(Holger Bellino (CDU): Sie müssen einmal genauer hinschauen! – Alexander Bauer (CDU): Haben Sie denn geklatscht? – Weitere Zurufe von der CDU – Glockenzeichen des Präsidenten)
Das zeigt, dass Sie sich heute hierhin stellen und es als Ihren Erfolg feiern, weil Sie fünf Jahre gebraucht haben, um sich gegenüber Ihrem Koalitionspartner, der CDU, durchzusetzen, damit endlich islamischer Religionsunterricht in Hessen eingeführt wird.
Schauen wir uns die Überschrift über Ihre Aktuelle Stunde an. Damit verraten Sie sich selbst. Sie reden von rot-grünen Versuchen oder Experimenten. In anderen Bundesländern ist islamischer Religionsunterricht eingeführt worden, in Nordrhein-Westfalen, in Niedersachsen. NordrheinWestfalen hat schon vor ungefähr zehn Jahren mit Islamkunde angefangen, unter einer schwarz-gelben Regierung. In Niedersachsen hat es ebenfalls unter einer schwarz-gelben Regierung bereits vor zehn Jahren ein Angebot an muslimische Schülerinnen und Schüler für islamischen Religionsunterricht gegeben. In Hessen gab es dieses Angebot nicht. Von daher ist das ein kleiner Schritt, den wir gemeinsam gehen, und kein großer Schritt. Es ist eher Ihr Erfolg als FDP gegenüber der CDU. Das hat aber nichts mit der Lebensrealität der muslimischen Schülerinnen und Schüler in Hessen zu tun.
Ich will auch ausführen, warum. Es sind 27 Schulen. Es ist gut, dass es 27 Schulen sind. Ich möchte daran erinnern, dass Sie zunächst angekündigt haben, es würden erst ein
mal 25 Schulen sein. Wir wissen alle, dass der Bedarf der Schülerinnen und Schüler, in Grundschulen unterrichtet zu werden, weit höher ist als bei 25 oder 27 Schulen. Es ist auch klar, dass die Lehrer bisher nicht ausgebildet worden sind und damit fehlen, um den Bedarf der Schüler in Hessen abdecken zu können.
Wir haben ca. 60.000 Schülerinnen und Schüler in Hessen mit muslimischem Hintergrund. Mit Ihrem Angebot werden ca. 600 bis 1.000 Schülerinnen und Schüler in der Grundschule ein islamisches Religionsunterrichtsangebot bekommen. Dieses knapp mehr als 1 % als Erfolg zu verkaufen nach 15 Jahren schwarzer oder schwarz-gelber Regierung in Hessen – mit Verlaub, das ist nicht Ihr Ernst. Das können wir Ihnen nicht so durchgehen lassen.
In Nordrhein-Westfalen – wenn Sie sich darüber beschweren und sagen, es sei ein Versuch gewesen – ist im Dezember 2011 dem Gesetz, das die rot-grüne Regierung zur Einführung islamischen Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach eingebracht hat, komischerweise auch von der CDU zugestimmt worden, und von der FDP haben wir eine kraftvolle Enthaltung zur Kenntnis genommen. Von daher kann das Gesetz, wie es in NRW beschlossen worden ist, gar nicht so falsch sein.
In Niedersachsen ist die gelb-schwarze Koalition bereits vor zehn Jahren auf diesen Weg gegangen und hat angefangen, mit islamkundlichen Modellregionen ein Angebot zu machen. Mittlerweile sind es über 50 Schulen, wo das Angebot unterbreitet wird. Wir haben mit 25 angefangen.
Hätten Sie vor zehn Jahren genau wie die anderen Bundesländer damit beginnen können, islamischen Religionsunterricht zu erteilen, wären wir ganz klar auf Ihrer Seite gewesen und hätten Sie unterstützt. Jetzt, nach 15 Jahren, damit zu kommen, ist ein bisschen mau, meine Damen und Herren.
Es bleiben auch viele offene Fragen. Es ist immer noch nicht klar, wann Sie mit diesem Modellprojekt weitergehen und weiterführende Schulen einbeziehen wollen. Es ist nicht ganz klar, wie Sie das mit den Lehrerinnen und Lehrern machen wollen. Wenn man den Lehrbedarf von 60.000 Schülerinnen und Schülern wirklich decken will, braucht man rund 350 Lehrer im Lande Hessen. Das heißt, jetzt müssten schon ungefähr 40 bis 50 Lehrer pro Lehrjahr ausgebildet werden, damit diese Personen auch eingesetzt werden können. Da brauchen wir Konzepte, die haben Sie uns noch nicht liefern können. Sie haben uns nach mehreren Nachfragen endlich die Schulen genannt, in denen der Unterricht erteilt werden wird.
