Protokoll der Sitzung vom 16.12.2010

Diese drei Sachen müssen wir gleichwertig behandeln. Man darf sie nicht gegeneinander ausspielen. Wenn wir uns einig sind, dass die Übernahme der Schülerbeförderungskosten eine gute Sachleistung ist, dann ändert das überhaupt nichts daran, dass der Hartz-IV-Regelsatz das Existenzminimum in unserem Land sichern muss. Es gibt erhebliche Fragen, ob das derzeit mit der Erhöhung um 5 € erreicht ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Darum geht es im Verfahren. Man kann daraus parteipolitischen Streit machen und den Ländern, die Länder interessen wahrnehmen, irgendetwas vorwerfen. Wir sollten es an diesem Punkt in dieser Debatte nicht tun, sondern uns freuen, dass es beim Thema Schülerbeförderungskosten eine gute Idee aus dem Parlament gab. Ich freue mich besonders, dass die Idee aus dem Parlament von meiner Fraktion kam.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ich freue mich auch sehr, dass Herr Minister Grüttner das auf Bundesebene erfolgreich verhandelt hat. Ich hoffe, er wird jetzt ähnlich parteiübergreifend reden. Das stünde ihm als Minister ohnehin gut zu Gesicht. In diesem Sinne: Glück auf, Herr Grüttner.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Danke, Herr Wagner. – Ich darf Frau Wissler das Wort für die Fraktion DIE LINKE erteilen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die CDU will mit dieser Aktuellen Stunde das sogenannte Bildungsund Teilhabepaket der Bundesregierung für Kinder im Hartz-IV-Bezug bejubeln – und natürlich ihren eigenen Beitrag dazu. Herr Minister Grüttner hat in einer Eigenlob-Presseerklärung mitgeteilt, das Bildungspaket sei jetzt eine runde Sache, und die Landesregierung unterstütze sie.

Aber bei näherem Hinsehen schrumpft das Bildungspaket nicht nur auf ein Päckchen zusammen. Leider stellt die Bundesregierung damit auch grundlegend die falschen Weichen. Statt in die soziale Infrastruktur zu investieren und allen Kindern und Jugendlichen die bestmögliche Unterstützung zu gewähren, baut sie eine neue, stigmatisierende Bürokratie auf, und das in den Jobcentern,

die hierfür weder die Kapazitäten noch die Kompetenz haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Weder die Strukturen noch die Arbeitsweisen, noch das Personal der Jobcenter sind geeignet, um Aufgaben aus dem Bildungssystem und der Jugendhilfe zu übernehmen. Und es ist mit erheblichen Verwaltungskosten verbunden, die nach offizieller Berechnung bereits knapp ein Viertel der Leistungsausgaben betragen werden. Die Bundesagentur für Arbeit hat schon angekündigt, dass das nicht ausreichen wird.

Meine Damen und Herren, mit dem Bildungspaket werden Gutscheine für private Nachhilfe als Regelinstrument eingeführt. Damit wird Nachhilfeanbietern mit öffentlichen Mitteln das übertragen, was viele Schulen aufgrund von Unterfinanzierung nicht mehr leisten können. Das halten wir bildungspolitisch für völlig falsch.

(Beifall bei der LINKEN)

Zudem bedeuten Gutscheinsysteme, Chipkarten oder individuelle Kostenübernahmeerklärungen für betroffene Kinder, dass sie sich bei jeder Gelegenheit als Hilfsbedürftige outen müssen – sei es beim Schulmittagessen, sei es im Sportverein, sei es an der Schwimmbadkasse. Viele Bildungs- und Freizeitbedürfnisse von Kindern, wie etwa das Erlernen eines Musikinstruments, sind auch mit der neuen Teilhabeleistung von 10 € im Monat nicht zu finanzieren.

Die Leistungen für Kinder und Jugendliche, die von Hartz IV leben müssen, sind weder wirklichkeits- noch bedarfsgerecht. Die Kinderregelsätze sind einfach viel zu niedrig angesetzt. Meine Damen und Herren, es ist ein Skandal, dass diese Regelsätze im Zuge der Hartz-IV-Reform nicht erhöht wurden.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb sind wir der Meinung, dass dieser Gesetzentwurf morgen nicht die Zustimmung des Bundesrates finden darf und wird.

