Protokoll der Sitzung vom 25.04.2013

Ich werde Ihnen jetzt darstellen, dass der hessische Justizminister versagt hat. Er hat versagt, wirksam Prävention gegen eine Netzwerkbildung von Rechtsradikalen im Justizvollzug zu betreiben.

(Zuruf von der FDP: Ist das belegt?)

Ja, das kann ich belegen. – Auch die Innenbehörden haben versagt – es wurde eben schon dargestellt –, was die Kommunikation zwischen den Behörden angeht. Auch da gibt es wieder ein Versagen, denn Fakt ist, im hessischen Justizvollzug konnte ungehindert ein weithin bekannter Neonazi eine Nachfolgeorganisation der HNG gründen. Er konnte von Hessen aus ungestört sein Neonazinetzwerk bewerben. Sie, Herr Justizminister Hahn, haben nicht genug getan, um zu verhindern, dass die Neonazis die Justizvollzugsanstalten als Rekrutierungsfeld wahrnahmen. All das sind Tatsachen. Sie zeigen ein eklatantes Versagen im Amt. Sie haben versagt, was das Sichausbreiten der Rechtsradikalen angeht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Von daher kann ich nicht verstehen, wieso Sie, aber auch die Sie tragenden Fraktionen sich jetzt wieder selbst loben und das Problem als erledigt erklären. Woher wissen Sie denn so genau, wie viele Menschen von Herrn T. im Justizvollzug gewonnen wurden? Woher wissen Sie denn so genau, dass die Strukturen tatsächlich allesamt zerschlagen wurden? Sollte man nicht gerade angesichts der vollkommenen Fehlbeantwortung der Großen Anfrage etwas vorsichtiger argumentieren? Sollten Sie nicht etwas mehr Demut an den Tag legen? Es scheint, als hätten Sie aus den jüngsten Entwicklungen nichts gelernt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich finde, Sprüche wie: „Ich habe schlicht gehandelt“ oder die großen Erfolge, die Sie sich zuschreiben, eher deplatziert. Das kann man auch als einen Täuschungsversuch an der Öffentlichkeit, als fehlende Sachkenntnis oder als eine Mischung aus beidem werten. Mit der Realität hat das aber nichts zu tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Geradezu absurd ist es, wenn in Sondersitzungen auf die Fragen in Dringlichen Berichtsanträgen und auf Nachfragen von Abgeordneten mit Verweis auf laufende Ermittlungsverfahren nicht geantwortet wird, es aber gleichzeitig dieser Justizminister war, der die Ermittlungen an die Presse durchstach, um sich vor dem FDP-Parteitag noch einmal in die Medien zu bringen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Das schmale Ergebnis von Herrn Hahn auf dem Landesparteitag der FDP zeigt, welches Motiv dahinter war. Es ist aber eines Justizministers nicht würdig, ein solches Thema für den innerparteilichen Wahlkampf zu instrumentalisieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stefan Müller (Heidenrod) (FDP): Das ist unverschämt!)

Es ist zumindest eine potenzielle Beeinträchtigung der Arbeit der Ermittlungsbehörden in den anderen Ländern entstanden. Auch darüber wird noch zu reden sein.

Zum heutigen Zeitpunkt steht fest: Die Ermittlungen kamen spät ins Rollen. Die AD Jail Crew existierte schon fast ein Jahr, bevor die Behörden Ermittlungen gegen diese Gruppe aufnahmen. Der Grund dafür ist, dass fehlerhaft ausgewertet wurde und dass es keinen Informationsfluss zwischen den Behörden gab. Auch als die Ermittlungen begonnen hatten, gab es keinen Informationsaustausch zwischen den Behörden.

Es ist mir auch zu billig, wenn jetzt auf einzelne Stellen verwiesen wird, wenn dem Verfassungsschutz oder den Postkontrollen in Hünfeld einseitig der Schwarze Peter zugeschoben wird. Es sind mir zu viele Einzelfälle, als dass es wirklich Einzelfälle wären. Da ist im System etwas faul. Es gibt nicht nur das Fehlverhalten Einzelner, sondern eine vollkommen falsche Einordnung des Sachverhalts durch die Regierung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Es gibt bereits mehrere amtliche Versionen, wie man auf die weithin sichtbare Spur der AD Jail Crew kam. Einmal war es ein Informant, dann war es ein Zeitungsbericht, und schließlich war es das nachträgliche Entdecken der Anzeige in der „Bikers News“. Allein die Vielzahl der Varianten zeigt, dass das Aufdecken des Neonazinetzwerks des Bernd T. mitnichten ein Erfolg der Hessischen Landesregierung war.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass Herr T. sein Netzwerk so lange pflegen konnte, zeigt ganz klar, dass die Landesregierung bei der Beobachtung, der Prävention und dem Unterbinden der Netzwerkbildung von Rechtsradikalen in unseren Gefängnissen versagt hat.

