Die Probleme der überschuldeten Handelspartner kommen in Form von Instabilitäten und Krisen der Staatsfinanzen ganz schnell wie ein Bumerang zu uns zurück. Das führt zu Problemen, weil die Importnachfrage in Ländern wie Griechenland in absehbarer Zeit drastisch nachgeben wird. Trotzdem – Herr Minister, das kritisiere ich – setzen Sie einseitig auf den Export. Sie vernachlässigen die Binnennachfrage. Dabei sind doch die meisten Unternehmen in Deutschland und Hessen abhängig von der Binnennachfrage. Das gilt ganz besonders für die kleinen und mittelständischen Unternehmen, allen voran für das Handwerk. Nur wenn Löhne, Renten und Transferleistungen erhöht werden, profitiert das Handwerk davon, das Ihnen sonst immer so am Herzen liegt. Dafür setzen wir uns ein.
Herr Posch, Ihre These, dass die deutsche Gesellschaft keinen binnengestützten Aufstand – Aufstand wäre auch nicht schlecht –, Aufschwung zustande bringen könnte,
(Judith Lannert (CDU): Jetzt sehen wir, wovon Sie etwas verstehen! – Dr. Walter Arnold (CDU): Verräterisch!)
weil sie altert und schrumpft, klingt weder nach sehr großer Zuversicht in dieses Land noch nach einer überzeugenden Analyse.
Eine logische Konsequenz, wenn Ihre Analyse stimmen würde, wäre, dass man Bedingungen für höhere Geburtenraten schafft, z. B. indem man die Weichen für mehr unbefristete, anständige Beschäftigung stellt, sodass junge Menschen überhaupt in die Lage kommen können, eine Familie zu gründen.
Herr Arnold, wenn Sie sich für die Geburtenrate in China verantwortlich fühlen, ist das ehrenhaft. Ich habe erst einmal an die in Hessen und Deutschland gedacht.
(Dr. Walter Arnold (CDU): Ich habe meinen Beitrag geleistet, Frau Kollegin! – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))
Die Exportstrategie der deutschen Wirtschaft besteht spätestens seit der Agenda 2010 darin, die Löhne zu senken, die Lohnstückkosten so weit wie möglich zu senken. Das Ergebnis ist die sich selbst erfüllende Prophezeiung, dass die Binnennachfrage nicht für Wachstum sorgt. Wie auch? Mit jeder Nullrunde in den Tarifverhandlungen, mit jeder Kürzung sozialer Leistungen wird die Binnennachfrage abgewürgt. Auch deshalb brauchen wir endlich wieder steigende Reallöhne in Deutschland.
Denselben Effekt haben die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer und die Ersetzung einheimischer Zulieferer durch Importe. Herr Posch, Sie haben leider nichts dazu gesagt, wie genau Sie verhindern wollen, dass Fördermittel von der WI-Bank zu diesem Zweck eingesetzt werden. Nach Ihrer Definition sichert jede Direktinvestition Arbeitsplätze. Denn ein Unternehmen, das ins Ausland expandiert, sichert seine Marktstellung und so die in Hessen verbliebenen Arbeitsplätze, auch wenn das immer weniger werden. Wenn ein Unternehmen Arbeitsplätze ins Ausland verlagert oder damit droht, um seine Beschäftigten zu erpressen und die Löhne zu senken, dann darf es keine öffentliche Förderung für ein solches Unternehmen geben. Herr Minister, es ist Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen.
Wir sind im Übrigen immer noch der Meinung, dass die Wirtschaftsförderung effektiver sein könnte, wenn die monetäre und die nicht monetäre Förderung zusammengelegt würden. Herr Posch, das haben auch Sie jahrelang gefordert, als Sie noch in der Opposition waren. Das Nebeneinander von WI-Bank und Hessen-Agentur ist nicht sinnvoll, es bedeutet gerade für kleine und mittlere Unternehmen einen erhöhten Aufwand. Deswegen ist es sinnvoll, die Förderung aus einer Hand zu bekommen.
