Zur Sache. Der Antrag, über den wir hier reden, zur Selbstüberprüfung der Abgeordneten bei der sogenannten Birthler-Behörde hat eine lange Tradition.Wenn ich es richtig verfolgt habe, diskutieren wir in wechselnden Formen und wechselnden Zusammensetzungen seit 1991 im Hessischen Landtag über dieses Thema. Wir haben – ich habe es bereits erwähnt – in der letzten Legislaturperiode zu einem sehr guten Antrag gefunden, der dann mit den Stimmen aller Fraktionen beschlossen wurde. Ich finde es ausdrücklich richtig, dass auch westdeutsche Landtage sagen, dass eine solche Überprüfung selbstverständlich dazugehört. Das ist 18 Jahre nach der Einheit ein guter Teil von gesamtdeutscher Normalität.
Ich finde, man kann und sollte eine Debatte nutzen, um ein Wort des Dankes für die Arbeit der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR zu sagen. Das, was dort Joachim Gauck aufgebaut hat und was seit ein paar Jahren Marianne Birthler fortgesetzt hat, ist ein gelungenes, lebhaftes Bei
spiel der Aufarbeitung von Geschichte. Dafür kann der Hessische Landtag der Behörde, Herrn Gauck und heute Frau Birthler nochmals ein ganz herzliches Dankeschön aussprechen.
Die Arbeit der Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR trägt dazu bei, die Erinnerung an die SED-Diktatur, an ihre Opfer, aber auch an Opposition und Widerstand gegen das System wachzuhalten. So werden Erinnerung und Information an die Stelle von Vergessen,Verschweigen und Verklärung gesetzt.
Genau das ist der Auftrag dieser Behörde, und dieser Auftrag ist gut so. Wir als Hessischer Landtag tun gut daran, diesen Auftrag nach Kräften zu unterstützen. – Vielen herzlichen Dank.
(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der SPD so- wie der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))
Vielen Dank, Herr Wagner. – Ich darf als Nächster Frau Kollegin Dr. Pauly-Bender für die Fraktion der SPD das Wort erteilen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das gemeinsame Ziel, noch einmal allen die Gelegenheit zu geben, vor Augen zu führen, dass man bei der Birthler-Behörde Klarheit einholen kann, ist vernünftig und unterstützenswert, selbstverständlich auch im Namen unserer Fraktion, der SPD. Dies gilt für diejenigen unter uns, die in der letzten Wahlperiode womöglich säumig geblieben sind, und natürlich auch für die neuen Kolleginnen und Kollegen, die wir in großer Zahl in unseren Reihen haben.
Allerdings – diese Bemerkung sei mir als schon ältere Frau an dieser Stelle erlaubt – waren einige der neuen Abgeordneten noch in einem sehr jugendlichen Alter, als Erich Mielke vor der letzten Volkskammer den Bankrott seiner Firma erklärte. Ich denke an Frau Gnadl. Sie war damals siebeneinhalb Jahre alt. Ich denke auch an Herrn Degen in unseren Reihen. Er war damals neuneinhalb Jahre alt. Aber dass die Zeit rast, wissen wir alle, auch wenn wir es nicht immer wahrhaben wollen.
Nochmals eine Nachfrage bei Frau Birthler ist sinnvoll und richtig. Das wird interfraktionell so gesehen und auch geschehen.
Von der SPD-Fraktion wird aber eines anders gesehen, Herr Gotthardt; denn einen interfraktionellen Konsens kann man durch einen interfraktionellen Antrag abbilden. Das haben Sie hier bestritten. Der Grund: Die CDUFraktion möchte nicht mit der Fraktion DIE LINKE als Antragsteller auftreten. Sie haben das so begründet. Die FDP-Fraktion sieht das offenbar auch so. Sie sagt sicher noch etwas dazu.
Meine Damen und Herren,die Auflösung der Blöcke lässt schön grüßen. Die CDU unterscheidet, das wurde bereits
in der konstituierenden Sitzung von Herrn Koch angekündigt, zwischen vier „Normalfraktionen“ und einer Fraktion minderer Legalität, mit der man sich nicht blicken lassen kann, noch nicht einmal dann, wenn es um kooperative Themen geht, die den ganzen Landtag als Körperschaft betreffen.
Meine Damen und Herren, ich bitte um mehr Ruhe. Die Rednerin fühlt sich gestört. Ich bitte um mehr Aufmerksamkeit.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Kurt Schumacher würde sich im Grabe umdrehen! Es ist unglaublich, dass Sie mit Kommunisten gemeinsame Sache machen! – Weitere Zurufe von der CDU)
Meine Damen und Herren, der Kollege Al-Wazir hat eine solche Politik der Exklusion zutreffend schon in unserer konstituierenden Sitzung bemängelt, und er hat dazu aufgerufen, darüber nachzudenken, ob man wirklich weiterhin so verfahren will.
Für meine Fraktion möchte ich festhalten, dass wir nicht glauben, dass eine Ausgrenzung die richtige Form des Umgangs mit dieser neuen Fraktion ist.
