Protokoll der Sitzung vom 15.05.2008

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Am Pfingstmontag, das ist der Tag, an dem der Heilige Geist über die Christen kommt, hat dies eine Zeitung für kluge Köpfe bereits vorausgesagt. Roland Koch wird sich einen Teufel um einen Landtagsbeschluss kümmern, ge

nauso wie ihn die geltende Gesetzeslage nicht an deren Missachtung hindert.

Meine Damen und Herren, es ist eben so, dass alles Jamaika-Gesäusel weder ernst noch gar ehrlich gemeint war. Das Wahlergebnis vom 27. Januar hat bei Roland Koch keinerlei Änderung seiner Politik, nicht einmal eine Änderung seiner politischen Strategie bewirkt, sondern allerhöchstens eine Korrektur seiner Taktik. Die wohl kaum als ehrlicher Ausdruck tiefster Sorge formulierte kochsche Warnung im Wahlkampf – „Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten stoppen“; Sie werden sich sicherlich alle daran erinnern – war nicht besonders erfolgreich.

Die Genannten wurden von den Wählerinnen und Wählern nicht gestoppt. Auch die latente Ausländerfeindlichkeit, die die Auswahl der Themen der heißen Wahlkampfphase bei der Koch-CDU gelenkt hatte und die konservativen Stammwähler zu den Urnen treiben sollte, war glücklicherweise im Ergebnis nicht erfolgreich. Herr Koch hat gewiss bereits eingesehen, dass seine Wahlkampftaktik falsch war. Daher ist nun eine neue Aufstellung der CDU im Gange – schließlich gibt es für den derzeit geschäftsführenden Ministerpräsidenten eine neue Fragestellung: Wie kann ich möglichst elegant zum optimalen Zeitpunkt Neuwahlen erreichen, um mit dem bisher bewährten Kuscheloppositionspartner die gesuchte Mehrheit zu finden?

Um diese Ziellinie schließlich als Sieger zu passieren, bedarf es natürlich im Vorfeld einer sorgfältigen Abwägung, da man nicht wieder neue Fehler machen möchte. Der Wahltermin darf nicht zu früh sein, damit sich das Volk nicht zu sehr empört, da die Regierung sonst den Eindruck vermitteln würde, sie lasse so lange wählen, bis ihr das Ergebnis passt. Ferner wird eine gewisse Zeit benötigt, um das kochsche Image wieder richtig aufzupolieren – nicht wahr, Herr Kollege Wagner?

(Zuruf der CDU:Wir wollen Wahlen?)

Sie wollen vom Kommunistenverschrecker weg, damit die Universalkompetenz wieder so richtig zum Erstrahlen kommt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Im Hinblick auf den angepeilten Wahltermin ist Folgendes natürlich ganz wichtig: Es wäre gut, wenn es zufälligerweise zum richtigen Zeitpunkt eine Krise gäbe, denn dann würde der Druck für vorzeitige Neuwahlen noch dadurch verstärkt, dass demnächst in Hessen sowieso Wahlen stattfinden werden und somit eine Neuwahldebatte quasi zum Selbstläufer würde. Das gehört alles zu Ihrer Kalkulation. Es braucht schließlich nur einen Anlass, der jedermann verständlich macht, dass es mit den berühmtberüchtigten hessischen Verhältnissen so nicht weitergehen kann.

Das wäre am allerbesten das Scheitern einer Haushaltsverabschiedung im Landtag.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Was kalkulieren Sie denn?)

Schon von der Anschauung her gehört zu politisch geordneten Verhältnissen ein beschlossener Haushalt, auf dessen Grundlage die Exekutive arbeiten kann. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Institutionen, die auf einen beschlossenen Haushalt angewiesen sind, da die vorläufige Haushaltsführung nach Art. 140 der Hessischen Verfassung es eben nicht ermöglicht, Zuwendungsempfänger

weiter zu behandeln, als hätte man einen beschlossenen Haushalt. Insoweit ist das, was der Ministerpräsident öffentlich verbreitet hat, nicht richtig. Die sozialen und kulturellen Initiativen sollten zu Geiseln des kochschen Kampfes um die Macht gemacht werden.

