Protokoll der Sitzung vom 08.09.2010

Meine Damen und Herren, Sie argumentieren immer mit der Versorgungssicherheit. Die Sorgen über die Versorgungssicherheit werden ausschließlich zu dem Zweck geschürt,

(Allgemeine Unruhe – Glockenzeichen des Präsi- denten)

Unterstützung für den bestehenden Kraftwerkspark einzuwerben. Den Menschen werden von interessierter Seite Probleme eingeredet, die es real überhaupt nicht gibt.

Die Hälfte der 17 deutschen Atomkraftwerke produziert nur für den Export. Die Stromexporte aus Deutschland steigen kontinuierlich. Meine Damen und Herren, wenn Sie die Versorgung sicherstellen wollen, dann sorgen Sie doch dafür, dass es kontrollierbare Strompreise gibt und dass Menschen im Winter in ihren Wohnungen nicht frieren müssen, weil sie ihre Rechnungen nicht bezahlen können. Das wäre einmal ein Beitrag zur Versorgungssicherheit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN – Peter Stephan (CDU): Sozialistische Sichtweise!)

Fakt ist auch, es gibt kein Endlager für radioaktiven Müll. Für das Problem haben weder die Atomlobby noch Sie als ihr parlamentarischer Arm eine Lösung gefunden. Durch die Laufzeitverlängerung werden die Tonnen des radioaktiven Mülls verdreifacht. Wer angesichts der Räumung des sogenannten Endlagers Asse, das den Steuerzahler Milliarden Euro kosten wird, noch von teurer Solarenergie spricht, dem sind alle Maßstäbe verrückt.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man das Geld, das man in Jahrzehnten in die Atomindustrie gepulvert hat, in den Ausbau erneuerbarer Energien gesteckt hätte, wäre die Atomkraft schon längst Geschichte.

(Beifall der Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die erneuerbaren Energien haben sich in den vergangenen Jahren erfolgreich entwickelt, und das mit einer staatlichen Förderung, die weit hinter den unzähligen Milliarden zurückbleibt, mit denen die Atomkraft gefördert wurde. Den erneuerbaren Energien gehört die Zukunft. Das sagen mittlerweile auch Vertreter der CDU. Nur, wann Zukunft anfängt und wie lange wir noch in der Vergangenheit stecken bleiben sollen, das wollen Sie uns leider nicht sagen.

Ich sage Ihnen:Die Atomkraft ist keine Brücke zu den Erneuerbaren, sondern sie bildet im Gegenteil einen tiefen Graben. Dieser Graben wird vertieft, wenn die atomfreie

und erneuerbare Zukunft auf den Sankt-NimmerleinsTag verschoben wird – mindestens auf das Jahr 2037.Aber wer weiß, was den Atomkonzernen und ihren Abgeordneten bis dahin noch alles einfallen wird, damit sie auch über dieses Jahr hinaus Atomstrom produzieren können – zumal man sehen muss, dass das Papier ausdrücklich nicht von Jahreszahlen spricht, sondern von Strommengen.

Wir erinnern uns, dass Biblis A eigentlich Ende letzten Jahres hätte vom Netz gehen sollen. Es ist nur deshalb noch am Netz, weil RWE Reststrommengen gespart und Biblis A vom Netz genommen hat, in der Hoffnung, dass Schwarz-Gelb an die Regierung kommt

(Peter Stephan (CDU): Die Hoffnung ist auch Gott sei Dank eingetreten!)

und sich für die großzügigen Parteispenden revanchiert, die Sie Jahr für Jahr von RWE und E.ON erhalten.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

So können aus den veranschlagten acht Jahren für die alten Schrottmeiler auch zehn Jahre werden.Die Regierung tut so, als würde sie Erneuerbare parallel dazu ausbauen. Dabei müssen Windkraftanlagen heruntergefahren werden, weil der Atomstrom die Netze blockiert.

(Judith Lannert (CDU): Sie haben ja wirklich keine Ahnung!)

Zudem will die Bundesregierung die Einspeisevergütung für Solarstrom senken. Ich sage Ihnen, die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken bremst Investitionen in Windparks und Solaranlagen. Insbesondere für die Stadtwerke ist das ein Problem.

Frau Lannert, Ihre Parteikollegin Petra Roth, Präsidentin des Städtetages, hat das kritisiert. Sie kritisiert, dass das ein Problem für die kommunalen Stadtwerke ist. Der Chef des Darmstädter Energieversorgers HSE sieht den Schaden für die kommunalen Versorger bei 4,5 Milliarden c. Frau Kollegin Hammann hat es schon erwähnt. Ähnliche Warnungen gibt es auch von anderen Stadtwerken. Sie machen eine Politik auf Kosten der kommunalen Stadtwerke.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der Deal der Bundesregierung tangiert die Länder, die nun einen erheblichen Risikoaufschlag für den Fall eines atomaren Unfalls zurückstellen müssen und mit der Atomaufsicht viele Jahre länger beschäftigt sind. Er tangiert auch die Menschen im Land, deren Wohl und Unversehrtheit zu schützen sind.

