Protokoll der Sitzung vom 19.05.2010

Einen schönen guten Morgen Ihnen allen. Ich begrüße herzlich die Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne. Ich darf Sie am heutigen Mittwoch, dem 19. Mai 2010, zur 45. Plenarsitzung begrüßen. Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Zur Tagesordnung. Die Punkte 1 und 2 haben wir gestern abgehandelt.

Es wurde interfraktionell vereinbart, Tagesordnungspunkt 74, zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Hessisches Ausführungsgesetz zum Zensusgesetz 2011, von der Tagesordnung abzusetzen.

Dann sind weitere Anträge eingegangen: ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend neuer hessischer Hochschulpakt sorgt für Planungssicherheit und Zukunftsfähigkeit – Solidarpakt in wirtschaftlich schwieriger Zeit, Drucks. 18/2427. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Dann wird dieser Dringliche Entschließungsantrag Tagesordnungspunkt 83 und könnte mit Tagesordnungspunkt 36 zu diesem Thema aufgerufen werden. – So beschlossen.

Weiterhin eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Landesregierung erpresst Hochschulpräsidenten und kürzt unverantwortlich an der Lehre, Drucks. 18/2430. Ich gehe davon aus, dass auch hier die Dringlichkeit bejaht wird. – Dies ist so. Dann wird dieser Dringliche Entschließungsantrag Tagesordnungspunkt 84 und könnte ebenfalls mit Tagesordnungspunkt 36 zum gleichen Thema aufgerufen werden. – Dann machen wir das so.

Zum Ablauf der Sitzung. Es ist vereinbart, dass wir – bei einer Mittagspause von zwei Stunden – heute bis 18 Uhr tagen. Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 36: Antrag der Fraktion der SPD betreffend Chancen nutzen, Potenziale erschließen, Hochschulen ausbauen. Dazu werden, wie eben beschlossen,die Tagesordnungspunkte 83 und 84 aufgerufen. Danach folgt Tagesordnungspunkt 41: Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Hessen stärkt Investitionen in erneuerbare Energien. Nach der Mittagspause beginnen wir mit Tagesordnungspunkt 44.

Ich darf mitteilen, dass aus dem Kabinett heute entschuldigt fehlen: Herr Staatsminister Boddenberg, Herr Staatsminister Posch und Herr Staatsminister Hahn ab ca. 15 Uhr, Herr Ministerpräsident Koch ab ca. 15:30 Uhr.

Ich weise darauf hin, dass in der Mittagspause, also gegen 13 Uhr, in der Ausstellungshalle des Plenargebäudes die Ausstellungen „Neue Väter“ und „Blickpunkt Familie“ eröffnet werden.Ich würde mich freuen,wenn Ihnen dazu eine rege Teilnahme möglich wäre.

Noch ein Hinweis. Unsere Fußballmannschaft des Hessischen Landtags spielt heute Abend gegen die Stadt Frankfurt, d. h. gegen eine Auswahl der Stadtverwaltung, im FSV-Stadion.Wir wünschen allen viel Spaß und ein gutes Spiel, und dass alle gesund wieder von dieser Expedition zurückkehren.

(Zuruf von der Regierungsbank: Dass keiner den Ballack spielt!)

Dass keiner den Ballack spielt, okay.

Ich weise darauf hin, dass im Anschluss an die Plenarsitzung heute Abend,ca.18 Uhr,der Innenausschuss in 510 W zusammenkommt.

Ich komme zu einer Gratulation. Ich freue mich, dem verehrten Herrn Kollegen Klein (Freigericht) zum Geburtstag gratulieren zu dürfen. Herr Klein, herzlichen Glückwunsch des ganzen Hauses. Ich wünsche Ihnen ein gutes Jahr.

(Allgemeiner Beifall)

Letzter Hinweis, was die Formalien angeht: Ich freue mich, auf der Zuschauertribüne Herrn Jürgen Werth,Vorstandsvorsitzender des ERF, Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz und ein großartiger Liedermacher. Herzlich willkommen, Herr Werth.

(Allgemeiner Beifall)

Wir steigen in die Tagesordnung ein. Ich rufe Tagesordnungspunkt 36 auf:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend Chancen nutzen, Potenziale erschließen, Hochschulen ausbauen – Drucks. 18/2382 –

aufgerufen mit Tagesordnungspunkt 83:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend neuer hessischer Hochschulpakt sorgt für Planungssicherheit und Zukunftsfähigkeit – Solidarpakt in wirtschaftlich schwieriger Zeit – Drucks. 18/2427 –

und Tagesordnungspunkt 84:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Landesregierung erpresst Hochschulpräsidenten und kürzt unverantwortlich an der Lehre – Drucks. 18/2430 –

Wir beginnen mit dem Redebeitrag von Herrn Kollegen Grumbach für die SPD-Fraktion.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Sehr guter Mann!)

