Protokoll der Sitzung vom 09.05.2012

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte um das Klinikum in Gießen und Marburg und den Rhönkonzern ist ja nicht immer von Redlichkeit geprägt.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das kann man wohl sagen!)

Ich habe noch einmal in die alte Debatte zur Gründung geschaut. Damals wurde bei der Formulierung des Gesetzes deutlich, dass die qualitativen Anforderungen, die dem Gesetz und der Ausschreibung zugrunde gelegen haben, konsensual unter Federführung des Sozialministeriums festgelegt worden sind – unter Einbringung der medizinisch-wissenschaftlichen Berater, unter Einbeziehung der Dekane, der ärztlichen Direktoren, der Vorstände der damaligen zwei Klinika, die sogenannte damalige Quertapete.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Hört, hört!)

Ausgangspunkt für die Ausschreibung allgemein anerkannt – das war die Basis der Vergabe.

Zweitens. Wer sich in der Landschaft des Gesundheitswesens umschaut, wird, wenn er ehrlich ist, keinen großen Unterschied in der Frage des Rationalisierungsdrucks sehen, was öffentlich-rechtliche und private Klinika angeht.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Genau so ist es – bundesweit!)

Das trifft unabhängig von der Rechtsform alle.

Drittens. Wenn man sich die alten Protokolle anschaut: Wir hatten vor eineinhalb Jahren eine Anhörung zum Thema Evaluation des Klinikums Gießen-Marburg im Ausschuss. Dort hat der Dekan aus Marburg, Herr Rothmund, vorgetragen, beim Personal gebe es keine negativen Vergleichszahlen zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Klinikum,

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das finde ich interessant!)

und diese Zahlen seien dem Wissenschaftsrat so vorgelegt worden.

Kollege Müller hat natürlich recht: Wir beobachten heute eine Art von politischer Amnesie bezüglich dieser Tatsachen, aber auch bezüglich dessen, welche Investitionen damals in Gießen und in Marburg nicht geleistet worden sind.

(Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Ausgehungert!)

In aller Nüchternheit will ich sagen: Hätten wir damals dieses nicht vollzogen, dann hätten wir heute zumindest Gießen auf der Ebene eines Stadtkrankenhauses.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Genauso ist es!)

Und ob es Marburg ganz viel besser ginge, weiß ich nicht.

(Beifall bei der CDU)

Die Investitionen haben schlicht und einfach und unbestreitbar medizinische Modernität ermöglicht.

(Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): 367 Millionen €!)

Und die neu gegründete Behring-Röntgen-Stiftung fördert die Forschungsexzellenz in diesem Bereich nachweislich und sehr produktiv für die beiden Klinika und die Fachbereiche.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das schließt natürlich nicht aus, und das will ich ausdrücklich sagen, dass es auch Dissonanzen im Verhältnis zu Rhön gibt. Wir haben uns natürlich etwas anders vorgestellt, was die Partikeltherapie, was die Kommunikation eines Konzerns, was die Kontinuität der Arbeit von Geschäftsführung und auch die Nutzung der strategischen Möglichkeiten des Besitzes eines Universitätsklinikums im Konzern miteinander und mit anderen Arten von Klinika, die sie auch haben, angeht.

Selbstverständlich haben wir nur bedingtes Verständnis für das, was den Rhön-Konzern auch in seiner strategischen Änderung seiner Politik in Veränderung etwa auf die Personalzahlen angeht. Dort ist unser Verständnis ausgesprochen begrenzt.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Vizepräsident Heinrich Heidel übernimmt den Vorsitz.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will allerdings auch eines sagen: Die Rücknahme wird von der SPD nicht ausdrücklich gefordert, auch nicht von den GRÜNEN. Das ist sehr offen und in einer Abwägung begriffen. Ich denke, das ist auch das Maximale, was man im Moment aussagen kann. Ich sehe keinen Bedarf, vom da

maligen Gesetz Abstand zu nehmen. Ich sehe allerdings einen Bedarf, im Prozess eines Übergangs auch Rahmenbedingungen dort zu justieren, wo die Evaluation und die Erfahrung mit dem Rhön-Klinikum etwas ergeben haben, das wir auch justieren können.

(Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Und müssen!)

Wir haben im Prozess des Übergangs eine Chance, dort Justierungen vorzunehmen. Diese Chance wird mit Sicherheit wahrgenommen. Die Ministerin hat im Ausschuss sehr deutlich gesagt, welche Defizite sie an dieser Stelle auch sieht. Es geht selbstverständlich darum, die medizinische Exzellenz, die Versorgung in der Region, die Zusammenarbeit im Klinikum, die Behandlung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und auch die Forschung und Lehre in einem Gesamtkonzept zu sehen und entsprechend zu überprüfen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Übernahme ist eine Chance, die Erfahrung der letzten fünf bis sechs Jahre einzubeziehen und auf neue Füße zu stellen, um die Chancen auszuloten, den Einfluss des Landes größer zu machen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich würde mir dabei wünschen, dass, wenn es eine Übernahme durch einen Krankenhauskonzern nun geben kann, dieser Konzern die Chancen eines Universitätsklinikums sehr viel klarer sieht, als das bisher der Fall ist.

(Beifall bei der CDU)

Dabei muss deutlich werden, dass ein Konzern, der darauf achtet, dass er kleine Krankenhäuser, auch Krankenhäuser der Maximalversorgung, der Akutkrankenhäuser und Reha-Einrichtungen hat, wenn er auch ein Universitätsklinikum hat, sich der Chancen bewusst ist, die dieses Universitätsklinikum mit der entsprechenden Forschung und Lehre für die Arbeit in allen Einrichtungen des Konzerns hat, dass er sich gleichermaßen auch bewusst ist, dass die Gewinnerwartung des Universitätsklinikums zwingend eine andere ist, als bei anderen Krankenhäusern, und dass dieses auch dazugehört.

(Beifall bei der CDU)

Auf dieser Basis und dieser Erkenntnis kann man auch ein Universitätsklinikum als ein Flagschiff im Konzern führen, wenn man es denn will. Darauf sollten wir meines Erachtens setzen.

Nun hat die SPD-Fraktion einen Gesetzentwurf vorgelegt, der im Grunde genommen an dem Gesetz eine einzige Zahl ändert – darüber geht es nicht hinaus, Herr Dr. Spies – und das gleich mit einer Aussage kombiniert, ein Gesetz sei verfassungswidrig gewesen. Herr Kollege Dr. Spies, Sie wissen, dass das ziemlich präzise die Unwahrheit ist. Es ist eine einzelne kleine Bestimmung gewesen, die vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffen und entsprechend verändert worden ist

(Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Die vom Bundesarbeitsgericht noch bestätigt wurde!)

entgegen dem Bundesarbeitsgericht, vollkommen richtig, Herr Kollege Dr. Müller. Wir haben dann auf der Basis der Frist, die uns das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat, ein Gesetz vorgelegt und entsprechend beschlossen. Wir haben auf Antrag der Fraktion der FDP und der CDU bereits eine Fristverlängerung von drei auf sechs Monate vorgenommen. Diese Fristverlängerung würde

im nächsten Monat auslaufen, wenn das Gesetz so stehen bliebe.

Ich finde, wir sollten uns sehr genau im Ausschuss mit den sachverständigen Beratern aufgrund der Stellungnahmen überlegen, die uns schriftlich ereilen werden, welche rechtlichen Möglichkeiten wir haben, dieses tatsächlich zu tun. Wir verschließen uns dieser Überlegung nicht. Aber wir wollen zunächst wissen, ob das vor dem Hintergrund der Fristsetzung des Bundesverfassungsgerichts, die zunächst uns gebunden hat, aber die selbstverständlich auch eine zeitlich absehbare rechtliche Klarheit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter impliziert, möglich ist.

