Leute zum Referendardienst zuzulassen. Darunter war die Tochter von Gingold, einem Mitglied der Kommunistischen Partei, Träger des Pour le Mérite in Frankreich, Widerstandskämpfer, Silvia Gingold.

Anlässlich dieses Falls hat Heinz Herbert Karry eine Rede drüben im alten Plenarsaal gehalten. Sie hätten dabei eine Stecknadel fallen hören können, weil er gesagt hat: Meine Damen und Herren, es mag richtig sein, dass man mit Fragebögen, mit Befragungen, mit Erlassen sozusagen die Werthaltigkeit und die Einstellung von Persönlichkeiten prüfen kann, die in diesem Lande Beamte werden wollen. – Da ging es nicht um die Frage, ob jemand Staatsbürger werden will. Das ist noch eine andere Stufe.

Frau Kollegin Wagner, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. – Damals haben wir nach einer langen Diskussion, nachdem der stellvertretende Ministerpräsident Karry aus der Kabinettsdisziplin ausgewichen ist, und nach dieser Rede entschieden, dass wir eine Einzelfallprüfung machen.

Meine Damen und Herren, das ist kein einfacher Vorgang. Wir sollten gemeinsam aus den damaligen Verfahren lernen – die zum Teil so waren, dass in allen Ländern solche Listen liegen blieben und Leute zehn Jahre lang keinen Bescheid bekamen –, dass es eine wirklich praktisch handhabbare Regelung geben muss, die für alle Bundesländer gilt. Dafür möchte ich noch einmal plädieren.

Mein letzter Satz: Verehrte Damen und Herren, ich bin sehr glücklich darüber, dass in diesem Lande über Patriotismus wieder geredet werden kann, aber in meinem Sinne über Verfassungspatriotismus,wie Dolf Sternberger ihn von uns verlangt hat. Dazu braucht es ein Bekenntnis, und zwar auch der neuen Staatsbürger.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)