Herr Grumbach, Sie haben zehn Minuten Redezeit, Sie kennen das.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir debattieren heute in einer Kombination von langfristiger Debatte und aktuellem Anlass die hessische Hochschulpolitik. Wenn ich die Debatte und die Anlage der Debatte aus den Presseerklärungen der Landesregierung kommentieren darf, dann würde ich sagen: Es handelt sich hierbei um organisierte Verantwortungslosigkeit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ich finde es schon faszinierend:Wir haben einen der wichtigsten Bestandteile hessischer Landespolitik; es wird über abstrakte Finanzkonzepte geredet, doch in den Presseerklärungen gibt es keine Frage dazu, wie eigentlich die Situation an den hessischen Hochschulen aussieht. Damit setzt sich diese Landesregierung nicht auseinander.

(Beifall bei der SPD)

Ich will an der Stelle einmal an die Debatten von gestern anknüpfen, weil wir hier nicht darüber reden, dass einfach

nur Hochschulpolitik betrieben wird, sondern darüber, dass Wirtschaftspolitik betrieben wird.

(Zuruf des Abg. Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU))

Die OECD hat in mehreren Studien relativ präzise herausgearbeitet,dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Bildungsanstrengung und Wirtschaftswachstum gibt. Sie hat herausgearbeitet, dass für die einzelnen Betroffenen bessere Bildung gleichzeitig zu besser bezahlten Arbeitsplätzen führt. Es gibt weitere Studien, die sehr präzise beschreiben, dass Regionen mit einem hohen Angebot an Arbeitskräften, die gut ausgebildet sind, im Standortwettbewerb größere Vorteile haben als Regionen, die mit niedrigen Gewerbesteuern oder ähnlichen Ansiedlungsprojekten arbeiten. Das heißt: Wer hier Bildungspolitik so betreibt wie die Landesregierung, der schadet nicht nur den Menschen, sondern dem Wirtschaftsstandort Hessen.Allein das ist schon Grund genug, sich darüber zu beschweren.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe heute, anders als Sie es erwarten, die Reihenfolge umgekehrt, denn natürlich gibt es auch eine zweite Seite:Was heißt das für die Menschen? – Wir wissen, dass bessere Bildung für das eigene Leben, die Berufsqualifikation, den Berufserfolg und die Demokratie besser ist. Auch darum kümmert sich die Landesregierung gar nicht, sondern sie verfällt in ganz abstrakte Verantwortungslosigkeit. Das ist ein Anschlag auf die Wirtschaft und auf die Zukunft von Menschen, und, ich denke, die Hochschulpolitik in Hessen muss sich ändern.

(Beifall bei der SPD)

Dann lassen Sie uns einmal schauen, wie die Situation an den Hochschulen ist. Hochschulen in Deutschland und auch in Hessen sind bereits heute massiv unterfinanziert. Da geht es eben nicht um irgendwelche abstrakten Zahlen, wo man sich darüber streiten kann, ob es da 1.000 c mehr oder weniger sein müssen, sondern es geht schlicht um Lernbedingungen. An den hessischen Hochschulen gibt es Seminare mit 100 bis 150 Teilnehmern, Einführungsveranstaltungen mit über 500 Teilnehmern, und es sind auch nicht weniger geworden.Das heißt:Wir arbeiten hier – das haben wir in diesem Landtag in früheren Jahren offen benannt – mit einer dauernden Überlast, wo die Beschäftigten an den Hochschulen mehr tun, als sie müssen, damit die Studierenden überhaupt halbwegs vernünftig ausgebildet werden können.

Über diese Überlast wird aber nicht mehr geredet, sondern es wird abstrakt darüber gesprochen, dass irgendwelche Finanzgeschichten einzuhalten seien. Ich denke, gegenüber den Menschen, die dort studieren oder arbeiten, ist diese Politik unverantwortlich.