Und wir wollen wissen, ob sich etwa die Überschneidung der Fristen für diejenigen, die bis jetzt schon gesagt haben, dass sie ihren Arbeitgeber wechseln wollen, und darauf ein Recht haben, innerhalb einer bestimmten Frist wieder zurückgenommen zu werden, möglicherweise mit einer weiteren Verlängerung der Frist für alle beißt. Solche rechtlichen Fragen und andere wollen wir durch die Stellungnahmen überprüft wissen und auf dieser Basis im Ausschuss eine gewissenhafte Überprüfung dieses Gesetzentwurfs vornehmen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage nach wie vor: Bei allen bitteren Pillen, die uns mittlerweile in der Praxis dessen aufgegangen sind, wie ein Konzern dieses Klinikum zum Teil geführt hat, ist dennoch der Entwicklungsprozess der Universitätsklinika in Gießen und Marburg ein Erfolgsprozess zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die dieses überwiegend auch materiell zu schätzen wissen, zugunsten der Patientenversorgung, zugunsten der Forschung und auch der Lehre in diesem Bereich. Das noch sicherer zu machen, das qualitativ abzusichern, sollte die primäre Absicht in diesem Landtag sein. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Schönen Dank, Frau Kollegin Wolff. – Für die Fraktion DIE LINKE hat jetzt Frau Wissler das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Privatisierung des Universitätsklinikums Gießen-Marburg ist in der Tat ein Desaster. Sie hat zu einer Verschlechterung der Patientenversorgung, der Arbeit, der Lehr- und der Lernbedingungen geführt. Das beklagen mittlerweile die Ärzte und das pflegerische Personal, aber auch die Kommunalpolitiker und die Vertreter der Hochschulen.

Die Beschäftigten beklagen seit der Privatisierung einen verschärften Leistungsdruck. Pflegekräfte fehlen, Überstunden häufen sich, und die Anzahl der pflegerischen Überlastungsanzeigen im Klinikum steigt. Ärzte und Pfleger üben Kritik an der Unterbesetzung und warnen vor Behandlungsfehlern.

Auch die Ministerin hat letzte Woche während der Ausschusssitzung zum allerersten Mal zugegeben und eingeräumt, dass sie alles andere als glücklich über die Zusammenarbeit mit der Rhön AG und darüber ist, wie das alles gelaufen ist. Ihr Tenor lautete ein bisschen: Egal, was jetzt kommt, alles ist besser als die Rhön-Klinikum AG.

Ich bleibe dabei: Die Privatisierung war ein Fehler. Dieser Fehler muss rückgängig gemacht werden. Wir haben da

keinen Leuchtturm, sondern ein wirklich großes Desaster für die Patienten und die Beschäftigten in Gießen und Marburg.

(Beifall bei der LINKEN)

Anstatt einen Fahrplan vorzulegen, wie man die sich jetzt bietende Chance nutzen könnte, um das Klinikum wieder in die öffentliche Hand zu überführen, bejubelt die Landesregierung die geplante Übernahme der Rhön-Klinikum AG durch Fresenius. Der Ministerpräsident und die Wissenschaftsministerin haben öffentlich erklärt, dass die Übernahme eine große Chance für das Universitätsklinikum sei. Frau Ministerin, ehrlich gesagt, da frage ich mich schon – das habe ich Sie auch während der Ausschusssitzung gefragt –, wie Sie eigentlich darauf kommen. Denn ich befürchte, dass Ihre Hoffnung völlig unbegründet ist.

Fresenius ist ebenso wie die Rhön-Klinikum AG eine Aktiengesellschaft, die in erster Linie einmal ihren Aktionären und eben nicht den Patienten verpflichtet ist. Fresenius ist kein Samariter, der Krankenhäuser aus Nächstenliebe betreibt. Fresenius will natürlich Geld verdienen. Auch da werden die Beschäftigten die Leidtragenden sein.

Ich finde, es reicht schon, sich ein wenig anzuschauen, wie die Praxis von Fresenius aussieht. Frau Ministerin, ich finde das deswegen umso unverständlicher. Wenn man sich einmal bei den Gewerkschaften umhört, welche Erfahrungen es mit den Helios-Kliniken gibt – das ist die Krankenhaussparte von Fresenius –, dann stellt man fest, dass das alles andere als verheißungsvoll ist. Die Krankenhaussparte von Fresenius, also die Helios-Kliniken, ist einer der größten Krankenhausunternehmen überhaupt. Sie hat 43.000 Beschäftigte und 2,7 Milliarden € Jahresumsatz.