Protokoll der Sitzung vom 03.09.2013

Als neuestes Beispiel ist da dieses unsinnige Landesschulamt zu nennen, von dem Sie uns immer noch nicht erklären

konnten, wem es nutzen und wozu es dienen soll. Dies hat auch die damit beauftragte Agentur, die immerhin 125.000 € an Steuergeldern kassiert hat, nicht erklären können. Wahrscheinlich wissen Sie es selbst nicht so genau. Bemerkenswert ist allerdings, dass Ihr Staatssekretär, Herr Lorz, bei der Vorstellung des Landesschulamtes wieder einmal von Leuchttürmen sprach.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Die stürzen alle ein!)

Die Leuchttürme, die diese Landesregierung uns in den letzten fünf Jahren vorgestellt hat, sind ausnahmslos alle eingestürzt.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein weiteres Experiment ist die ebenso unsinnige Schulzeitverkürzung, die Schwarz-Gelb jahrelang eisern und störrisch verteidigt hat und die erst durch die nahenden Wahlen endlich mal auf den Prüfstand gekommen ist.

Um mein Eingangsstatement zusammenzufassen: Frau Ministerin, etwas mehr Ideologie bzw. Überzeugung und der Verzicht auf weitere unsinnige Experimente würden nicht nur Ihnen, sondern auch der hessischen Bildungspolitik sehr guttun.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun zu den Inhalten. Etwas wirklich Neues konnten Sie uns nicht mitteilen, aber das haben wir auch nicht erwartet. Schon in Ihrem Bericht zum Schuljahresanfang, den Sie uns letzte Woche im Ausschuss vorgetragen haben, waren weder Neuigkeitswert noch Fähigkeit zur Selbstkritik vorhanden. Der einzige erkennbare rote Faden, der sich durch die gesamte schwarz-gelbe Bildungspolitik der letzten Jahre in Hessen zieht, ist, dass Sie die Betroffenen nicht einbeziehen, dass Sie Politik nicht mit und für die Bürgerinnen und Bürger machen, sondern an ihnen vorbei.

Damit komme ich zu dem, was die schwarz-gelbe Landesregierung uns nach fünf Jahren vertaner Zeit und Chancen übrig lässt:

Erstens. Das Praxissemester, das ebenso wie das Landesschulamt über Nacht aus dem Hut gezaubert wurde, stößt in breiten Teilen auf Ablehnung. Wir hatten eine Anhörung dazu, und wie bei so vielen Anhörungen zuvor haben Sie nichts von der Kritik übernommen. Sie haben nicht einmal die Studierendenvertretungen, also die wirklich unmittelbar Betroffenen, zu der Anhörung eingeladen oder im Vorfeld Gespräche mit ihnen geführt –

(Günter Schork (CDU): Das ist auch Sache des Ausschusses!)

vermutlich, weil Sie sich nicht sagen lassen wollten, was für einen Unsinn Sie hier fabrizieren.

Ich möchten Ihnen die Gründe, warum dieses Praxissemester abzulehnen ist, noch einmal kurz ins Gedächtnis rufen:

Noch immer ist unklar, welche Aufgaben die Studierenden an den Schulen genau aufgetragen bekommen sollen. Sie können doch nicht ernsthaft erwägen, die Studierenden zu so einem frühen Zeitpunkt in ihrer Ausbildung Unterricht geben zu lassen. Zu einem so frühen Zeitpunkt kann die fachdidaktische und fachliche Kompetenz doch überhaupt noch nicht erworben worden sein. Aber wenn sie nicht unterrichten sollen, ja, was sollen sie denn dann an Praxis gewinnen? Wohlgemerkt, Praxis, die das Ziel haben soll, ih

nen die Möglichkeit zu geben, selbst einzuschätzen, ob sie für den Lehrberuf geeignet sind.

Seit Jahren klagen die Mentorinnen und Mentoren zu Recht über die stetig steigende Arbeitsbelastung. Auch das wollen Sie nicht hören. Denn anstatt sich dieses Problems anzunehmen, das auch seinen Teil zur Qualität der Lehrerbildung beiträgt, kommen Sie den Mentorinnen und Mentoren jetzt mit dem Praxissemester. Gespräche mit ihnen wurden ebenfalls nicht geführt. Die Fragen, was genau auf sie denn mit dem Praxissemester zukommen wird, beantworten Sie nicht – vermutlich, weil Sie es selbst noch nicht wissen.

Welche Schulen sollen als Kooperationspartner für welche Fächer dienen? Sind diese für die Studierenden überhaupt erreichbar? Immerhin leben die Studierenden über ganz Hessen verteilt. Selbst die Hochschulen und Studienseminare kritisieren, dass sie außerordentliche organisatorische Bedenken haben.