Schauen wir uns einmal die zentrale Figur an: Herrn T. Bernd T. hat schon an vielen Orten versucht, rechtsradikale Organisationen aufzubauen. An vielen Orten haben die Bürgerinnen und Bürger dieses Bestreben mit viel Zivilcourage zunichte gemacht. Es gibt mittlerweile viele Berichte darüber. Von daher ist es völlig unverständlich, dass Herr T. im Gefängnis nicht besonders beobachtet wurde; es muss doch allen klar gewesen sein, dass er ein weithin bekannter Neonazi ist.

Es ist daher überhaupt nicht zu erklären, dass es keinen Austausch zwischen den Sicherheitsbehörden gab. Es scheint, als ob es null Konsequenzen aus der Debatte über das Verhalten der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit den NSU-Morden gegeben hätte. Es scheinen auch null Konsequenzen aus dem Verbot der HNG gezogen worden zu sein. Die Antwort auf die Große Anfrage der LINKEN ist das eindeutige Zeugnis dieses Versagens. Die Antworten, die die Landesregierung uns da aufgetischt hat, zeigen ganz deutlich, dass sie überhaupt kein Problembewusstsein hatte und dass es keinen systematischen Informationsaustausch zwischen den Behörden gab.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Es geht nicht nur um den Gefangenen T. und sein Netzwerk, sondern auch darum, dass die neonazistische Subkultur von der Landesregierung im Allgemeinen nicht wahrgenommen wurde. Wir diskutieren heute nicht nur über ein

greifbares Beispiel, nämlich die AD Jail Crew – die so nicht mehr existiert –, sondern wir müssen auch über das Problem an sich reden, das DIE LINKE mit ihrer Großen Anfrage aufgezeigt hat. Wir müssen Lehren aus dem Versagen der Sicherheitsbehörden ziehen. Wir müssen dafür sorgen, dass es in Zukunft in unseren Gefängnissen keine Bildung rechtsradikaler Strukturen mehr gibt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wir haben daher einen Antrag erarbeitet, der die Punkte enthält, von denen wir glauben, dass wir damit der Bildung rechtsradikaler Strukturen im Justizvollzug entgegenwirken können.

Aber wir müssen auch über die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage reden, die immer noch in dieser Form vorliegt. Ich finde es nämlich nicht erträglich, dass die Landesregierung es nicht für nötig hält, diese Antwort zurückzuziehen. Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, dass das noch immer Ihre offizielle Haltung ist. An mehreren Stellen wird gesagt, in keiner hessischen Justizvollzugsanstalt lägen Erkenntnisse über Versuche von Neonazis vor, sich innerhalb der Justizvollzugsanstalt zu organisieren.