Das ist ganz gut, darüber freuen wir uns auch. Aber es ist ganz klar: Es ist ein kleiner Schritt, den wir heute gehen, kein großer Schritt. Wer sich groß und wortreich über Islamismus, über Radikalismus bei jungen Muslimen beklagt, der muss sich Gedanken machen, wann endlich in weiterführenden Schulen ein Angebot in deutscher Sprache erteilt wird, damit diese jungen Menschen nicht in HinterhofMoscheen sind, sich nicht auf Internetforen über ihre Religion informieren, sondern in der Schule durch in Deutschland ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer. Diese Aufgabe
haben Sie noch nicht erfüllt. Von daher haben Sie noch viel zu tun, meine Damen und Herren. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe von diesem Pult aus schon oft betont und erklärt, dass wir dem Anliegen der Einführung eines bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts von vornherein zugestimmt haben, dass wir es unterstützt haben. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen und erklärt, dass wir den Weg, der in Hessen nach ein paar anfänglichen Irritationen gegangen worden ist, wie er gegangen worden ist – die Einführung dieses bekenntnisorientierten Religionsunterrichts auf eine verfassungsmäßig stabile und tragfähige Grundlage zu stellen, wobei dieser Weg über die Anerkennung von islamischen Religionsgemeinschaften geht –, unterstützt und für richtig gehalten haben,
womit kein Urteil über die Wege verbunden ist, die in anderen Bundesländern gegangen worden sind. Es wird sich zeigen, ob das fragile Experimente sind oder ob sie unter den dortigen Bedingungen haltbar sind. Darüber will ich nicht philosophieren oder mutmaßen.
Zweifellos ist der hessische Weg einer, von dem man sagen kann, dass er verfassungsgemäß ist, dass er eine stabile Grundlage für die dauerhafte Einführung des bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts in Hessen bietet. Insofern sind die Voraussetzungen dafür, dass das, was am 1. August dieses Jahres an 27 Grundschulen in Hessen beginnen wird, gut. Die Voraussetzungen sind auch gut dafür, dass dieses vorläufige Ergebnis, das wir erreicht haben, ausgebaut werden kann. Vorläufig ist es in dem Sinne, dass natürlich auf die Einführung an 27 Grundschulen weitere Grundschulen folgen werden, nach meiner festen Überzeugung auch folgen müssen.
Das wird über die Schulen hinaus aufgebaut. Es ist die logische Konsequenz aus dem Weg, der jetzt begonnen wird, dass es sich in der Sekundarstufe I und dann gegebenenfalls auch in der Oberstufe wird fortsetzen müssen. Ich schließe auch nicht aus – niemand kann das ausschließen –, dass sich weitere muslimische Organisationen auf den Weg machen, den der DITIB Landesverband Hessen und Ahmadiyya Muslim Jamaat in Hessen begonnen haben, nämlich einen Antrag auf Anerkennung als Religionsgemeinschaft und insofern auf Anerkennung als Partner für die Erteilung von weiterem bekenntnisorientiertem Unterricht zu stellen.
Deswegen sage ich, wir sind froh über das, was jetzt vorläufig erreicht worden ist. Dieses „vorläufig“, das will ich als kritischen Punkt sagen, unterscheidet sich von bestimmten Vokabeln, die ich aus den Reihen der CDU höre oder in Presseartikeln als Reaktion der CDU zu lesen ge
habt habe. Dort wird nämlich – ich habe das gestern bei der Gelegenheit einer Besuchergruppe auch wieder gehört – von der versuchsweisen Einführung eines bekenntnisorientierten islamischen Unterrichts oder einer Einführung auf Probe gesprochen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie müssen sich jetzt einmal entscheiden, wie Sie es haben wollen. Wenn wir hier eine verfassungsrechtlich über jeden Zweifel erhabene Lösung haben – dieser Auffassung bin ich –, dann kann die Einführung nicht probeweise und nicht versuchsweise sein, sondern dann muss sie auf Dauer angelegt sein. Das ist auch das Signal, das von diesem Tag und von dieser Debatte zu der Erteilung des islamischen Religionsunterrichts an die Partner in den Religionsgemeinschaften ausgehen muss,
dass das hier keine Veranstaltung ist, die unter Vorbehalt steht und möglichst noch unter dem Vorbehalt des wohlwollenden Verhaltens, des nicht störenden Verhaltens, oder wie immer man das ausdrücken will. Das war jetzt ein bisschen schräg ausgedrückt. Sie wissen, was ich meine.
Ich will vor einer Einschätzung warnen, die Kollege Mick angesprochen hat. Ich warne davor, zu glauben, es könne mit dem Erteilen des islamischen Religionsunterrichts ein Beitrag zur Prävention von islamistischem Extremismus geleistet werden. Ich glaube nicht, dass man diese Erwartung an den Religionsunterricht stellen wird und stellen darf. Es wird auch nicht vom Konfirmandenunterricht erwartet, dass er Leute wie Ian Paisley verhindert.
Das halte ich für unbillig und für eine Überfrachtung. Das sollten wir lassen. Das starke integrationspolitische Signal ist, dass der Staat anerkennt, dass die verfassungsrechtlich gebotene – das haben Sie gesagt, und das will ich noch einmal verstärken – Gleichbehandlung aller Religionen durch den Staat eben auch unter sonst gleichen Voraussetzungen für den Islam und für die islamischen Gemeinschaften in diesem Land gilt.