Der zweite Schnellschuss ist das Landesschulamt, dessen Sinn und Zweck Sie uns noch immer nicht erklären können. Auch hier hat die Anhörung gezeigt: Niemand braucht es, niemand will es – außer vielleicht denjenigen, die per Parteiticket noch schnell hoch dotierte Posten übernehmen dürfen.

Was haben Sie aus dieser Anhörung mitgenommen? Richtig: wieder einmal nichts. Nun durften wir im Kulturpolitischen Ausschuss berichtet bekommen, wofür eine Agentur mit 125.000 € Steuergeldern beauftragt wurde. Alles ganz nett – aber warum Hessen so ein Landesschulamt braucht, darauf konnte auch dies keine Antwort geben.

Uns erreichen ständig wütende Briefe aufgrund dieses Vorhabens. In den Wahlprüfsteinen, die auch Sie erreicht haben, wird ständig gefragt, ob es mit uns eine Rückabwicklung dieser Monsterbehörde geben wird. Die gibt es natürlich, das haben wir auch schon gesagt. Trotzdem wollen Sie uns das Ding als Leuchtturmprojekt verkaufen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Ihnen nicht!)

Aber einen Leuchtturm in der Wüste zu erbauen, Herr Dr. Wagner, macht genauso viel Sinn, wie eine Wasserleitung ins Meer zu verlegen

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Hat Ihnen das Herr Nagel aufgeschrieben?)

oder wie einer vor der Insolvenz stehenden Privatuniversität zig Millionen Euro an Steuergeldern in den Rachen zu schmeißen und dabei zuzusehen, wie diese veruntreut werden,

(Dr. Walter Arnold (CDU): Na, na, na!)

oder wie eine Uniklinik mit der Vorlage zu privatisieren, dort das Leuchtturmprojekt Partikeltherapie zu etablieren, und nun die Augen zu verschließen, weil diese nie in Betrieb genommene Anlage gerade abgebaut wird.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU: Was wird die?)

Ihre Leuchttürme sind alle auf Treibsand erbaut worden. Genau diesen Sand versuchen Sie den hessischen Bürgerinnen und Bürgern vor der Wahl in die Augen zu streuen.

Aber mit dem Praxissemester und dem Landesschulamt ist Ihre Experimentierfreudigkeit keineswegs am Ende. Nach Jahren wütender Proteste und verzweifeltem Aufbegehren von Schülerinnen und Schülern kommen Sie vor der Wahl plötzlich auf die Idee, das Anliegen der Kinder und Jugendlichen sowie deren Eltern doch einmal aufzugreifen.

Angeblich sind etliche Gespräche über diese unsinnige Schulzeitverkürzung geführt worden. Als diese im Sommer letzten Jahres angekündigt wurden, dachten sich viele: Super, es hat zwar ewig gedauert, aber letztlich hat die schwarz-gelbe Landesregierung doch erkannt, welchen Mist sie gebaut hat, sodass sie jetzt die Einführung von G 8 zurücknehmen wird. – Hier hat sich die einmalige Chance geboten, Größe zu zeigen und endlich einmal Politik mit und für die Betroffenen statt über deren Köpfe hinweg zu machen, meine Damen und Herren.

Jedermann ist davon ausgegangen, dass nach diesen angekündigten Gesprächen nur eines geschehen könnte: die sofortige Rücknahme der Schulzeitverkürzung. Aber Erkenntnisgewinn geht bei Ihnen nicht mit Tatendrang einher. Denn was geschieht stattdessen? Die grenzenlose Experimentierfreudigkeit wird auch an dieser Stelle fortgesetzt.

Alle Umfragen – es gab reichlich in Hessen – besagen, dass sich etwa 90 % der Eltern für ihre Kinder mehr Zeit zum Lernen und somit auch mehr Zeit zum Leben wünschen. Unzählige Petitionen haben den Landtag erreicht. Mein Kollege Reuscher hat eine ganze Reihe davon selbst bearbeitet.

(Zuruf der Abg. Heike Habermann (SPD))

Ja, okay. – Gewerkschaften, genauso wie Lehrerinnen und Lehrer, lehnen G 8 ab, und zwar nicht nur in seiner jetzigen Form, sondern generell. Nachhilfeinstitute boomen und schaffen damit noch zusätzliche Aussonderung; denn nicht jeder Schüler und jede Schülerin, die G 8 durchlaufen müssen, haben Eltern, die sich die teuren Nachhilfestunden leisten können. Trotzdem verzeichnen diese Institute seit der Einführung von G 8 eine stark wachsende Nachfrage und immense Gewinne.