Der gesuchte Anlass, das Scheitern des Haushalts, darf für den gewünschten Wahlerfolg aber nicht zu früh kommen. Denn es muss ein innerer Zusammenhang bestehen. Den Haushaltsentwurf für das Jahr 2009 nach den gesetzlichen Vorgaben bereits im September dieses Jahres einzubringen, wäre einfach zu früh. Was ist die Schlussfolgerung? Völlig klar. Der Ministerpräsident kündigt an: Der Haushalt wird erst im Dezember eingebracht. – Es stört ihn nicht, dass das Gesetz etwas anderes vorschreibt, sondern er sucht Gründe, dass man es trotzdem tut. Damit wäre terminlich alles aufs Beste gerichtet: das Scheitern des Haushalts im März 2009, die Auflösung im April, die Neuwahl binnen 60 Tagen,also im Juni gemeinsam mit der Europawahl. – Ich sehe, wie sich der Kollege Dr.Wagner bereits darüber freut.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Meine Damen und Herren, ich sagte es bereits: Bei diesem Plan spielen die Vorschriften des § 30 Landeshaushaltsordnung keine Rolle. Die neu beschworene Offenheit gegenüber dem Landtag erweist sich als lediglich dummes Geschwätz mit taktischer Funktion.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Was kalkulieren Sie denn? – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Das kochsche Szenario ist in sich klar und schlüssig. Es ist ebenso perfide wie allein aus parteitaktischen Interessen gespeist. Herr Kollege Dr. Wagner, da treffen wir sie wieder: die Gleichsetzung der Aufgaben des Staates mit den Interessen der CDU. Wir haben die absolute Mehrheit fünf Jahre lang erlebt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Welche Interessen vertreten Sie?)

Was erwartet uns also nach dem kochschen Drehbuch? – Das ist jetzt klar. Schauen wir uns doch einmal an, wie der Altmeister der faktenwidrigen Darstellungsgestaltung dies einfädelt.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Am Anfang steht das Schreiben der GRÜNEN, in dem, nachdem anderslautende Botschaften bekannt wurden, der Ministerpräsident aufgefordert wird,den Haushalt gemäß § 30 LHO in den Landtag einzubringen. Die Antwort kam binnen 14 Tagen, war allerdings eine Wurfübung von Nebelkerzen und Unwahrheiten, veranstaltet vom Camouflage-Künstler Rolando Rolandini zur Bemäntelung seiner klapprigen Mechanik des Machterhalts. Die Rauchentwicklung war heftig. Der geneigte Beobachter der Szene kam ins Husten. Doch kann man sich ein Grinsen ob der Formulierungsbemühungen kaum verkneifen. Ich darf aus dem Schreiben des Ministerpräsidenten an mich zitieren – er selbst hat es der Presse übergeben –:

Zum jetzigen Zeitpunkt sind durch ein HMdFSchreiben

ein Schreiben des Ministeriums der Finanzen –

vom Dezember 2007 lediglich die administrativen und technischen Grundlagen für den Planungsprozess gelegt worden, die nunmehr in den kommenden Monaten Schritt für Schritt aktualisiert und finalisiert werden müssen.

Schönes Wort: „finalisiert“. Das sollte man sich merken.

Meine Damen und Herren, das angesprochene Schreiben vom Dezember 2007 ist nicht irgendein administratives Schreiben. Es ist der am 21. Januar 2008 im „Staatsanzeiger“ veröffentlichte offizielle Aufstellungserlass für den Haushalt 2009.

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört!)

Es ist alles andere als ein Schreiben, das lediglich technische Grundlagen beschreibt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

In diesem Aufstellungserlass stehen – wie übrigens in jedem Jahr – auch klare politische Vorgaben, als da beispielsweise wären – ich zitiere –:„Das...Zielsystem“ – Beschluss der Landesregierung vom 04.07.2005 – „wird zunächst unverändert auch der Haushaltsplanung 2009 zugrunde gelegt.“ Wenn das keine politische Entscheidung ist, nachdem alle wissen, wie sehr wir darüber schon politisch in diesem Hause gestritten haben. Es ist völlig klar: Das ist keine technische Ansage.

Zweitens. Die Vorgabe, der Haushaltsplan sei ein „Überrollungshaushalt“, ist auch eine politische Vorentscheidung.

Drittens. „Von der Ausbringung neuer Stellen und Hebungen ist abzusehen.“ – Das ist auch eine klare politische Vorgabe.

Letztes Beispiel, um die Beispiele nicht zu lang werden zu lassen: Der Haushalt ist auf Konsolidierung angelegt, unter anderem wegen des Ziels, spätestens für das Jahr 2011 – auch eine politische Setzung – keine Neuverschuldung mehr auszuweisen.

Meine Damen und Herren,wenn das aber so ist,dann machen wir doch noch einmal den Vergleich – man arbeitet ja sorgfältig – und nehmen den eben genannten Aufstellungserlass für das Jahr 2009 und vergleichen ihn mit dem ebenfalls im „Staatsanzeiger“ veröffentlichten Aufstellungserlass aus dem Jahr davor. Dann stellen wir als den einzigen wesentlichen Unterschied fest – gewisse Unterschiede gibt es immer, weil die Zeit weiterläuft –, dass in dem Erlass, über den jetzt plötzlich nur noch als „technische Grundlagen“ geredet wird, der 28. März 2008 als der Termin für die Ressorts vorgegeben war, zu dem sie die Haushaltsvoranschläge beim Finanzministerium eingereicht haben müssen. Ein Jahr zuvor war der Termin der 23. März des Jahres 2007. Das ist der entscheidende Unterschied. Meine Damen und Herren, daran sehen Sie doch sehr deutlich, dass überhaupt nicht stimmt, was hier behauptet wird. Das war reines Nebelwerfen. Das war der Aufstellungserlass.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und bei Abgeordneten der LINKEN)