Deswegen will ich die Gelegenheit nutzen, mich in der verbleibenden kurzen Zeit dem Dank an die Organisationen anzuschließen, die am runden Tisch mitgewirkt haben, die sich auf den Weg gemacht haben, einen konstruktiven und verbindlichen Dialog mit dem Staat zu der Lösung einer Frage einzugehen. Ich glaube, dass dies zielführend für das Verhältnis zwischen dem Staat und den muslimischen Organisationen ist.
Ich glaube, dass die Arbeit am runden Tisch und die Arbeit an dem Projekt bekenntnisorientierter islamischer Religionsunterricht auch etwas dazu getan hat, das Verhältnis innerhalb der muslimischen Organisationen zu verbessern und auf eine stabilere Grundlage zu stellen. Ich finde es ein großartiges Zeichen, dass es gelungen ist, sich auf ein gemeinsames Curriculum – auch konfessionsübergreifend – zu verständigen. Davon könnten manch andere auch noch etwas lernen.
Ich glaube, dass der 1. August mit dem Schuljahresbeginn ein guter Tag wird. Aber noch viele andere Tage und viele weitere Schritte werden folgen müssen. – Danke schön.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen von der FDP, lieber Herr Mick und auch liebe Frau Henzler – Sie möchte ich ganz besonders nennen, weil es hier auch Ihr Verdienst ist –,
dieser Aktuellen Stunde liegt eigentlich keine aktuelle Nachricht zugrunde. Aber sei es drum. In diesen Zeiten muss alles irgendwie zurechtgestaucht und aufgehübscht werden, damit es in irgendeiner Weise wahlkampftauglich ist.
Über den islamischen Unterricht haben wir uns in den letzten Jahren schon x-mal unter diversen Überschriften unterhalten. Von daher habe ich nur Ihre Überschrift, werte FDP-Kollegen, um festzustellen, was Sie Hessen mit dieser Aktuellen Stunde wirklich Neues sagen wollen. Schauen wir uns die doch einmal häppchenweise an.
„Bekenntnisorientierter Religionsunterricht an 27 Grundschulen“ – Sie sind mächtig stolz auf sich wegen 27 Grundschulen, nicht wahr. Ich will Ihnen das auch gar nicht wegnehmen. Herr Mick, Sie sagten, es sei ein Prozess zu Ende geführt worden. Das sehe ich nicht so. 27 Schulen sind keine flächendeckende Versorgung, nicht in Ansätzen bedarfsdeckend, und vor allem fehlen die weiterführenden Schulen und auch noch andere Religionsgemeinschaften, die etwas anbieten möchten.
Sie sind immerhin ein Symbol, ein Signal, ein Anfang, gewissermaßen 27 kleine Leuchttürmchen, eigentlich eher ein Versprechen in dem Sinne: So könnte es gehen. – Ich verstehe das schon. Man wird bescheiden, weil man in dem Bereich sonst nicht viel vorzuweisen hat. Es ist zumindest ein Anfang.
Wie geht es im Titel weiter? „Teil der gelebten Willkommenskultur in Hessen“ – sehen Sie das tatsächlich so? Ist das nicht ein bisschen zu dick aufgetragen? Was ist es wirklich? Es ist doch maximal ein Ausdruck von Normalisierung, von Gleichstellung. Muslime bekommen das Recht, so wie andere Kirchen und Religionsgemeinschaften, einen eigenen Religionsunterricht anzubieten. Das ist doch eigentlich ganz normal. Alles andere wäre doch Unrecht.
Also muss doch schon ein bisschen mehr kommen, um wirklich von einer Willkommenskultur oder gar von einer gelebten Willkommenskultur zu sprechen, wie Sie es im Titel benannt haben. Da fallen uns noch ganz andere Sachen ein, wie man so etwas umsetzen könnte. Davon handelt auch jede Sitzung unserer Enquetekommission. Wir wissen, dass wir einen dringenden Nachholbedarf haben.
Von daher denke ich auch, Sie nehmen den Mund etwas schnell ein bisschen voll, weil Sie nicht viel vorzuweisen haben.
Mit dem nächsten Halbsatz haben Sie allerdings recht: „Muslime haben ein Anrecht auf verfassungskonforme Lösung“, also eine Lösung, die Bestand hat und auf die sich die Schulen und die muslimischen Gemeinden verlassen können, solange unsere Hessische Verfassung dieses Anrecht auf bekenntnisorientierten verpflichtenden Religionsunterricht in den hessischen Schulen festlegt.
Sie wissen, dass wir uns eine Umkehrung wünschen, einen freiwilligen Religionsunterricht, dafür aber einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle, damit alle Schülerinnen und Schüler die gemeinsamen Leitlinien in allen religiösen und nicht religiösen Gemeinschaften – z. B. humanistischen Gemeinschaften – erkennen lernen, sie anerkennen lernen und sie respektieren lernen.