(Beifall bei der SPD)

Diese Situation wurde politisch hervorgerufen. Es ist ja nicht so, dass sich die Hochschulen das haben heraussuchen können. Ich nenne einmal nur zwei der Faktoren. Der erste Faktor, Bachelor- und Masterstudiengänge, im Rahmen des Bologna-Prozesses eingeführt, sind personalintensiver. Das haben alle gewusst, die diese Einführung gewollt haben. Die Personalintensität ist in der Einführungsphase, bei der Umstellung ein Stück weit berücksichtigt worden, aber eben nicht für den Dauerbetrieb. Der zweite Faktor: Die doppelten Jahrgänge erfordern mehr Personal. Wem muss ich das erzählen? Die Landes

regierung hat das in einer Antwort auf einen Berichtsantrag ja selbst deutlich gemacht.

Das heißt, die Hochschulen brauchen mehr, nicht weniger Geld. Wir schlagen dafür eine andere Strategie vor. Wir hatten in Hessen immer wieder, auch unter sozialdemokratischen Regierungen, die Strategie der „Untertunnelung“. Man hat gesagt: Na ja, die geburtenstarke Jahrgänge – bzw. deren Kinder oder Enkel – kommen jetzt an die Hochschulen; danach sinkt die Studierendenzahl wieder. Sorgen wir also dafür, dass wir da irgendwie durchkommen. Die Leute müssen fünf oder sechs Jahre lang Überlast machen, danach wird es wieder normal.

Diese Überlaststrategie hat niemals funktioniert, weil die Menschen besser als die Politik wussten, dass eine gute, auch universitäre Ausbildung für sie lebensentscheidend und für die Wirtschaft entscheidend ist. Das heißt, die Studierendenzahlen sind stärker gestiegen, als mit den Jahrgangsbreiten zu erklären wäre, weil die Leute genau wissen, dass sie mehr Bildung, eine bessere Ausbildung brauchen. Die Politik ist da nicht nachgekommen.

Unser Vorschlag lautet anders. Lassen Sie uns die doppelten Jahrgänge nutzen, durch eine angemessene Hochschulfinanzierung dafür zu sorgen, dass der Anstieg der Zahl der Studierenden infolge der doppelten Jahrgänge zu keinen Verschlechterungen an den Hochschulen führt. Das ist realistisch gedacht.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage noch keinen Ton über notwendige Verbesserungen. Ich sage nur: Lassen Sie uns die doppelten Jahrgänge nutzen, dass es nicht schlechter wird, und lassen Sie uns dann, wenn die doppelten Jahrgänge die Hochschulen durchlaufen haben, das dann frei werdende Potenzial nutzen, die Studienbedingungen zu verbessern. Das ist realistisch, auch bei knappen Zahlen. Wer unter den heutigen Bedingungen den Universitäten Geld wegnimmt, der betreibt keine realistische Politik, sondern eine Wachstumsbegrenzung für die Hochschulen. Das ist genau das Gegenteil einer verantwortungsvollen Politik.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Gleiches Geld bedeutet im Prinzip Wachstumsbegrenzung. Die Hessische Landesregierung hat in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass der Anteil der Ausgaben dieses Ressorts um ungefähr 1,4 Milliarden c gestiegen ist. Das bestreitet überhaupt niemand. Sie haben aber das Problem, dass das im Vergleich der Bundesländer zu keinen messbaren Unterschieden geführt hat, weil alle Bundesländer den gleichen Weg gegangen sind. Im Jahr 1998 lag das Land Hessen bei den Hochschulausgaben pro Studierenden auf Platz 12, im Jahr 2009 auf Platz 11. Es teilt sich diesen Platz mit so „finanzkräftigen“ Ländern wie Berlin,dem Saarland und Sachsen-Anhalt – womit ich nichts gegen Sachsen-Anhalt gesagt haben will, sondern deutlich machen will, dass ein Land wie Hessen eigentlich in der Lage sein müsste, an der Stelle mehr und Besseres zu tun. Das haben wir, von der Wirtschaftskraft her gesehen, gegenüber Sachsen-Anhalt doch noch drin.

Ich glaube,dass ein Bundesländer-Vergleich,der so tut,als sei für Hessen nur ein Durchschnittsplatz zu erreichen, völlig danebengeht. Nein, ein Land wie Hessen, das davon lebt, dass hoch qualifizierte Leute im Ballungsraum Rhein-Main und im Raum um Kassel dafür sorgen, dass die Wirtschaft wächst – selbst in Zeiten, in denen die Wirtschaft anderer Länder nicht wächst –, braucht eine andere

Hochschulpolitik, und deshalb brauchen die Hochschulen mehr Geld.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)