Protokoll der Sitzung vom 09.05.2012

(Beifall bei der LINKEN)

Die Gewerkschaften setzen sich seit Jahren für einen gesetzlichen Mindestlohn ein; denn der Anteil der Arbeitseinkommen am Bruttoinlandsprodukt sinkt in Deutschland so dramatisch wie in keinem anderen Industrieland. Ich will nur eine Zahl nennen. Während die Lohnstückkosten im EU-Durchschnitt seit Einführung des Euro um 22 % gestiegen sind, sind sie in Deutschland gerade einmal um 7 % angestiegen. Wenn mittlerweile sogar Bundesfinanzminister Schäuble ein deutliches Lohnplus fordert, dann spricht das Bände, auch wenn ich leider dazu sagen muss, dass Schäuble seinen Worten keinerlei Taten folgen lässt.

Für das Anwachsen des Niedriglohnsektors gibt es viele Gründe. Der DGB Hessen nennt an erster Stelle „arbeitsmarktpolitische Weichenstellungen der jüngsten Vergangenheit. Insbesondere... die Hartz-Gesetzgebung“, d. h. die Liberalisierung der Leiharbeit durch Hartz I, die Einführung der Minijobs durch Hartz II und natürlich Hartz IV mit den geringen Regelsätzen und der Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln.

„Wir müssen einen Niedriglohnsektor schaffen“, hat ExKanzler Schröder damals wörtlich erklärt. Den haben wir jetzt. Das war politisch so gewollt und wurde ganz bewusst durch gesetzliche Regelungen gefördert. Dass der Mindestlohn heute überhaupt nötig ist, liegt also in erster Linie an einer falschen Arbeitsmarktpolitik. Auch das muss immer wieder gesagt werden.

Nun ist es so, dass Hessen keinen allgemein verbindlichen Mindestlohn für die hessischen Beschäftigten einführen kann, weil die Gesetzgebungskompetenz beim Bund liegt und die Bundesregierung sich leider weigert, einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Dies wird immer wieder durch Schwarz-Gelb blockiert. Das heißt aber nicht, dass man in Hessen gar nichts tun könnte.

Das Land hat durchaus die Möglichkeit, innerhalb seines Einflussbereichs Mindestlöhne festzulegen. Deshalb haben wir ein Landesmindestlohngesetz in den Landtag eingebracht, das garantieren soll, dass zum einen im öffentlichen Dienst und bei öffentlichen Unternehmen kein Lohn unter 10 € gezahlt werden darf. Hier hat das Land eine Verantwortung, eine Vorbildfunktion. Deswegen sagen wir ganz klar: Wer im öffentlichen Dienst arbeitet oder bei einem Unternehmen, das mehrheitlich in der öffentlichen Hand ist, der darf nicht zu Dumpinglöhnen beschäftigt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht natürlich auch um die Vergabe öffentlicher Aufträge. Auch hier hat das Land eine Verantwortung. Wir meinen, Unternehmen, die Dumpinglöhne zahlen, dürfen nicht durch öffentliche Aufträge belohnt werden. Gleiches gilt für die öffentliche Förderung von Unternehmen. Auch hier ist es wichtig, einen allgemein verbindlichen Mindestlohn festzulegen. Wenn Unternehmen ihn nicht einhalten, dann haben sie keine öffentlichen Aufträge und auch keine öffentliche Förderung zu erwarten.

Das ist der Kern unseres Gesetzentwurfs: Überall dort, wo das Land Einfluss auf die Lohnpolitik hat, muss eine Lohnuntergrenze eingezogen werden. Ich will auch sagen: Unser Gesetzentwurf orientiert sich an der Regelung in Bremen. Dort hat man sich dafür entschieden, den Mindestlohn zumindest in den Bereichen einzuführen, in denen es möglich ist.

Uns ist natürlich bewusst, dass dieses Gesetz für einen großen Teil der Beschäftigten in der Privatwirtschaft

keine unmittelbaren Verbesserungen bringt. Das hat auch die SPD in ihrer Presseerklärung zu unserem Gesetzentwurf festgestellt.