Herr Minister Grüttner, und jetzt zu Ihrer Großtat. Ja, die Schülerbeförderungskosten sollen in das Bildungspaket aufgenommen werden. Sich dafür zu loben zeigt, wie weit Ihre Politik von vernünftiger Bildungspolitik üblicherweise entfernt ist; denn die Übernahme von Schulfahrtkosten müsste für die gesamte Schulzeit für alle gelten. Wir sprechen hier von dem kostenlosen Zugang zu Bildung, von der Teilhabe an Bildung. Deshalb wäre es sinnvoll, allen Schülerinnen und Schülern bis zum Abschluss der Oberstufe den kostenfreien Zugang zur Bildungsinstitution Schule zu ermöglichen.

Nicht nur Kinder, für die Hartz-IV-Leistungen bezogen werden, haben das Problem. Auch Eltern, die Geringverdiener sind, haben dieses Problem. Diese werden von Ihnen überhaupt nicht erwähnt. Mindestens sie müssten mit einbezogen werden. Auch bei durchschnittlichen Einkommen sind das ganz enorme Kosten, gerade wenn mehr als ein Kind betroffen ist. Viele Familien zahlen Hunderte von Euro nur für die Fahrtkosten.

Zum Ergebnis, das jetzt erzielt wurde. Gerade hat die Bundesagentur für Arbeit eine Information „Leistungen für Bildung und Teilhabe – Schülerbeförderung“ veröffentlicht. Was bei Ihnen so klingt, als würden jede Schülerin und jeder Schüler in der Oberstufe nun problemlos die Kosten für die Fahrkarte erstattet bekommen, sieht bei

näherem Hinsehen doch ein bisschen anders aus. In der Information der Bundesagentur heißt es:

Die Aufwendungen für die Schülerbeförderung sind nur zu berücksichtigen, soweit... es der leistungsberechtigten Person nicht zugemutet werden kann, sie aus der Regelleistung zu bestreiten.

Wie das von 287 € Regelsatzleistung möglich sein soll, ist mir nicht klar. Das Geld reicht jetzt nicht einmal für den Grundbedarf aus. Und dann wird noch hinzugefügt: Wenn die Kosten für eine Schülermonatskarte anerkannt werden,

... ist der Preis für das Monatsticket um den im Regelbedarf enthaltenen Anteil für Verkehr zu vermindern, wenn dieses Ticket auch privat genutzt werden kann.

Meine Damen und Herren, dieser Eigenanteil soll bis zu 20 € betragen. Ihnen ist schon klar, dass keine Fahrtickets im öffentlichen Personennahverkehr existieren, die für eine Privatnutzung ausgeschlossen sind. Das könnte auch überhaupt nicht funktionieren. Sollen wir jetzt davon ausgehen, dass pauschal ein Teil der Fahrkostenübernahme einbehalten wird, weil die Schüler die Unverschämtheit besitzen könnten, ihr Ticket zu nutzen, um am sozialen Leben außerhalb des Schulbetriebes teilzuhaben und vielleicht einmal nicht nur zur Schule, sondern auch zur Stadtbücherei zu fahren?

Wie genau die Prüfung dieser Notwendigkeit aussehen soll, bleibt vollkommen unklar. Den Jobcentern wird freie Hand gegeben. Das führt zu Willkür. Das führt zu den nächsten Wellen an Widersprüchen. Das führt zu den nächsten Klagen.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Herr Minister, Sie kommen regelmäßig mit solchen Scheininnovationen. Ihr bildungspolitisches Versagen ist in dem Fall ein nett eingepacktes, aber inhaltsloses Weihnachtsgeschenk. Bei genauerem Hinsehen hinterlässt es nichts als enttäuschte Kinderaugen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Frau Wissler. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Rock.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Frau Wissler, Sie verabschieden sich immer mehr aus der politischen Debatte, falls Sie überhaupt einmal daran teilgenommen haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie ist nie angekommen!)

Nachdem Sie sich bei der Schuldenbremse, beim SGB II und anderen Themen völlig außerhalb der Wahrnehmung bewegen, die der Rest der Gesellschaft hat, kann man nur sagen: Auf Ihre Argumente und Reden kann man nicht mehr eingehen. Ich will das auch nicht mehr tun.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Wenn Sie sich als kleiner Rest der Gesellschaft bezeichnen, haben Sie Recht!)

