Was Sie vergessen haben, ist, dass der gegenwärtig geltende Länderfinanzausgleich unter Vorsitz von Roland Koch in der Ministerpräsidentenkonferenz im Jahr 2000 in Wiesbaden im Nassauer Hof von Ihnen beschlossen wurde.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Das war ein Kompromiss! – Präsident Norbert Kartmann übernimmt den Vorsitz.)
Es ist völlig richtig, dass wir eine Veränderung brauchen. Die spannende Frage ist doch: Was versprechen Sie sich eigentlich von einer Klage, wenn Sie gleichzeitig kein Konzept haben, wohin Sie eigentlich wollen?
Glauben Sie denn ernsthaft, dass das Bundesverfassungsgericht Ihnen einen neuen Länderfinanzausgleich machen wird? – Im Gegenteil, wenn wir Glück haben, lautet die Entscheidung, es gibt neue Grundsätze, die uns im Zweifel helfen. Wenn wir Pech haben, wird einer dieser Grundsätze sein, dass in Zukunft auch die Finanzkraft der Gemeinden einbezogen wird. Wenn die Frankfurter Gewerbesteuer auf die Finanzkraft des Landes Hessen angerechnet würde, könnte das Ende vom Lied sein, dass wir mehr zahlen und nicht weniger.
Wir brauchen dringend ein Konzept, damit wir entscheiden können, ob eine Klage überhaupt Sinn macht. Selbst wenn sie Sinn macht und wenn sie erfolgreich ist, muss man wissen, wohin man will; sonst endet man genauso wie Roland Koch im Nassauer Hof.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch und gerade in der Bildungspolitik brauchen wir einen Neuanfang. Wir wollten Bilanz ziehen. Was wurde uns im April 1999 alles von Roland Koch und Karin Wolff versprochen: SchwarzGelb wird Hessen zum Bildungsland Nummer eins ma
14 Jahre später – einen Ministerpräsidenten und drei Kultusminister später – ist eine ganze Schülergeneration unter Ihrer Verantwortung für die Bildungspolitik von der Einschulung bis zum Abitur durch das hessische Schulsystem gegangen. Das Ergebnis jedes Schultests, egal in welcher Schulform, egal in welchem Fach, zeigt, dass wir nicht Bildungsland Nummer eins sind, sondern Mittelmaß, wenn wir Glück haben, manchmal sogar deutlich darunter.
Soziale Herkunft bestimmt weiter den Bildungserfolg, viel stärker als in anderen Industriestaaten und als in anderen Bundesländern. Deswegen sage ich: Schwarz-Gelb ist in der Bildungspolitik schlicht gescheitert. Sie sind gescheitert, und das hat Gründe, nämlich Ideologie und Arroganz.
Die Ideologie hat Ihnen nicht erlaubt, die Anforderungen von heute zu erkennen. Wenn die Eltern die Hauptschule nicht mehr wollen, dann kann man diese Schulform, durch welche Maßnahmen auch immer, nicht künstlich am Leben erhalten, auch wenn Christean Wagner und Hans-Jürgen Irmer es Alfred Dregger geschworen haben sollten. Das funktioniert dann einfach nicht mehr, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Fast alle Bundesländer haben den ideologischen Kampf um die Schulformen beendet und befinden sich auf dem Weg zur Zweigliedrigkeit: auf der einen Seite das Gymnasium und auf der anderen Seite eine leistungsfähige Schulform, die längeres gemeinsames Lernen und alle Abschlüsse anbietet. Beide Schulformen mit mehr individueller Förderung, beide Schulformen mit der Konzentration auf das eigentlich Wichtige in der Schule, nämlich das Lehren und das Lernen, und nicht auf das Türschild, mit dem Sie immer noch die ideologischen Schlachten des vergangenen Jahrhunderts führen.
Wir stehen für die Wahlfreiheit der Eltern statt für die Zwangsbeglückungen aus Wiesbaden. Herr Ministerpräsident, ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Sie gestern den Ausdruck „Zwangsbeglückungen aus Wiesbaden“, den meine Fraktion seit zehn Jahren verwendet, in einer Pressekonferenz selbst gebraucht haben. Sie haben nur nicht verstanden, dass Sie in den vergangenen 13 Jahren einer Landesregierung angehört haben, die eine Zwangsbeglückung nach der anderen beschlossen hat. Sie haben sich also gestern selbst kritisiert.
