Herr Kollege Irmer, Sie können jetzt sagen, der Antrag der Oppositionsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geht nicht weit genug. Okay, einverstanden. Dann ändern wir es noch gemeinsam. Wir haben gesagt: Lasst uns im
nächsten Haushaltsjahr anfangen. – Wenn Sie jetzt sagen: „Wir bekommen die Finanzierung auch noch für die Schulen hin, bei denen die Schulinspektion schon war“, dann herzlich gerne.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU):Wenn Sie auf Bundesebene entsprechende Steuern eingeführt hätten, hätten wir das Geld!)
Ich sehe, Sie nehmen unseren Ansatz auf, und Sie nehmen ihn ernst. Der nächste große Schritt, Herr Kollege Irmer, vom Wahrnehmen zum Gut-Finden ist die Zustimmung. Dazu möchte ich Sie noch einmal ganz herzlich einladen.
Meine Damen und Herren, ich habe versucht, deutlich zu machen, dass es in dem Einzelplan 04 Ansätze gibt, die in die richtige Richtung gehen. Ich sage aber auch ausdrücklich: Diese Ansätze greifen zu kurz, um ein zukunftsfähiges Schulsystem in Hessen auf den Weg zu bringen. Wir haben konkrete Veränderungen vorgeschlagen, Umschichtungen in einem Volumen von 70 Millionen c. Herr Kollege Irmer hat an einigen Punkten Sympathie geäußert. Ich lade Sie noch einmal ein: Die Opposition sagt: „Es ist nicht alles schlecht, was die Regierung macht“. Vielleicht können die Regierungsfraktionen auch einmal sagen: „Es ist nicht alles schlecht, was die Opposition beantragt hat.“ – Meine Damen und Herren, herzlichen Dank.
Das kommentiere ich jetzt nicht weiter. – Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin Henzler, Herr van Ooyen hat Ihre Regierungspolitik schon generell kritisiert und unsere Vorschläge zu einer geänderten Steuerpolitik dargestellt. Ich werde es für den Bildungsbereich ergänzen und vor allem unsere konkreten Alternativvorschläge benennen.
Sie sparen, zumindest was die fiskalische Gesamtschau angeht, nicht noch weiter bei den Bildungsaufgaben. Das allein scheint heutzutage schon fast ein Lob wert zu sein. Sehr geehrte Frau Henzler, das reicht aber einfach nicht. Welche sind denn die aktuellen bildungspolitischen Herausforderungen? Einfache Antwort: Es sind die alten, denen Sie schon im letzten Jahr nicht entsprochen haben. – Stattdessen geben Sie wie damals denen, die sowieso schon am meisten haben, nämlich den Gymnasien, wie man anhand der Zuteilung von 650 neu zu schaffenden Lehrerstellen sieht. Einmal abgesehen davon, dass Sie damit weiter etwas zu reparieren versuchen, was auf den Müll der Geschichte gehört, nämlich das Turbo-Abitur,
wie es die Schülerinnen und Schüler fast liebevoll nennen, verstärkt es weiter die bekannte Schieflage, nämlich dass
die Kinder, die nach Ihrer Ansicht in der Zukunft die verantwortungsvollsten und natürlich auch die bestbezahlten Jobs einnehmen werden, auch die am besten unterfütterte Bildung bekommen sollen.
In die Kinder, die in ihrer Mehrzahl sogar ohne qualifizierten Schulabschluss die Schule verlassen werden, nämlich die Tausenden von Lernhilfeschülern, wird allerdings keine müde Mark, konkret: keine der neuen Lehrerstellen, investiert. Lernhilfeschulen können nicht vom Wegfall der Sternchenregelung profitieren, Lernhilfeschulen wie die Comeniusschule hier in Wiesbaden werden nicht saniert, sondern verrotten und stellen sogar eine Gesundheitsgefahr für die sie besuchenden Schülerinnen und Schüler dar. Lernhilfeschulen bleiben weiter abgehängt, und dafür sind Sie verantwortlich, Frau Ministerin Henzler.
Schon bei den letzten Haushaltsberatungen 2009 haben wir ein Umsteuern verlangt und gesagt: Die von uns eingegangenen Verpflichtungen zum Abbau von Benachteiligungen und für Inklusion werden Verbesserungen für alle Kinder nach sich ziehen.