Die LINKE reüssierte nicht zuletzt deshalb in den westdeutschen Parlamenten, weil die alten Altparteien – auch das hat Herr Al-Wazir, von Herrn Koch mehrfach „kluger Kopf“ genannt, vorgetragen –, auch die gar nicht so alte Altpartei der GRÜNEN, Fehler gemacht und Handlungsspielräume eröffnet haben.
Bei den nächsten interfraktionellen Anstrengungen sollten wir alle bedenken:Die Anwesenheit der Fraktion DIE LINKE in diesem Landtag geht nicht auf eine weltkommunistische Verschwörung zurück. Komintern und Kominform sind von der Geschichte verschlungen worden.Die Moskauer Zentrale ist aufgelöst und funkt nicht mehr. Die genannte kommunistische Plattform, mit der sich die Linkspartei herumzuschlagen hat,kann keinen Schrecken verbreiten. Die alten Männer, die sich um die bekannte Rosa-Luxemburg-Attrappe gesellen, erinnern eher an Displaced Persons des Kalten Krieges als an eine politische Kraft von Belang.
(Beifall bei der SPD – Michael Boddenberg (CDU): Schauen Sie auch einmal in deren Programm, oder nehmen Sie das alles nur so hin? – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Schauen Sie in das Programm hinein, was die wirklich wollen!)
Nein, meine Damen und Herren, die Gründe für die LINKE liegen ganz woanders. Sie liegen darin, dass viele kleine Leute, viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die auch von Ihnen, Herr Irmer, zu den LINKEN gewandert sind – das haben wir den Analysen entnehmen können –, an der überspitzten Agenda 2010 verzweifelten – und daran, hören Sie zu, Herr Boddenberg, dass die damalige Bundesopposition aus CDU und FDP dieses Verzweifeln mit dem Ruf nach einer noch marktradikaleren Agenda beantwortet und diese Stimmung im Lande geschürt hat.
(Michael Boddenberg (CDU): Herr Lafontaine spricht von „Fremdarbeitern“! – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Ging das jetzt gegen Schröder? – Weitere Zurufe von der CDU)
Bekanntlich hat die SPD Hessen auf diese Umstände frühzeitig hingewiesen. Diese Menschen, auf die es mir auch ganz persönlich ankommt – ich habe 17 Jahre lang Sozialpolitik in diesem Hause gemacht –, erwarten von uns positive Signale.
Sie erwarten, dass wir die Partei, die sie gewählt haben oder mit der sie liebäugeln, auf den Prüfstand lassen. Sie wollen sehen, ob diese Partei wirklich zur Festigung unseres Sozialstaates beiträgt oder ob sie mit populistischem Firlefanz verliert.
Mit Ausgrenzung und einer Politik der Schließung, verehrte Kollegen von der CDU, werden Sie für diese notwendigen Klärungen aber gar nichts bewirken. Zur Lösung der Probleme, die das politische Gerechtigkeitsdefizit im Parteiensystem verursacht hat, tragen Sie damit nicht bei.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das machen Sie doch selber! Sie haben doch mit den GRÜNEN in Berlin regiert! – Weitere Zurufe von der CDU)
In gewisser Weise ist das leider gar nichts Neues, sondern für mich so etwas wie ein Déjà-vu-Erlebnis. Ich bin 1991 als damals 34-Jährige in dieses Parlament eingezogen,und mir sind die Auseinandersetzungen der Achtzigerjahre, noch aus der Bürgerinnen-Perspektive, in klarer Erinnerung.Wenn man auflisten würde, was Sie damals über die GRÜNEN gesagt haben, wie Sie aufschäumten und indigniert waren ob der Frechheit der Wählerinnen und Wähler, Ihnen eine neue politische Kraft in den Pelz zu setzen, wie Sie die Sozialdemokratische Partei und ihre Fraktion beschimpft haben,
dass sie das Land und ihre eigene Tradition an diese neue Gruppierung verraten würde, dann, meine Damen und Herren von der CDU, sieht man die Muster und Versatzstücke, mit denen Sie auch jetzt wieder zu Werke gehen.
Frau Pauly-Bender, Sie müssen zum Schluss kommen. Ich habe Ihnen wegen der Störungen schon mehr Redezeit zugebilligt. Bitte kommen Sie zum Schluss.
Natürlich gibt es Unterschiede. Man kann die GRÜNEN von damals nicht mit der Linkspartei von heute vergleichen. Das wäre Schwachsinn.
Geblieben ist aber, fast wie ein überhistorischer Faktor, eine hessische CDU,die einen bestimmten Stil pflegt,eine Partei, die meint, sie könne mit Ausgrenzung das Problem lösen, vor dem wir in puncto Sozialstaatlichkeit heute stehen.
(Axel Wintermeyer (CDU): Gerade von Ihnen lassen wir uns das nicht sagen! – Weitere Zurufe von der CDU)
Insofern, meine Damen und Herren, bezeichnet dieser Doppelantrag einen Umstand, den wir in diesem Hause noch lange werden abarbeiten müssen.