Ich fordere Sie daher auf: Ziehen Sie diese Antwort jetzt zurück, und präsentieren Sie eine neue. Es ist längst überfällig, dass der Justizminister dieses peinliche Dokument zurückzieht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ich möchte noch etwas zu den beiden Anträgen sagen, die neben unserem eingebracht worden sind. Mit dem Antrag der LINKEN habe ich ein Problem. Sie erklären darin, der Justizminister habe bewusst die Unwahrheit gesagt. Das bedeutet aber in der Konsequenz, dass er es besser gewusst hat: dass er zum Zeitpunkt der Beantwortung der Anfrage von der AD Jail Crew und deren Netzwerk Kenntnis hatte. Das würde wiederum bedeuten, dass er sie deckt. Aber das glaube ich nicht. Ich glaube, er hat im Amt versagt. Aber ich glaube nicht, dass er rechtsradikale Strukturen decken wollte. Von daher können wir dem nicht zustimmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Den Antrag der Fraktion der CDU und der FDP kann man wirklich nur noch als „deplatziert“ bezeichnen. Wenn Sie sich die Mühe machen, die Absätze 2 und 3 Ihres Antrags miteinander zu vergleichen, muss Ihnen doch auffallen, dass es da einen gewissen Widerspruch gibt. Wie können Sie sich in Abs. 2 selbst dafür loben, wie super alles sei, und in Abs. 3 erklären, man brauche eine Arbeitsgruppe, die alles besser macht? Das ist völlig unlogisch. Von daher können wir auch diesem Antrag nicht zustimmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich fasse zusammen: Die Sicherheitsbehörden haben in diesem Fall wieder versagt. Die Landesregierung hat dem Problem lange Zeit nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt. Es fehlt ihr an Problembewusstsein. Wir müssen unsere Anstrengungen in Zukunft verstärken und besser koordinieren. Unsere Justizvollzugsanstalten dürfen keine Rekrutierungsorte für Rechtsradikale werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege May. – Als nächste Rednerin spricht Frau Kollegin Hofmann von der SPD-Fraktion. Bitte schön, Frau Kollegin Hofmann, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Öffentlichkeit schaut nicht nur auf den Münchner Gerichtsaal, in dem demnächst die NSU-Morde juristisch aufgearbeitet und die Täter hoffentlich zur Rechenschaft gezogen werden. Nein, die Öffentlichkeit schaut auch auf Hessen, wo ein bekannter Neonazi in der JVA Hünfeld über Monate hinweg ungehindert ein eigenes rechtsradikales Netzwerk aufbauen konnte.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Dieses Netzwerk hat sich von der JVA Hünfeld aus in andere hessische Justizvollzugsanstalten – es konnte dort ausgebaut werden – und in acht weitere Bundesländer ausgebreitet. Der Neonazi T. konnte in Hünfeld ungehindert eine Satzung schreiben, mehrere Inserate schalten und auch sonst völlig unbehelligt agieren. Herr Justizminister Hahn, ich frage Sie: T. war ein in der Öffentlichkeit bekannter Neonazi. Haben Sie denn gedacht, dass er in der JVA Hünfeld plötzlich anfangen würde, zu häkeln?

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der LIN- KEN)

Warum wurden angesichts dieses Hintergrunds bei T. nicht kontinuierlich die Post und die Zelle kontrolliert, und warum wurde er selbst nicht unter Beobachtung gestellt? Diese Fragen konnten Sie uns auch im Ausschuss nicht beantworten. Das zeigt uns, dass Sie auf dem rechten Auge blind sind.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Minister Jörg-Uwe Hahn: Oh Mann!)

Dabei hätten Sie vorgewarnt sein können. So hat der Bundesinnenminister erst im Jahr 2011 ein rechtsradikales Netzwerk in einem Gefängnis verboten. Immer noch ungeklärt ist, ob die Angehörigen dieses Netzwerks auch Kontakte zum NSU hatten; schließlich stand das NSU-Mitglied Beate Zschäpe auf der Adressliste des Bernd T., nicht mehr und nicht weniger. Wie konnte es sein, dass T. im Oktober 2012 in der Zeitschrift „Bikers News“ eine Anzeige schaltete und der Verfassungsschutz, wie wir später erfahren haben, diese Zeitschrift zwar abonnierte, aber die entsprechende Ausgabe wahrscheinlich lediglich abgeheftet und dann weggelegt hat? Oder wie sollen wir uns das vorstellen?

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Erst durch einen Artikel der Zeitschrift „Neues Deutschland“ im Februar 2013 wurde der Verfassungsschutz wach. Vier Monate waren nach der Schaltung der Anzeige schon verstrichen, und es dauerte weitere zehn Tage, bis das Landesamt für Verfassungsschutz darüber informiert worden ist.

Wie kann es sein, dass Sie auf eine Große Anfrage im November letzten Jahres geantwortet haben: „Alles bestens; es gibt keinen Rechtsradikalismus in den Justizvollzugsanstalten“? Das war eine fatale Fehleinschätzung, wie sich nun gezeigt hat. Das ist umso verwunderlicher angesichts dessen, dass das Phänomen der Parallelgesellschaften hin

ter Gittern nichts Neues ist. Die Vorsitzende des Landesverbands der Vollzugsbediensteten, Frau Kannegießer, hat der „HNA“ gesagt – ich darf zitieren –:

Es gibt in unserer Gesellschaft rechtsradikales Gedankengut. Warum sollte das in den Justizvollzugsanstalten anders sein?

(Günter Rudolph (SPD): Ja!)

In der „Zeit“ war jetzt zu lesen – ich darf zitieren –:

Ein führender Neonazi sagt, im Gefängnis habe er besser arbeiten können als in Freiheit. Die Wärter ließen ihn in Ruhe.