Herr Kollege Irmer, das habe ich gerade gesagt. Hören Sie doch erst einmal zu. – An dieser Stelle möchte ich mich für die SPD ausdrücklich bei den vielen Betrieben bedanken, die junge Menschen selbst während der Krise ausgebildet haben und das auch heute noch machen.
Ich habe eine Hochachtung vor den Betrieben, die ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch in Zeiten einer wachsenden Konkurrenz anständig und fair behandeln und ihnen Löhne zahlen, von denen sie auch leben können.
Aber Sie verschleiern wichtige Tatsachen. „Wenig Geld für viel Arbeit“, hat die „Frankfurter Rundschau“ im Januar dieses Jahres getitelt. Ich finde, das bringt es genau auf den Punkt.
Frau Lannert, ich habe mich heute Morgen wirklich gewundert, was für eine selektive Wahrnehmung Sie in Ihrer Rede an den Tag gelegt haben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das sagen die Richtigen!)
Ich komme zu den wichtigen Punkten. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung arbeitet in Hessen jeder fünfte Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich.
Der Zuwachs ist – Sie vergleichen so gern – verglichen mit anderen Bundesländern rasant. Das würde ich an Ihrer Stelle einfach einmal zur Kenntnis nehmen. Die Entwicklung sei bedenklich, sagt sogar der Leiter der Regionaldirektion Hessen, Martin. Bei den vollbeschäftigten unter 25-Jährigen liegt der Anteil derjenigen, die im Niedriglohnbereich arbeiten, sogar bei 48 %.
In Hessen hat jeder zweite junge Mensch unter 35 Jahren noch nie in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis gearbeitet. Dazu sage ich – auch als Mutter von zwei Kindern in dem Alter –: Wie sollen sich junge Menschen in einer solch unsicheren Situation dafür entscheiden, eine Familie zu gründen und Kinder zu bekommen? Die wissen doch überhaupt nicht, womit sie im nächsten Jahr ihr Geld verdienen sollen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Judith Lannert (CDU): Woher haben Sie diese Zahlen?)
In Hessen erhält ein Drittel der vollbeschäftigten Frauen einen Niedriglohn, und in zwei Dritteln der Betriebe der hessischen Elektro- und Metallindustrie werden kontinuierlich Leiharbeiter eingesetzt.
Leiharbeiter verdienen – das wissen auch Sie, Frau Kollegin – im Durchschnitt 5 € weniger als die Stammbelegschaft und werden ganz oft zu Aufstockern. Diese ständig steigende Lohnsubventionierung über Steuergelder lehnen wir, die SPD, ganz strikt ab.
Das Neueste sind übrigens die Werkverträge. Das ist noch interessanter: Hierbei werden ganze Arbeitsfelder an Fremdfirmen ausgelagert, deren Arbeitnehmer noch weniger verdienen als Leiharbeiter. Wir laufen in Hessen Gefahr, dass unsere Beschäftigungsgesellschaft in zwei Klassen zerfällt: auf der einen Seite die gute, reguläre, ordentlich bezahlte Arbeit und auf der anderen Seite die prekären Arbeitsverhältnisse. Das ist für die SPD nicht akzeptabel.
Deswegen fordern wir – wir werden auch nicht müde, das immer wieder zu machen – einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn und kein Placebo, worüber im Moment innerhalb der CDU diskutiert wird.
Wir fordern den gleichen Lohn für gleiche Arbeit: für Frauen und für Männer, für Leiharbeiter und für die Stammbelegschaft.
Hier hat die Landesregierung einen dringenden Handlungsbedarf. Aber dazu finden wir in Ihrem Antrag kein einziges Wort. Wir brauchen endlich ein Vergabegesetz, das die Tariftreue,
die Beteiligung an der Erstausbildung, die Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern und die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen als Vergabekriterien verankert.
Wir haben Ihnen im vergangenen Jahr einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Aber – das brauche ich an dieser Stelle eigentlich gar nicht mehr zu erwähnen – er hat in diesem Haus leider keine Mehrheit gefunden.
Vom Kollegen Arnold kam gerade der Zwischenruf, der Gesetzentwurf sei praktisch schon auf dem Weg. Herr Kollege Arnold, bei aller Wertschätzung: Diese Ankündigung hören wir seit fast drei Jahren.
Ich habe eine klare Vermutung: Ich vermute, dass dieser Gesetzentwurf unmittelbar vor dem nächsten Wahltermin kommt; denn so haben Sie es beim letzten Mal auch gemacht. Aber, oh Wunder, das Vergabegesetz in Hessen ist nach dem Wahltag überhaupt nicht in Kraft getreten.
Wir haben die Landesregierung auch aufgefordert, Förderprogramme an bestimmte Leiharbeiterquoten zu knüpfen. In Thüringen wird das erfolgreich praktiziert. Ich verstehe bis heute nicht, warum man prekäre Arbeitsverhältnisse auch noch mit Steuergeldern subventionieren muss.
Aber Sie konnten uns leider auch bei diesem Antrag nicht folgen. Das offenbart ganz klar, dass Sie in diesem Bereich überhaupt kein Problembewusstsein haben.
Wichtig ist für uns auch, dass wir für dieses Land Zukunftsfelder definieren und Strategien entwickeln: Wie soll sich die hessische Wirtschaft eigentlich in den nächsten Jahren entwickeln? Kein Wort dazu steht in Ihrem Antrag.
Sie sagen nichts dazu, wie Sie den Wissenstransfer aus den Hochschulen besser organisieren wollen. Wir fordern schon seit Jahren, dass es an jeder Hochschule einen Beauftragten gibt, der Forschungsprojekte auf wirtschaftsrelevante Ergebnisse hin durchforstet und auch ein Ansprechpartner für kleine und mittlere Betriebe ist.
Das Stichwort Zukunftsstrategie umfasst für uns auch den gesamten Bereich der Clusterbildung. Kein Wort dazu steht in Ihrem Antrag.
Die Landespolitik kann und muss Cluster definieren, Akteure vor Ort zusammenführen und Netzwerke bilden, sodass regionale Schwerpunkte zu Zukunftsfeldern für ganz Hessen werden. Aber dazu steht kein Wort in Ihrem Antrag.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, der Wirtschaftsstandort Hessen ist stark. Das ist unbestritten.