Der muss nicht konkretisiert und finalisiert werden, wie hier in der Antwort geschrieben wurde.Was konkretisiert

und finalisiert werden müsste, ist etwas anderes, nämlich die immens große Deckungslücke. Nach der Finanzplanung des letzten Jahres gibt es folgende Risikobeträge für den Haushalt 2009: 600 Millionen c Steuermehreinnahmen nach dem LFA, 500 Millionen c Nettoneuverschuldung,500 Millionen c globale Mehreinnahmen,250 Millionen c globale Minderausgaben. Das macht zusammen 1.850.000.000 c Deckungslücke. Das ist die Finanzplanung,die die Landesregierung unter Roland Koch im letzten Jahr beschlossen hat und die die Grundlage für den Haushalt 2009 bildet.

Meine Damen und Herren, in seinem Schreiben übergeht der Ministerpräsident von dieser Deckungslücke locker 1,6 Milliarden c. Er schreibt nämlich lediglich etwas über die globalen Minderausgaben – Zitat –:

Der Respekt vor dem Parlament und einer möglicherweise nachfolgenden Regierung hat es geboten, dass die alte Landesregierung diese fundamentalen Setzungen nicht vorwegnimmt. Hierzu gehören beispielsweise auch die Vorgaben und Gewichtungen zur Umsetzung der in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehenen Minderausgaben in Höhe von 250 Millionen c.

Meine Damen und Herren, da spricht er sie selbst an. Es wäre nicht nur von allgemeinem Interesse gewesen, was sich die Landesregierung bei der Einsparung von 250 Millionen c letztes Jahr vorgestellt hat. Viel wichtiger ist die Frage, wie es mit den 500 Millionen c globalen Mehreinnahmen aussieht, die nicht von den Ressorts kommen, sondern die wohl vom Finanzministerium kommen müssen.

Wir haben gerade gestern und heute die neue Steuerschätzung zur Kenntnis genommen.Acho krachoque, wie man sagt, kriegt man vielleicht die Steuermehreinnahmen, die schon einkalkuliert sind, in der Finanzplanung wieder hin, aber die 500 Millionen c Mmehreinnahmen nicht. Deswegen wären wir interessiert, wie diese im Laufe dieses Jahres finalisiert werden sollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und bei Abgeordneten der LINKEN)

Auch im Haushalt 2008 stecken erhebliche Risiken, die wir Ihnen schon damals bei der Beschlussfassung deutlich gemacht haben und die jetzt durch den gemeinsamen Antrag von CDU und FDP etwas verkleistert werden sollen. Hier soll das Wahre, Schöne und Gute beschlossen werden: „Wir arbeiten nachhaltig.“ Wer will das nicht? „Wir nehmen keine Schulden mehr auf.“ Wer will das nicht? „Über die Vergangenheit reden wir nicht.“ Das wollen wir aber. Denn es gilt, die Verantwortlichen für diese Haushaltspolitik zu benennen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Denn der Rekordschuldenmacher ist die CDU – weil mich Herr Hahn bei meiner Rede jetzt so freundlich anguckt –, und die FDP war regelmäßig im Beiboot mit dabei. Das wissen Sie.

Als ich den Antrag gelesen und festgestellt habe, dass die FDP ihn mitträgt, habe ich mich schon gewundert. Ich kann nur sagen: Nach meiner Einschätzung wäre so etwas in den Zeiten des verehrten Kollegen von Hunnius nicht passiert. Denn so einen Unsinn, so eine Verschleierung der Realitäten haben wir zumindest mit ihm in den letzten Jahren hier nicht erlebt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, wir fordern von der CDU erstens,das von ihr zu verantwortende Haushaltschaos durch eine termingerechte Vorlage eines Nachtragshaushaltes zu klären, in dem die Risiken dieses Jahres benannt und entsprechend ausgeglichen werden, und insbesondere eine termingerechte Vorlage, wie es die Landeshaushaltsordnung vorsieht, des Haushaltes für das Jahr 2009, damit dieser Landtag in Ruhe beraten kann, wie er mit den Vorschlägen der Landesregierung, die noch alle unbekannt sind – ich erinnere an die 500 Millionen c Mehreinnahmen;sie kommen von irgendwo –,umgeht,damit er sie bewerten und einstellen kann, damit wir am Ende eine geordnete Haushaltsverabschiedung hinbekommen können.

Mit unserem Antrag wird die Landesregierung an ihre Pflicht erinnert, regelgerechte Haushaltsberatungen sicherzustellen. Deshalb bitten wir das Haus, dem zuzustimmen.