Protokoll der Sitzung vom 27.08.2008

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Lenders für die FDP-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der von den LINKEN eingebrachte Gesetzentwurf war beinahe zu erwarten. Wir haben heute im Vorfeld schon eine Menge über mögliche Distanzierungen der Linkspartei von der SED gehört. Schade, dass wir jetzt nicht mehr so viel Aufmerksamkeit bekommen, wenn es um konkrete Politik geht. Wieder einmal zeigt sich, dass die Erben der SED eine Politik aus der Mottenkiste machen wollen. Mit einer deutlichen Abkehr vom Sozialismus hat dies nichts zu tun.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Mit alten Rezepten, die schon früher nicht gewirkt haben, kann man die Zukunft eben nicht gestalten.

Die Verordnung über das Verbot der Wohnraumzweckentfremdung begleitet den Hessischen Landtag nun schon bald 40 Jahre.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Länger, als wir hier im Landtag sind!)

Zweck der 1972 erlassenen Hessischen Verordnung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum war die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen. Grundlage dafür war ein entsprechendes Bundesgesetz vom Jahre 1971. Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz 1975 für verfassungsgemäß erklärt, aber – das ist wichtig – an Voraussetzungen gebunden.

1994 hat die damalige Regierung ein Gesetz erlassen, um die Voraussetzungen und Bedingungen genauer zu definieren. Das Bundesverwaltungsgericht hat 1997 festgestellt, dass Teile dieses Gesetzes rechtswidrig sind. Im Jahre 2004 hat die Landesregierung schließlich den Vorschlag der FDP aufgenommen und die Hessische Verordnung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum aufgehoben.

Damit steht Hessen nicht alleine. In fast allen Bundesländern wurde die jeweilige landesgesetzliche Verordnung im Jahre 2004 aufgehoben.

(Beifall bei der FDP)

Entscheidend für die Bewertung der Sachlage ist, dass ein so schwerer Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum – das hat die Kollegin Hölldobler-Heumüller schon angeschnitten –, wie ihn das Zweckentfremdungsverbot darstellt, nicht nur eng begrenzt sein muss, sondern vor allem die besondere Gefährdung der Versorgung mit Wohnraum anhand statistischen Materials für alle Gemeinden konkret nachgewiesen werden muss. Liebe Kollegin Wissler, ich habe von Ihnen noch keine konkreten Zahlen gehört, auf die Sie sich stützen könnten.

(Beifall bei der FDP)

Der Gesetzentwurf der LINKEN muss schon deshalb abgelehnt werden, weil diese klar definierten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, die das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich gefordert hat.

Als Anfang der Siebzigerjahre das einschlägige Bundesgesetz erlassen wurde, war die Lage am Wohnungsmarkt eine völlig andere. Damals gab es tatsächlich eine Wohnungsnot. Heute hingegen suchen die Vermieter händeringend nach Mietern. Wenn Sie die Entwicklung der Mietpreise vergleichen – ich meine natürlich die Kaltmieten, nicht die Neben- und Heizkosten –, zeigt sich, dass in vielen Teilen Hessens die Realmieten zurückgehen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Aber nicht in den Ballungsgebieten, Herr Kollege!)

Es gibt vielerorts ein Überangebot an Wohnraum. Für die Mieter, ich bin selber einer, klingt das erst einmal gut. Aber, liebe Kollegin von der Fraktion der LINKEN, auf Dauer ist diese Entwicklung eben schwierig, denn wenn sich Investitionen in Wohnraum nicht mehr lohnen, droht die Bausubstanz zu leiden,insbesondere in den hessischen Innenstädten. Die Qualität der Mietshäuser nimmt ab. In Zukunft wird sich diese Tendenz aufgrund der demografischen Entwicklung fortsetzen. Wer, wie die LINKE, den Vermietern weiterhin Daumenschrauben anlegen will, ohne dass dafür sachliche Voraussetzungen vorliegen, darf sich nicht wundern, wenn die Innenstädte veröden, wenn Investitionen in den Wohnungsbau ausbleiben.

(Beifall bei der FDP)

In der Begründung des Gesetzentwurfs zeigt die LINKE, dass sie von Marktwirtschaft nichts, aber auch gar nichts versteht.Da heißt es nämlich:Da in Frankfurt so viele Büros leer stehen, müsse man es Vermietern noch schwerer machen, Wohnungen in leer stehende Büros umzuwandeln. Das ist eine Logik, die sich – zumindest mir – überhaupt nicht erschließt.