Vielleicht findet eine neue Generation von CDU-Abgeordneten die Kraft, sich vom Erbe Alfred Dreggers zu emanzipieren. Ich wünsche es der hessischen Bildungspolitik.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie müssen sich auch von der Arroganz Ihrer Bildungspolitik emanzipieren. Sie haben immer nur verfügt, Sie haben nie hingehört. Was die Eltern wollten, war Ihnen egal. Was die Schulen wollten, war Ihnen auch egal. Sie haben Ihre Vorstellungen brutalstmöglich durchgesetzt. Sie haben eine ganze Schülergeneration mit einer schlecht umgesetzten G-8-Reform gequält. Sie haben erst verfügt, dann nachgefragt und dann die Antworten auf die Nachfragen ignoriert. So kann man Bildungspolitik nicht machen.
Ich spreche an dieser Stelle auch die erneute G-8-Reform an. Die Wahlfreiheit ist richtig. Der Versuch, beides gleichzeitig an einer Schule zu machen, wird unter den gegenwärtigen Bedingungen scheitern. Sie müssen entweder die Bedingungen ändern oder sich von diesem Versuch verabschieden.
Dass man den Schulen die Rückkehr zu G 9 ermöglicht, ist ausdrücklich richtig. Aber Sie müssen dann den Elternwillen auch wirklich ernst nehmen. Deswegen sage ich Ihnen: Richten Sie regionale Konferenzen ein, und sorgen Sie dafür, dass die Eltern, die G 9 für ihre Kinder wollen, auch die G-9-Schulen finden. Das ist wahre Wahlfreiheit, wenn man wirklich für Wahlfreiheit sorgt und kein Wahlfreiheitsverhinderungsprogramm macht.
Es kann ausdrücklich nicht sein, dass Kinder, deren Eltern G 9 wollen, im nächsten Schuljahr zwangsweise in G 8 eingewiesen werden. Wahlfreiheit bedeutet, dass es auch wirklich eine Wahl gibt.
Ich sage Ihnen ausdrücklich: Wir wollen ein Ende der ideologischen Debatten. Wir wollen uns in der Schulpolitik endlich an der Sache orientieren. Wir haben zu Beginn dieser Legislaturperiode gesagt, dass wir uns auf die Inhalte konzentrieren und uns egal ist, von wem eine Idee kommt, wenn wir sie für richtig halten.
Ich muss Ihnen sagen, ich habe mich über manche Radio-, Zeitungs- und Fernsehberichte in den vergangenen Tagen ein wenig gewundert, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Wir waren immer für Wahlfreiheit und gegen Zwangsbeglückungen in der Bildungspolitik. Wenn man das konsequent durchhält, dann entstehen aus der Sache heraus sofort Koalitionsspekulationen, die bei Journalisten offensichtlich eine größere Erotik haben als der Inhalt des Schulgesetzes.
Ich erinnere aber einmal daran – manche können sich ja noch erinnern –: Es war ein Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der dazu geführt hat, dass es im Jahr 2008 den kooperativen Gesamtschulen ermöglicht wurde, zu G 9 zurückzukehren. Wir haben sie nicht zur Rückkehr gezwungen; wir haben sie aber auch nicht zwangsweise bei G 8 gehalten. Wir haben ihnen eine Wahlfreiheit gegeben. Die eine Hälfte hat sich für die Rückkehr entschieden, die andere Hälfte dagegen, und man hat aus den kooperativen Gesamtschulen keine Klagen mehr gehört. Das ist der Weg der Zukunft: wirkliche Wahlfreiheit zu ermöglichen, die Bedingen zu schaffen, dass das auch funktioniert, und die Schulen sich ansonsten auf ihre Aufgaben konzentrieren zu lassen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Dann müssen Sie die SPD aber noch überzeugen!)