Herr Minister, Sie haben die Bedeutung der sogenannten BRIC-Staaten für die deutsche Wirtschaft erwähnt. Aber dass Sie São Paulo, Mumbai, Teile Chinas und Moskau als
einmal ganz davon abgesehen, dass es sich hierbei um Städte und nicht um Länder handelt. Wir sprechen hier von Megastädten mit riesigen Slums, Massenelend, einer hohen Kindersterblichkeit und einer ganz enormen sozialen Polarisierung. Herr Minister, die Frage ist, für wen die Möglichkeiten hier, bitte schön, unbegrenzt sind. Das mag für Finanzjongleure und Investoren gelten. Aber für die Menschen, die dort leben, sind die Perspektiven leider äußerst begrenzt.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Walter Arnold (CDU): Die sind doch auch Arbeiter!)
Herr Minister, deshalb knüpft Ihre „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Assoziation vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten wohl kaum an die Alltagserfahrungen der dort lebenden Menschen an. Wie die Binnennachfrage in Orten wie São Paulo oder Mumbai die hessische Wirtschaft über den Berg retten soll, bleibt Ihr Geheimnis.
Herr Minister, Sie sagen, Sie wollen Außenwirtschaft und Entwicklungshilfe miteinander verbinden. An dieser Stelle ist anzumerken, dass seit der Regierungsübernahme von Roland Koch im Jahr 1999 die Gelder des Landes für Entwicklungszusammenarbeit nur noch ein Bruchteil dessen sind, was sie früher einmal waren. Wir reden hier von aktuell 260.000 € im Jahr. Das ist eine schändlich niedrige Summe für ein Bundesland, das sich verpflichtet hat, der Entwicklungshilfe in Zeiten globalen Zusammenwachsens mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Das ist wirklich viel zu wenig. Herr Minister, diese Summe müssten Sie als Erstes erhöhen, um hier glaubwürdig zu sein.
Um den Entwicklungshaushalt der Bundesregierung ist es nicht viel besser gestellt. Die Zeichen stehen auf weitere Verschlechterung, seit ein FDP-Minister das Ressort übernommen hat, der es vor Kurzem noch komplett abschaffen wollte.
Nun behaupten Sie, über eine Verzahnung von Entwicklungszusammenarbeit und Exportförderung ließen sich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Gewinne für die deutschen Exporteure und wirtschaftliche Entwicklung in den armen Ländern. So soll die Entwicklungspolitik stärker auf die eigenen Interessen ausgerichtet werden. Der Anspruch, den Entwicklungshilfe einmal hatte, nämlich historische Ungerechtigkeiten auszugleichen, zu einer nachhaltigen Verringerung von Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Armut beizutragen, rückt dabei immer weiter in den Hintergrund.
Herr Minister, deshalb ist es auch nur folgerichtig, dass Sie die klassischen Entwicklungsländer von Ihrer Prioritätenliste einfach gestrichen haben und dass Sie eigentlich nur über gewinnträchtige Schwellenländer reden. Das fügt sich auch in die Strategie der Bundesregierung ein.
Wenn die Verbindung von Außenwirtschaft und Entwicklung funktionieren soll, dann wäre es natürlich auch nötig, die Exporte und Investitionen politisch zu begleiten und sich offensiv dafür einzusetzen, dass der neue Wohlstand auch bei den Menschen ankommt. Aber was das angeht, Herr Minister, macht Schwarz-Gelb leider weder hierzulande noch in der Dritten Welt eine besonders gute Figur. In den industriellen Zentren Chinas sind Rechtlosigkeit, Armut und frühkapitalistische Formen der Ausbeutung an der Tagesordnung. Sie verfolgen einseitig deutsche Wirtschaftsinteressen. Die Entwicklung von Wohlstand und sozialer Sicherheit in den Schwellenländern spielt dabei wohl überhaupt keine Rolle.
Ich halte auch die Verbindung von Demokratisierung und marktwirtschaftlichen Reformen eher für ein Dogma als für eine erfahrungsbewährte Erkenntnis. Russland ist seit den Reformen der Neunzigerjahre eines der plastischsten Beispiele dafür, dass die Privatisierung der Wirtschaft keineswegs zur Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten führt. Wir haben einen sehr ähnlichen Prozess in China.
Herr Minister, wenn Sie davon sprechen, dass die Ausweitung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen unterstütze und die Möglichkeit biete, Aspekte wie Demokratie und Menschenrechte anzusprechen – es steht auch im Antrag von CDU und FDP, dass das ein wichtiger Aspekt der hessischen Außenwirtschaft ist –, dann frage ich mich: Herr Posch, Sie planen für dieses Jahr Wirtschaftsdelegationen nach Russland, China, Saudi-Arabien, Libyen, Marokko und Algerien. Das sind alles Länder, die man auch bei oberflächlichem Hinschauen wohl schlecht als lupenreine Demokratien bezeichnen kann.