Herr Decker, Sie haben natürlich recht, wenn Sie sagen, dass der Friseurin damit erst einmal nicht geholfen ist, die vielleicht zu einem Hungerlohn arbeitet. Das ist richtig. Aber Sie wissen vielleicht auch, womit dieser Friseurin geholfen gewesen wäre. Der Friseurin wäre sicher geholfen gewesen, wenn die SPD unsere Initiativen zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns im Bundestag nicht immer wieder zu einer Zeit abgelehnt hätte, als sie dort noch etwas zu sagen hatte.

(Beifall bei der LINKEN)

In der Debatte 2006 hieß es noch von der SPD – namentlich von Andrea Nahles –: „Verabschieden Sie sich von Ihrer populistischen Forderung nach 8 € Mindestlohn!“ Die SPD hat im Bundestag leider immer wieder gegen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns gestimmt.

(Wolfgang Decker (SPD): Quatsch!)

Das ist eine gewagte These. Das würde unterstellen, dass die Plenarprotokolle des Bundestages nicht stimmten.

Dass es den gesetzlichen Mindestlohn nicht gibt, liegt auch an der SPD, Herr Decker. Deshalb sollte die SPD in dieser Frage die Backen nicht ganz so weit aufblasen.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, ein Mindestlohn muss so hoch sein, dass er zum Leben reicht. Deshalb sind die Vorstellungen von etwa 7 €, die derzeit in der CDU diskutiert werden, überhaupt nicht zielführend, weil sie Dumpinglöhne eher zementieren würden. Wir fordern einen Mindestlohn von 10 € in der Stunde. Das macht bei einer 40Stunden-Woche gerade einmal 1.600 € brutto aus. Wer das für zu viel hält, der sollte aufhören, den Menschen zu erzählen, dass sich Leistung wieder lohnen muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieser Betrag ist im Übrigen nicht willkürlich gewählt, sondern nach Angaben der Bundesregierung muss jemand, der 45 Jahre lang in die Rentenversicherung einzahlt, mindestens diese 10 € pro Stunde in Vollzeit verdienen, um ein Rentenniveau über der Grundsicherung zu erreichen. Wer das für unangemessen hält, dem sind die Maßstäbe verrückt.

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Wir schlagen eine Regelung zur jährlichen prozentualen Anpassung des Mindestlohns vor, damit er an die allgemeine Lohnentwicklung angepasst wird. Wir schlagen Ihnen vor, dass man das analog zu den Diätenerhöhungen regelt. Diesem Verfahren haben Sie hier alle zugestimmt. Ich denke, was Sie sich selbst zugestehen, sollten Sie den Beschäftigten im Land nicht verweigern.

(Beifall bei der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Das geht doch umgekehrt!)

Wir brauchen gute Löhne, wir brauchen in erster Linie gute, hohe Tariflöhne durch starke Gewerkschaften. Wir brauchen aber auch einen Mindestlohn, damit Lohndumping in diesem Land endlich Einhalt geboten wird. Deshalb bitte ich Sie im Interesse der Beschäftigten in diesem Land, diesem Gesetzentwurf zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Als nächster Redner hat sich Kollege Decker von der SPD-Fraktion gemeldet. Bitte schön, Herr Decker.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der von der LINKEN heute hier eingebrachte Gesetzentwurf für ein Hessisches Mindestlohngesetz ist ein Gesetzentwurf, der wahrlich aus der Not geboren ist.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): So ist es!)

Diese Not besteht schlicht darin, dass es in Deutschland noch immer keinen flächendeckenden und branchenübergreifenden gesetzlichen Mindestlohn gibt.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, genau dies fordert die SPDFraktion im Bundestag und auch hier – und das wissen Sie sehr genau – in diesem Hause bereits seit Langem und permanent ein.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Seit 2009! – HansJürgen Irmer (CDU): Seitdem Sie nicht mehr regieren!)