Vielleicht trotzdem noch einmal: Ich habe gehört, man muss gönnen können. Man muss darauf hinweisen, wie die

gesamte Debatte um die Schülerbeförderung – ein wichtiges Thema – sich entwickelt hat. Wenn Herr Wagner sich jetzt hinstellt und sagt: „Wir sind alle Freunde und müssen den Erfolg feiern, und ganz nebenbei ist der Erfolg von uns GRÜNEN auf die Schiene gesetzt worden“, dann kann ich nur erwidern: Das kann nicht stimmen. Es ist ausgeschlossen, dass es stimmt, und es stimmt auch nicht.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zuruf des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Herr Wagner, die GRÜNEN sind nicht die großen Problemlöser gewesen. Die GRÜNEN haben dieses Problem in Hessen in ganz besonderer Weise befördert. Sie haben mit Ihrem Sozialdezernenten dafür gesorgt

(Florian Rentsch (FDP): Wie heißt der?)

er heißt McGovern –, dass dieses Thema in der Form vor Gericht verhandelt werden musste, weil das, was viele andere Landkreise machen, nämlich eine vernünftige Lösung zu finden, dort nicht möglich war.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Dieses Gericht hat Ihrem Sozialdezernenten erklärt, dass er hätte zahlen sollen. So war es nämlich. Bei der Feuerwehr nennt man es so: Da legt jemand ein Feuer, und hinterher löscht er es wieder und lässt sich anschließend dafür feiern. – An dieser Stelle muss man ganz klar noch einmal zurückblicken. Sie haben diese Debatte geführt, in der Sie erst einmal die Kultusministerin angegriffen haben. Sie haben damals gesagt, es handele sich um ein kulturpolitisches Thema. Nachher haben Sie einen Antrag eingereicht, bei dem klar wurde, es handelt sich um ein sozialpolitisches Thema. Vielleicht hat Herr Bocklet es Ihnen noch einmal erklärt. Als sozialpolitisches Thema ist es jetzt auch gelöst worden. Es ist gelöst worden im SGB II, im Bildungs- und Teilhabepaket.

(Beifall bei der FDP)

Wenn ich dann höre: „Na ja, was ist das denn schon, um wie viel Geld geht es denn da?“, kann ich nur sagen: Es geht darum, dass enorme Beträge für die Schülerbeförderung in den Regelsätzen festgelegt wurden. Im Einzelfall reichen sie nicht aus. Das liegt aber daran, dass wir bei den Hartz-IV-Sätzen pauschaliert haben. Von Ihnen kommen immer wieder die polemischen Äußerungen, mit diesem Geld könne man nicht auskommen. Es war Konsens, dass pauschaliert wird. Bei dieser speziellen Leistung ist es nicht möglich, dies durch einen pauschalierten Betrag hinzubekommen. Darum ist es ganz hervorragend, dass 40 Millionen € aus dem Bildungs- und Teilhabepaket diesen Leistungen zugutekommen. Das ist Geld, das wir brauchen. Hier geht es um einiges Geld.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Claudia Ravens- burg (CDU))

Wenn die SPD sich jetzt hinstellt und sagt: „Das Geld ist zu wenig, wir wollen das nicht, es muss noch nachverhandelt werden“, dann weiß man auch, dass es für die Menschen vor Ort Konsequenzen haben wird. Das sollte man an dieser Stelle auch einmal anführen.

Die Lösung, die Sie mit dem einen oder anderen Journalisten am Anfang präferiert haben, dass es im Schulgesetz hätte entsprechend gelöst werden müssen – wozu hätte das geführt? Die Träger der Schulbeförderung sind die Landkreise. Sie hätten die Kommunen an der Stelle mit Millionenbeträgen belastet, die heute vom Bund bezahlt werden. So viel dazu, dass Sie für die Kommunen immer

etwas Gutes tun wollen. Auch hier haben Sie nicht unbedingt Lob verdient.

(Beifall bei der FDP)

Frau Habermann, darum glaube ich, es wäre besser gewesen, es hätten zu diesem Thema mehr Sozialpolitiker gesprochen. Sie hätten beurteilen können, wie intensiv Herr Grüttner sich an den entsprechenden Stellen dafür eingesetzt hat, dass es zu dieser Lösung gekommen ist. Die Hessische Landesregierung hat sich in der Frage, wie man sich für eine vernünftige Umsetzung des SGB II, also für Hartz IV, einsetzt, nichts vorzuwerfen. Es gibt keine Landesregierung, die sich so intensiv Verdienste errungen hat, dass es überhaupt noch Hilfe aus einer Hand gibt. Daher noch einmal vielen Dank an die Hessische Landesregierung.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))