(Beifall bei der FDP)

Damit nennen Sie in Ihrem Gesetzentwurf selber den wichtigsten Grund, weshalb es sich für die Vermieter gar nicht lohnt, in Frankfurt Wohnraum zweckzuentfremden. Vielleicht meinen Sie Frankfurt an der Oder. Zumindest für Frankfurt am Main ist aber zu sagen, dass keine Zahlen oder Informationen vorliegen, die die Wiedereinführung des Wohnraumzweckentfremdungsverbotes rechtfertigen würden.

Damit laufen auch Sie,meine Damen und Herren von den GRÜNEN, Gefahr, dass eine solche Verordnung wieder einmal höchstrichterlich kassiert wird. Ich habe eben die Grundlagen dargestellt.Die Große Koalition hat es bisher nur verpasst, die Grundlage, das Bundesgesetz, zu kassieren. Ich bin gespannt, wie Sie argumentieren, wenn Sie darauf aufbauen und auf dieser Grundlage einen eigenen Gesetzentwurf einbringen wollen.

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Bemerkenswert ist, dass weder die SPD noch die LINKE in Frankfurt dieses Thema in der jüngsten Vergangenheit auf die Tagesordnung gesetzt hat. Dieser Gesetzentwurf ist daher nichts anderes als ein durchsichtiger Versuch, sich bei den Altlinken von SPD und GRÜNEN anzudienen, die früher für dieses Thema gekämpft haben.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das hat ja auch Joschka Fischer sehr umgetrieben. Der war bei diesem Thema putzmunter. Rechtlich und wirtschaftlich gesehen, ist dieser Gesetzentwurf nicht tragbar. Er ist purer Sozialismus.

(Beifall bei der FDP – Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Lenders. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Siebel das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Aufarbeitung der Geschichte, inwieweit Fraktionen des Hessischen Landtags mit dem Gesetz und der Verordnung über das Verbot zur Zweckentfremdung von Wohnraum verwoben sind und waren, würden fünf Minuten Redezeit nicht reichen. Deshalb will ich mich auf die beiden Kernpunkte beziehen, die mit diesem Gesetzentwurf angesprochen worden sind: der Leerstand von Wohnraum und die Umwandlung von Wohnraum in Büros und gewerblich genutzte Flächen.

Das erste Thema ist immer wieder Stein des öffentlichen Anstoßes. Insofern muss es ernst genommen werden. Wenn der Kollege Leif Blum aus Darmstadt jetzt zuhören würde, dann würde er hören, dass beispielsweise in Darmstadt ein bestimmtes Haus seit über 15 Jahren leer steht. Die Bauverwaltung versucht seit vielen Jahren, dieses Haus Mietzwecken zuzuführen. Auch in der Zeit, als das Wohnraumzweckentfremdungsverbot und die Verordnung hierzu gegolten haben, war an das Objekt nicht heranzukommen, weil die Eigentumsrechte stärker wirken. Einen 15-jährigen Leerstand kennen Kollegen aus Gießen und aus anderen Städten auch.

(Leif Blum (FDP): Das ist doch gut so, dass die Eigentumsrechte stärker wirken!)

Das sollten Sie einmal den Leuten im Johannisviertel sagen, Herr Blum, dass Sie es gut finden, dass dieses Haus seit 15 Jahren leer steht.

(Leif Blum (FDP): Wir haben doch keine Wohnungsnot in Darmstadt!)

Das ist dort in der Tat ein Thema.Dem Leerstand war also auch damals, zuzeiten der Geltung des Wohnraumzweckentfremdungsverbotes, nicht beizukommen.

Gleichwohl glaube ich, dass es notwendig ist, zu Mechanismen zu kommen, leer stehenden Wohnraum dem Zweck des Wohnens besser zuführen zu können, als das momentan der Fall ist. Deshalb sollten wir die Regelung, die in § 2 des Gesetzentwurfs zu finden sind, in der Anhörung auf ihre Tauglichkeit im Hinblick auf die Wiederherstellung der Bewohnbarkeit abwägend diskutieren.