Manche Sozialdemokraten waren in den letzten Tagen ein bisschen mürrisch. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD
ich entschuldige mich nicht –, wenn die bildungspolitisch blinden Hühner von der CDU auch einmal ein Korn finden und dieses Korn zudem noch grün ist, dann sage ich trotzdem: Es ist nur ein Korn. So viel Ehrlichkeit muss schon sein.
(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Aber ein dickes Korn! – Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)
Herr Bouffier, ich muss überhaupt nichts erklären. Das ist kein schwarz-grüner Flirt, sondern ein Flirt der GRÜNEN mit den Wünschen der Schulen und der Eltern. Es ist sozusagen eine Entdeckung der Wirklichkeit. Wenn auch Sie jetzt da ankommen, dann herzlichen Glückwunsch.
(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ministerpräsident Volker Bouffier: Da waren wir aber schon!)
Ich habe gestern gesehen, dass Frau Beer Angst bekommen und in der Pressekonferenz ungefragt gesagt hat, dass sie sich mit Ihnen in einer „stabilen Zweierbeziehung“ befindet.
Wir erleben gerade sehr lustige Zeiten in der hessischen Politik. Die Sache allerding ist ziemlich ernst. Wir hielten es für eine Katastrophe, wenn auf die Zwangsbeglückungen durch Schwarz-Gelb in den letzten Jahren nach der nächsten Landtagswahl erneut Zwangsbeglückungen erfolgen würden. Die Schulen sind es leid, bevormundet zu werden. Wir wollen den Schulkampf in Hessen endlich beenden.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ministerpräsident Volker Bouffier: Das finde ich gut! Lieber Thorsten Schäfer-Gümbel, im Zweifel werden wir befreundete Volksparteien dann davon abhalten, sich un- glücklich zu machen – vor allem dann, wenn wir mit ihnen regieren wollen. (Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben aber auch noch andere große Baustellen, bei denen wir dringend vorankommen müssen. Die Kinderbetreuung – ob bei den ganz Kleinen oder bei den Grundschulkindern – ist weiterhin unzureichend. Wir brauchen daher zur Erfüllung des Rechtsanspruchs für die unter Dreijährigen dringend ein Notprogramm Kinderbetreuung.
Wir brauchen aber auch den Mut, in den nächsten Jahren die letzte große Baustelle in der Kinderbetreuung in der Bundesrepublik Deutschland anzugehen, nämlich die Betreuung der Grundschulkinder. Wir wollen, dass das Land und die Kommunen zusammenarbeiten, um in Zukunft jedem Grundschulkind einen Betreuungsplatz zu garantieren. Das wird ein großes Projekt. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen. Das wird für die Eltern übrigens nicht beitragsfrei sein, aber wir wollen jetzt damit beginnen. Wer sich anschaut, welch einen Zuwachs an Ganztagsbetreuungsplätzen für Drei- bis Sechsjährige es in den letzten Jahren gegeben hat, und wer sich anschaut, welche Probleme die Eltern haben, deren Kinder eingeschult werden,
dass viele Mütter – es sind ja meist die Mütter – ihren Arbeitsplatz kündigen oder ihre Arbeitszeit drastisch reduzieren müssen, der weiß: Hierin liegt ein riesengroßes gesellschaftliches Problem, das man eben nicht mit einem Betreuungsgeld, sondern nur mit einer besseren Betreuung bis zum Ende der Grundschulzeit lösen kann.
Auch hier gilt: Man muss ein Ziel haben. Man muss den Mut haben, es anzugehen. Man muss wissen, wo man hin will, und darf nicht immer nur über die Vergangenheit reden. Herr Ministerpräsident, das ist die Aufgabe der Politik.
Zu diesen Zukunftsaufgaben gehört auch die Energiewende. Wir haben in der letzten Woche in der Staatskanzlei eine zum Teil skurrile Veranstaltung erlebt. Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrem Eingangsstatement ungefähr dieselben Worte gebraucht, die Sie vor eineinhalb Jahren in der allerersten Veranstaltung des Energiegipfels verwendet haben.
Ich stelle schlicht fest: Die Gelben wollen die Energiewende nicht, und viele Schwarze wollen sie auch nicht.
Wer das sagt? Ihr Landesvorsitzender und stellvertretender Ministerpräsident hat das im September hier im Landtag von der Regierungsbank aus gesagt.