Protokoll der Sitzung vom 27.06.2013

Wir betrachten die Verkehrswirtschaft als einen wichtigen dynamischen Wirtschaftsbereich in unserem Land. Wir wollen, dass die negativen Folgen von Verkehr vermieden werden. Das heißt für uns, dass wir den Verkehr mit weniger Energie und möglichst mit erneuerbarer Energie regeln wollen. Wir wollen Verkehr, ja, aber wir wollen Verkehr mit möglichst wenig Lärm. Das sind die Dinge, um die wir uns kümmern müssen. Das sind auch die Dinge, um die sich ein Wirtschafts- und Verkehrsminister kümmern müsste, und nicht darum, den Verkehr durch eine Verkehrsvermeidungspolitik herunterzufahren.

(Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das ist Verkehrspolitik von gestern. Das hat keine Zukunft. Das passt nicht zu unserem Land.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir sagen ganz klar Ja zu einer modernen Verkehrspolitik, wir sagen Ja zur Verkehrs- und Logistikwirtschaft. Wir wissen, dass gerade in Hessen sehr viele Beschäftigungsverhältnisse daran hängen. Schauen Sie sich die Kommune in Hessen an, die die meisten Arbeitsplätze hat, nämlich die Stadt Frankfurt am Main. Viele Menschen werden diese Stadt mit Arbeitsplätzen in der Finanzwirtschaft verbinden. Richtig ist aber, dass es in Frankfurt am Main mehr Arbeitsplätze in der Verkehrswirtschaft und Logistik gibt als in der Finanzwirtschaft. Daran sehen Sie, dass Verkehr ein ganz wichtiger Wirtschaftsbereich ist, und eine Politik, die Verkehr vermeiden will, eine wirtschaftsfeindliche Politik ist, die von uns nicht mitgegangen werden kann.

(Janine Wissler (DIE LINKE): So ein Quatsch!)

Meine Damen und Herren, Sie wollen Verkehr vermeiden. Sie wollen also eine Politik mit weniger Arbeitsplätzen in dem Bereich, Sie wollen eine Politik, die zu mehr Arbeitslosen in diesem Bereich führt, und Sie wollen eine Politik,

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ein Unfug!)

die, wenn wir in dem Bereich wirtschaftliche Einbrüche haben, dazu führen wird, dass wir weniger Steuereinnahmen haben und damit auch weniger für Bildungs- und Sozialleistungen in unserem Land tun können. Wer die Wirtschaft ausbremst, wer den Verkehr ausbremst, der gehört ausgebremst. Das werden die Wählerinnen und Wähler am 22. September tun.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Vielen Dank, Kollege Caspar. – Das Wort hat Frau Abg. Wissler, DIE LINKE.

(Manfred Pentz (CDU): Sie wird Verkehrsministerin! – Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Sie bremsen die Wirtschaft aus, wenn es so weitergeht! – Gegenruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LIN- KE): Wir bringen sie nur staatlich voran!)

Da glaubt aber einer an mich. – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir führen im Wesentlichen die verkehrspolitische Debatte aus der letzten Plenarwoche fort. Der Minister gähnt schon bei diesem Setzpunkt seiner eigenen Fraktion.

(Minister Florian Rentsch: Bei Ihnen, Frau Wissler!)

Herr Caspar, ich finde es schon bemerkenswert, dass Sie hier das Hohelied singen, nach dem Motto: „Wir brauchen mehr Verkehr und noch mehr Verkehr“, und dass Sie diesen absurden Vergleich machen und sagen, ein Verkehrsminister, der sich auf die Fahnen geschrieben habe, Verkehr zu vermeiden, sei das Gleiche wie ein Bildungsminister, der weniger Bildung wolle.

(Beifall bei der LINKEN – Tarek Al-Wazir (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es, Herr Caspar!)

Im Unterschied zum Verkehr sind zumindest mir bei der Bildung keine negativen Auswirkungen auf den Einzelnen oder auf die Allgemeinheit bekannt. Deswegen ist es ein völlig absurder Vergleich. Ich finde, Ihre ganze Rede zeigt einmal mehr, dass die Debatte über die Grenzen des Wachstums, den Klimawandel, die Ressourcenknappheit völlig an Ihnen vorbeigegangen zu sein scheint. Herr Caspar, offensichtlich haben Sie noch nicht festgestellt, dass wir den heutigen Ressourcenverbrauch und das heutige Verkehrsaufkommen nicht dauerhaft werden halten können, wenn wir verhindern wollen, dass sich das Klima noch schneller erwärmt, und wenn wir erreichen wollen, dass die internationalen Klimaschutzziele eingehalten werden. Deswegen finde ich, für eine Energiewende ist es auch ganz entscheidend: Wir brauchen eine Verkehrswende.