Herr Minister, mich würde es doch sehr interessieren, in welcher Form Sie nächste Woche, wenn Sie nach Russland fahren, die Menschenrechtsverletzungen der russischen Regierung dort zum Thema machen. Mich würde interessieren, ob Sie gegenüber der Kommunistischen Partei Chinas die mangelnden Arbeitnehmerrechte in China thematisieren und die Verfolgung der Gewerkschaften und Oppositionellen dort ansprechen.
Was mich auch interessieren würde, ist: Werden Sie in Saudi-Arabien die Situation der Frauen in Saudi-Arabien ansprechen? Werden Sie ansprechen, dass dort Regimegegner gefoltert und hingerichtet werden? Herr Minister, werden Sie diese Fragen ansprechen? Treffen Sie sich mit Oppositionellen und Regimegegnern in diesen Ländern? Oder lassen Sie all diese Fragen unter den Tisch fallen, damit Sie die guten Geschäftsbeziehungen nicht gefährden?
Herr Minister, auf diese Fragen hätte ich gern eine Antwort. Für den Fall, dass Sie die heute nicht geben können, habe ich vorsichtshalber eine Kleine Anfrage dazu eingereicht; dann können Sie mir die nachreichen. Herr Minister, natürlich wollen wir Sie in diesem Vorhaben bestärken, Demokratie und Menschenrechte gegenüber den Machthabern in Ihren Gastländern zu thematisieren. Deshalb haben wir einen Antrag eingebracht, der Sie genau dazu auffordern möchte, sich für Menschenrechte und Demokratie stark zu machen. Ich bin ganz sicher, dass es
Frau Kollegin Wissler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Wintermeyer, der jetzt den Abgeordnetenplatz eingenommen hat?
Ich möchte erst zum Schluss kommen. Herr Kollege Wintermeyer, vielleicht können Sie eine Kurzintervention machen, und dann können wir uns weiter unterhalten.
(Minister Michael Boddenberg: Jetzt ist er extra rü- bergelaufen! – Judith Lannert (CDU): Da tun einem ja die Ohren weh!)
Herr Posch, ich hätte auch gern eine Antwort auf die Frage, warum Sie vor allem Länder bereisen, denen nach Einschätzung von Amnesty International, nach Ansicht der Vereinten Nationen und auch nach Ansicht des Auswärtigen Amtes eklatante Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Wenn es um Geschäfte geht – das finde ich auch sehr interessant –, können Sie auch ganz großzügig über ideologische Differenzen hinwegsehen. Da haben Sie keinerlei Berührungsängste mit der Kommunistischen Partei Chinas, mit der Kommunistischen Partei Vietnams, da können Sie in die Sozialistische Republik Vietnam reisen.
Im Gegenteil, Sie scheinen besonders gerne Länder zu bereisen, die sich als sozialistisch oder kommunistisch bezeichnen. – Herr Minister, so viel zu Ihren Wegen zum Kommunismus.
(Heiterkeit bei der LINKEN, der SPD und der CDU – Beifall bei der LINKEN – Thorsten Schäfer- Gümbel (SPD): Das war jetzt 1 : 0! – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): War das ein Lob oder Kritik?)
Herr Minister, Sie sprachen davon, dass Sie mit Aktivitäten im Bereich Hessen-Marketing unterstreichen wollen, dass man in Hessen nicht nur geschäftliche Erfolge erzielen, sondern auch gut leben kann. Ich bin der Meinung, wenn Sie in Ländern wie Algerien, Marokko, Saudi-Arabien oder Libyen derartige Botschaften aussenden, sollten Sie auch dafür sorgen, dass Migrantinnen und Migranten aus diesen Ländern auch gut in Hessen leben können und hier willkommen sind.
Oder, Herr Minister, Sie sagen lieber gleich dazu, dass diese Menschen nicht mit einem geregelten Aufenthaltsstatus rechnen sollten, nicht davon ausgehen müssen, dass ihre ausländischen Berufsabschlüsse anerkannt werden, und ein dickes Fell brauchen, wenn die Hessen-CDU gerade im Wahlkampf ist.
Herr Minister, Sie sollten den Menschen dann auch erklären, dass Hessen zwar vielfältige kulturelle Angebote hat, dass in der Landesregierung aber großer Wert auf die