Herr Irmer – er ist heute sehr gefragt – hatte damals einen im Protokoll dokumentierten, für seine Verhältnisse äußerst kompetenten Zwischenruf getätigt. Ich hatte davon gesprochen, dass Hessen als Erstes sein Bildungssystem einer Prüfung unterziehen muss, nämlich dahin gehend, inwieweit es den Anforderungen einer inklusiven,also gar nicht erst aussondernden Bildung entspricht.
Ihr Zwischenruf, Herr Irmer, war dann: „Haben Sie schon etwas von individueller Förderung gehört?“ Ich nehme einmal an, dass Sie das nicht wegen der Alliteration „inklusiv – individuell“ eingeworfen haben. Ich muss Ihnen klar sagen,Herr Irmer:Ebenso wenig,wie Integration und Inklusion das Gleiche sind, ist individuelle Förderung das Allheilmittel gegen Aussonderung.
Damit Sie es auch wirklich verstehen, Herr Irmer: Da, wo individuell draufsteht, ist noch lange nicht inklusiv drin. Nur da, wo auch inklusiv draufsteht, ist tatsächlich integrativ und individuell drin.Falls Sie individuelle Nachhilfe zum Verständnis brauchen,Herr Irmer, bin ich gerne dazu bereit, dies zu tun.
Damit kommen wir zurück zur Haushaltsdiskussion: Wo, Frau Ministerin Henzler, sind Sie denn Herrn Irmer gefolgt und haben Mittel für die individuelle Förderung angesetzt? Wo bleibt die individuelle Förderung von leseschwachen oder rechenschwachen Kindern, von Kindern, die sich nicht konzentrieren oder ausreichend sozial anpassen können,von Kindern aus finanziell schwachen und daher in der Regel sozial und kulturell benachteiligten Familien, von Kindern mit anderem kulturellen Hintergrund, mit anderen Muttersprachen, von Kindern alleinerziehender Elternteile, die ganztags arbeiten gehen müssen, von Kindern, die in der Familie kein ausreichend anregungsreiches Lernmilieu haben oder keine qualitativ ausreichende Lernunterstützung bekommen oder schlicht zeitlich nicht ausreichend betreut und unterstützt werden können, um ihre Potenziale entfalten zu können? Diese Kinder brauchen ein ganztägiges Angebot, und sie brauchen zusätzlich individuelle Förderung.
Wir haben immer Ihre Schwerpunktsetzungen in der Bildungspolitik kritisiert. Sie haben unseren Anträgen nie entsprochen, auch denen im letzten Jahr nicht. Da unsere Schwerpunktsetzung weiterhin ein grundlegender Kurswechsel in der Bildungspolitik hin zu mehr Inklusion, zu mehr Gerechtigkeit und Qualität ist, haben wir die Anträge von 2009 inhaltlich aktualisiert und erneut eingereicht.
Wir fordern also weiterhin den deutlichen Ausbau der Schulsozialarbeit und des Schulpsychologischen Dienstes, zusammen 500 Stellen, bzw. mindestens eine Beteiligung des Landes an den Kosten.
Wir fordern eine Realisierung wirklicher Lernmittelfreiheit. Ein Tipp, Herr Rentsch: Arbeiten Sie bitte den Fragenkatalog in unserer Großen Anfrage ab, da haben Sie einen guten Leitfaden für all das, was neben den Schulbüchern noch fehlt.
(Beifall bei der LINKEN – Florian Rentsch (FDP): Was? – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE): Das kommt davon, wenn man nicht zuhört! – Gegenruf des Abg. Florian Rentsch (FDP): Sie können einmal akzeptieren, dass ich nichts hören will! Es gibt ein Recht auf Nicht-Zuhören!)
Ich kann Ihnen das später schriftlich geben, Herr Rentsch. – Wir fordern als ersten Schritt zu wirklich flächendeckend kleineren Klassen im Land, die Sternchenregelung für alle Klassen abzuschaffen, auch für die der Lernhilfeschulen, statt nur für bestimmte Eingangsklassen. Das bedeutet 1.000 weitere Stellen.