Frau Kollegin Wissler, der Kollege Caspar wollte Ihnen eine Frage stellen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ich habe Zeit!)

Sie lassen das zu. Das ist in Ordnung. Bitte sehr, Herr Kollege Caspar.

Sehen Sie die Bedenken, die Sie eben geäußert haben, auch für den Fall, dass die Verkehrsmittel rein mit erneuerbaren Energien fahren?

Frau Kollegin Wissler.

Worauf Sie jetzt anspielen, ist die Elektromobilität. Ich glaube schon, dass man grundsätzlich feststellen muss, dass der motorisierte Individualverkehr, was die volkswirtschaftliche und die Ökobilanz angeht, immer schlechter abschneidet als der öffentliche Verkehr. Ich denke, das kann man erst einmal feststellen.

Natürlich ist es sehr viel effektiver, wenn man einen Bus mit 60 Personen fahren lässt, als wenn man 15 Pkw fahren lässt, die alle einen gewissen Verbrauch haben.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verkehrsvermeidung!)

Von daher finde ich, dass die großen Chancen für die Verkehrswende weniger im Bereich der Elektromobilität liegen; denn ich glaube, dass die Automobilwirtschaft dies vor allem macht, um Greenwashing zu betreiben, d. h. ihren CO2-Ausstoß im Durchschnitt zu senken. Das ist mein Eindruck: dass die Automobilindustrie vor allem daran interessiert ist.

Ich finde, dass das Hauptaugenmerk auf dem Ausbau des öffentlichen Verkehrs liegen muss. Damit bin ich auch bei der zentralen Frage. Die entscheidende Frage lautet: Wie kann langfristig sichergestellt werden, dass Mobilität für alle Menschen möglich und bezahlbar bleibt?

(Beifall des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Schon heute gibt ein Viertel der Hessinnen und Hessen an, dass sie auf Fahrten verzichten, weil sie sie sich einfach nicht leisten können. Die Ausgaben für Mobilität sind heute für Privathaushalte der zweitgrößte Posten nach den Ausgaben für Wohnung und Nebenkosten. Jährlich geben die Haushalte 180 Milliarden € für Mobilitätsbelange aus. Das ist natürlich eine ganz gewaltige finanzielle Belastung.

Deswegen müssen zum einen der Ausbau und zum anderen die Frage der Bezahlbarkeit des ÖPNV in Zukunft eine ganz zentrale Rolle spielen. Der ÖPNV ist – ich habe es gerade gesagt – in der Gesamtrechnung viel billiger als der motorisierte Individualverkehr. Auch der Energieverbrauch pro Fahrgast ist sehr viel günstiger. Außerdem muss man sagen, dass der ÖPNV natürlich auch die Kosten für den Erwerb eines eigenen Pkw und dessen Unterhalt erspart.

Meine Damen und Herren, der ÖPNV ist in Hessen aber chronisch unterfinanziert, und er ist zu teuer. Deswegen finde ich die jüngste Preiserhöhung des RMV auch kritikwürdig.

(Beifall bei der LINKEN)

Für Sie ist das leider gar kein Thema. Aber wenn man möchte, dass die Verkehrsverbünde einen möglichst hohen Kostendeckungsgrad haben, dann muss man im Umkehrschluss natürlich auch berücksichtigen, dass die Fahrpreise sehr hoch liegen. Das schmälert die Attraktivität des ÖPNV.

Deswegen lautet für uns die Frage: Wie schaffen wir es, eine Finanzierung sicherzustellen, die dazu führt, dass der ÖPNV gut ausgebaut ist, dass er bezahlbar bleibt und – das will ich explizit hinzufügen – dass er barrierefrei ist?

(Beifall bei der LINKEN)

Ich halte es schon für ein riesiges Problem, dass es in Hessen Bahnhöfe gibt, die Menschen mit Behinderungen, Menschen im Rollstuhl, aber auch ältere Menschen mit Rollatoren überhaupt nicht nutzen können. Hessen ist von Barrierefreiheit weit entfernt. Das zeigt auch das Abschneiden beim Mobilitätsindex.