Deswegen sollten die Länder ein deutliches Signal nach Berlin und in die Konzernzentralen senden: dass sie sich an dem unwürdigen Deal der Bundesregierung nicht beteiligen und sich dem Widerstand dagegen anschließen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Thorsten Schä- fer-Gümbel (SPD) – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Meine Damen und Herren, wenn wir von Biblis sprechen, dann sprechen wir von dem ältesten und unsichersten Reaktor Deutschlands. Er kann nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert werden und birgt ein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko.

(Rafael Reißer (CDU): Waren Sie schon einmal dort? – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Gegebene Zusagen werden zurückgenommen. Biblis verstößt gegen geltendes Recht; denn es darf ohne externe Notstandswarte nur laufen, weil es bald vom Netz gehen sollte. Biblis wird für die Versorgungssicherheit nicht benötigt. Deswegen muss dieser Schrottreaktor endlich vom Netz gehen – weil der Mensch und nicht der Gewinn im Mittelpunkt von Politik stehen muss.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Ministerin, Ihre Vorgängerin hatte eineinhalb Jahre Zeit, ein Konzept für eine Energiewende vorzulegen. Bisher hat das hessische Umweltministerium in erster Linie als Außenstelle für RWE und E.ON agiert. Deshalb ist Hessen auch Schlusslicht beim Anteil der erneuerbaren Energien.

Frau Ministerin, wir sind sehr gespannt, ob Sie neue Wege gehen werden und was Sie tun werden, um den dringend notwendigen Umstieg auf die erneuerbaren Energien endlich einzuleiten.

Sie haben das Ziel ausgegeben: 20 % erneuerbare Energien bis zum Jahr 2020. Das ist wenig ambitioniert, zumal Sie den kompletten Bereich des Verkehrs einfach ausklammern.

(Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Aber Sie tun nichts, um auch dieses bescheidene Ziel überhaupt zu erreichen. Meine Damen und Herren, wenn Sie immer von Generationengerechtigkeit sprechen,dann ist der Klimaschutz wohl die allererste Verpflichtung.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Hans-Jürgen Irmer und Peter Stephan (CDU))

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Noch ist über die Laufzeitverlängerung nicht das letzte Wort gesprochen. Ich bin sicher, die Anti-AKW-Bewegung wird dem Druck von oben Druck von unten entgegensetzen: bei der Großdemonstration am 28. September in Berlin,

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

bei den Castortransporten. In der Bevölkerung gibt es eine deutliche Mehrheit gegen Atomkraft, gegen die Laufzeitverlängerung. Die Ablehnung der Atomkraft geht weit über den Kreis der unmittelbar Betroffenen hinaus.

Frau Kollegin!

Herr Präsident, vielen Dank. Ich komme zum Schluss.

Es wird aber nur dann möglich sein, die Atomkonzerne in die Knie zu zwingen, wenn wir ihnen auf der Straße und auch vor ihren Werken entgegentreten. Die Frage ist, von welcher Seite der Druck stärker ist,damit es endlich heißt: Atomkraft, nein danke – für eine erneuerbare Zukunft.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schönen Dank, Frau Wissler. – Für die Landesregierung, Frau Staatsministerin Puttrich, bitte schön.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Heute wird eine Reihe von Anträgen diskutiert, die in der Tat nichts Neues beinhalten.

Besonders interessant fand ich die Aufforderung der GRÜNEN, die Richtung zu wechseln. Es ist zwar ganz nett, das so zu formulieren, aber Ihnen ist vollkommen klar – insofern ist das eine rhetorische Frage, von der Sie wussten, dass ich sie nicht mit Ja beantworten werde –,

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schade!)

dass ich selbstverständlich auf dem Boden des Koalitionsvertrags stehe. Als neue Umweltministerin werde ich das tun, was diese Koalition vereinbart hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es geht um zwei Dinge. Das Erste ist der Ausbau der erneuerbaren Energien. Das Zweite ist, für die verantwortbare Verlängerung der Laufzeiten zu stehen.

Lassen Sie mich an der Stelle anfangen, an der wir vielleicht am ehesten einen Konsens haben, damit die Gemüter in der Diskussion so langsam wieder ein bisschen herunterkommen.

(Günter Rudolph (SPD): Wir haben doch noch gar nicht angefangen!)

Kommen wir zum Thema der erneuerbaren Energien. Die Hessische Landesregierung setzt sowohl auf den Ausbau der erneuerbaren Energien wie auch genauso auf eine Reduzierung des Energieverbrauchs. Dabei sind wir uns in einem einig:Energie,die nicht verbraucht werden muss, muss nicht produziert werden. Insofern legen wir darauf natürlich ein besonderes Gewicht.