Wir fordern die Einrichtung eines Programms „Deutsch als Zweitsprache“ mit 500 Stellen. Dies abzulehnen hätte meines Erachtens ein besonderes Geschmäckle angesichts der Versprechungen, die Herr Hahn in der Türkei gegeben hat.
Hierzu sind 3.000 Stellen abzüglich der von den Regierungsfraktionen bereits veranschlagten neuen Stellen notwendig.
Wir fordern weiterhin, abseits des Einzelplans 04, für die Kindertagesstätten je zwei qualifizierte Erzieherinnen und Erzieher auf eine Gruppe von 20 Kindern. Dies bedeutet rund 7.000 zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher und ist angesichts der gestiegenen Anforderungen durch den Bildungs- und Erziehungsplan unbedingt erforderlich.Erkundigen Sie sich bitte,wie die Diskussion auf dem Grundschultag in diesem Monat geführt wurde, wo dies ebenfalls ein großes Thema war. Frau Henzler, ich weiß nicht, ob Sie auch dabei waren.
Nur einen Antrag haben wir neu aufgenommen, und das wird Herrn Irmer freuen: Wir fordern einen deutlichen Ausbau des Projekts „JeKI – Jedem Kind ein Instrument“ sowie die Abschaffung aller sozial selektierenden Eigenbeteiligungen – das ist allerdings ein Unterschied zu Ihrem Antrag.
Wir fordern also genau das, was auch der Fachbeirat JeKI in seiner Sitzung am 11.12.2008 einstimmig als Empfehlung formuliert hat. Dies bedeutet für 2010 einen Mehraufwand von 800.000 c.
Aber auch für kostenloses Schulobst setzen wir uns ein und werden uns in der Abstimmung zum SPD-Antrag entsprechend verhalten.
Ich fasse zusammen,worum es uns geht und worauf genau unsere Kritik abzielt: Sehr wohl scheint die aktuelle Regierung mehr Geld in Bildung investieren zu wollen.Es ist nur zum einen nicht einmal genug, um die Versprechen des eigenen Koalitionsvertrages zu erfüllen – darauf sind meine Vorredner schon eingegangen –, geschweige denn, das wirklich Notwendige zu tun. Zum anderen werden die geplanten Mehrinvestitionen vor allem dazu verwandt werden, die soziale Spaltung im Bildungssystem zu vertiefen.
Statt sich beispielsweise – das ist nur ein kleiner Punkt – an einem EU-Programm zu beteiligen, um allen Schülerinnen und Schülern kostenloses Obst zur Verfügung zu stellen, oder zumindest selbst und ohne die EU eine solche Initiative zu ergreifen, behauptet die Regierung schlicht, es sei kein Geld da. Gleichzeitig wirft sie jedoch unter anderem Institutionen wie der European Business School, der EBS, Millionenbeträge hinterher, Steuergelder,mit denen sich die Kinder vermögender Leute nun ihren Studienabschluss vergolden lassen können.
und meint und fordert damit eine grundlegende Veränderung der Struktur des Bildungssystems. Wir wollen es nicht nur besser ausstatten, sondern in seiner Struktur verändern, um es sozial durchlässig zu machen.Vor allem wollen wir die Bildungseinrichtungen umfassend demokratisieren.
Mein letzter Satz:Wir wollen keine weitere Zementierung von Ungerechtigkeit und Bildungsbenachteiligung und werden daher Ihrem Haushalt, auch Ihrem Bildungshaushalt, nicht zustimmen können. – Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin Cárdenas. – Jetzt hat Frau Kultusministerin Henzler das Wort für die Landesregierung. Bitte schön.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bereits mit der Verabschiedung des Haushalts 2009, dem ersten Haushalt dieser Legislaturperiode, hat die Hessische Landesregierung im Kultusbereich die Weichen für einen klaren, verlässlichen Kurs in der Schulpolitik gestellt. Mehr Ressourcen für mehr Personal, für kleinere Klassen, für mehr Ganztagsangebote und für neue Lernmittel haben den Schulen eine solide Ausgangsbasis für die Qualitätsentwicklung ihrer Arbeit und für einen schrittweisen Ausbau der Selbstständigkeit gesichert. Frau Habermann, demzufolge sind wir unseren Zielen deutlich näher gekommen.