Ich will auch noch einmal darauf hinweisen, dass zu einem guten ÖPNV auch gute Arbeitsbedingungen gehören. Beispielsweise ist der Job eines Busfahrers ein sehr verantwortungsvoller Beruf. Er hat eine lange Ausbildung. Deswegen bin ich der Meinung, dass ein Busfahrer auch an

ständig verdienen muss. Es kann doch nicht sein, dass Busfahrer tagsüber Leute durch die Gegend fahren und danach noch einem Zweitjob nachgehen müssen, weil sie davon einfach nicht leben können.

(Beifall bei der LINKEN)

Als Nächstes müssen wir uns fragen: Wenn das Güteraufkommen in den nächsten Jahren so deutlich ansteigen wird und immer weiter ansteigen soll, was kann dagegen getan werden? Selbstverständlich müssen wir überlegen, Herr Caspar, was da auf uns zukommt. Wenn heute die Rede davon ist, dass sich der Transitverkehr durch Hessen in den kommenden 15 Jahren fast verdoppeln soll, dann muss ich, auch wenn Sie sich darüber freuen mögen, doch ganz ehrlich sagen: Für mich ist das eine Horrorvorstellung.

Ich halte es wirklich für eine Horrorvorstellung, wenn ich bedenke, was das für die Kosten zur Erhaltung des Straßennetzes bedeutet. Viel wichtiger ist aber noch: Was bedeutet das für die Schadstoffbelastungen? Was bedeutet es an Belastungen für Mensch und Umwelt? Überlegen Sie sich einmal, wie viele Lkw dann durch Hessen rollen werden. Wenn es nach den Regierungsfraktionen geht, dann haben wir demnächst auch noch Gigaliner auf den Straßen. Dieses Wachstum des Güterverkehrs ist keine Aufgabe, die einfach nur danach ruft, irgendwie abgefangen und gemanagt zu werden, sondern wir müssen darüber sprechen, wie wir diese Herausforderung abwenden.

Ich frage Sie einmal, Herr Caspar: Wenn in einem Becher Joghurt heute 6.700 km Transportwege stecken, was hat das denn, bitte, mit der Steigerung der Lebensqualität der Menschen zu tun?

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage an dieser Stelle noch einmal ganz klar, Herr Caspar: Niemand will den internationalen Warenaustausch verhindern oder abschaffen. Das will niemand. Ich frage Sie aber, Herr Caspar: Wo ist denn, bitte, der Gewinn an Lebensqualität, wenn heute beispielsweise Fleisch quer durch die ganze Welt transportiert wird? Ich finde, das ist durchaus auch ein Thema für den Verbraucherschutz; denn man weiß gar nicht mehr, wo und unter welchen Bedingungen was produziert wird. Davon profitiert außer der Lebensmittelindustrie überhaupt niemand.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Ich finde, man muss schon auch einmal über das Wirtschaftssystem nachdenken, wenn wir solche hanebüchenen Entwicklungen haben, dass es sich rechnet, Fleisch quer durch die Welt zu transportieren, und wenn das am Ende noch günstiger ist als das Fleisch vom Biobauernhof nebenan. Dann müssen wir darüber reden, welche Förderung wir haben, welche Anreize gesetzt werden. Letztlich zahlen wir dabei nämlich alle drauf, weil diese Art des Wirtschaftens eben nicht nur die Haushalte belastet, sondern auch die Luftqualität und die Gesundheit.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP)

Deswegen muss es einem Verkehrsminister sehr wohl darum gehen, Verkehrswege zu vermeiden oder zu verkürzen.

In diesem Zusammenhang müssen wir auch über Stadtentwicklung reden. Bezahlbarer arbeitsnaher Wohnraum wür

de Berufsverkehr einsparen und mehr Lebensqualität für Pendler bedeuten.

Man fördert die Ansiedlung von Discountern auf der grünen Wiese und schaut zu, wie dadurch in den Innenstädten der Einzelhandel und die Nahversorgung verdrängt werden, weil sie mit den Preisen und Öffnungszeiten von Discountern einfach nicht konkurrieren können. Dabei ist offensichtlich, dass auch dies zusätzlichen Verkehr verursacht.