Bei dem zweiten Komplex, der Frage der klassischen Wohnraumzweckentfremdung, bin ich etwas kritischer. Dazu muss ich sagen, es hat sich in den letzten Jahren einiges verändert. Das war der Grund für den Paradigmenwechsel im Jahre 2004.Wir haben auf der einen Seite nicht nur in Frankfurt, sondern auch anderswo Leerstände von Büroflächen in erheblichem Umfang, teilweise durchaus auch schon die Tendenz der Umwandlung von Bürokomplexen in Wohnungen; aber es handelt sich – das ist das Problem, das man sehen muss –, meist um große Bürokomplexe, die nur als solche vermietet werden können.

Bemerkenswert ist allerdings, dass der Leerstand bei diesen großen Bürokomplexen nicht dazu führt – das ist wirklich ein Problem, mit dem man sich beschäftigen muss –, dass die Mietpreise in diesem Bereich sinken. Aus Gründen, die Sie offenbar kennen – wie ich Ihrer Mimik entnehmen muss –, halten sie sich aber auf diesem Niveau.

Auf der anderen Seite gibt es den Druck auf bestimmte Wohnviertel, in denen Freiberufler, z. B. Architekten, Drei- bis Vierzimmerwohnungen in Büroraum umwandeln lassen möchten. Es muss abgewogen werden, inwieweit die Regelungen des Baurechts hier ausreichend sind. Ich habe aus unterschiedlichen Bauverwaltungen unterschiedliche Signale wahrgenommen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer sind die anderen?)

Ich möchte an dieser Stelle allerdings sagen, dass wir in der Anhörung sehr genau prüfen müssen, in welchen Kommunen überhaupt ein Bedürfnis besteht, so etwas wie ein Wohnraumzweckentfremdungsgesetz wieder wirken zu lassen. Ich glaube, es ist der richtige Weg, die Kommunen darüber entscheiden zu lassen, ob dort die Notwendigkeit zum Handeln besteht oder nicht. Das ist einer der Punkte, die wir berücksichtigen müssen. Wir sollten keine Lex Frankfurt oder so etwas daraus machen.

Ich will einen weiteren Aspekt ansprechen.In den Städten ist die Zielgruppe derer, die Wohnungen suchen, sehr differenziert. Es sind im Wesentlichen junge Familien, die eine Wohnung suchen. Die Alleinerziehenden bilden eine immer größere Gruppe. In den letzten zehn Jahren hat ihre Zahl zugenommen. Dieser Problematik müssen wir uns stellen.

Dieser Problematik ist aber nicht dadurch beizukommen, dass man über Wohnraumzweckentfremdung und die Rückumwandlung der Wohnungen diskutiert. Vielmehr ist dieser Problematik dadurch beizukommen, dass man wieder in größerem Umfang sozial gebundenen Wohnraum zur Verfügung stellt. In den letzten zehn Jahren ist der Bestand dieser Wohnungen um zwei Drittel dezimiert worden. Das ist das Problem.

Dazu muss ich allerdings sagen, dass die Landesregierung in diesem Sektor zu wenig gemacht hat und dass wir uns zum Rückkauf von Sozialbindungen entschließen sollten. Damit könnten wir dieser Gruppe der Wohnungssuchenden tatsächlich beistehen.

Ich bin ein bisschen traurig darüber, dass aus den Reihen von CDU und FDP ähnliche Zitate gekommen sind, wie ich sie 2004 vom Kollegen Boris Rhein gehört habe, der hier ebenfalls von einem „Griff in die sozialistische Mottenkiste“ gesprochen hat.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der sieht das jetzt ganz anders! Garantiert!)

Der sieht das jetzt ganz anders. Ja, auch bei Boris Rhein ist es so,dass das Sein das Bewusstsein bestimmt.Ich freue mich immer wieder, wenn ich Boris treffe. In seiner jetzigen Funktion sieht er das völlig anders.

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Letzter Satz. – Vor dem Hintergrund der beiden Säulen, die wir zu betrachten haben, und vor dem Hintergrund der Frage, inwieweit die Kommunen dabei ein Wort mitzureden haben, werden wir eine intensive Anhörung durchführen. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Das ist ein sach- und fachgerechter Umgang mit diesem Thema. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Siebel. – Für die Landesregierung hat Herr Staatsminister Dr. Rhiel das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem nun klar geworden ist, dass es eine Anhörung geben soll, auf die aus unserer Sicht auch hätte verzichtet werden können – aber das ist Ihre Entscheidung –, möchte ich die Position der Landesregierung kurz vortragen.