Würde an dieser Stelle endlich arbeitsmarktpolitische Vernunft einkehren – das sage ich in diese Richtung des Hauses –, dann wäre die Beratung von derartigen Gesetzentwürfen und Anträgen ein für alle Mal erledigt.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Deshalb ist unsere klare und deutliche Forderung – und zwar so lange, bis sie in dieser Republik umgesetzt ist, übrigens im Schulterschluss mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund – weiterhin die umgehende Einführung des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 €, dies und nichts anderes.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, eines will ich an dieser Stelle auch deutlich sagen – Frau Kollegin Wissler, das gehört jetzt in die Abteilung „Backen aufblasen“ –: An einem Wettbewerb „Wer bietet mehr?“ werden wir uns ganz sicherlich nicht beteiligen.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Aber genug muss es schon sein!)

Denn es darf dabei nicht um das populistische Prinzip des Sich-gegenseitig-Überbietens gehen, sondern die Mindestlohnforderung muss einen realistischen Bezug zum Machbaren haben. Sonst gefährden wir nämlich das Ziel. So einfach ist die Geschichte. Nicht zuletzt deswegen hat der Deutsche Gewerkschaftsbund in Gestalt seines Vorsitzenden in Stuttgart auf der Zentralveranstaltung zum 1. Mai auch von 8,50 € gesprochen. Vielleicht sollten Sie sich das auch einmal überlegen.

Durchaus erfreut und übrigens mit einem leichten Schmunzeln nehmen wir zur Kenntnis, dass der Gesetzentwurf der LINKEN in weiten Teilen von einem Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion und der GRÜNENFraktion in der Bremischen Bürgerschaft und von einem Gesetzentwurf des Bremischen Senats abgekupfert ist.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Ja! – Janine Wissler (DIE LINKE): Gute Anregungen nehmen wir gerne auf! – Hermann Schaus (DIE LINKE): Da machen wir auch keinen Hehl daraus!)

Das ist per se nichts Schlimmes. Allerdings verlässt er nicht nur in der Höhe des geforderten Mindestlohns die Linie der Bremer Initiative, sondern auch in einem weiteren zentralen Punkt: Wie auch die SPD-Fraktion in diesem Hause und, wenn ich mich recht erinnere, auch die GRÜNEN schon mehrfach gefordert haben, stellt die Mehrheit in der Bremischen Bürgerschaft ihrer Gesetzesinitiative eine elementare Forderung voraus, nämlich die Forderung, dass sich der Senat im Bundesrat weiterhin für einen allgemeinen gesetzlich festgelegten Mindestlohn von 8,50 € einsetzen soll.

Meine Damen und Herren, ebenso erfreut nehmen wir zur Kenntnis, dass sich DIE LINKE unserer Forderung anschließt, öffentliche Forderungen, vor allen Dingen die öffentliche Auftragsvergabe, an die Voraussetzung zu koppeln, dass die Auftragnehmerseite ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Mindestlöhne zahlt.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das steht doch schon in unserem Vergabegesetz! Das war doch vorher!)

Damit rennen Sie bei uns offene Scheunentore ein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will an dieser Stelle nochmals ausdrücklich darauf hinweisen, dass die SPD-Fraktion dazu bereits Ende des vergangenen Jahres einen Gesetzentwurf für ein neues Mittelstandsförderungs- und Vergabegesetz in den Landtag eingebracht hat. Ich sehe heute noch meine Kollegin Sabine Waschke hier vorne stehen, die in hervorragender Weise begründet hat, warum wir das brauchen. Schon damals wollten wir klar geregelt wissen, dass öffentliche Aufträge nur noch der erhält, der sich verpflichtet, seine Leute entsprechend den geltenden Lohn- und Tarifverträgen zu bezahlen, und der tariftreu ist. So einfach ist das.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Deswegen die klare Botschaft der SPD-Fraktion an dieser Stelle, nicht nur heute, sondern schon seit Langem: keine Dumpinglöhne und schon gar nicht bei Aufträgen der öffentlichen Hand.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, leider haben CDU und FDP diesen Gesetzentwurf in Bausch und Bogen abgelehnt.

(Günter Schork (CDU): Der war schlecht!)

Nein, Günter, der war nicht schlecht, der war gut. Denn es besteht ein klarer Handlungsbedarf. Ich glaube, das weiß diese Seite des Hauses auch.