Weiter klagen die Sport- und Musikvereine über mangelnde Beteiligung. Ja, ich habe das Gutachten des Landessportbundes ebenfalls gelesen, übrigens desselben Landessportbundes, der vor zwei Jahren noch eine Tagung zu diesem Thema hatte, weil ihm G 8 die Jugendlichen stiehlt. Zu diesem Gutachten möchte ich eines sagen: Mitgliederzahlen allein sagen über die Beteiligung gar nichts aus. Natürlich bleiben die meisten Kinder und Jugendlichen Mitglied in ihrem Verein, dennoch fehlt es ihnen an der Zeit, den Aktivitäten nachzugehen, für die sie ihren Mitgliedsbeitrag zahlen.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch die so stolz vorgestellten Durchschnittsnoten sind erst einmal nur Zahlen. Es wird nämlich vergessen, dass die G-8-Schülerinnen und -Schüler an Gymnasien von vornherein darauf getrimmt waren, Abitur zu machen. Sie wissen so gut wie ich, dass der soziale Hintergrund dieser Kinder ein anderer ist als derjenige der Kinder an den Gesamtschulen. Der soziale Hintergrund wird bei diesem Vergleich nämlich wieder einmal außen vor gelassen, Frau Ministerin.

Diejenigen, die an den Gesamtschulen mit G 9 zum Abitur gekommen sind – und übrigens keineswegs schlechter ab

geschnitten haben –, sind nur zum Teil von vornherein auf das Abitur ausgerichtet gewesen. Wie erwähnt, stammen diese Schülerinnen und Schüler oftmals aus bildungsferneren Schichten als der Großteil der Gymnasiasten. So viel zu dem Notenvergleich.

Zur Wahlfreiheit, die sowohl Sie als auch die GRÜNEN hier propagieren: Erklären Sie Ihre Wahlfreiheit am 21. September 2013 doch einmal den Demonstrantinnen und Demonstranten, die einen Tag vor den Wahlen aufgrund des nicht vorhandenen G-9-Angebots in Wiesbaden auf die Straße gehen werden, natürlich unterstützt auch von uns. Denn in Wiesbaden, genauso wie in sieben anderen Städten und Gemeinden, ist es keinem Kind möglich, G 9 an einem Gymnasium zu durchlaufen – und dies entspricht sicherlich nicht dem Elternwillen. Zum einen entscheiden nicht die Eltern, ob ihre Schule zu G 9 zurückkehrt, sondern die Schulen. Zum anderen haben die Umfragen in Wiesbaden ergeben, dass eine Vielzahl der Eltern von Grundschulkindern kein G 8 will. Das aber feiern Sie als Erfolg.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie müssen sich wegen der Gymnasien doch gar nicht aufregen! Die wollen Sie doch abschaffen! – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE): Lesen Sie ruhig weiter den „Wetzlar Kurier“!)

Ach, Herr Irmer. Lesen Sie ein bisschen, das können Sie zumindest.

Wir haben uns stets gegen die Schulzeitverkürzung ausgesprochen. Wir wollen, genau wie die Gewerkschaften und andere Interessenvertretungen, eine sofortige Rückkehr zu G 9 für alle hessischen Schülerinnen und Schüler. Daher unterstützen auch wir die Initiative „Pro G 9 – Mehr Zeit für bessere Bildung“.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Ministerin, Sie loben sich mit der Einführung des Sozialindex und erwähnen in Ihrer Rede sogar Dietzenbach und Frankfurt als Profiteure. Dazu ist zu sagen, dass es unbedingt richtig war, einen Sozialindex einzuführen. Das haben auch wir LINKE immer gefordert. Aber wir wissen – das haben Sie im Kulturpolitischen Ausschuss gewissermaßen selbst zugegeben –, dass damit noch viel Ungerechtigkeit verbunden ist, da nicht die einzelnen Schulen differenziert angeschaut wurden, sondern man stattdessen wieder einmal die Gießkanne in die Hand genommen hat.

(Clemens Reif (CDU): Haben Sie eine neue Frisur? – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Beispiel Dietzenbach: Es gibt hoch belastete Schulen und gering belastete Schulen, auch in Dietzenbach. Dadurch dass alle von dem Index profitieren, bekommen diejenigen, die großen Nachholbedarf haben, nicht so viel Unterstützung, wie eigentlich möglich wäre.

Zudem haben Sie unseres Erachtens die Zuwendungen unzulässig mit DaZ-Stunden, Seiteneinsteigerklassen und bilingualem Unterricht verrechnet. Man erzählte mir, dass manche Schulen, nachdem sie protestiert hatten, plötzlich keinen Abzug mehr bekamen – ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Klar jedenfalls ist, dass wir etwas anderes als Sie unter Bildungsgerechtigkeit verstehen. Mehrfach belastete Schulen sollten nicht bestraft werden, schon gar nicht dann, wenn sie konzeptionell etwas Besonderes anbieten. Ich bin der

Meinung, dass Sie ohne große Mühe wenigstens dort, wo genaue Zahlen der einzelnen Schulen vorlagen – dazu zählen auch Schulen in Dietzenbach –, auch differenziert hätten handeln können. Aber: Chance vertan.